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Aloys ging voran in die Stube. Eine Sekunde schauten die beiden einander stumm an. Die dunkeln Wimpern der Jungfrau zuckten mehrmals, da ihr helles Auge ihn forschend betrachtete; Aloys betrachtete sie festen Blickes.
»Der Vater ist leider nicht zu Hause, aber er kann jede Stunde kommen,« begann Ignazia.
Aloys schien nichts weiter sagen zu können, er atmete unhörbar tief und unhörbar sprach's in ihm: Ja die! die ist zu schön und zu vornehm für mich. Aber mit Blitzesschnelle dachte er wieder: Wollen doch sehen.
Ignazia sah die Befangenheit des Mannes, in dessen Mienen Treuherzigkeit und Arglosigkeit unverkennbar waren; ihr strenger Blick milderte sich und ward immer wohlwollender, als Aloys mit bewegter Stimme sagte: »Mein Vater hat mir's auf die Seele gebunden, ich darf nicht aus Europa heimkommen, ohne den Herrn Ivo gesehen zu haben. Und die Frau meines Ohms, die Schwester vom Herrn Ivo, läßt viele Grüße sagen; bringe auch Grüße von der Adlerwirtin, von der Schwester in Nordstetten.«
»Ich danke. Es thut immer wohl, Menschen zu sehen, die eines unsrer in der Ferne Lebenden gesehen haben.«
»Man kann mir frei in die Augen sehen, es ist nichts Unehrliches dahinter,« entgegnete Aloys, und während er das frei hin sagte, spürte er einen Stich im Herzen, denn es ist nicht wahr. Er lügt mit dem ehrlichsten Gesicht von der Welt, würde Marannele schreien, wenn sie da wäre, und jetzt schlug er die Augen beschämt nieder.
Ignazia war überrascht von dieser Wendung, sie war fast zornig über diese rasche Andringlichkeit und doch sah der Mann jetzt plötzlich so demütig aus.
Sie antwortete nichts, sondern wendete sich schnell, und an den Schrank gehend und Kirschwasser aufstellend, dachte sie: ist dies Benehmen Keckheit oder gewaltsam bezwungene Schüchternheit?
Wie aus vielerlei Gedanken heraus sagte Aloys:
»Sie kommen mir gar nicht wie eine Bauerntochter vor. Freilich, Ihr Vater ist ein Studierter. Meine Schwägerin ist auch eine Lady. Sie sprechen gewiß auch englisch?«
»Nein, nicht einmal französisch. Das hab' ich im Krieg besonders bedauert –«
»Ja, hab' gehört, wie groß Sie im Krieg gewesen sind.«
Ignazia nickte dankend, sie hörte ihm gut zu, wie er von der Teilnahme der Deutschen in Amerika sprach und Aloys legte alles noch viel besser dar, als da drüben beim Marannele; die verständnisvolle Zuhörerin hier machte ihn beredter.
»Mein Vater,« entgegnete Ignazia, »ist ganz glücklich heimgekommen von Ludwig Waldfried, der ihm erzählt hatte, wie tapfer Ihr Vater sich im Kriege zur Befreiung der Schwarzen gehalten hat.«
Jetzt konnte Ignazia sehen, wie recht die Schwester hatte, daß das derbe Gesicht des Aloys wahrhaft schön werden konnte.
»Entschuldigen Sie,« unterbrach Ignazia, »ich höre jemand auf dem Flur.«
»Sie sind grad wie meine Mutter, die spricht auch mit einem in der Stube und hört und weiß doch alles, was draußen vorgeht,« konnte Aloys noch schnell der Davongehenden nachrufen.
Ignazia kam schnell wieder herein mit einem Päckchen und sagte:
»Das kommt auch aus Nordstetten. Haben Sie den Schuster Hirtz kennen gelernt?«
Aloys erklärte, daß ihm das eigentlich der liebste Mann im Heimatsdorfe sei, und die hellen, blauen Augen der Ignazia leuchteten noch freundlicher, da er sagte:
»Das ist ein gediegener, einfacher Mann, so einen kennen zu lernen, ist schon allein eine weite Reise wert.«
»Ja,« ergänzte Ignazia. »Wenn man ihn so ansieht, hat er nichts Ehrwürdiges und doch ist er's von Grund aus; er arbeitet, und alles allein, will keinen Verdienst von der Arbeit andrer und bleibt ruhig am Ort. So wenig sein dreibeiniger Stuhl wandern will, so wenig will er wandern.«
Schnell fiel Aloys ein: »Aber seine Gedanken wandern oft gern zu Menschen in der Ferne und besonders gern zu Ihnen, er hat gar gut von Ihnen gesprochen; ich wollte nur, er könnte auch zu andern so von mir reden.«
»Ueber einen guten Menschen reden, das macht gut bekannt miteinander,« unterbrach Ignazia, indem sie rasch das Päckchen öffnete und dabei fortfuhr:
»Ich wünsche, daß Sie noch mehr solche tüchtige Männer im Vaterlande kennen und schätzen lernen, um daheim davon berichten zu können.«
Die denkt nicht dran, mitzugehen, fuhr Aloys durch den Sinn; dennoch sagte er, die ausgepackten Stiefelchen streichelnd:
»Die Stiefelchen sind fein und stark, die passen . . . Wenn man nur wüßte, wo die noch gehen werden.«
»Das weiß ich selber nicht. Jedenfalls nicht weit. Ja, daß ich's nicht vergesse. Der Vater ist kein großer Freund von Amerika und er arbeitet stark gegen die Auswanderung.«
»Was hat er gegen uns?«
»Ich wollte Ihnen das nur voraus sagen. Wollen Sie mich ins Feld begleiten? Wir haben viele fremde Schnitter draußen.«
Aloys war bereit, und als sie vor das Haus kamen, sagte er:
»Wie schön ist's hier oben! Es muß Ihrer Schwester schwer geworden sein, von da weg zu gehen.«
»Und ich werde es doch auch bald über mich nehmen müssen.«
Aloys errötete und Ignazia fuhr fort:
»Mein Vater nimmt wahrscheinlich einen Staatsdienst an.«
»Einen Staatsdienst?« fragte Aloys, das Wort schien ihm eine Entwürdigung. »Ich hab' immer gehört, Ihr Vater sei ein freier Mann.«
»Er bleibt dabei doch frei und kann viel Gutes thun. Es wird ihm nicht leicht, in alten Tagen noch das Leben zu ändern. Sieh da! dort kommt er! Er muß unser Fuhrwerk unterwegs getroffen haben.«
Sie eilte dem Vater entgegen; er stieg ab, sie sprach kurze Worte, er eilte voraus zu Aloys.