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Die Thüre öffnete sich, Aloys stand still.
Das also ist das Marannele!
Die Alte mochte fühlen, daß der junge Amerikaner das dachte, denn sie rief:
»O lieber Aloys! Wie oft hab' ich das gesagt, aber der so heißt, hat's nicht gehört. Ja, lieber Aloys, nicht wahr, dein Vater hat dir gesagt, ich sei ein schön Mädle gewesen? Da siehst du jetzt, was aus einem schönen Mädle wird. Komm näher her!«
Die Augen der Mutter Marannele leuchteten zu dem Sohne, wie vor dreißig Jahren zum Vater, ihr Glanz schien derselbe geblieben.
»Verzeih, daß ich du gesagt habe. Ihr habt eine breite Hand und was für einen schönen Ring. Nicht wahr, meine Hand ist dürr? Gottlob, daß ich sie dem Aloys noch hab' geben können. Die Leute haben gesagt, er geht von hier fort, ohne bei mir gewesen zu sein, ich aber hab' gesagt, das kann der Sohn von meinem Vetter Aloys nicht übers Herz bringen, oder er ist sein Sohn nicht, und wenn alles andere nicht wär', verwandt sind wir doch auch.«
»Jawohl sind wir verwandt, und saget nur auch du zu mir.«
»Stell dich besser ins Licht, daß ich dich besser sehen kann. So, ja, es ist so, hab' schon gehört, du siehst dem Mathes vom Berg am gleichsten. Aber die Augen hast doch vom Vater und auch die Stirn und den Mund.«
Aloys lachte.
»Ja, wenn du so lachst, das ist herzig das Lachen von deinem Vater. Die Gutheit hat aus ihm gelacht. Erzähl ihm nur, wie ich aussehe.«
Aloys konnte mit Aufrichtigkeit erwidern, daß das Gesicht nicht anmutlos sei, daß es runzlig und verfallen war, brauchte er ja nicht auszusprechen.
»Jetzt sag mir, wie sieht denn dein Vater aus? Ist er auch so dürr wie ich?«
»Nein, er ist breit und dick; da seht, das ist sein Bild.«
Jung Aloys zog ein Paket Photographien aus der Tasche und reichte eine davon.
»Ja, den hätt' ich nicht mehr erkannt, der sieht ja aus wie der alt' Buchmaier; ja dem sieht man das Wohlleben an, ich gunn's ihm von Herzen, einen besseren Menschen, als er ist, gibt's auf der ganzen Welt nicht. Schau, dort hängt dein Vater.«
Die Alte deutete auf ein koloriertes Bild, das an der Wand hing, worunter geschrieben stand: Aloys Schorer, Soldat im fünften Infanterie-Regiment.
»Nimm's herab du!« rief sie zur Tochter. »O was sind die jungen Leut' jetzt! Wie ich so alt gewesen wie du, hätt' ich mir das nicht erst sagen lassen, ich hätt's von selber gethan.«
Erschrocken ging Jung Marannele an die Wand und suchte das Bild herab zu nehmen, ihre Hand zitterte und Jung Aloys half ihr. So hielten die beiden das Bild des Vaters aus seiner Jugendzeit. Aloys hätte dem Mädchen gern gesagt: Ist brav von dir, daß du der keifenden Mutter nichts antwortest, und Marannele hätte gern gesagt: Ist brav von dir, daß du alles so geduldig anhörst.
Vielleicht sahen beide im begegnenden Blicke diese Worte.
»Hat mein Vater je so ausgesehen?« fragte Jung Aloys.
»Der Postur nach ja, und auch im Gesicht; nicht ganz, aber auch nicht weit gefehlt, und da steht's ja, das hat er selber geschrieben. Ach, lieber Gott! damals sind andere Zeiten gewesen.«
»Das Bild scheint einmal zerrissen gewesen zu sein.«
»Das ist ja eben die Geschicht'! Dein Vater hat dir gewiß davon erzählt. Freilich, so etwas erzählt man nicht gern einem Kind; es ist aber nichts Unrechtes dabei. Er hat mir das Bild geschickt, wie er Soldat gewesen, ich bin aber schon mit meinem Jörgli versprochen gewesen, und dein Vater war auch viel zu jung für mich und zu wehleidig, ich bin ein bißle scharf, aber nicht bös. Ich will mich nicht besser geben als ich bin. Wie er dann heimkommen ist, hat er das Bild zertreten, weil es noch in seiner Mutter Stube gehangen hat. Sie hat's aber doch nachher wieder zusammenflicken lassen. Und wie die Versteigerung von den Sachen deiner Großmutter war, bin ich eben hin ins Haus und hab' das Bild gekauft; es soll nicht verunehrt werden, es ist doch dein Vater und er hat was drauf gehalten, und mein Mann hat nichts dagegen gehabt. Wir haben's gehalten, Gott verzeih' mir's, fast wie ein Heiligenbild.«
»Es ist Euch also sehr teuer.«
»Ich hab's um den Wert vom Glas und Rahmen noch billig gekauft, ich glaub' um 26 Kreuzer. Es hat niemand drauf geboten gehabt, als der Schuster Hirtz. Wie er aber gesehen hat, daß ich's will, ist er zurückgestanden, er weiß doch, daß ich deinem Vater näher gewesen bin als er. Wie ich höre, bist du arg gut Freund mit ihm.«
»Er scheint mir ein Ehrenmann.«
»Scheint nicht bloß. Ja, und da ist noch was. Der Turteltaubenkäfig ist auch von deiner Großmutter, aber die Turteltauben sind nicht mehr die alten, das sind junge davon.«
Wie zur Bestätigung gurrten die Tauben aus dem Käfig.
Die Alte war offenbar zweifelhaft, wie sie über Schuster Hirtz sprechen solle, aber Aloys war nicht geneigt, ihr darin nach irgend einer Seite Beistand zu leisten. Er fragte daher:
»Den Käfig und die Turteltauben behaltet nur. Wäret Ihr aber nicht geneigt, das Bild herzugeben?«
»Ich weiß nicht.« Es war ein lauernder Blick, mit dem die Alte den jungen Amerikaner betrachtete, dann fuhr sie fort, indem sie schnell eine andächtige Miene annahm: »Unser Herrgott weiß, ich kann nicht hinterm Berg halten. Was soll ich lügen? Wenn man so alt ist und bald vor den himmlischen Richter kommt. Ja, lieber Aloys, kein Mensch auf der Welt bekäm' es von mir als du. Du bist sein Sohn, du sollst's haben, ohne einen Kreuzer.«
»Ich danke Euch, danke von Herzen.«
»Es wird mir freilich and thun, das Bild nicht mehr zu sehen; in allen Ehren hab' ich das Bild Tag für Tag angesehen und dem Manne Glück und Segen gewünscht und es ist, gottlob! eingetroffen.«
Aloys erwiderte ruhig:
»Darf ich das Bild gleich mitnehmen?
»Schau, das hast du jetzt grad so gesagt, wie wenn's dein Vater gesagt hätte; ganz seine Stimme so von Herzensgrund. Marannele!« rief sie plötzlich in anderem Tone. »O lieber Gott, was ist denn heut mit dir? Muß man dir denn heut alles sagen und befehlen? Bist doch sonst – Jetzt hol dem Herrn Vetter ein Gläsle Kirschenwasser. Sag nichts dagegen, Aloys, ich trink' mit, es thut mir gut.«
Jung Marannele ging still davon, und kaum war sie weg, als die Mutter leise sagte: »Komm näher her, ich hab' dir was zu sagen.«