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Sechsunddreißigstes Kapitel. In weißer Halsbinde.

Mit dem festen Vorsatze, sich nicht durch Erinnerungen an die Vergangenheit verdüstern zu lassen, sondern mit hellem Blick die Zukunft festzuhalten, wanderte Reinhard durch die Straßen der Residenz. Wie zur Befestigung seines Vorsatzes trat er zuerst in einen Modeladen ein und wählte mehrere für Malva passende Kleiderstoffe; eine schöne junge Verkäuferin hatte den ungefähren Wuchs von Malva; Reinhard bestimmte, daß die Stoffe alsbald verarbeitet werden und gab dabei einige von der Mode abweichende künstlerische Bestimmungen.

»Darf ich um Ihren Namen und Ihre Adresse bitten?« wurde gefragt.

Reinhard erschrak und bezeichnete nur die Nummer seines Zimmers im Gasthofe; er sagte, er werde die Kleider abholen lassen und entrichtete sofort den Preis.

Als er aber wegging, hörte er, wie ein alter Handlungsdiener zu der Verkäuferin sagte: »Ich wette meinen Kopf, das ist der ehemalige Professor Reinhard.«

Nunmehr that sich Reinhard keinen Zwang mehr an. Er ging von Laden zu Laden, kaufte Teppiche und schönen Hausrat; er freute sich über die Fortschritte, die das Kunstgewerbe gemacht, und bestellte Handwerker nach dem Dorfe, das er nun seine Heimat nannte.

Der Hof war angekommen, Reinhard meldete sich und wurde sofort zu einer großen Soiree auf den andern Abend geladen. Am Morgen aber kam ein Lakai und beorderte ihn zum Fürsten.

Dieser kam ihm mit großer Herzlichkeit entgegen und sagte, er habe ihn allein sprechen wollen, bevor er ihn in großer Gesellschaft sehe.

Der Fürst war voll und gedrungen geworden, von der ehemaligen Weichlichkeit war keine Spur, und auch die vormalige Phrasenhaftigkeit war geschwunden. Er trug einen Vollbart, in den sich schon graue Haare mischten. Sein Auge schien größer geworden, es leuchtete voll Wohlwollen. Vor dreißig Jahren hatte Reinhard wegen seiner Hofstellung den Bart abnehmen müssen.

»Schade,« sagte der Fürst, nachdem verschiedene Fragen über Rom erledigt waren, »schade, daß Sie unsre große Zeit in der Ferne mitgelebt haben. Sie hätten im Felde großes Leben gesehen. Aber schön, daß Sie jetzt wiedergekommen sind, um sich an unsrer Einheit und Größe zu erfreuen.«

Reinhard errötete und schwieg. Er mußte sich über etwas loben lassen, das ihm nicht gebührte. Er erzitterte aber am ganzen Leibe, da der Fürst fragte: »Befindet sich Ihre Frau Gemahlin recht wohl?«

»Meine Frau ist tot.«

Der Fürst war nicht minder erschreckt als Reinhard, und fügte herzlich teilnehmend hinzu, daß er davon nichts gehört habe. Daneben gab er im voraus dem Oberhofmarschall einen Verweis, der ihn darüber nicht instruiert hatte.

Der Zerfall mit Lorle schien vergessen. Der Fürst lobte die Pietät Reinhards, und dieser erzitterte, denn er dachte an Malva. Er erntete Lob für etwas, das nicht mehr in ihm war.

»Sie wissen,« sagte der Fürst mit inniger Teilnahme, »welche Hochschätzung ich für Ihre Frau Gemahlin hatte. Es gibt Pflanzen, die sich nicht verpflanzen lassen. Ich habe einmal, als ich durch Weißenbach kam, bei Ihrer Frau Gemahlin anfragen lassen, ob ich sie besuchen könne. Sie hat mir mit großer Zartheit verneinend antworten lassen. Sie soll, wie man mir sagte, wahrhaft verklärt ausgesehen haben, und sie war der gute Engel des Dorfes.«

Jedes Wort des Fürsten versetzte Reinhard eine blutige Wunde.

»Ist das Haus zur Linde noch im alten Stande, und wer besitzt es?«

»Ich.«

»Das ist schön.«

Der Fürst verdoppelte seine Freundlichkeit, faßte die Hand Reinhards zwischen seine beiden Hände beim Abschiede: »Auf Wiedersehen, lieber Professor, heut abend.«

Noch im Weggehen hörte Reinhard, daß der Fürst den Oberhofmarschall rufen ließ. Dieser begegnete ihm bereits auf der Treppe, und reichte nur im Vorübergehen eilig die Hand.

Im Kabinette aber sagte der Fürst in ärgerlichem Tone zu dem Oberhofmarschall:

»Aber, lieber Truben, wie konnten Sie mich in Unwissenheit lassen, daß die Frau des Professors bereits gestorben ist?«

»Ich wußte nicht, daß mein gnädiger Herr den Mann privatim empfangen werde vor heut abend.«

»Sie haben recht. Er hat doch sehr gealtert.«

»Und doch sagt man, daß er wieder heirate und wieder ein Bauernmädchen.«

»Noch einmal? Unfaßlich! Woher wissen Sie das?«

»Die Schauspielerin Berger, die ein Landhaus in Weißenbach hat, hat mir's erzählt; natürlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, aber unter diesem Siegel werden viele Menschen Wissende sein.«

»Ich meine, Sie sollten das doch nicht weiter verbreiten.« Der Hofmarschall verbeugte sich zustimmend.


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