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Dreifach in breitem Schwall quillt das Wasser aus dem Rohrbrunnen am Rathause, und das ganze Dorf ist stolz auf die eiserne Säule und den eisernen Trog, da kann jeder gleich sehen, daß wir nun an der Eisenbahn liegen.
Die Frauen und Mädchen, die am Brunnen stehen, Wasser holen und Salat putzen, haben heute viel zu reden.
»Hast schon gehört?« wurde einer eben herzukommenden alten Frau zugerufen, »hast schon gehört? des Lorles Reinhard ist wiederkommen.«
»O, du lieber Gott im grundgütigen Himmel droben, warum hast du sie das nicht erleben lassen? Wie sieht er denn aus?«
»Er hat einen weißgrauen langen Bart, es hat ihn niemand erkannt, er hat sich selber müssen zu erkennen geben.«
Ein kleines runzeliges, klug dreinschauendes Weibchen, das Tänzerle genannt, weil es immer so kleine, zierliche Schrittchen machte, sagte fröhlich: »Ich hätt' ihn gewiß erkannt, ich hab' mit ihm getanzt; ja lachet nur, man ist damals lustiger gewesen wie jetzt, und wie der Herr Reinhard, so kann kein zweiter Mensch auf der Welt tanzen; man hat gemeint, man fliegt und man schwimmt und . . .«
»Still! dort kommt er; er schaut gar nicht auf. Wohin er nur gehen mag? Guck! Er geht auf den Kirchhof. Ja, armes Lorle, jetzt kommt er, aber an dein Grab. Wendelin!« wurde ein Bauer angerufen, der mit der Peitsche auf der Schulter den Kühen am Pflug vorausgegangen war, »Wendelin! weißt schon, wer kommen ist?«
»Wer denn?«
»Des Lorles Reinhard.«
»O was? So? Hat er nicht nach mir gefragt?«
»Nein.«
»Hü!« rief der Bauer den Kühen zu, die wie er stehen geblieben waren; »hü, Bläß! hot, Strom!«
Wendelin steckte den Daumen unter seinen Hosenträger und bog ab nach seinem Hause.
Der Dorfschütz kam am Brunnen vorbei. »Martin,« wurde ihm zugerufen, »zieh' ein frisch Bandelier und einen scharfen Säbel an!«
»Warum? Was gibt's?«
»Des Lorles Reinhard ist angekommen, du mußt seine Leibwache sein, denn die Burschen haben ja geschworen, daß sie ihn totschlagen, wenn er wiederkommt.«
»Hat keine Gefahr. Aber wo ist er?«
»Wer?« fragte ein herzutretendes Mädchen mit roten Zöpfen, das in einer durchlöcherten Blechschüssel grünen Salat trug.
»Malva, dich geht er am meisten an,« wurde erwidert; »der Mann von deiner Pflegemutter, des Lorles Reinhard, ist ja angekommen, er ist jetzt auf dem Kirchhof.«
Malva kehrte schnell wieder um, eilte mit der Blechschüssel heimwärts und dann nach dem Kirchhof. Dort am Zaun, wo die wilden Rosen blühten, sah sie ihn am Grabe stehen; es war mit dichtverbuschten Nelken ringsum eingerahmt und in der Mitte blühte der Rosmarin. Die Luft war so still, daß man die Bienen summen hörte, die dort Honig holten.
Der Mann stand entblößten Hauptes, unbewegt, nun bückte er sich und brach eine Nelke ab. Er hielt die Nelke an die Lippen und Malva betete schnell vor sich hin; denn es ist ja bekannt, daß man bald sterben muß, wenn man an einer Blume von einem Grabe riecht.
Jetzt wendete sich der Mann. Hat er geweint oder sind seine Augen immer so hellblau und so strahlend?
Unter der Kirchhofthür trat ihm Malva in den Weg und sagte: »Grüß Gott, Herr Reinhard. Schenket mir die Blume, ich bitt'.«
»Warum?«
»Es ist die erste Nelke von diesem Jahr und eine Blume vom Grab bringt Todesgefahr.«
»Ich hab' keinen Aberglauben. Habe ich dich heute schon gesehen?«
»Ja, ich hab' nicht gewußt, wer Ihr seid, aber die Selige hat's gewiß so eingerichtet, daß ich zuerst Euch sehe.«
»So? Wie heißest du?«
»Eigentlich heiße ich Malvina Katharina, aber die Selige hat mich immer Malva gerufen, und jetzt heiße ich im ganzen Dorf so.«
»Wie heißt dein Vater?«
»Wendelin.«
»Also doch? Ich habe deinen Vater gekannt, als er noch nicht so alt war wie du jetzt. Lebt er noch?«
»Ja, und er wartet daheim aufs Essen und wird schimpfen; aber Ihr geht jetzt allem vor. Das Lorle, die Frau Professorin, ich bin in ihrer letzten Stunde bei ihr gewesen, hat mir lang vorher gesagt, grüß' mir meinen Reinhard, wenn er wiederkommt, und noch viel, viel hat sie mir für Euch gegeben.«
»So erzähle.«
»Ich kann jetzt nicht, mein Vater schimpft, er hat heut den ganzen Morgen Kartoffeln gehäufelt und ist hungrig.«
»Sag' mir nur schnell, wer hat den schönen Grabstein gesetzt?«
»Der Herr Reihenmeyer, er ist auch beim Begräbnis gewesen und hat da gleich alles angeordnet. Aber verzeihet, ich muß heim, der Vater ist gar arg, wenn er aufs Essen warten muß. Ihr bleibet doch wenigstens heut hier?«
»Gewiß.«
»Gut, so kommet in einer Stunde in unser Haus, dort das Haus, wo die abgezweigte Tanne ist, das ist unser Haus. Unterdes kann ich mich auch besser besinnen. Gebt mir die Nelke.«
»Nein.«
»Nun, so behüt' Euch Gott, ich muß fort.«
Reinhard kehrte durchs Dorf zurück. Wie zittern die Sonnenstrahlen an den weißen Wänden der Häuser auf und ab, wie flimmert das Wasser aus den Brunnenröhren so seltsam, als wär's flüssiges Metall, und die Linde schauert in sich zusammen und kein Menschenkind zeigt sich . . .
In der hellen Morgensonne erschien ihm das Dorf, als wäre es aus nächtiger Versunkenheit wieder emporgetaucht, und er selber war sich ein Versunkener, der wieder ans Licht kommt. Die Augen brannten ihm, er hätte sie gern geschlossen, für immer. Er kannte das Grab seiner Mutter nicht, er hatte kein Grab auf der Erde, jetzt hatte er eins, und er hatte die Stelle gesehen, wo er ruhen sollte.