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Wie schon ihr Vorname andeutete, stammte Cäcilie Hansen nicht von der Insel. Ihr Mann hatte sie sich aus Hamburg-St. Pauli mitgebracht in einer törichten Jugendlaune. Die bekam ihm schlecht. Cäcilie paßte nicht ins Dorf. Sie hatten zwei Kinder. Die Tochter lief ihnen davon, kaum daß sie die Schule hinter sich hatte, ging als Küchenmädchen in ein Westerländer Hotel, ging weiter mit Badegästen nach Hamburg und heiratete später wieder einen Gastwirt aus St. Pauli; so schloß sich der Ring. Der Sohn war langsamer, blieb daheim. Übrigens verstanden Cäcilie und ihre Kinder sich auch aufs Geld, nicht schlechter als die Morsumer, und doch anders als diese. Die Morsumer waren auf die kleine Ersparnis bedacht, Cäcilie auf den kleinen Verdienst. Sie verstand aus nichts etwas zu machen und brachte es bald zu Wohlstand. Sah sie ein schlecht bewirtschaftetes Stück Land, so bemitleidete sie den Besitzer wortreich, bis er sich endlich für geringes Geld gern davon trennte; dann bewirtschaftete sie es besser und gewann bald gute Erträge.
»Ich lasse mich keine Mühe verdrießen und weiß, woraus sich etwas machen läßt, deshalb nennen sie mich eine Hexe«, sagte sie verächtlich zu Heinrich Bremer, aber mit leisem Unbehagen empfand er, daß auch er sie trotz ihrer unleugbaren Tüchtigkeit nicht zu schätzen vermöchte. Cäcilie war sehr nervös, ihre Gesichtsmuskeln zuckten beständig, und sobald sie sich im Gespräch erregte, nahm ihre Stimme einen keifenden Klang an, der den andern Frauen im Dorf sonst nicht eignete. Die Morsumerinnen verleugneten nie ihre gute alte Rasse; sie bewegten sich mit Würde, sprachen mit Würde, behielten auch bei gegensätzlicher Meinung immer ihre ruhige, gemessene Art. Cäcilie war einfach raffig.
Ihr Mann war lange zur See gefahren. Hatte dann, als er endgültig auflegte, neben seiner Landwirtschaft einen kleinen Produktenhandel betrieben. Cäcilie hatte ihm die Bücher geführt, die Rechnungen ausgeschrieben. Als es ihnen einige Jahre vor dem Kriege nicht gut ging, hatte sie kurzerhand die Beträge gefälscht, hatte auch ihres Mannes Unterschrift nachzuahmen gesucht. Als ihre Betrügereien ruchbar wurden, hatte sie einfach jede Verantwortlichkeit abgelehnt, und der Mann, der sich des Handels schämte, verschwand nach Amerika. Nun die Gerüchte über die traurigen Nachkriegsverhältnisse auch bis zu ihm gedrungen waren, schrieb er wieder, teilte ihr seinen Aufenthaltsort mit und schickte ihr monatlich zwei Dollarscheine, für die Cäcilie in diesen Zeiten das halbe Dorf hätte aufkaufen können. Dazu aber war die Hexe denn doch zu dumm. Sie hob die Scheine auf, lief damit von Haus zu Haus, um ihre Mitmenschen ja recht neidisch zu machen, und sobald sie zehn beisammen hatte, kaufte sie einen Zehndollarschein dafür. Nun näherte sich der Zeitpunkt, daß sie vier Zehner und zehn einzelne Dollarscheine in einen Fünfziger umtauschen könnte, und darauf freute sie sich wie ein Kind auf Weihnachten.
Mutter und Sohn, die zusammen hausten, standen sich auch nicht zum besten. Eines Tages fiel Bremer der eigentümlich behauene Stein auf, der als Schwelle vor der Haustür lag, und da gerade der junge Lütje Hansen vorüberging, fragte er ihn danach.
»Es muß ein alter Grabstein sein«, sagte der, blieb neben Heinrich Bremer stehen und schaute mit unfrohem Blick darauf nieder. »Woher er stammt, kann ich Ihnen aber nicht sagen. Er liegt hier, so lange ich denken kann, und lag vermutlich schon so, als mein Vater noch Kind war –«, und plötzlich ballte er die Hand zur Faust: »Ich wünschte, sie läge hier drunter, damit ich täglich auf sie treten könnte! Sie nimmt mir alles –«
Er brach ab und ging weiter. Am Abend aber kam die Mutter zu Heinrich Bremer:
»Mein Sohn gibt mir nicht, was ich zu fordern habe. Er sagt: ›Seit wir wissen, daß der Vater noch lebt, wenn auch drüben in Amerika, seitdem hast du kein Witwenrecht mehr am Hofe. Ich verwalte ihn auch nicht mehr für mich, sondern für den Vater. Er ist der Besitzer, weil er noch lebt, nicht du oder ich.‹ – Er trägt jeden Pfennig zur Sparkasse und sieht lieber zu, daß er dort wertlos wird, als daß er ihn mir gäbe. Was kann ich nun dabei tun, Herr Baumeister?«
»Nichts«, antwortete Bremer kalt, »Ihr Sohn hat recht.«
Sie stemmte die Fäuste in die Seiten, was keine Morsumerin aus guter Familie je tat. »Nichts? Das sagen Sie, und wohnen in meinem Hause? Und wenn mein Mann drüben schon tot und gestorben ist, kann ich doch hier nicht immer so weiterleben – ohne Recht!«
»Ja, ist er denn tot?« fragte Bremer verblüfft, »davon weiß ich doch nichts.«
»Ich auch nicht«, gab sie mürrisch zu, »aber es könnte doch sein, ohne daß ich davon schon erfahren hätte. Heute haben wir den Zwanzigsten; vorm Ersten kommt der nächste nicht« – sie redete sich in Eifer und ihre Stimme gewann höhere Töne: »Nichts! Das sagen Sie, der Sie in meinem Hause wohnen? Wenn ich Sie nicht aus Mitleid und Barmherzigkeit aufgenommen hätte, säßen Sie jetzt auf der Straße!«
»Reden Sie keinen Unsinn«, sagte Bremer ärgerlich. »Mitleid und Barmherzigkeit! Ich zahle Ihnen einen guten Preis. Habe sogar, so sauer mir das im Augenblick auch ankam, die Miete bis zum Herbst vorausgezahlt –«
»– womit ich reingefallen bin«, keifte sie. »Nun ist das, was Sie mir gaben, nicht ein Butterbrot mehr wert.«
»Das ist Ihre Sache. Nicht ich habe Ihnen die Bezahlung aufgedrängt. Im Gegenteil, Sie haben sie als Bedingung gestellt. Im übrigen aber«, fuhr er ruhiger fort, »brauchen wir uns doch nicht mehr über Dinge zu ereifern, die einmal so und nicht anders liegen, sondern können uns als Mensch zum Menschen in Frieden miteinander verständigen –«
»Mensch!« wiederholte sie giftig. »Mensch! Sie sind für mich kein Mensch, Sie sind mir nur ein Objekt zum Geldverdienen!« und damit warf sie seine Zimmertür hinter sich ins Schloß.