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Inzwischen waren aber die Morsumer durchaus nicht so schnell mit ihrem Schriftstück zustande gekommen, als Pastor Eschels angenommen. Sie tagten hier, sie saßen da, und kamen doch mit dem schriftlichen Ausdruck ihrer Gefühle nicht recht voran.

Bis endlich Holm-Peters die Geduld knapp wurde, er seine drei zuverlässigsten Anhänger: Jens Simonsen, Andreas Bleiken und Ludwig Bossen zu sich lud, und seinen Schwiegersohn, den Lehrer, in diese erlauchte Versammlung einführte, damit er sogleich aufzeichnete und schriftlich festlegte, was die Bewahrer des alten Morsum mündlich ausarbeiten würden. Dem Lehrer war nicht wohl dabei zumute. Freilich hatte der Befehl von »oben« her, sich mit dem Schulunterricht nach den Konfirmandenstunden zu richten, ihm Eschels nicht lieber gemacht. So sehr er aber persönlich Eschels auch das Schlechteste gönnte – daß ein anderer ihm noch bedeutend unbequemer werden könnte, ahnte er wohl. Jetzt hatte er entschieden die Oberhand im Dorfleben gewonnen, und wenn er seine heutige Stellung zu nutzen verstand – und dies traute er sich wohl zu! –, so würde er auch in Zukunft leicht Eschels unterm Daumen halten können. Mit einem andern aber ging die gleiche Not vielleicht noch einmal von vorn an. Blieb endlich das Pfarrhaus ganz leer, dann hatte er als Lehrer dabei auch nicht viel zu gewinnen. Denn, fehlte hier die kirchliche Zucht, so wurden aus den Lämmlein gar zu schnell stößige Böckchen –

Und also gab er, als die vier Freunde nun versammelt waren, seiner Sorge vor einer Abberufung des Pastors beredten Ausdruck und schlug sogar vor, die Beschwerde ganz zu unterlassen. Sein Schwiegervater aber mißbilligte diese Äußerung mit Strenge.

»Du hast hier überhaupt nicht mitzureden. Dazu bist du nicht hier. Du sollst das dann nur aufschreiben. Ich meine aber, wir dürfen die Beschwerde nun nicht länger mehr aufschieben. Wir kommen ja gar nicht zur Ruhe über den Pastor! Als die Oktoberflut war, ist er mit der Fremden durch das ganze Dorf gegangen, als ob unser Unglück nur ein Schauspiel wäre für andere Leute –«, so sprach Holm-Peters, obgleich sein Haus viel zu hoch lag, als daß er etwa auch im Wasser gesessen hätte, und fuhr auf ein spöttisches Räuspern des Lehrers hin verärgert fort: »Ja, und nun diese Geschichte mit der Taufe bei Steinhof, und daß er uns am Heiligabend betrunken auf der Kanzel stand –«

»Betrunken –«, warf der Lehrer hartnäckig ein, »das müßte man doch erst beweisen können, ehe man das dem Bischof schreibt. Ich habe an demselben Nachmittage noch die Liturgie mit ihm durchgesprochen, und habe nichts gerochen, als wenn er getrunken hätte.«

»Wie ist sonst aber möglich, daß er so unsicher auf seinen Füßen stand?« meinte Jens Simonsen zweifelnd. »Und beim Vaterunser hat er sich zweimal versprochen, das wenigstens muß er doch können!«

»Dabei kann man sich am allerleichtesten versprechen, weil man es so oft sagen muß, daß man gar nichts mehr dabei denkt«, antwortete der Lehrer. Doch das wollte niemand wahrhaben.

»Das kann doch wohl nicht angehen«, meinte Andreas Bleiken kopfschüttelnd, »was man weiß, das weiß man doch eben, oder man ist irgendwie nicht ganz richtig.«

»Und du hast überhaupt nicht dreinzureden, weil du nicht mit unterzeichnen willst«, verwies Holm-Peters dem Lehrer noch einmal jede Einmischung. »Und nun wollen wir das aufsetzen. Wir müssen aber darauf passen, daß es nur solche Dinge sind, auf die der Bischof auch scharf ist. Daß er mit der Fremden durchs Dorf ging nach der Oktoberflut, darauf hört der Bischof nicht viel. Aber das mit der Taufe ist gut dafür. Und dann auch, daß er über die Spundwand lief an dem Tage, an dem deine Erkel starb –«

»Ich möchte das lieber nicht«, unterbrach ihn Jens Simonsen leise, aber Holm-Peters Gesicht war, wie aus Holz geschnitzt, so unbeweglich.

»Möchtest du lieber, daß der Eschels hier herumgeht und über den Damm redet, und daß deine Jungen hernach aufs Festland auswandern müssen, weil in Morsum auch schon die Fremden sitzen wie jetzt in Westerland? Also schreibe!« Der Lehrer begann.

Es wurden nun noch einmal alle Sünden Peter Boy Eschels einzeln aufgezählt, von der ersten bis zur letzten, daß er die Klage gegen Steinhof zurückgezogen hätte und also wohl sich selbst dabei schuldig fühlte. Für jedes einzelne Vergehen wurde fein säuberlich ein neuer Absatz begonnen, jede Untat ausführlich dargestellt. Ein Bogen Schreibpapier nach dem andern füllte sich.

»Es summt sich«, sagte Holm-Peters anerkennend. »Und nun schreibe noch, daß der Pastor gar keine Achtung hat. Das ist ein Grund mehr, weshalb mir schon lieber wäre, wir hätten ein leeres Pfarrhaus als Peter Bleik Bun darin. Wenn wir damals eine richtige Wahl gehabt hätten, würde ich ihm meine Stimme auch nicht gegeben haben. Ich habe in der Schule ein halb Jahr neben ihm gesessen. Immer hatte er Spielkram unterm Tisch. So was schickt sich nicht für unsern Pastor. Und dann kommt er als Pastor hierher und dann siezt er mich! Und ich als Gemeindevorsteher mußte doch darauf halten, daß unser Pastor Achtung hat, so gut wie ich selbst. Aber wir wurden ja gar nicht gefragt. Weder bei der Wahl noch nachher beim Damm. Sie gehen immer über unsere Köpfe weg. Und das will ich auch nicht. Denn so sollen sie nun endlich sehen, daß dabei nichts Gutes herauskommt. Also schreibe: er hat überhaupt keine Achtung.«

»Ich werde schreiben: Würde. Denn das meint ihr eigentlich«, sagte der Lehrer. »Unter Achtung versteht der Bischof etwas anderes.«

»Was der Bischof versteht, kann ich nicht wissen. Ich meine Achtung! und ich weiß, was ich meine. Und also schreibst du auch Achtung.« Und ein Murmeln des Beifalls brummte durch die Stube – was ging die Morsumer an, wenn ihr Bischof sich etwas Dummerhaftiges zurechtdachte?

Als sie soweit waren, wurde der Lehrer aufgefordert, das ganze noch einmal vorzulesen, und es erschien allen außerordentlich gut gelungen.

»Nun muß aber«, sagte Jens Simonsen, »noch etwas hinterherkommen, wenn der Herr Bischof das nicht tut, was wir wollen.«

»Ja, was wollt ihr denn eigentlich?« fragte der Lehrer.

Sie sahen ihn alle mißbilligend an.

»Wir wollen, daß es wieder so ist wie früher.«

»Wie vor dem Kriege? Da stand das Pfarrhaus leer.«

»Davor noch.«

»Da hattet ihr Pastor Bahnsen, mit dem ihr euch gar nicht vertragen konntet.«

»Das lag nur an ihm. Er wollte immer, daß wir unsere sündhafte Erbärmlichkeit spürten«, antwortete Ludwig Bossen ärgerlich. »Aber wir spürten doch nichts. Was soll man da machen? Nein, wir wollen, daß es wieder so wird wie bei Pastor Dahme. Der saß in der Mitte der Stube auf einem Stuhl.«

»Als Ölgötze«, dachte der Lehrer respektlos, zuckte die Achseln und sagte: »Damals wart ihr Schulbuben und wußtet nichts davon, wie es mit dem Pastor und der Gemeinde stand. Ihr wollt eure ausgewachsene Kindheit wiederhaben, das wollt ihr. Aber die habt ihr doch ausgewachsen und das gründlich, da ist nichts mehr zu machen.«

»Du hast hier gar nicht mitzureden«, wiederholte Holm-Peters zornig, und sein Zorn zwang ihn, die Gefühle zu äußern, die jeder Bauer sonst in sich verschließt: »Wie kommt es, daß du heute anders redest als sonst? Daß du mich lächerlich machen willst, weil ich meine Kindheit zurückhaben will?«

»Ich will euch nicht lächerlich machen, doch ihr verlangt Unmögliches.«

»Das eben sehe ich nicht ein. Wäre Eschels nicht hier – heute noch könnten wir den Damm besiegen! Streiten sie sich nicht alle untereinander, die Herren, die daran bauen, um den Kies, den sie aus der Grube nehmen und noch andere Dinge? Streitet sich nicht der Fiskus schon mit der Reichsbahn um das Land, das doch erst anschlicken soll? Wenn man den Streit nützte –«

»Der Damm steht dennoch.«

Holm-Peters sprang auf:

»So will ich desto mehr noch Peter Bleik Bun vernichten, denn er trägt die Schuld, daß der Damm steht! Hat er nicht immer als Vermittler zwischen all den Herren gestanden? Hat er nicht das Dorf beredet, daß es die Arbeiter duldete? Sein ist die Schuld, und ich hasse ihn darum, denn er hat damit den Frieden meiner Seele zerstört –« brach ab, fiel auf seinen Stuhl zurück, barg das Gesicht in den Händen und stöhnte laut. Abrumeit sah erschrocken auf ihn, ihm war der Kampf zwischen alter und neuer Zeit mehr Theorem und nur durch die Verknüpfung mit den beiden Frauen, zwischen denen er zu wählen hatte, zur Herzenssache geworden. Die andern Männer blickten schweigend vor sich zu Boden, dies war's, weshalb Holm-Peters ihnen Führer geworden!

Nach einer Weile raffte Holm-Peters sich wieder auf, sein Gesicht war verwüstet.

»Schreibe!« befahl er kurz.

»Ja, was denn?«

Holm-Peters zuckte die Achseln und schwieg. Die andern sahen sich gegenseitig bedenklich an, sogen an ihren Pfeifen, qualmten mächtig und dachten tief nach.

»Das können wir nicht schildern«, sagte Jens Simonsen endlich, »schreibe ihm das.«

Und also wurde das Schreiben an den Bischof mit dem Schlußvermerk gekrönt:

»Der Herr Bischof muß nun Ruhe schaffen, weil sonst Zustände hier eintreten können, die wir lieber nicht schildern wollen.«


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