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Die Spundwand, die von der Morsumer Nösse aus östlich ins Watt hinausgetrieben wurde, machte Bremer viel Not. Der Abbruchkante war ein breiter Schlammstreifen vorgelagert. Erst etwa zweihundert Meter weiter draußen kam festerer Boden – kamen aber bald auch kleine Priele, die eine Schotterschüttung forderten. Den Schotter hierher zu bringen, war schon schwierig genug. Es kam ein Schlepper von Husum mit einem langen Schwanz von Leichtern hinter sich. Der Schlepper kam nur bis zum Landtief, einem Ausläufer des Westerley. Die Leichter konnten nur bei hohem Wasserstande bis zur Spundwand vorgestakt werden. War aber hoher Wasserstand, so kam er doch meist mit stärkerer Wellenbewegung, die das Löschen und Schütten sehr erschwerte.

Quer vor die Spundwand, nachdem sie die gewünschte Länge erreicht hatte, baute Bremer dann die eigentliche Ladebrücke, am Rande des Landtiefs, nach Norden und nach Süden ihre Arme reckend. Das Schmalspurgleis, das auf der Spundwand selbst vorgetrieben wurde, vermittelte die Verbindung vom Morsumer Lagerplatz zur Brücke. Wenn hier erst die Leichterzüge von Husum direkt zu löschen vermochten, würde er das Arbeitstempo ernstlich beschleunigen können. Es ging ihm alles zu langsam, ach, so viel langsamer, als er berechnet hatte – die Morsumer ahnten nicht, daß er sich die Lippen zerbiß vor Ungeduld; sie sahen nur die solide Arbeit und meinten, daß er mit dem Wetter doch mächtig Glück hätte. Der Herbst brachte nicht viel Wind, der Winter zögerte zu kommen.

Anfang Dezember wurde die Ladebrücke fertig. So hatte Heinrich Bremer freilich noch erreicht, was er sich für diesen Sommer vorgenommen – aber wieviel langsamer und mit wieviel höheren Kosten, als er im Frühjahr veranschlagt hatte! Doch, die Sache mußte nun durchgefochten werden, ein Zurück gab's nicht mehr. Und so warf er noch ein paar hundert Mark hinterdrein und lud nicht nur die gesamte Arbeiterschaft, sondern auch noch sämtliche Morsumer mit Weib und Kind zur Besichtigung der fertigen Brücke und anschließender gemeinsamer Kaffeetafel im Gasthaus »Zur Hohen Heide« ein.

Es war ein heller und klarer Frosttag mit kaltem Himmel und scharfem Winde, als die Geladenen sich am Ausgang der Spundwand versammelten, wo Bremer sie mit Scholz und den Werkführern empfing. Max Milian Meiners, als Arbeiterführer, überreichte ihm einen stachligen Tannenkranz, den Heinrich Bremer ernsthaft an der Rammaschine aufhängte, weil er nicht wußte, wo er sonst damit abbleiben sollte. Einer der Arbeiterräte aus der Baracke hielt eine kurze Anrede. Meinert Claasen sprach ein paar höfliche Worte. Und endlich gab auch Pastor Eschels seinen Segen zum fertigen Werke.

Als danach die ganze Gesellschaft zur »Hohen Heide« hinaufzog, färbte sich der Himmel unten am Horizont schon gelbrot, während hoch oben im lichtgrünen Äther die klar umrissene Mondsichel schwamm. In der schwarzen Heide lag hier und dort noch der Reif der vergangenen Nacht, den die nur niedrig steigende Sonne nicht hatte erreichen können. Die Leuchttürme von Hörnum und Kampen winkten freundlich herüber – alles in allem ein schöner Tag zum Festefeiern, und dies sprach auch Heinrich Bremer aus, als er hernach von der Mitte der hufeisenförmigen langen Tafel aus auf die Ansprachen antwortete, die unten an der Ladebrücke sein Werk gefeiert hatten. Er dankte vor allem der Arbeiterschaft.

»Solch Wetter wie heute, das wünsche ich mir allezeit beim Bau!« sagte er zum Schluß, »dann sollte der Damm schon wachsen! Wie es später hier aussehen mag, wenn das ganze Werk erst vollendet sein wird, das kann wohl niemand voraussagen; auch ich kann es nicht. Nur das möchte ich heute noch aussprechen« – und hier wandte er sich den Morsumern zu: »Ich kam als Freund und nicht als Feind zu Ihnen, und nichts wünschte ich mehr, als daß der Damm späterhin Morsum und ganz Sylt zum Segen werde!«

Da erhob sich Meinert Claasen, der Weltgewandte.

»Wir danken dem Herrn Baumeister für seine freundlichen Worte, und wenn wir die Wirkung des fertigen Dammes auf unser Leben auch erst noch abwarten müssen, so kann ich doch heute schon im Namen des Dorfes bekennen, daß wir an der freundlichen Gesinnung des Herrn Baumeisters und der andern Herren« – doch sein Blick, der die langen Tafeln hinunterging, glitt ab, ehe er die Arbeiter erreichte – »mitnichten zweifeln.«

So war aller Höflichkeit Genüge getan und jedermann befriedigt. Nur Pastor Eschels konnte nicht umhin, auch seinerseits noch einmal sich zum Worte zu melden. Meinert war ihm wieder einmal zu wenig fest, zu wenig klar und eindeutig in seinem Auftreten.

»Ob uns der Damm zum Segen oder Unsegen gereiche, das, meine ich, liegt ganz allein an unserer eigenen Einstellung dazu. Gehen wir den Weg mit Gott, so führt jeder noch zum rechten Ziel. Und daß Gott selbst mit dem Werke ist, können wir alle doch schon daran sehen, welch einen günstigen Sommer und Herbst er hierfür bereitet hat! Kein starker Sturm, keine übernormal hohe Flut hat den Fortgang der Arbeit gestört –« hier war es, daß Bremers Narbe an der linken Schläfe ungeduldig zuckte. Er dachte an die drei Nächte überm Osterley, und der Spott kam ihn an. »Was weißt du von meinen Sorgen? Jeder Kubikmeter Wasser mehr im Watt macht mir schlaflose Nächte« – und verlor sich in Berechnungen, denn Bahrenfeld hatte ihm Botschaft geschickt, daß er noch einmal ans Osterley kommen müßte.

»Immer haben jene Sylter das Leben der ganzen Inselgemeinschaft vorwärtsgebracht und höher gehoben«, fuhr Eschels fort und vergaß, daß diese Gedankengänge den Arbeitern gleichgültig sein mußten, »die ihre Zeit verstanden und das Neue, das sie brachte, zu ergreifen den Mut hatten. Denkt an Lorens Hahn, der nicht nur selbst auf Grönland fuhr, sondern bald die ganze junge Mannschaft der Insel nach sich zog. Denkt an Uwe Jens Lornsen! Er selbst freilich ging zugrunde, aber wenn auch nur ein Mensch einem neuen Gedanken Durchlaß gewährt durch sein Gehirn, so findet dieser Gedanke danach auch selbst den Einlaß in anderer Menschen Gehirne. Lornsen hat als Erster ein deutsches Schleswig-Holstein gedacht, und ob er auch starb, ohne es in Wirklichkeit gesehen zu haben, so wuchs es dennoch aus seinem Geist. Wir würden nicht deutsch sein ohne ihn. Wir werden auch ihm den Damm zu danken haben, denn Dänemark hätte ihn nicht bauen können« – er verwirrte sich etwas, denn er sah in Holm-Peters kaltem Blick die Frage: »Bist du so sicher, daß wir andern ihm den Damm auch wirklich danken?« hörte plötzlich, daß die Arbeiter längst zu halblauten Sondergesprächen übergegangen waren; daß ein paar junge Mädchen untereinander tuschelten und kicherten; fühlte auch Meinert Claasens ungeduldigen Spott mit seiner langen Rede, obgleich er ihn auf der gleichen Seite hatte und nicht sehen konnte. Nein, es hörte eigentlich niemand mehr recht zu, und nur Heinrich Bremer nickte noch höflich und gedankenabwesend, als Eschels nun unvermittelt schloß:

»So lasset uns denn aufmachen und den Weg des Dammes mit gutem Willen gehen – mit Gott!«

Und sogleich, nun fesselfrei, rauschte die Unterhaltung lustig auf. –

Eine aber war nicht zum Fest gekommen: Cäcilie Hansen. Doch gegen Ende, als alle Gruppen sich schon lösten, trat ihr Sohn zu Pastor Eschels.

»Ich möchte Sie bitten, mir doch meiner Mutter Schein heute abend noch zu geben. Mein Vater hat mir nun den Hof überschrieben, und sie will zu ihm nach drüben gehen. Aber wir möchten nicht, daß viel Geschrei davon gemacht wird, und so will sie morgen in aller Stille über Munkmarsch abreisen.«

»Das ist gut«, sagte Eschels eifrig, »das halte auch ich für die beste Lösung« – und bei sich schmunzelte er: »Ich als Pastor darf's natürlich kaum denken, aber ich buche ihren Abgang entschieden auf die Kredit-Seite des Dammbaus!«

Unterdes war Gondelina schon aus dem Saal und auf die kleine Veranda hinausgetreten. Sie sah auf die dunkle Landschaft, die sich unter ihr breitete, die nächtliche Landschaft, die nur dem Eingeweihten verständlich gegliedert wurde durch die funkelnden Sterne des Orion, das in seinem sonderlichen Rhythmus kommende und gehende Feuer von Hörnum, die Lichtpünktchen des neuen Brückenkopfes, des Baggers weit draußen, des hastig schaukelnden Motorbootes näher dem Lande. Doch obgleich jedes kleine und große Licht bekannt zu Gondelina sprach, sah sie eigentlich nichts, als die zuckende Narbe an Bremers Schläfe und Meinert Claasens spöttischen Mund, der auch ohne Worte deutlich genug sagte:

»Jeder hat meist Sauerkohl genug im Hause – du brauchst ihn uns nicht erst noch zu bringen, mein guter Peter!« Denn was Peter Boy Eschels an Meinert Claasen als halb und unklar empfand, war im Gegenteil ein ganz bewußtes Neutralitätsprinzip.


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