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30

Acht Tage später legte Baurat Pflüger ein Hamburger Blatt auf Bremers Arbeitstisch:

»Und wenn ich's selbst bezahlt hätte, könnte es mir nicht besser zupaß kommen«, sagte er vergnügt.

»Was wird aus dem Sylter Damm?« las Heinrich Bremer, und unter dieser Überschrift einen kurzen, reichlich schön gefärbten Bericht über das erste Baujahr; über die Sturmflut vom 30. August, die eben eine Naturkatastrophe gewesen, wie sie in hundert Jahren kaum einmal vorkäme; eine klägliche Schilderung der durch den zugefrorenen dänischen Hoyerkanal jetzt vom Festland abgeschnittenen Insulaner – und zum Schluß die kurze Bemerkung: »Wenn wir uns recht entsinnen, wurde seinerzeit den Syltern eine deutsche Verbindung mit dem Festlande ausdrücklich vom Deutschen Reich aus zugesagt; welche Opfer die feste Währung sonst auch fordern mag: Versprochen bleibt versprochen!«

»Nichts könnte mir besser passen«, wiederholte der Baurat und rieb sich die Hände, »hätte ich nur irgend Beziehungen zur Presse, ich würde den Herren schon einheizen!«

»Vielleicht kommt ohnehin schon eine Entgegnung darauf«, meinte Bremer hoffnungsvoll, aber – abgesehen davon, daß ein paar kleine Provinzblätter den Aufsatz besprachen – schien niemand sonst sich sehr für den Sylter Damm zu interessieren, hatte doch jedermann genug eigene Sorgen.

Bis am vierten Tage danach plötzlich eine große süddeutsche Zeitung darauf zurückgriff:

»Versprochen ist versprochen – freilich, und da Dänemark alles gehalten, was es seinen Optanten versprach, so wäre wünschenswert, daß Deutschland dahinter nicht zurückstehe. Eine andere Frage ist aber, ob dieses Versprechen in Anbetracht der wirtschaftlichen Lage Deutschlands nicht reichlich leichtsinnig war? Die Insel selbst hat kaum 6000 ständige Einwohner, die Zahl der Badegäste wird sicherlich zurückgehen, und der erhoffte Landgewinn ist doch vorläufig nur eine Fata Morgana, der nachzulaufen Deutschland sich nicht wird leisten können.«

Das Hamburger Blatt brachte sogleich eine lebhafte Erwiderung, gespickt mit den herrlichsten Zahlen – drei Berliner Zeitungen mischten sich in den Streit – die Kölnische mahnte in würdigen Worten zur Ruhe: »Noch ist nicht erwiesen, daß Reichsbahn und Regierung sich dieses Versprechens entziehen wollen, denn wie uns berichtet wird, liegen im ›Neubauamt Dammbau Sylt‹ schon neue Pläne vor, die alle Erfahrungen des ersten Jahres zugunsten bester Ausführung des Dammes verwerten.« Sobald aber das Interesse an diesem Streit auch nur ein wenig nachließ, brachte das Hamburger Blatt, das zuerst damit begonnen, wieder irgendeine kleine Notiz, die es von neuem anfachte – und jedesmal sekundierte die gleiche süddeutsche Zeitung, indem sie heftig widersprach und durch ihre Worte viel Widerworte hervorrief – die ganze Minderheitenfrage wurde daran aufgerollt – Goethe »Faust II« zitiert und wieder zitiert –

Baurat Pflüger hatte einen Vetter in der Eisenbahndirektion zu Altona. Den lud er zum Sonntagmittag nach Husum, und Bremer und Bahrenfeld wurden auch gebeten. Der platzte vor Wut.

»Wenn man der Presse doch das Maul verbinden könnte! Sie machen eine Prestigefrage Dänemark gegenüber daraus. Wir werden schließlich gezwungen werden, den Damm zu bauen, den wir nicht mehr wollen.« Er lachte etwas künstlich: »Sehen Sie wenigstens zu, meine Herren, daß wir ihn billig bekommen.«

»Wenn überhaupt, dann wird er teuer«, sagte der Baurat und suchte seinen Vetter durch die Güte des Weines zu besänftigen. »Du mußt doch selbst sagen, Dieter: unsolide zu bauen, darf sich heute niemand leisten.«

Der Altonaer knurrte. Dann wandte er sich plötzlich an Bremer: »Haben Sie irgend Beziehungen zur Presse?«

»Leider nicht, sonst würde ich sie eher genutzt haben.«

Dieser Beweis war zu einleuchtend, um nicht glaubwürdig zu sein. Der Altonaer brütete ein Weilchen über seinem Ärger, schweigend, dann:

»Kennen Sie Pastor Eschels aus Morsum?«

»Gewiß«, antwortete Bremer unbefangen, »im Laufe des letzten Sommers bin ich doch öfter auf Sylt gewesen.«

»Ob der –?« murmelte der Altonaer und versank dann völlig.

Aber auch Heinrich Bremer, der Harmlose, fand geraten, seinen Gedanken nicht zur Klärung zu verhelfen – was ging es ihn an, woher der Wind wehte, der den deutschen Blätterwald so erfreulich zum Rauschen gebracht hatte?


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