Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

68

Je weiter der Herbst vorschritt, desto deutlicher zeigte sich's, daß Heinrich Bremers Damm eine ernstliche Sturmprobe würde bestehen müssen. Das Wetter wurde schlechter, als es seit zwei Jahren gewesen war; es stellte sich Wind ein; Westwind, der von Süd nach Nord wechselte und wieder nach Süd zurückschlug. Es waren nicht gerade Stürme – ach nein, Heinrich Bremer war im Laufe dieser vier Jahre doch zu sehr zum Sylter geworden, um diese Luftbewegungen mit einem solchen Namen bezeichnen zu mögen. Aber es waren doch recht unangenehme Winde, die das Watt aufrührten, nachdem sie die offene See vorher schon aufgerührt hatten, und die große und schwere Wassermassen auf die Art gegen den Damm vortrieben.

»Das gibt ein Krumperjahr«, meinte Pastor Eschels mit Unbehagen und raufte sich seinen weißen Haarschopf. Aber auf Elisabeths Bitte, dies ihr fremde Wort etwas näher zu erklären, konnte auch er nur angeben, daß diese so außerordentlich unangenehmen Winde eben keine Stürme, sondern Krumper wären: »Ein Sturm, der kommt und geht, und wenn er weg ist, dann ist er weg. Ein Krumper aber kommt immer wieder.«

»Und das ist der einzige Unterschied?« fragte Elisabeth mit großen Augen.

Ja, das war der einzige Unterschied.

»Dann sind doch Krumper viel schlimmer als ein Sturm?«

Nein, das wollte Pastor Eschels doch nicht wahrhaben – wenn er es auch nicht ganz ableugnen konnte.

Und Heinrich Bremer mochte noch weniger leugnen, daß diese Winde ganz außerordentlich unangenehm waren. Die rheinischen Steinsetzer hatte er abziehen lassen, aber ihre Werkführer waren geblieben, und diese lernten nun die einheimischen Arbeiter an. Die Handgriffe an sich waren leicht zu lehren, die Ausführung benötigte nur Genauigkeit und Sorgfalt, aber die geübten Rheinländer hatten doch schneller gearbeitet – und Eile tat not! Jedes Hundert Meter Dammböschung, das noch ungepflastert lag, konnte im Fall eines ernstlichen Sturmangriffs der See eine Gefahr für das Ganze werden.

Wenn Heinrich Bremer so tagsüber draußen im Winde gestanden und den Arbeitern auf die Finger gesehen hatte – trotz aller Vorsätze, die Einzelaufsicht den Werkführern zu überlassen – und dann den dunklen Nachmittag hindurch im Büro gerechnet hatte, und wie er draußen an der Zeit, so hier am Gelde zu sparen gesucht – dann ging er abends gern noch zum Pfarrhaus hinauf, und wenn er auch kaum einmal mit Elisabeth allein sein konnte, so empfand doch auch er ihre Gegenwart als wohltuend, wenn er mit Pastor Eschels am Schachbrett saß und die beiden Frauen drüben am großen Tisch halblaut miteinander plauderten. Er wunderte sich freilich insgeheim, was die beiden da drüben immer noch miteinander zu reden hatten, nachdem sie doch den ganzen Tag beisammen gewesen. Und wenn er einmal ein Wort auffing, so handelte das auch von nichts anderem als den alltäglichsten Dingen: von Winteräpfeln und Kohl; von Gänseschlachten und Schweineschlachten; von der Milch, die nun fehlte, da die Kuh trocken stand; und von den faulen Hühnern, die keine Eier mehr legen mochten. Als aber die beiden Herren einmal ihrem Erstaunen über die Wichtigkeit dieser Dinge durch spöttische Anzüglichkeiten Ausdruck gaben, meinte Gondelina:

»Nun, Fräulein Eickemeyer, dann gehen Sie nur wieder nach Berlin, um zu tanzen, und ich werde mich im Atelier droben einschließen. Dann wollen wir den Herren der Schöpfung bis Weihnachten einmal das ganze Haus zu alleiniger Benutzung überlassen – ich wette, wir finden sie als elende Skelette wieder!« Seitdem wunderten die Herren sich nur noch schweigend.

Aber das Wetter wurde bösartig. Und eines Abends konnte Heinrich Bremer seine Gedanken nicht mehr am Schachbrett festhalten. Mit einer Gebärde des Überdrusses schob er die ganzen Figuren durcheinander, und in Erinnerung an all den Klatsch, den Hannes-Hannes und Magge Sörensen heut nachmittag wieder im Nebenzimmer ausgeschüttet hatten, als sie von seiner Anwesenheit im Büro nicht wußten, sagte er hastig:

»Verzeihen Sie mir eine dummdreiste Frage, Pastor: glauben Sie selbst wirklich noch an den Damm, den Sie bauen?«

Eschels antwortete nicht, sondern fing an, langsam die kleinen Figuren wieder in ihre Kästchen zu packen. Und Bremer, der fürchtete, wirklich zu dummdreist gewesen zu sein, stand auf und trat an das Fenster, das er ungestüm aufriß. Ein Strom feuchter Luft stürzte heulend ins Zimmer, ließ die Papiere auf Eschels Schreibtisch auffliegen und fegte Elisabeths Seidensträhnen vom blanken Tisch hinunter. Verwirrt warf er das Fenster wieder zu und suchte das Unheil, das er angerichtet, wiedergutzumachen. Inzwischen hatte Eschels die Figürchen wieder eingeschachtelt und schob nun bedachtsam den Deckel zu über König und Königin, Springern, Läufern und sämtlichen Bauern.

»Glauben Sie noch an den Damm, den Sie bauen?« fragte er, und Bremer, der seine eigene Frage schon wieder vergessen hatte, antwortete ungeduldig:

»Sie wissen, wie ich zweifle. Wenn ich dies Gewölk sehe, wenn ich diesen Ton höre – wäre dies uns gekommen vor einem Jahr, weder die Spundwand noch ich hätten mehr standgehalten. Heute – der Damm halbfertig –«

»Und was tun Sie, wenn der Zweifel über Sie herfällt?«

Bremer blieb vor ihm stehen und sah ihn erstaunt an.

»Ich –« langsam – »baue weiter – natürlich –«

»Und also tue auch ich«, schloß Peter Boy Eschels gelassen.


 << zurück weiter >>