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55

Eine knappe Woche später saßen drüben in Leck, im Amtszimmer des Propstes, vier Morsumer Kirchenvertreter; saßen da mit steinernen Gesichtern und einer ruhigen Würde, die dem Propst, der aus dem leichtlebigen Rheinland stammte, nicht wenig Eindruck machte.

»Wir möchten dem Herrn Propst nur sagen, daß es sich mit unserm Pastor um nichts gebessert hat«, nahm Holm-Peters das Wort. »Der Besuch vom Herrn Bischof hat rein gar nichts genützt, und wir wollten den Herrn Propst nun fragen, ob er nicht unserm Pastor den Rat geben kann, sich nach anderwärts hin zu melden.«

Der Propst hatte sich nach der ersten Beschwerde eingehender mit den Personalakten des Peter Boy Eschels beschäftigt. »Wenn ich nur dahinterkommen könnte, weshalb er damals seine Professur aufgab«, dachte er, »darüber will niemand etwas wissen, aber einen Grund – und vermutlich keinen schönen! – muß es doch gehabt haben.« Vorsichtig antwortete er jetzt nur:

»Ehe Pastor Eschels nach Morsum kam, stand Ihr Pfarrhaus jahrelang leer. Er meldete sich, soviel ich weiß, nur aus dem Grunde, weil er aus Morsum selbst gebürtig war, und tatsächlich war er der einzige Bewerber. Lassen Sie ihn also gehen, müssen Sie gewärtig sein, daß sich so bald nicht wieder ein Anwärter auf Ihre Pfarre melden wird.«

»Das soll uns gleich sein«, sagte Holm-Peters, nachdem er durch einen Blick rundum die Zustimmung seiner Beisitzer eingeholt hatte. »Lieber gar keinen Pastor, als einen, der uns nur Ärger und Unruhe bringt.«

»Ja, was in aller Welt tut er denn?«

»Er hält –« sagte Holm-Peters und griff den Daumen seiner linken Hand in seine rechte gewaltige Faust, als wollte er die Sünden Peter Boy Eschels an seinen Fingern abzählen – »er hält Predigten, die uns nicht gefallen. Er erzählt uns ganz andere Dinge von unserm Herrn Jesus Christus, als wir in unserer Jugend gehört haben –«

»Nun, was das anbetrifft –« meinte der Propst gedehnt, aber Holm-Peters ließ sich nicht unterbrechen.

»– und immer bringt er uns den Dammbau irgendwie hinein; nicht gerade so direkt, aber so hintenrum – den Eisenbahndamm!« Das Wort platzte förmlich aus dem Sprecher heraus. »Gehört der Damm wohl in eine christliche Predigt, Herr Propst?«

Solcherart zur Meinungsäußerung gezwungen, mußte der Propst zugeben, daß der Dammbau der deutschen Reichsbahngesellschaft nicht unbedingt notwendiger Bestandteil einer Predigt sei.

»Pastor Eschels hat«, begann Holm-Peters wieder und hielt noch immer den linken Daumen mit seiner rechten Faust in Gewahrsam, »der Frau Cäcilie Hansen einen Fünfzigdollarschein weggenommen, und Cäcilie ist nun nach Amerika ausgewandert.«

Der Propst seufzte nur und winkte ihm, fortzufahren.

»Er hat zwei nette junge Mädchen im Haus, obgleich der Herr Bischof da war –«

»Aber ich bitte Sie! Der Bischof hat die jungen Mädchen selbst gesehen und sich geäußert, es läge wahrhaftig kein Grund vor, ihre Anwesenheit in einem christlichen Pfarrhause zu beanstanden.«

»Wir wollen das eben nicht«, sagte Holm-Peters in unerschütterlicher Ruhe. »Wenn der Herr Pastor mit ihnen ausgeht, dann lacht er auf offener Straße und singt mit ihnen –« er holte tief Atem und wiederholte mit Betonung: »Singt mit ihnen auf der offenen Landstraße unter Gottes freiem Himmel! Und all die Herren vom Bau kommen ihm ins Haus deswegen, und das gehört sich nicht für unsern Pastor. Ob das anderswo so Sitte ist, das wissen wir nicht, und das geht uns auch nichts an. Wir wollen einen Pastoren, der die nötige Achtung hat, oder gar keinen.«

Unter Achtung verstanden die Morsumer steife, äußerliche Würde, aber das wußte der Propst nicht. So seufzte er noch einmal und sagte resigniert:

»Kommen wir zum Schluß!«

»Beim Schluß sind wir noch lange nicht«, entgegnete Holm-Peters abweisend. »Die Hauptsache kommt erst noch. Vorher aber noch dies: er verträgt sich auch nicht mit dem Lehrer. Wenn unsere Kinder, wie es immer üblich war, die Gemeindeblätter austragen sollen, dann will der Lehrer das plötzlich nicht mehr.«

»Ja, dann muß der Lehrer doch dazu veranlaßt werden.«

»Das ist schon geschehen, da braucht sich der Herr Propst nicht mehr um zu kümmern. Wir wollen nur, daß unser Pastor und unser Lehrer sich miteinander vertragen. Wir wollen Ruhe im Dorf haben.«

»So halten Sie den Pastor also für den Unverträglichen?«

Die Morsumer sahen einander an. Diese Zwischenfrage paßte nicht in ihr Programm. Sollten sie nicht besonders darüber nachdenken müssen, blieb ihnen kein anderer Ausweg als die Frage mit einem runden Ja zu beantworten. Das taten sie denn auch.

»Wenn der Herr Propst mich nicht immer unterbrechen möchte!« sagte Holm-Peters mißbilligend und fuhr eintönig fort: »Als der Schachtmeister Braun verunglückte, hat er sich um die Frau erst hinterher gekümmert, so daß meine eigene Schwesterstochter, die Frau Ludwig Bossen, die ganze Last davon gehabt hat. Und nun kommt die Hauptsache, was das Hauptärgernis für uns ist«, sagte Holm-Peters und faßte den Daumen der rechten Hand in die linke Faust: »Immer ist er hinter den Fremden her, und mit den Herren vom Bau und mit den Arbeitern hält er Trinkgelage.«

»Ich denke, dieser Verdacht wäre längst als unbegründet zurückgewiesen«, entgegnete der Propst schnell, »soviel ich weiß, hat der Herr Bischof selbst die Grundlosigkeit dieser Beschuldigung festgestellt.«

»Er hat den Pastor gefragt, aber nicht uns.«

»So – ich denke, er kam auch zu Ihnen?«

»Er hat mit uns gesprochen. Aber er hat uns nichts gefragt. Und was er gesprochen hat, das hatte ihm der Pastor selbst vorher eingeblasen. Wir bleiben dabei: er trinkt!«

»Nun«, meinte der Propst scherzend, »tun Sie das nicht vielleicht auch einmal?«

Vier Augenpaare blickten ihn mit äußerster Strenge an.

»Wir Morsumer nicht! Und wenn unser Pastor das tut, dann sagen wir: er hält – Trinkgelage!«

Dies Wort kam mit unerhörtem Nachdruck heraus, und der Propst fühlte sich unsicherer werden.

»Können Sie diese Behauptung wirklich vertreten?«

»Wir sagen nichts als die lautere Wahrheit« – und die drei andern nickten.

Nun schwieg der Propst, von Zweifeln bedrückt. Es schwiegen auch die Morsumesen, bis Holm-Peters endlich würdevoll sagte:

»Ja, das ist nun alles.« Und das klang, als hätte er inzwischen sich innerlich noch einmal seine Lektion abgehört und für recht befunden.

»Was wollen Sie nun, das ich mit Ihren Angaben tue?« fragte der Propst, »soll ich sie an den Herrn Bischof weitergeben?«

»Das ist von uns aus nicht nötig«, antwortete Holm-Peters für alle, nachdem er die Genehmigung der andern wieder durch einen rundum gehenden Blick eingeholt hatte. »Wir wünschen es nicht einmal, denn man mag es doch nicht gern bekannt sein, daß man einen Pastor hat, der sich nicht bessern will. Und wir wollen Peter Eschels ja auch nicht schaden, weil er es doch gut meint. Aber wir wollen eben keinen Pastor haben, der uns neue Sitten einführt und sich zu den Fremden hält. Wenn der Herr Propst ihm nur sagen mag, daß er sich von uns wegmelden soll, weil er uns ein Greuel und ein Ärgernis ist –«, doch auch diese harten Worte wurden von den drei andern ohne äußere Anzeichen innerer Gemütsbewegung hingenommen. In der Tat drückte Holm-Peters damit auch nur seine persönlichen Gefühle aus, und die andern hielten sie, als Worte der Bibel, diesem feierlichen Augenblick durchaus für angemessen.

Sie nickten beistimmend mit ihren würdigen Häuptern, und der Propst wußte nicht mehr, was er von dem Ganzen halten sollte – wünschte auch nicht, hier irgendeine Verantwortung zu übernehmen, sondern gab die ganze Angelegenheit schließlich doch an den Bischof weiter.


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