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Henriette Marie, geborne Prinzessin von Brandenburg-Schwedt, hatte sich mit vierzehn Jahren bereits an den Herzog von Württemberg-Teck vermählt und war mit neunundzwanzig Jahren Witwe geworden. Als solche lebte sie zunächst in Berlin und erschien während der letzten Regierungsjahre Friedrich Wilhelms I. bei allen Hoffesten. Auch noch unter dem großen Könige. So gingen die Dinge bis 1749, um welche Zeit ihr Schloß Köpenick als Witwensitz angewiesen wurde. Es hieß damals, »sie sei verbannt«, auch scheint sie von jenem Zeitpunkt ab am Berliner Hofe nicht länger erschienen zu sein. Welche Gründe den König zu dieser Verbannung veranlaßten, ist nur zu mutmaßen, nicht nachzuweisen. Es heißt, daß Friedrich II. an dem wenig korrekten Lebenswandel der Prinzessin Anstoß genommen habe, doch ist es nicht unwahrscheinlich, daß andere Dinge mit ins Spiel kamen und den Ausschlag gaben. Die Seitenlinie Brandenburg-Schwedt wurde vom großen Könige mit derselben Abneigung betrachtet, die schon sein Vater und namentlich sein Großvater Friedrich I. gegen dieselbe gehegt hatte, und – »wie's in den Wald hineinschallt, so schallt es auch wieder heraus«. So bedeutend jene Zeit in vielen Stücken war, so war sie's doch keineswegs in allen, und Klatsch, Intrigue und chronique scandaleuse hatten ein unglaublich großes Feld. Wir werden kaum irren, wenn wir annehmen, daß Prinzessin Henriette Marie ihre Zunge weniger als wünschenswert im Zaum gehalten habe und daß dieser Umstand mit zur unfreiwilligen Muße von Köpenick führte. Daß die Prinzessin infolge davon dreißig Jahre lang die Kunst des Schweigens geübt habe, haben wir allerdings nicht die geringste Ursach anzunehmen, es scheint vielmehr, daß man sich die Langeweile durch allerpikanteste Plaudereien nach Möglichkeit vertrieben und alle Mesquinerien eines kleinen Hofes, als bestes Mittel, die Zeit hinzubringen, mit wahrer Meisterschaft kultiviert habe. Über das damalige Leben im Köpenicker Schlosse geben einige Notizen Aufschluß, denen wir in einer Biographie des Freiherrn von Krohne, der sich königlich polnischer Wirklicher Geheimerat nannte, begegnen. Dieser Abenteurer, der überall im trüben zu fischen und an kleinen Höfen sein »Fortune« zu machen suchte, kam auch an den Hof des Markgrafen Friedrich Wilhelm von Schwedt, des regierenden Bruders unsrer Henriette Marie, deren Hofstaat der Markgraf aus den Revenuen seines Schwedter Markgrafentums zu unterhalten hatte. Prinzessin-Schwester brauchte mehr, als Markgraf-Bruder zu zahlen liebte, und so wurde denn Freiherr von Krohne, nachdem er eben seine Dienste angeboten, an den Köpenicker Hof geschickt, angeblich um der Prinzessin als Kammerherr zu Diensten zu sein, in Wahrheit aber, um die Ausgaben, zu denen ihre Freigebigkeit oder ihre Verschwendung führte, zu kontrollieren. Freiherr von Krohne traf ein, debütierte mit Geschick, wußte einen Hofrat, der ihm in Schwedt als Hauptträger des Verschwendungssystems bezeichnet worden war, glücklich zu entfernen und stand bereits auf dem Punkte, sich als Erster Minister und Plénipotentiaire am Hofe zu Köpenick zu etablieren, als die beiden alten Günstlinge der Prinzessin, die bis dahin auf gegnerischem Fuße gestanden und ihre Macht balanciert hatten, sich zum Untergange des Eindringlings verschworen. Kammerherr von Wangenheim und Hofprediger Saint-Aubin Hofprediger Saint-Aubin erhielt von der Prinzessin die kleine reizende, dicht bei Köpenick gelegene Besitzung als Geschenk, die den Namen »Bellevue« führt. Dies Bellevue ist ein Garten mitten im märkischen Sand, eine Oase in mehr als einer Beziehung. Mr. Saint-Aubin erbaute sich daselbst ein Herrenhaus, ein »Schlößchen«, mit Speisehalle und Gartensaal, mit Bibliothek und Empfangszimmern. Es wechselte oft die Besitzer. Um 1850 besaß es Bernhard von Lepel, der hier, in poetischer Zurückgezogenheit, einige seiner besten Sachen dichtete, zum Beispiel »Die Zauberin Kirke«. 1852 war »Bellevue« der Sommeraufenthalt Franz Kuglers und Paul Heyses. Einige Jahre später ging es in den Besitz des Pastor Pabst über, der, früher Gesandtschaftsprediger in Rom, zu dem Bonmot Veranlassung gab, »in Rom seien jetzt zwei Päbste«. Komfort, Kunst und Dichtung waren immer an dieser Stelle zu Haus, und niemand gewann Hausrecht hier, der nicht zuvor in Rom gewesen war. Ich selbst habe die Zimmer des Schlößchens nie anders gesehen als im Schmuck italienischer Bilder, und oft lagen mehr Pinienäpfel auf den Schränken und Kommoden des Gartensaals umher als Tannäpfel in den Steigen des Gartens draußen. schlossen Frieden, entlarvten den immer mächtiger werdenden Freiherrn als eine Kreatur des Schwedter Markgrafen und stürzten ihn auf der Stelle. Kammerherr von Wangenheim, von dem eigens hervorgehoben wird, daß er ein sehr starker Mann gewesen, übernahm zu größerer Sicherheit die Exekutive seiner eigenen Maßregeln und schaffte den gestürzten Nebenbuhler bis vor das Portal des Schlosses.
So lebte man damals in Schloß Köpenick. Klein und bedeutungslos vergingen die Tage, die selbst in der überkommenen Ausstattung und Einrichtung nicht das geringste geändert zu haben scheinen. Wie konnten sie auch! Der prinzeßliche Hof zu Köpenick war ein bloßes Filial des markgräflichen Hofes zu Schwedt, der doch seinerseits auch nur wieder ein Filial, eine bedeutungslose Abzweigung des berlin-potsdamschen Hofes war.
Das dreißigjährige Leben der Prinzessin hat keine Spur zurückgelassen, aber was ihrem Leben nicht gelang, das gelang ihrem Tode. Henriette Marie starb in Schloß Köpenick und ist in der Schloßkapelle daselbst begraben worden. In der jedem Besucher zugänglichen Gruft dieser Kapelle steht ein schwerer Eichensarg, der auf seinem obersten Brett ein vergilbtes seidenes Kissen und auf dem Kissen eine Krone von dünnem, verbogenen Goldblech trägt. Hebt man den Deckel vom Sarg, so erblickt man in diesem die in ihrem achtzigsten Jahre verstorbene Prinzessin als Mumie. Tüllhaube und Seidenband legen sich noch um Stirn und Kinn, und das schwere gelbe Brokatkleid zeigt noch seine Falten und raschelt und knistert als wär es gestern gemacht.
Wir schließen den Sargdeckel wieder und steigen aus der Gruft in die Kapelle zurück. Eine hohe, reichverzierte Decke wölbt sich über uns und macht den Eindruck des Freundlichen, ohne den des Feierlichen vermissen zu lassen, links vom Altar aber, in einen Fensterpfeiler eingefügt, gewahren wir eine prächtige Tafel von poliertem schwarzen Marmor, auf der wir in Goldbuchstaben folgende Worte lesen: »Diese Gruft umschließt die verweslichen Überreste der durchlauchtigsten Fürstin und Frau, Henriette Marie, geborene Prinzessin von Preußen und Brandenburg, vermählte Erbprinzessin und Herzogin von Württemberg und Teck. Sie war geboren den 11. März 1702, vermählt den 8. Dezember 1716 mit dem Erbprinzen Friedrich Ludwig von Württemberg, ward Witwe den 23. November 1731, entschlief in dem Herrn den 7. Mai 1782. Dieses Denkmal setzte ihr ihre einzige Tochter, Luise Friederike, Herzogin von Mecklenburg-Schwerin, geborne Herzogin von Württemberg und Teck.«