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Malchow

Eine Weihnachtswanderung

Staub wird zu Staub
Und Ruhm und Name der Zeiten Raub.

Der Deutsche lügt, wenn er höflich ist.

Der Herbst färbte schon die Blätter, und die Störche mochten sich eben auf die Lehmhütten der Fellahs niedergelassen haben, als mir ein gelbes Buch zu Händen kam, das auf seinem Umschlag, außer dem zum Licht emporstrebenden Adler der Firma Duncker und Humblot, auch noch den Titel führte. »Paul von Fuchs, ein brandenburgisch-preußischer Staatsmann vor zweihundert Jahren. Biographischer Essay von F. von Salpius«. Und am Schlusse dieses Buches hieß es, nicht dem Wortlaute, wohl aber dem wesentlichen Inhalte nach, wie folgt:

»Am 7. August 1704 verschied Paul von Fuchs, Geheimrat und Etatsminister, auf seinem Gute Malchow bei Berlin, das er schon 1684 durch Tausch an sich gebracht und allwo er ein ›artiges Haus‹ für sich und seine Familie hergerichtet hatte. Der König pflegte ihn von dem nahe gelegenen Niederschönhausen aus häufiger auf diesem seinem Landsitze zu besuchen. Auch an jenem 7. August war ein solcher Besuch beabsichtigt, aber unterwegs schon erfuhren Ihre Majestät den Tod Ihres treuen Dieners. Paul von Fuchs war in seinem vierundsechzigsten Jahre verstorben. Johann Porst, dazumalen Pfarrer zu Malchow – später Dompropst und Beichtvater der Königin, bekannt als Herausgeber des Porstschen Gesangbuches –, hielt eine Predigt zum Gedächtnis des Heimgegangenen, darinnen es hieß, daß er ›seine dauerhaften Kräfte und beständige Gesundheit zum Heil des Landes und Wohlsein der Kirche aufgeopfert habe‹. Bald darauf wurde der Sarg in der Gruft zu Malchow beigesetzt und steht ebendaselbst zwischen den Särgen seiner vor ihm gestorbenen Schwiegertochter und seiner zweiten Frau, ›née de Friedeborn‹. Das Fuchssche Wappen aber befand sich noch bis 1874 am herrschaftlichen Stuhl der Kirche.«

Wer sich auf Urnen und Totenköpfe versteht und überhaupt nur ein Äderchen von einem Sammler oder Altertümler in sich hat, begreift, daß diese Notiz eine gewisse Malchow-Sehnsucht in mir wecken und eine »Wanderung« dahin zu einer bloßen Frage der Zeit machen mußte. Mit dem ersten Maienschein, an grünen Saaten vorbei, hofft ich den Ausflug unternehmen und nach »manch verborgenem Schatz« ausschauen zu können. Aber es war anders beschlossen, und aus einer Wanderung bei Finkenschlag und Apfelblüte wurd eine Wanderung bei Nordwest und Schneegestöber: eine Weihnachtswanderung.

 

Eine Wanderung nach Malchow, so kurz sie ist, gliedert sich nichtsdestoweniger in drei streng geschiedene Teile: Omnibusfahrt bis auf den Alexanderplatz, Pferdebahn bis Weißensee, und per pedes apostolorum bis nach Malchow selbst. Und so vollzog es sich auch. Auf dem Alexanderplatz regierten bereits die fliegenden Söhlkes mit dem »Schäfchen« und dem »Schaukelmann«, dessen Birnen sich noch gerade so gelb und rot gesprenkelt zeigten wie vor funfzig Jahren, in den Tagen meiner eigenen Kindheit; in dem Pferdebahnwagen aber, in den ich einstieg, war es, als wäre der Weihnachtsmann mit oder vor mir eingestiegen und gedenke seinen Einzug in Weißensee zu halten. Alle Plätze voller Kinder mit ihren Schulmappen auf dem Rücken, und hinten und vorn im Wagen und vor allem obenauf ganze Büsche von Weihnachtsbäumen. Das war das Vergnügen an der Fahrt, viel vergnüglicher als die Vergnügungslokale, die mit ihren grasgrünen Staketenzäunen halbverschneit am Wege lagen.

Endlich hielten wir am Ende des Dorfes, und der Umspannungsmoment war nun für mich da: Schusters Rappen mußt aus dem Stall. Er war's auch zufrieden, und willig und guter Dinge zog ich »fürbaß«, unangefochten von der Öde der Landschaft. Aus den Schneemassen, die die Felder zu beiden Seiten deckten, wuchsen nur ein paar vertrocknete Grashalme auf und zitterten im Winde, während die Chausseepappeln wie nach oben gekehrte Riesenbesen dastanden. Aber so trist und öde die Landschaft war, so voller Leben war die große Straße, darauf ich ging, denn in langer Reihe folgten sich die Gespanne, die von den benachbarten Seen her hoch aufgetürmte Eismassen zur Stadt fuhren.

»Nach Malchow?« fragt ich, um mich des Weges zu vergewissern.

»Joa; 't nächste Dörp.«

Und in der Tat, nicht lange, so wurd auch der kurze Laternenturm zwischen den Pappelweiden sichtbar, und unter einem Schlagbaume fort, der hier noch aus den Tagen der Hebestellen her sein Dasein fristete, hielt ich meinen Einzug.

»Wo wohnt der Lehrer?«

Ein junges Frauenzimmer, an das ich die Frage gerichtet hatte, trat mit einer für märkische Verhältnisse bemerkenswerten Raschheit von der Hausschwelle her auf den Damm und sagte: »Da; das rote Haus.«

»Gegenüber der Kirche?«

»Ja.«

Und damit schloß unser Gespräch. Ich dankte für gütigen Bescheid und schritt auf das rote Haus zu, freudig gehoben in meinem Gemüt und wie Ibykus »des Gottes voll«. Nicht gerade von Liedern, aber doch von Hoffnungen und Bildern. Ich sah schon die verfallene Grufttreppe samt den drei Särgen vor mir und las dem alten Minister seine mit ins Grab genommenen Geheimnisse von der Stirn herunter. Entdeckungen schossen auf wie die Knospen nach einem Frühlingsregen.

Und so stand ich vor maison rouge.

»Kann ich den Herrn Kantor sprechen?«

Ich griff absichtlich nach dieser höheren Titulatur.

Ein Hin- und Herlaufen entstand infolge meiner Frage, zuletzt aber erschien ein kleiner Herr mit intelligenten Augen und milzfarbenem Teint, um nach meinem Begehr zu fragen.

»Es handelt sich für mich«, hob ich, den Hut ziehend, mit aller mir zuständigen Artigkeit an, »um den Staatsminister von Fuchs. In der Gruft Ihrer Kirche...«

»Ist zugeschüttet.«

Ich war einen Augenblick dacontenanciert, mehr noch durch den Ton als durch den Inhalt dieser zwei Donnerworte. Wer aber weiß, daß das Menschenherz nicht gerne von Lieblingsvorstellungen läßt und nach dem Hinschwinden von Dingen und Ereignissen sich schließlich auch mit Betrachtung ihres bloßen Schauplatzes zufriedengibt, der wird es begreiflich finden, daß ich nicht ohne weiteres das Feld zu räumen Lust hatte. Konnt ich nicht die Gruft haben, so wollt ich wenigstens die Gruft stelle haben, und so rekolligiert ich mich und sagte: »Wie schade. Dann bitt ich Sie, mir wenigstens die Kirche zeigen zu wollen.«

»Ich kann nur wiederholen«, klang es jetzt unter immer sichtbarer werdenden Zeichen von Ungeduld, »daß die Gruft zugeschüttet ist. In der Kirche selbst befindet sich nichts. Ein Besuch würde mithin ohne Resultat für Sie verlaufen. Auch hab ich Schule.«

»Sie mißverstehen mich. Es liegt mir fern, Sie persönlich inkommodieren zu wollen. Aber ich komme bei Wind und Wetter von Berlin und bitte Sie deshalb, mir durch irgend jemand die Kirchentür aufschließen zu lassen.«

»Durch wen?«

»Vielleicht durch ein Kind oder eine Magd.«

»Hab ich nicht.«

Und nach dieser Schlußbemerkung zog er sich intelligenter und milzfarbener als vorher in seine Schulstube zurück.

Mein erstes war ein heißes Dankgefühl dafür, zu keiner Zeit, am wenigsten aber in der jetzigen, auf der Malchower Schulbank gesessen zu haben; mein zweites: Haß und Rache. Die ganze Reihe der Schulmeister durchgehend, deren Bekanntschaft ich in Leben oder Dichtung je gemacht hatte, konnt ich doch keinen finden, der mir – mit alleiniger Ausnahme des maître d'école in den »Geheimnissen von Paris« – gleich verabscheuungswürdig erschienen wäre. Ja, meine Neigung, zu generalisieren und vom Einzelfall aufs Ganze zu gehen, ließ mich Augenblicks wieder die Frage stellen, ob ein solches, aus bloßem verschrobenen Dünkel hervorgegangenes Benehmen unter andern Völkern überhaupt möglich sei. »Nein«, sagt ich mir, »unter den Romanen gewiß nicht.« Aber inmitten all meiner Verwünschungen mußt ich doch plötzlich der Auslassungen eines alle Wechselfälle des Lebens unter die statistisch-philosophische Loupe nehmenden Freundes gedenken, der mir einmal gesagt hatte: »Sehen Sie, Freund, auch in den Zufällen und Unglücksfällen waltet ein Gesetz. So verfolg ich beispielsweise die Theaterbrände. Alle funfzehn Jahre brennt ein großes Theater ab. Nicht öfter, aber auch nicht weniger oft.« Und nun entsann ich mich des wenigstens für mich kaum minder interessanten und kaum minder wichtigen Punktes, gerade funfzehn Jahre lang immer nur an freundliche Schulhäuser angeklopft zu haben. Was war es denn also groß? Der Ausnahmefall war in sein geheimnisvolles Recht getreten; das Gesetz vollzog sich. Die funfzehn Jahre waren um, und mein »Theaterbrand« war da. Das gab mir die gute Laune wieder, und ich beschloß, »in Sachen der Gruft« einfach an die höhere Instanz des Pfarrhauses zu appellieren.

Wenige Schritte führten mich auf den Hof desselben. Ein kleiner braunhaariger, übrigens ebenfalls intelligent aussehender Spitz, der um meine Stiefelschäfte herumbiß, ließ mich anfänglich in erzitterndem Herzen eine Wiederholung der Schulhausszene fürchten, aber kaum daß ich an dem kleinen, seiner dienstlichen Pflicht etwas zu streng obliegenden Wachtposten vorüber war, als mich auch schon das selten täuschende Gefühl durchdrang, in einen guten und sichern Hafen eingelaufen zu sein. Der Pfarrflur, des nahen Festes halber, war in eine große Plättkammer umgewandelt worden, in der eben die Bügeleisen über breite Gardinenflächen geschäftig hin und her gingen und den Raum mit einem warmen Wrasen füllten. Alles wirtschaftlich und wohltuend, vor allem auch die Temperatur. Ich fragte nach dem Pfarrer und schickte meine Karte hinein. Sehr bald kam Antwort, daß er beim Konfirmandenunterricht sei, mich aber bitten lasse, derweilen in sein Zimmer einzutreten. Und hier war ich denn nun und wartete.

Unter Umständen nichts angenehmer als solche Warteviertelstunden, in denen man die Geschichte des Hauses oder den Charakter seiner Bewohner von den Wänden liest. Denn nichts spricht deutlicher als Zimmereinrichtungen, und selbst die nichtssagenden und modisch-indifferenten machen keine Ausnahme. Sie weisen dann eben auf nichtssagende und modisch-indifferente Leute hin. In der Studierstube zu Malchow aber war nichts indifferent, und die Grecborte der Gardinen, der gotisch geschnitzte Schlüsselkasten mit Bild und Spruch, dazu der über dem Sofa thronende Thorwaldsensche Christus inmitten der abgestuften Schar seiner Jünger, alles stimmte zu den hohen Bücherregalen, auf denen die theologischen und die Fritz Reuterschen Schriften in aller Friedlichkeit beisammenstanden. Und dazu die »Kreuz-Zeitung« auf dem Tisch, und ein Luftton, in welchem die Morgenzigarre nachdämmerte. Das märkische Pfarrhaus in seiner anspruchslosen und doch zugleich von Kunst und Schönheit leise berührten Behaglichkeit hatte nie lebendiger zu mir gesprochen.

Und so sollt ich's bestätigt finden. Eine halbe Stunde später, und der freundliche Pfarrer und seine noch freundlichere Frau saßen mit mir um den Kaffeetisch, und wieder noch ein Weilchen, und jener bekannte Begegnungspunkt war gefunden, wo plötzlich von sieben Seiten her alle Wege zusammenlaufen und man nur noch verwundert ist, sich nicht vorher schon getroffen und die Hände geschüttelt zu haben. Und dazu die tiefere Lebensbetrachtung: »Wie klein ist doch die Welt.«

Ich glaube fast, ich war es selbst, der sich bis zu diesem Satze verstieg, und wer weiß, welche weiteren Stufen der Erkenntnis und Weisheit ich noch erklommen hätte, wenn nicht der Pfarrer eben jetzt auf die hinter den kahlen Kirschbäumen niedergehende Sonne gedeutet und mich dadurch an den Kirchgang und die von Fuchssche Familiengruft erinnert hätte. So verabschiedeten wir uns denn bei der Frau Pfarrin und schlugen einen Richtweg ein, der uns erst über Gartenbeete, dann über verschneite Gräber fort bis an einen Seiteneingang der Kirche führte. Und nun öffnete sich die Tür, und der Zugwind trieb über unsre Köpfe weg einen breiten Schneestreifen in die Kirche hinein. Ein fahles Rot stand noch in den Scheiben, gerade hell genug, um uns alles rundum erkennen zu lassen. Die Wände zeigten sich frisch getüncht, Orgel und Altar blank und die Pfeiler mit vielen Bibelsprüchen bedeckt, aber das erste Gefühl, das ich angesichts dieser Herrlichkeit hatte, war doch das einer gewissen Beschämung und einer halben Aussöhnung mit dem maître d'école drüben. »Ihr Besuch würde resultatlos verlaufen«, waren seine gebildeten Worte gewesen, und er schien recht behalten zu sollen.

Es mochte sich etwas von Enttäuschung in meinem Gesichte spiegeln, weshalb der Prediger, als wir den Mittelgang halb hinauf waren, in freundlichstem Tone zu mir sagte: »Hier war die Gruft.«

Ich meinerseits hielt es für angezeigt, dieser Freundlichkeit durch eine gleiche zu begegnen, und erwiderte: »Ja, hier muß es gewesen sein. Man kann noch deutlich die neuen Fliesen von den alten unterscheiden.« Eigentlich aber war es nicht der Fall.

»Und«, fuhr der Prediger fort, »hier war auch das Fuchssche Wappen.« Und dabei wies er mit dem Zeigefinger auf einen Punkt in der Luft, etwa vier Fuß hoch über der Brüstung eines niedrigen Chorstuhls. Es hatte durchaus etwas Gespenstisch-Visionäres, wie wenn Macbeth den Dolch sieht, und das bestimmt ausgesprochene »hier« ließ mich auf eine Sekunde ganz ernsthaft nach der Erscheinung suchen. Aber es blieb alles unsichtbar, und ich fröstelte nur noch die Frage heraus: »Dies ist also alles?«

»Ich fürchte, ja. Wenn Sie sich nicht vielleicht für einen Spruch interessieren, den des alten Johann Porsts Nachfolger an die Sakristeitür geschrieben hat.«

»Oh, ich interessiere mich sehr für Sprüche...« Und so las ich denn:

Prinz Markgraf Ludewig
Stift' hier zu Gottes Ehren
Kirch'fenster, Sakristei
Nebst zweien neuen Chören.
Gott sei sein Schild, sein Lohn,
Sein Schutz, sein Eigentum,
Er laß es feste stehn
Zu seinem ew'gen Ruhm.

Das Feuer, das aus diesem Spruch auflohte, schien mir unausreichend, die Kirchentemperatur zu verbessern, und so schlug ich einen raschen Rückzug an die Herdplätze menschlicher Wohnungen vor. Der Pfarrer schien von demselben Verlangen erfüllt, und ehe fünf Minuten um waren, waren wir wieder daheim und stampften auf der Strohmatte seines Flurs den Schnee von unseren Füßen.

Drinnen brannte jetzt Licht, aus der Nebenstube klangen Kinderstimmen, und vom Flur her hörten wir das Klappern der Plätteisen, wenn neue Bolzen eingeschüttet wurden. An Wand und Decke hin aber huschten die Schatten der draußen an unserem Fenster Vorbeipassierenden. Der Thorwaldsensche Christus über dem Sofa schien in dem Widerspiel von Licht und Schatten zu wachsen, und während die Gestalten seiner Jünger mehr und mehr zurücktraten, war es, als stünd er freundlich segnend uns zu Häupten, der gute Hirt einer allerkleinsten Gemeinde. Die »Kreuz-Zeitung« war inzwischen sorgfältig zusammengefaltet worden, und statt ihrer lag das Malchower Kirchenbuch auf dem Tisch. Es waren Blätter von 1698 bis 1704, die wir nun überflogen, um vielleicht an der Hand des alten Porst, damaligen Predigers zu Malchow, einen Blick in die von Fuchssche Herrschaft jener Epoche tun zu können. Aus allem ging hervor, daß es der alte Gesangbuchmann mit Predigt und Seelsorge sehr ernst genommen haben mußte, was aber die Fuchsiana betraf, so schien uns leider auch diese Quelle versagen zu wollen. Ich beschloß deshalb, auch vor dem letzten nicht zurückzuschrecken und die Taufregister auf Namen und Titel hin gewissenhaft durchzulesen. Und siehe da, der Moses-Stab, der den Quell aus dem Stein weckt, war auf der Stelle gefunden. Es tröpfelte zwar nur, aber die Kühle frischen Wassers labte doch meine Zunge. Sieben Jahre lang hatte Johannes Porst an ebendieser Stelle fungiert und in jedem dieser sieben Jahre siebenmal getauft; – auch darin also vollzog sich ein Gesetz. Und als ich nun mit allen neunundvierzig Taufen glücklich durch war, kannt ich Malchow in seinem damaligen Besitz- und Personalbestande so genau, wie wenn ich ein Katasterbeamter unter König Friedrich I. oder wohl gar der Dorfschulmeister von Anno 1704 gewesen wäre. Denn die Malchower, kluge Leute schon damals, hatten sich in den seltensten Fällen bei der Auswahl ihrer Paten auf sich und ihresgleichen beschränkt, sondern waren immer bestrebt gewesen, in den christlichen Schutz des Herrenhauses, am liebsten und häufigsten in den des Beamten- und Dienstpersonals zu treten. Aus der Reihe der betreffenden Personen aber mögen hier, unter Anlehnung an die Taufregister, folgende Namen und Titulaturen stehn: Herr Schlichting, »Lustgärtner«; Monsieur Ernst, Lakai bei des Freiherrn von Fuchs Exzellenz; Monsieur Abraham Luckold, Koch bei Seiner Exzellenz; Monsieur Peter Schultze, Kammerdiener bei Seiner Exzellenz; Mademoiselle Johanna Zollikoferin, Kammermädchen bei Madame la Baronne de Fuchs; Jungfer Anna Dorothea Philitzin, Mädchen bei der Freifrau von Fuchs; Jungfer Anna Maria Löschin, Mädchen bei der Frau Baronin. Alle diese Personen finden sich wiederholentlich. Der eigentlich große Taufakt jener Epoche scheint aber der im Hause des Dorfkrügers gewesen zu sein. Hier begegnen wir allen möglichen » großen Namen« aus der Zeit von 1698 bis 1704. Und zwar: Paul Freiherr von Fuchs, Geheimer Etats- und Kriegsrat; Baron von Hertefeld, Oberforstmeister in Kleve; Johann Paul Freiherr von Fuchs, Hof- und ravensbergischer Appellationsgerichtsrat; Madame Luise de Fuchs, née de Friedeborn; Madame la Baronne de Hertefeld, née de Boetzlaer; Madame de Fuchs, née Boetzlaer. Nehmen wir noch die sich an andrer Stelle findenden Namen der Frau von Barfus aus dem benachbarten Blankenburg, der Frau Apotheker Zornin aus Berlin und des Christoph Hammer, Leibkutschers bei Seiner Durchlaucht dem Markgrafen Albrecht von Brandenburg, hinzu, so wird es uns unschwer gelingen, ein Bild des Malchower Lebens aus seinen historischen sieben Jahren aufzubauen. Es waren eben Umgangs- und Gesellschaftsformen, auf die genau die Schilderung paßt, die F. von Salpius in seiner eingangs erwähnten Paul von Fuchsschen Monographie von dem Leben der damaligen regierenden Klassen entworfen hat.

»Man kann«, so schreibt er, »von den brandenburgischen Landen jener Epoche behaupten, daß die Regierenden zu den Besitzenden gehörten und daß die Besitzenden wiederum in der Regierung saßen. Die Mitglieder des Geheimen Rates scheinen durchgängig im Wohlstande gewesen zu sein. Der Wege zu solchem gab es, abgesehen von Geburt und Heirat, verschiedene: Ausstattung mit heimgefallenen Lehngütern seitens des Kurfürsten, sogenannte Dotationen; in andern Fällen bedeutender Kriegsgewinn (wie denn beispielsweise dem General von Schöning eine auf 40 000 Taler Lösegeld zu veranschlagende Anzahl gefangener Juden zufiel) und endlich Vereinigung mehrerer Ämter in einer Person. So bezog Fuchs, als Oberpostdirektor, eine jährliche Zulage zu seinem anderweitigen Gehalt und außerdem den zwanzigsten Teil aller in Berlin aufkommenden Postgelder. Aus ebendiesen Erträgen war es, daß er in den Besitz von Malchow gelangte.«

So F. von Salpius. Und noch eingehender dann an anderer Stelle: »Der höhere Staatsdienst, und zwar aus den vorangeführten Gründen, war ein mehr lohnender Beruf als jetzt, und die Geheimräte vergaßen über den staatlichen Interessen nicht die ihrigen. Dazu gewährte der Fürsten- und Staatsdienst ein größeres Ansehen als heutzutage, wo der Ehrgeiz auch anderweitig sein Feld der Betätigung findet. Aber mit der Wahrnehmung des eigenen Vorteils ging doch immer zugleich auch die strengste Pflichterfüllung Hand in Hand. Sie lebten, wie der Große Kurfürst selbst, der Überzeugung, daß sie vor allem zur Erhaltung der Machtstellung des Staates das Ihrige beizutragen hätten. Neben diesem Zuge springt vor allem ihre Vielseitigkeit und Findigkeit ins Auge. Dieselbe beruhte zum Teil auf der verhältnismäßigen Einfachheit der damaligen Zustände, nicht minder aber auf ihrer persönlichen Vorbildung, Spannkraft und Beweglichkeit. Die Mitglieder des Geheimen Rats hatten schon als Jünglinge auf Reisen mannigfache Kenntnisse gesammelt; im Staatsdienste tummelten sie sich bald hier, bald dort, arbeiteten sich bald in dieses, bald in jenes Fach ein. Das bewahrte sie vor jeder geistigen Verkümmerung, sie blieben stets frisch und erfreuten sich fast immer eines guten Humors. Hierfür sprechen ihre lebensvollen, mit anschaulichen Bildern durchwobenen amtlichen Berichte und Reden, welche den Charakter der Ursprünglichkeit, oft den der Naivität tragen. Ihren Gemeinsinn bewiesen sie nicht nur durch treue Arbeit, sondern auch als fröhliche Geber. In ihrer Heimat, in der Gemeinde ihres Wohnorts oder Gutes, verwandten sie beträchtliche Summen für gemeinnützige Zwecke. Der Feldmarschall von Sparr baute Kirchen und Türme, schenkte Glasmalereien und Glocken, Derfflinger ließ eine stattliche Dorfkirche aufführen, der ältere Schwerin tat ein Gleiches. Joachim Ernst von Grumbkow gründete ein Kloster für zwölf Jungfrauen, der jüngere Jena bestimmte 60 000 Taler für ein Fräuleinstift und ein Hospital. Ähnlich verfuhr auch unser Paul von Fuchs. Er ließ in Malchow ein Predigerwitwen- sowie ein Armen- und Waisenhaus herstellen.«

Ob diese Stiftungen noch existieren, hab ich an Ort und Stelle nicht in Erfahrung gebracht.

Der Abend war mittlerweile hereingebrochen, und mein freundlicher Wirt begleitete mich eine gute Strecke, bis die Lichter von Weißensee hell auf meinen Weg fielen. Dann schieden wir, hoffentlich nicht für immer, und abermals anderthalb Stunden später lagen die Schneefelder und die grünen Staketenzäune, la maison rouge und der maître d'école, das warme Pfarrhaus und die kalte Kirche, die Grecborten und das gespenstische Wappen derer von Fuchs – alles traumhaft hinter mir.

Ein entzückender Tag. Die Gruft hatte nichts herausgegeben, aber das Leben hatte bunt und vielgestaltig zu mir gesprochen.

Und das bedeutet das Beste.


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