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Schloß Beuthen

Kühnlich darf mein Haupt ich legen
Jedem Untertan in Schoß.
Kemer

An der Nuthe, die die Grenze zieht zwischen dem Teltow und der Zauche, stand in alten Zeiten Schloß Beuthen und beherrschte den Flußübergang. Vergleiche die Kapitel » Gröben und Siethen« und » Saarmund und die Nutheburgen«. Rings von Wasser umflossen und aus grauem Feldstein zusammengefügt, erhob sich die Burg wie ein Felseck und blickte steil und trotzig in die Niederung hinein.

Ja, Schloß Beuthen war trotzig. Die Quitzows hielten es und gedachten es zu behaupten gegen den Nürnberger Burggrafen, der wie ein Herr ins Land kam und den man doch nicht gelten lassen mochte. Man mocht eben denken, »die Herren wechseln rasch in der Mark; sie finden sich ein, wie kaiserliche Not oder kaiserliche Laune sie schickt; es gibt aber nur einen bleibenden Herrn in der Mark, und das sind wir«. Und sie hatten so unrecht nicht.

Sie hatten nicht unrecht in der Sache; desto mehr aber verkannten sie die Person, die's jetzt mit ihnen und der Mark versuchen wollte. Das war kein Herr wie die andern, die nur gekommen waren, um wieder zu gehn; dieser kam, um zu bleiben, und nahm Platz mit dem Behagen und dem Nachdruck eines, der sich auf lange hin einzurichten gedenkt. Die Quitzows hatten kein Auge dafür; sie trotzten und traten kühnlich mit ihrem Trotz heraus.

Da galt es denn, diesen Trotz zu brechen, und unterschiedliche Heerhaufen zogen vor die Schlösser der Quitzows und Rochows. Und zwar drei vor Plaue, Friesack und Golzow. Der vierte Heerhaufen aber, der aus Bürgern von Jüterbog und Treuenbrietzen und aus Lehnsleuten der Klöster Lehnin und Zinna bestand, rückte vor Schloß Beuthen. Ein kurfürstlicher Vogt, Hans von Torgau mit Namen, führte diesen Heerhaufen an und forderte die beuthensche Besatzung auf, sich zu ergeben. Goswin von Brederlow aber, der die Burg für die Quitzows hielt, antwortete guten Muts: »er wolle sich die Sache noch ein paar Jahr überlegen«. Das war am 14. Februar 1414. Hans von Torgau meldete den Bescheid an seinen gnädigsten Herrn Kurfürsten, und die Bürger von Jüterbog und Treuenbrietzen bezogen ein Lager an der Nuthe hin und warteten auf den zugesagten Bundesgenossen, von dessen Kriegsruhm die Marken damals voll waren. Und siehe da, sie warteten nicht lang. Erst am 24. Februar war Schloß Plaue gefallen, und schon am 25. erschien die »Faule Grete«, von sechsunddreißig Pferden gezogen, vor Burg Beuthen. Andern Morgens mit dem frühesten schlug eine dreißig Pfund schwere Steinkugel an denselben Turm, hinter dem Goswin von Brederlow eben beim Frühstück saß, und gab der alten Burg einen solchen Ruck, daß es schwer zu sagen war, was mehr zitterte, die Mauern oder die Herzen der Besatzung. Und auch Goswin von Brederlow fing jetzt an, mit sich handeln zu lassen. Es schien, er hatte Tage gemeint, nicht Jahre, und am 26. abends schon war Schloß Beuthen eine Hohenzollersche Burg.

Und gut-hohenzollersch ist sie geblieben, solange sie von jenem Tag an noch gestanden hat. Das meiste von ihr verschwand kurz vor der Schlacht von Großbeeren, als preußische Artillerie, welche den Übergang über die Nuthe decken sollte, die Feldsteinmauern großenteils einriß und statt ihrer einen Erdwall aufführte. Nur die von Gräben oder Flußwindungen eingefaßte Stelle, wo Burg Beuthen stand, ist noch deutlich erkennbar, ein Stück Inselland, auf dem sich ebenso Mittelturm und Außenwall immer noch ersichtlich markieren. Ein paar Weiden und Akazien überschatten jetzt den Rasen, der ein Stück märkischer Geschichte deckt, und einzelne Fischernetze spannen sich zwischen den Baumstämmen aus. Im übrigen ist alles hinüber, und ein Kahn, ohne Bank und Steuer, der halb verborgen im Schilfe liegt, unterhält die Verbindung zwischen dem Inselchen und der Welt.

 

Es war im Februar 1414, daß die Quitzow-Burgen fielen. Damals waren die Hohenzollern fremd im märkischen Land, und beinah feindlich betraten sie dasselbe. Das ist anders geworden seitdem. Dieselben Familien, die damals am festesten widerstanden, haben sich inzwischen als die treuesten bewährt, und die alten Rittersitze, vor denen die »Faule Grete« das letzte Wort sprechen mußte, sind längst zu Stätten unwandelbarer Loyalität geworden. Auch Schloß Beuthen. Die Burg ist hin, aber zu Füßen derselben sind Dörfer entstanden, die den alten Namen tragen (Groß- und Klein Beuthen), und die Görtzkes, die diese Dörfer an die 300 Jahre nun ihr eigen nennen, sind alles, nur keine Goswin von Brederlows mehr, die sich's erst »überlegen wollen«, wenn ein Hohenzoller Einlaß begehrt.

Und es sind nun einige zwanzig Jahre, daß ein Hohenzoller wieder mal darum ansprach und gleich danach seinen Einzug hielt in Großbeuthen.

Versuch ich, diesen Tag zu beschreiben.

Die Augustsonne fällt auf das am Dorfausgange gelegene Herrenhaus. Der alte Torweg, der von der Straße her auf den Hof führt, ist eine Blumenpforte geworden, und auf den Steinpfeilern rechts und links wehen die preußischen Fahnen. Ebenso hat sich das an sich einfache Herrenhaus verändert und ist kaum noch das alte. Seine weißgetünchten Wände blicken nur hier und da noch aus der Umrahmung von Festons und Guirlanden hervor, und die Vorbautreppe verbirgt ihr schlichtes Geländer hinter einem Walde von hohem Schilf. Aus der weit offenstehenden Türe lugt von Zeit zu Zeit ein Mädchenkopf hervor und fragt mit jedem Blick über den Hof hin: »Ob sie kommen?« Auf dem Korridor aber schreiten befrackte Herren auf und ab und vergleichen mechanisch die Taschenuhr mit der Wanduhr, dem einzigen Schlagwerk im Hause, das in unbeirrter Ruhe seinen Gang fortsetzt, während alle Herzen rascher und höher schlagen. Die Tauben sitzen den Dachfirst entlang, als warteten sie mit, und der Hahn, der sonst wohl im Schatten unter dem Vordach um diese Stunde zu meditieren pflegt, heut schüttelt er seine Federn und scheint sich in den Honneurs zu üben, sooft er auf einem Fuße steht. Jetzt aber meldet sein lauter Schrei, daß Freund oder Feind im Anzuge, die Tauben flattern auf, und die Mädchen auf dem Hausflur rufen, was jeder weiß: »Sie kommen!« Im Nu sprengen jetzt Vorreiter auf den Hof, der erste Wagen hält, und die Pferde schnaufen und werfen den Schaum von den Nüstern; eine lange Reihe von Equipagen folgt; aber ehe sie heran sind, öffnet ein Jäger den Schlag, und den Tritt hinab, der sich beim Öffnen der Wagentür wie von selber ausbreitet, steigen König und Königin.

Sie haben sich anmelden lassen in Großbeuthen, haben um Quartier gebeten für die Tage des Manövers, das die Garden auf dem Sandplateau des Teltow eben heute begonnen haben, und da sind sie nun, um ihren Einzug zu halten. Liebe empfängt sie, und Ehre geben sie. Die Schilftreppe hinauf schreitet das hohe Paar, und nach Worten herzlicher Begrüßung treten König und Königin in die für sie bereitgehaltenen Zimmer.

Und nun eine Stunde später.

Im Freien ist das Mahl angerichtet unter ein paar mächtigen Kastanien, die das weiße Linnen des Tisches überschatten. Und was alles hat der Wunsch, ein Schönstes und Bestes zu tun, aus diesem schlichten Platze gemacht! Der Staketenzaun, dessen Holzwerk längst die Zeichen gereifter Jahre trägt, hat seine Moos- und Flechtenpatina hinter Pyramiden von Riesenmais versteckt, und was im Garten noch Duft und Farbe hatte, scheint jetzt hier versammelt zu sein. Die Treibhäuser haben ihre Blumentöpfe bis auf den letzten Mann gestellt, und selbst der Landsturm der Astern ist aufgeboten worden. Terrassenförmig stehen sie rechts und links und blicken einander über die Köpfe fort, als wären sie nicht nur erschienen, um gesehen zu werden, sondern auch, um selber zu sehn.

Die trotzigen Tage liegen weit zurück – König und Königin sind zu Gast in Großbeuthen. Die vollen Blätterschirme geben Schatten, und doch liegt ein Sonnenschein über der Tafel, und das Singen der Vögel klingt, als wollten sie denen draußen erzählen von dem Feste, das hier gefeiert wird. Das Auge der Königin hängt an dem reizenden Bilde, der König aber, der den Zauber mehr fühlt als sieht, strömt über von jener gemüt- und geistgebornen Heiterkeit, die so viele Herzen eroberte, selbst abgeneigtere als die Herzen derer, die hier unterm Kastaniendache versammelt sind.

Das Mahl ist vorüber, und unter den Bäumen wird es schwül; aber der offene, luftige Garten liegt ausgebreitet vor ihnen, und seine breiten Steige laden zu einem Spaziergang ein. Die Obstbaumallee hinauf, an der Akazienlaube vorüber, am Weinspalier zurück, so schreitet der König in raschem Geplauder auf und ab und unterbricht sich nur, wenn aus Näh oder Ferne die Glocken herüberklingen, die den Abend einläuten.

Die Dämmerstunde kommt, und der Tee wird auf der Gartentreppe serviert. In der Luft ist kaum ein Zittern. Zwei das Haus schützende hohe Platanen breiten ihr Gezweig über die Gruppe hin, und ein paar Schwarzpappeln, die weitab am Ausgange des Gartens stehn, stehen jetzt wie Schatten vor dem letzten Streifen der Abendröte. Stiller wird's, und nur ein Hauch, der sich eben regt, zieht über die Levkojenbeete hin und trägt ihren Duft bis zu der Gartentreppe hinauf. »Wie schön es bei Ihnen ist«, wendet sich der König an die Dame des Hauses und atmet höher und voller, als bad er sich in der duftigen Frische des Abends.

Aber diese Frische wird allmählich zur Kühle; jung und alt beginnen zu frösteln, und der Schutz und Wärme bietende Gartensaal empfängt die hohen Gäste. »Was lesen wir?« fragt der König. »Ehre, dem Ehre gebührt; ich dächte, wir hörten ein Kapitel heut aus der Geschichte der Görtzkes.«

Und der Vorleser verbeugt sich und rückt an den Tisch. Beschämt und gehoben zugleich sitzen die Görtzkes umher und horchen auf jedes Wort. Sie kennen alles, aber das Bekannteste selbst klingt ihnen heute neu, wo der König dem Berichte lauscht.

Von ihrem Eltervater wird gelesen, von Joachim Ernst von Görtzke, dem »alten Görtzke« par excellence. Nichts wird vergessen: wie er als Page Marie Eleonorens in schwedische Dienste kam; wie er unter dem Schwedenkönig bei Leipzig focht; wie ihn die Kaiserlichen bei Lützen zum Hinkefuß und Krüppel schossen und wie ihm das alte märkische Herz endlich wieder lebendig ward und er zurücktrat in den kurbrandenburgischen Dienst. Und weiter dann: wie er ein großer Feldoberst wurde, der bei Rathenow und Fehrbellin dem alten Feldmarschall Wrangel, dem »Gustav Wrangel«, zeigte, daß aus dem Schüler ein Meister geworden. All das und wie der Kurfürst ihn seinen »Paladin« genannt, es wurde gelesen heut und noch viel mehr. Und auch wie seine letzten Tage waren. In Friedersdorf, das er gekauft und aus Trümmern und Asche wieder aufgebaut hatte, saß der Alte vor seinem Schloß und freute sich der Sonne, die herniederschien, und des Wohlstands und Segens um ihn her. Und von Zeit zu Zeit kam auch Besuch: ein alter Weißbart, gefolgt von Töchtern und Enkeln, als wär es der Winter und brächte den Frühling mit. Das war Gusower Besuch, und der alte Weißbart, der kam, war der alte Derfflinger. Unter einer weitzweigigen Rotbuche setzte man sich dann, und die beiden alten Kämpen, die jederzeit Nachbarn gewesen waren, auf ihren Schlachtfeldern sonst und mit ihren Ackerfeldern jetzt, sie gedachten der alten Zeit und der alten Namen. Und auch am 30. März 1682 hielt der Gusower Wagen auf der Rampe von Friedersdorf. Aber nicht zu frohem Besuche; Glocken klangen, und Kanonen wurden gelöst, und der Achtzigjährige war nur gekommen, um den Siebzigjährigen in die Gruft zu senken. In der Friedersdorfer Kirche ruht die leibliche Hülle des »Paladin«; neben dem Altar aber steht hoch aufgerichtet sein steinern Bild und schaut fromm und mutig drein, wie's einem brandenburgischen Kriegsmanne geziemt. –

Der Vorleser schwieg. »Ich weiß, daß die Görtzkes noch immer die alten sind«, sagte der König. »Der Erfolg steht bei Gott; aber Mut und Treue stehen bei uns.«

Im Gartensaale wurd es still und bald auch im Hause. Der König schlief inmitten seiner Treuen wie jener »reichste Fürst«, den der Dichter besungen, und wenn Segenswünsche Macht haben über die Träume, so war sein Traum wie der Sommer, der zieht, oder wie Gesang, der abends vom See her ans Ufer klingt.

 

Ein klarer Oktoberhimmel lacht, in die Platanenblätter mischt sich das erste Gelb, und die Birnbäume, die hoch über das Weinspalier wegragen, stehen in voller Frucht. Im Gartensaal aber ist es, als wäre schon Dezember, jene schönste Zeit im Jahr, wo's auf Flur und Treppe nach Tannenbaum und Wachsstock duftet und wo die Geschenke kommen von nah und fern. Und wirklich, an der ganzen Länge des Tisches hin stehen die großbeuthenschen Hausinsassen und blicken auf allerlei wohlverpackte Kisten, als wären es Zauberkommoden, aus deren Fächern in jedem Augenblick ein Wundervogel auffliegen könne. Mit einer Feierlichkeit, die niemand merkt, weil jeder sie teilt, werden endlich die Deckel geöffnet, und der sonst so wenig anmutige, knarrende Ton, mit dem die Nägel sich langsam aus dem Holze ziehn – er hat seinen Reiz heut in dieser erwartungsvollen Stunde. Die Seegrashülle fällt, und nun blinkt es und blitzt es hell herauf! Es sind Geschenke von Sanssouci: Gold und Porzellan und Bilder und Gemmen, alles wertvolle Dinge, wie sie die Hand eines Königs, und sinnige Dinge, wie sie nur die Hand eines solchen Königs schenkt. Ein jeder blickt auf die Zeichen übergroßer Huld, und während das Haupt der Familie mit bewegter Stimme die königlichen Worte liest, die diese reichen Gaben begleiten, fallen die Tränen allertreuster Menschen zwischen die Gemmen und Edelsteine nieder, als gehörten sie dorthin.

Schloß Beuthen ist längst keine Veste mehr, die Goswin von Brederlow gegen die Hohenzollern hält. Tür und Tor stehen ihnen weit offen und die Herzen der Görtzkes dazu.


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