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Der Anbau weist noch manches andere von Bildwerken und Denkmälern auf, wir treten aber von dem Bildnis der stattlichen Frau hinweg in den alten Teil der Kirche zurück, darin wir, genau an der Stelle, wo des Anbaus halber die alte Giebelwand durchbrochen ward, und zwar an ein paar pfeilerartig stehengebliebenen Mauerresten, einigen Bildnissen aus dem Anfang und Schluß des siebzehnten Jahrhunderts begegnen, Portraits, die, wenn man den Ausdruck gestatten will, der eigentlichen Zeit Blumbergs angehören. Diese Bilder geleiten uns durch drei oder vier Generationen einer und derselben Familie, doch ist es weibliche Deszendenz, und so wechseln die Namen: Löben, Burgsdorf, Canitz.
Johann von Löben. Da haben wir zunächst, halb versteckt unter einem Behang von Spinnweb, die Bildnisse Johann von Löbens und seines Ehegemahls. Er ist ein alter Herr, und die spanische Tracht von schwarzem Samt, dazu die goldne Kanzlerkette würden keinen Zweifel über die Vornehmheit des Mannes lassen, wenn auch die Züge weniger Entschlossenheit und die großen hellen Augen weniger Leutseligkeit und Würde verrieten. Die Umschrift des Bildes lautet: »Johann von Löben, kurfürstlich brandenburgischer Geheimer Rat und Kanzler, hat 1602 die Güter Blumberg, Eiche, Dahlwitz und Helmsdorf erkauft, christlich und weislich solchen vorgestanden und regieret vierunddreißig Jahr, und ist gewesen ein weiser und vortrefflicher Mann von seinem Geschlecht.« Unmittelbar vor dem Bilde hängt das alte Banner der Familie von der Decke herab, das in goldner Schrift die Angaben des Bildes teils bestätigt, teils erweitert: »Der hochedle, gestrenge und hochbenannte Herr Johann von Löben, Ihrer Kurfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg, Joachim Friedrich, hochlöbseligsten Gedächtnisses, vornehmer Geheimer Rat und Kanzler, Herr auf Blumberg, Dahlwitz, Eiche und Falkenberg, ist allhier zu Blumberg selig im Herrn entschlafen, den 26. Juli Anno 1636, seines Alters fünfundsiebzig Jahr.« Über dieser Inschrift, stark nachgedunkelt, aber immer noch deutlich erkennbar, zeigt sich das alte Löbensche Wappen: ein Schachbrett mit der Prinzessin aus Mohrenland. Schon 723 war ein Löben in die üble Lage gekommen, mit einer Prinzessin aus Mohrenland auf Tod und Leben Schach spielen zu müssen. Glücklicherweise gewann er, und Schachbrett und Prinzessin kamen seitdem ins Löbensche Wappen. Ob die edle Kunst des Schachspiels seitdem in der Familie gehegt und gepflegt wurde, mag dahingestellt bleiben, unser alter Kanzler aber war jedenfalls insoweit seines Urahnen wert, als er manchen guten Zug auf dem diplomatischen Schachbrett zu tun wußte. Dabei liebte er ehrlich Spiel, keine Finten und Hinterhalte. Der Kurfürst setzte ein unbegrenztes Vertrauen in seine Klugheit und Redlichkeit, und als die Gründung eines permanenten »Geheimen Rates« Dieser Geheime Rat« bestand aus acht Mitgliedern, darunter drei Doktoren der Rechte, die, meist auch später noch, aus bürgerlichem Stande genommen wurden. Die acht Mitglieder waren: Hieronymus Graf von Schlick, Präsident; Johann von Löben, Kanzler; von Benkendorf, Vizekanzler; Christoph Friedrich von Wallenfels; Hieronymus von Dieskau; Friedrich Pruckmann; Simon Ulrich Pistorius; Johann Hübner. für nötig erachtet wurde – die nächste Veranlassung dazu gab eine längere Anwesenheit des Kurfürsten im Herzogtume Preußen – war es selbstverständlich, daß Johann von Löben als Erster Rat in diesen Regentschaftskörper berufen wurde. Aus diesem damals gegründeten »Geheimen Rat« ging später der »Staatsrat« hervor. Johann von Löben wurde Kanzler bei jungen Jahren und stieg so hoch, wie ein Diener steigen mag im Dienst und in der Liebe seines Herrn; aber Leid und Bitterkeit des Lebens erreichten auch ihn. Als er die höchste fürstliche Gnade kennengelernt hatte, kam Ungnade über ihn, wie der Dieb in der Nacht. Fast unmittelbar nach Joachim Friedrichs Tode (1609) schied er aus dem Staatsdienst, um »procul negotiis« in Blumberg und seiner Umgebung die Freuden und Leiden glänzenderer Tage zu vergessen. 1629, inmitten der Wirren des Dreißigjährigen Krieges, wurd er noch einmal auf den Schauplatz berufen, um der schwachen und haltlosen Politik George Wilhelms Halt und Richtung zu geben, aber wo keine Kraft der Ausführung war, da wogen der Rat des Weisen und das Wort des Toren gleich schwer, und nach kurzem Verweilen am kurfürstlichen Hofe zog er sich zum zweiten Mal in die Stille seines Landguts zurück. Nur als Beobachter folgte er noch den Begebenheiten, und die letzten Jahre seines Lebens, im übrigen verbittert durch so manche Erfahrung, brachten ihm wenigstens das eine noch, daß es ihm vergönnt war, den Stern seines Schwiegersohns, Konrads von Burgsdorf, glänzend aufgehen zu sehn.
Frau von Burgsdorf. Die Bildnisse des alten Kanzlers und seines Ehegemahls blicken, dem Anbau und der Kanzel abgewandt, in das alte Kirchenschiff hinein; an der Innenseite der beiden Pfeiler aber, so daß sie sich einander ins Auge blickten, hingen bis vor kurzem zwei andre interessante Bildnisse: das der alten Frau von Burgsdorf, einer Tochter Johanns von Löben, und das ihres Enkels, des Poeten Canitz. Dieses tête-à-tête zwischen Großmutter und Enkel ist neuerdings gestört worden; die Kirchenvorstände haben das Bildnis des Poeten, ich weiß nicht aus welchem Grunde, für eine kaum nennenswerte Summe verkauft. Es ist dies um so beklagenswerter, als die Kirche jedes andere Bild eher entbehrt haben könnte als dieses eine. Denn nicht nur die Glanzzeit Blumbergs fällt in die Tage, wo Canitz hier heitre Gastfreundschaft übte, nein, das Dasein des Dorfs überhaupt würde kaum jemals über seine nächste Umgebung hinaus bekannt geworden sein, wenn ihm nicht die Alexandriner des märkischen Poeten (Canitz) zu einem Plätzchen in der Literaturgeschichte und zu einem ähnlich guten Klange wie Wandsbek oder Gohlis oder Altengleichen verholfen hätten.
Das Bildnis der alten Frau von Burgsdorf, dem wir uns jetzt zuwenden, ist wohlerhalten und trägt folgende Inschrift: »Die verwitwete Frau Oberkammerherrin von Burgsdorf, geborne von Löben, bekommt nach Absterben ihrer Frau Mutter alle Güter, so ihr Herr Vater, der Herr Kanzler von Löben, in Besitz gehabt; stehet solchen mit besondrem Ruhm und Leutseligkeit vor; aus Liebe für die blumbergschen und eichischen Untertanen legiert sie in ihrem Testament den Armen von beiden Gütern ein Kapital von 500 Talern. Sie setzet annoch bei ihrem Leben den klugen Staatsminister Freiherrn von Canitz, als ihren einzigen Enkel, zum Erben ihrer Güter ein. Erlanget von dem Höchsten die Verheißung langen Lebens und bringet solches auf siebenundsiebzig Jahr.«
Der lebensvolle Kopf, der aus dem schlichten Holzrahmen heraus uns anblickt, ist aber nicht der Kopf einer siebenundsiebzigjährigen Greisin, sondern der Kopf einer Frau in den besten Jahren, deren Embonpoint sie siegreich schützte gegen die verräterische Furchenschrift einer beginnenden Funfzigerin und deren lang herabhängende dunkle Locken noch den Vorsatz der Trägerin aussprechen, nicht alt sein zu wollen.
Ihr Kostüm erinnert vielfach an unsre heutige Mode. Das Kleid ist weit ausgeschnitten, aber ein reiches Kantenhemd umschließt den Nacken bis hoch herauf, und allerhand Borten und Schnüre ziehen sich dezent über den gestickten Brustlatz hin. Die Ärmel sind kurz und weit und überdecken kaum zur Hälfte den reichen Unterärmel von Brüsseler Spitzen. Der Gesichtsausdruck entspricht dem einer selbstbewußten, herrschgewohnten Frau, deren natürliche Gutmütigkeit sich gegen die Regungen des Stolzes ebensosehr wie gegen die harten Schläge des Schicksals behauptet hat. An diesen war kein Mangel gewesen. Wenn das Leben ihres Vaters Gegensätze geboten hatte, so bot das ihre deren mehr. Sie hatte Tage seltenen Glückes gesehen, aber auch Tage tiefen Falls. Ihr Ehgemahl, eine genialische Natur, halb Held, halb Libertin, hatte sich nicht begnügt, wie ihr Vater, der Kanzler, als erster Diener neben dem Thron seines Fürsten zu stehn, er war, eine Zeitlang wenigstens, seines Herren Herr gewesen, und daß er es unausgesetzt hatte bleiben wollen, das hatte ihn gestürzt. Was Kurfürst Friedrich Wilhelm ertragen konnte, als er, fast ein Knabe noch, ins Land kam, in ein Land, das ihm der schlaue Mut Konrad von Burgsdorfs erst schrittweis erschließen mußte, das mußte notwendig zur Verstimmung und endlich zum Bruche führen, als der jugendliche Fürst »der Große Kurfürst« zu werden begann. Der kluge Günstling, der so vieles sah, sah diesen Wechsel nicht, wollt ihn nicht sehen, und an diesem Irrtum oder Eigensinn ging er zugrunde. Seine Gegner hatten leichtes Spiel. Die Wüstheit seines Lebens kam ihnen zu Hülfe, und die Verbannung vom Hofe ward ausgesprochen. Er ging nach Blumberg. Aber der Haß seiner Feinde schwieg auch jetzt noch nicht. Man bangte vor seiner Rückkehr, und hundert geschäftige Zungen erinnerten immer wieder daran, »daß der eben gestürzte Günstling achtzehn Maß Wein tagtäglich bei Tafel getrunken habe, zugleich auch ein gewaltiger Courmacher und Serenadenbringer gewesen sei«. Man wußte wohl, was man tat, daß man gerad an diese Dinge beständig erinnerte; Kurfürstin Henriette Luise war eine fromme Frau, der alles Lasterleben ein Greuel war, und nachdem Unzucht und Völlerei so lang ihr wüstes Haupt auf den Tisch gelegt hatten, wurd eben damals die Sitte wieder erstes Gebot. Konrad von Burgsdorf starb bald, nachdem er in Ungnade gefallen war. Es heißt, daß er sinn- und trostlos geendet habe; sein ehlich Gemahl aber, deren Bild jetzt eben von der Pfeilerwand auf uns niederblickt, überlebte den Sturz ihres Mannes um fast volle dreißig Jahre. Blumberg, der Ort ihrer Kindheit, wo vordem ihr Vater und dann ihr Gatte vor der schneidend kalten Hofluft Zuflucht gesucht hatten, blieb ihr lieb, weil die Geschichte ihres Lebens mit ihm verwachsen und die Stille seiner Felder ihr mehr und mehr ein Bedürfnis geworden war. Aber freilich, der Frieden des Gemüts, nach dem sie rang, blieb ihr versagt, wie er ihr schon in ihrer Jugend versagt gewesen war. Neue Kränkungen gesellten sich zu alter Bitterkeit, Kränkungen, die dadurch nicht geringer wurden, daß sie unbeabsichtigt waren. Den Kummer ihres Alters schuf ihr ihre eigene Tochter. Diese schien ganz ihres Vaters Kind zu sein, der, wie wir eben zitiert haben, »ein gewaltiger Courmacher und Serenadenbringer« gewesen war. Dreimal verheiratete sich diese Tochter. Ihr erster Mann, ein Freiherr von Canitz, starb – das war ein Unglück; von ihrem zweiten Gemahl, einem General von der Goltz, ließ sie sich scheiden – das war erträglich; daß sie sich aber zum dritten Male nicht bloß verheiratete, sondern diesen dritten Mann, den sie nie gesehen, von Paris her sich schicken ließ, das war mehr, als die Oberkammerherrin von Burgsdorf, die funfzig Jahre lang erst als die Tochter und dann als die Gattin des vornehmsten Mannes in Kurmark Brandenburg gelebt hatte, ruhig ertragen konnte. Diese Heirat zehrte an ihrem Herzen und vergällte ihr das letzte Jahrzehnt ihres Lebens.
Die Ehe selbst aber, die zu dieser Verbitterung Anlaß gab, bildet einen zu charakteristischen Zug für die Sittengeschichte jener Zeit, als daß ich es mir versagen könnte, den Hergang ausführlicher zu erzählen.
Frau von der Goltz (geborene von Burgsdorf, verwitwete von Canitz) war kaum von ihrem zweiten Manne, dem General von der Goltz, getrennt, als sie den Vorsatz faßte, sich zum dritten Male zu vermählen, und zwar, coûte que coûte, mit einem Franzosen. Bei ihrer Schwärmerei für alles Französische kam es ihr auf eine Wahl im besonderen nicht an. Sie schrieb deshalb ihrem Pariser Kommissionär, der sich bis dahin durch seinen feinen und guten Geschmack in der Übersendung von Coiffüren und Modeartikeln bewährt hatte, ihr einen Mann zum Heiraten zu schicken, der rüstig, fein und geistvoll und selbstverständlich auch von Adel sei. Der Auftrag wurde prompt ausgeführt. Nach etwa vier Wochen traf in Berlin ein Franzose von über fünfzig Jahren ein und meldete sich bei Frau von der Goltz als derjenige, den sie gewünscht habe. Sein Name war Peter von Larrey, Baron von Brunsbosc, aus einer alten Familie in der Normandie. Die Ehe kam wirklich zustande und war glücklich. Frau von Burgsdorf indes konnte die Kränkung, die ihr dieser abenteuerliche Vorgang bereitet hatte, nicht verwinden. Die Partie mit dem normannischen Baron, der vielleicht keiner war, zehrte an ihrem Leben, und sie starb, nachdem sie längst vorher, mit Umgehung ihrer Tochter, den Sohn dieser Tochter aus erster Ehe, den Freiherrn von Canitz, zum Erben all ihrer Güter, das schöne Blumberg mit eingeschlossen, eingesetzt hatte.