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Löwenbruch

»Wie heißt Er?«
»Knesebeck.«
»Was ist Sein Vater gewesen?«
»Lieutenant in Ew. Majestät Garde.«
»Ah, der Knesebeck.«

Eine Meile hinter Großbeeren, seine hoch gelegenen fruchtbaren Äcker an einem Stücke Bruchland entlangziehend, liegt das Dorf Löwenbruch. Wir finden hier, durch die Jahrhunderte hindurch, eine Reihenfolge guter Namen: die von Thümen, von Otterstedt, von Boytin, von Alvensleben, von Gröben und von dem Knesebeck.

Die Boytins (ein ausgestorbenes Geschlecht) haben auf dem Kirchhofe noch ein paar große Grabsteine mit allerhand Figuren und Inschriften, die freilich unter der Kruste von Moos und Flechten kaum noch zu entziffern sind. Eins dieser Gräber ist leer geblieben. Mit Schaudern erzählte mir der Küster des Dorfes, wie er, eines Abends über die Grabsteine hinschreitend, den einen Stein unter seinen Füßen nachgeben und sich selber in die leere Gruft versinken fühlte. Er kam indessen mit dem bloßen Schrecken davon.

Von den Alvenslebens, die ihren Gutsanteil im Jahre 1749 an die Gröbens verkauften, findet sich noch dies und das. Es existiert unter anderm das jetzt wirtschaftlichen Zwecken dienende Haus, das sie bewohnten, ein schlichter Fachwerkbau, der am besten zeigt, wie gering, wenigstens nach dieser Seite hin, die Ansprüche waren, die der märkische Adel vor hundert Jahren noch erhob. Jeder wohlhabende Bauer wohnt jetzt besser. Es scheint, man legte damals Gewicht auf andres, auch auf andere Äußerlichkeiten, und ein höchst interessantes Sofa, das sich in den Damenzimmern des jetzigen Herrenhauses vorfindet, übernimmt den Beweis dafür. Als vor einem Vierteljahrhundert das Alvenslebensche Fachwerkhaus ausgebessert werden sollte, fand man auf einem der spinnwebverhangenen Böden einen alten Deckelkasten, der sich alsbald als eine Truhe zu erkennen gab. Dieser Fund erschien anfangs gleichgültig genug; nachdem man indes den Kasten ans Licht gebracht und von der Verstaubung eines Jahrhunderts gesäubert hatte, gewahrte man ein wahres Prachtstück, das es mit den allermodernsten Weißzeugspinden unserer Möbelmagazine kühnlich aufnehmen dürfte. Die Vorderseite des Kastens war in vier Felder geteilt, und jedes Feld bestand aus allerhand buntem, reich vergoldetem Schnitzwerk, in dessen Mitte sich ein sorglich gemaltes Wappenbild zeigte. Es waren die vier Wappen der Alvensleben, Redern, Bredow und Hake. Der gegenwärtige Besitzer Löwenbruchs wußte diesen Fund aufs glücklichste zu benutzen. Er ließ von geschickter Hand, die das Schnitzwerk der Truhe zum Muster nahm, eine Rückenlehne anfertigen, schmückte diese Lehne mit seinem eigenen Wappen und erzielte dadurch ein Sofa, das nach Erscheinung und Entstehungsgeschichte nicht leicht ein Seitenstück finden wird. Und was ist der Schluß, den ich daraus ziehe? Die Alvenslebens hatten ein schlichtes Haus, aber eine reiche, adlige Truhe, und der Inhalt derselben blieb mutmaßlich hinter dem vergoldeten Schnitzwerk nicht zurück. Ihren Reichtum bekundet auch die schön geschnitzte Kanzel, die Achatz von Alvensleben der Löwenbrucher Kirche zum Geschenk machte.

Die Gröbens führen uns bis in dies Jahrhundert hinein. Die letzten dieser Familie, die Löwenbruch besaßen, waren zwei Brüder, die ohne männliche Deszendenz verstorben. Der jüngere von beiden, der unter Friedrich dem Großen Rittmeister im Regiment Gensdarmes gewesen war, war der eigentliche Besitzer. Er tat viel zur Hebung des Guts, baute das jetzige Herrenhaus, starb aber früher als sein älterer Bruder, dem nun, da keine Kinder da waren, die schöne Besitzung zufiel. Dieser Bruder war ein Original, gescheit tapfer, nüchtern und phantastisch zugleich. Er war Major bei den »Gelben Reitern« gewesen, die damals in Zehdenick standen, hatte jedoch den Dienst quittiert, teils seiner schweren Blessuren, insonderheit aber seiner Studien halber, denen er sich ruhiger und ausschließlicher widmen wollte. Er studierte Kant und korrespondierte mit ihm. 1800 übernahm er Löwenbruch. Er war die absolute Bedürfnislosigkeit, eine völlig auf das Geistige gestellte Natur, und unsere Tage des Materialismus würden ihm schwerlich gefallen haben. Er trug jahraus, jahrein einen Leinwandanzug (auch der alte Zieten in Wustrau war so gekleidet), den er nur ablegte, wenn er sich auf Besuch nach Berlin begab. Dies geschah alle Jahr einmal, und zwar auf vier Wochen. Er stieg dann in Krauses Kaffeehaus ab, dem jetzigen »Hôtel de Brandebourg«, und verbrachte die ganze Zeit mit Konversation und Schachspiel. Nach dieser Berührung mit der Welt, zu der er sich eigentlich immer nur entschloß, um sein großes Geschick im Schachspiel nicht einrosten zu lassen, begab er sich wieder in seine Einsamkeit zurück, um sich an Büchern und – Wasser aufs neue zu stählen. Er war ein Vorläufer der Hydropathie. Personen, die ihn noch gekannt haben, sagen aus, daß er sich in Wasser, incredibile dictu, berauscht habe. Vielleicht nahm man gewisse Exzentrizitäten für Rausch. Er hatte eine trunkene Seele. Auch eine Mischung von Donquichotterie und Eulenspiegelei ließ sich an ihm wahrnehmen. Als er vom Ausbruch des Krieges hörte, befahl er, den Turm abzutragen, damit das Dorf von vorüberziehenden Kriegsscharen nicht bemerkt werden möge. Mit leidenschaftlichem Eifer verfolgte er die Napoleonischen Kriegs- und Siegeszüge. Als der Krieg von 1805 begann, der mit dem Tage von Austerlitz endigte, sagte er den Ausgang des Kampfes vorher, auch den herannahenden Sturz der preußischen Monarchie. Dieser eine Gedanke beschäftigte ihn Tag und Nacht und quälte ihn zuletzt bis zum Unerträglichen. Er wollte das Unwetter sich nicht entladen sehen und – erschoß sich in bloßer Vorahnung dessen, was kommen würde, nachdem er zuvor die Angelegenheiten seines Hauses mit philosophischer Ruhe geordnet hatte.

 

Von den Gröbens kam das Gut an die Knesebecks. Diese besitzen es noch. Der erste von ihnen, der sich hier heimisch einrichtete, war Friedrich Wilhelm Ludwig von dem Knesebeck, Halbbruder des Feldmarschalls. Von diesem Friedrich Wilhelm Ludwig von dem Knesebeck gedenk ich zu erzählen. Sein Leben erscheint zwar als eine bloße Skizze neben dem farbenreichen Bilde seines berühmten Bruders, es bedarf indessen keines langen Suchens und Forschens, um wahrzunehmen, daß beide Brüder Zweige desselben Stammes waren. Sie wirkten in verschiedenen Kreisen: der eine in der beschränkten Sphäre einer kleinen Stadt, der andere in dem weit gezogenen Kreise des staatlichen Lebens; aber der Pulsschlag beider war derselbe, und wie verschieden auch ihr Leben sich gestaltete, an Mannesmut und adliger Gesinnung, an Vaterlandsliebe, Gemeinsinn und Opferfreudigkeit standen sich beide gleich. Beide – märkische Edelleute von Kopf bis zu Fuß. Nur gesellte der ältere Bruder zu dem ihnen im Charakter Gemeinsamen auch noch hohe Gaben des Geistes, und das schuf einen Unterschied. Der kühne Kopf, der den Gedanken gebären konnte: den unbesiegbaren Imperator durch die bloße Macht des Raumes, das heißt durch Rußland, zu vernichten, stand so hoch, daß er die Nebenbuhlerschaft eines andern Geistes nicht leicht zu fürchten hatte. Die Talente waren verschieden.

Friedrich Wilhelm Ludwig von dem Knesebeck wurde den 29. März 1775 zu Karwe geboren. Er trat als Lieutenant in das zu Ruppin garnisonierende Regiment Prinz Ferdinand ein und machte als solcher die Rheincampagne mit. Ein Duell und eine Verwundung, die er empfing, veranlaßten ihn im Jahre 1800, seinen Abschied zu nehmen. Ruppin war ihm lieb geworden, und er verblieb als Bürger in einem städtischen Kreise, darin er als Offizier eine Reihe glücklicher Jahre verlebt hatte. So kamen die Tage von Jena und Auerstedt; unsere Truppen, soviel oder sowenig ihrer noch waren, retteten sich über die Oder, und das Land lag offen und widerstandslos vor dem nachrückenden Feinde da. Am Tage Allerheiligen traf in Ruppin die Nachricht ein, daß die Franzosen im Anzuge seien. Was tun? Wer hatte den Mut und die Fähigkeit, die Stadt zu vertreten? Eine Wahl war bald getroffen, wo nur einer gewählt werden konnte. Alle Stimmen vereinigten sich auf Knesebeck; man gab ihm eine Art diktatorischer Gewalt und vertraute das Wohl der Stadt seiner Geschicklichkeit und dem Glück seiner Hand.

Der Abend dämmerte, und Pistolenschüsse verkündeten die Nähe französischer Chasseurs. Knesebeck ging ihnen entgegen. »Qui-vive?« – »Un citoyen du bourg«, antwortete Knesebeck und verlangte den kommandierenden Offizier zu sprechen. Dies war ein Marquis de Custine. Knesebeck eröffnete ihm, daß die Stadt offen, ohne Besatzung und arm, trotz ihrer Armut aber zu einem »douceur« bereit sei. Das wirkte. »Ah, monsieur sait bien comment traiter avec les soldats«, erwiderte der Marquis lächelnd mit befriedigtem Gesicht, und man einigte sich alsbald über 100 Louisdor. Die Franzosen zogen ein, und die Summe wurde gezahlt.

War auf diese Weise Plünderung und Gewalttat glücklich abgewandt, so sicherte Knesebecks Geistesgegenwart wenige Wochen später die Stadt vor einer noch drohenderen Gefahr. Das Gerücht hatte sich verbreitet: »die Franzosen seien geschlagen worden«, und siehe da, den guten Ruppinern begann der Kamm zu schwellen. Détachements französischer Truppen, darunter auch Personen von Rang, passierten gelegentlich die Stadt; warum sollte man sie ruhig und ungehindert ziehen lassen? waren es nicht Feinde? So beschloß man denn, den »Kleinen Krieg« zu organisieren und wegzufangen, was wegzufangen sei. Die Sache war gut gemeint, aber sie hatte mehr Herz als Verstand, und kaum daß solche Pläne in den Köpfen der Menge spukten, als sich auch schon Gelegenheit bot, sie auszuführen. Bei leisem Schneegestöber kam Anfang Dezember ein Schlitten durchs Tor, dessen Insasse sich – trotz des weiten Mantels, der ihn verhüllte – leicht als ein höherer französischer Offizier erkennen ließ. Da hatte man wen im Garn! Und mit Geschrei drang ein Dutzend Bürger, von allerlei Volk unterstützt, auf den Unbekannten ein, zunächst um ihn zu insultieren, vielleicht auch, um ihn niederzuschlagen, wenn er Widerstand versuchen sollte. Knesebeck eilte herzu, stellte den Angreifenden das Unedle, ja das Gefährliche ihrer Handlungsweise vor und trieb den Haufen auseinander. Der Offizier aber setzte seine Reise fort. Alles schien vergessen, als etwa drei oder vier Tage später Knesebeck in den Gasthof »Zur Krone« gerufen wurde. Ein eben von Berlin her eingetroffener französischer Gendarmerieoberst – ein Abgesandter Savarys, in dessen Händen damals die oberste Polizeileitung war – trat ihm in brüsker Weise entgegen und machte ihn verantwortlich für die Insulten, die sich die Stadt gegen einen französischen Offizier erlaubt habe. »Ich werde Sie füsilieren lassen.« Knesebeck erwiderte kalt: »Contre la force il n'y a point de résistance.« Der Oberst Meine Quelle gibt an, dieser Oberst sei Savary selbst gewesen, was aber aus vielen Gründen unmöglich ist. Savary war seit 1804 Divisionsgeneral und wurde bereits 1807, also wenige Monate nach den hier geschilderten Vorgängen, zum Herzog von Rovigo ernannt. Ein so hochgestellter Offizier konnte durch Caulaincourt, der an Rang kaum über ihm stand, nicht gut persönlich zu einer Untersuchungsreise nach Ruppin veranlaßt, am allerwenigsten aber mit einem »Taisez-vous« zur Ruhe verwiesen werden. , durch die Ruhe dieser Entgegnung einigermaßen décontenanciert, fuhr eben mit neuen und immer heftiger werdenden Schmähungen heraus, als eine dritte Gestalt, die bis dahin halb verborgen in der Fensternische gestanden hatte, zu den Streitenden herantrat und dem lärmenden Offizier zurief: »Taisez-vous! Cet homme a agi comme chevalier; il n'y a rien à lui reprocher.« Knesebeck erkannte jetzt in dem Sprecher denselben französischen Offizier, den er der Volkswut entrissen hatte. Es war Napoleons Oberstallmeister, Caulaincourt, Herzog von Vicenza. Caulaincourt hatte keine Ahnung davon gehabt, daß dieselbe Stadtautorität, der er an dem Vorfalle schuld gab und deren Verfolgung er in Berlin (bei Savary) beantragt hatte, genau derselbe Mann war, dessen rechtzeitigem Einschreiten er seine Rettung verdankte. Die Sache wurde beigelegt, auf Bestrafung der Schuldigen nicht weiter gedrungen und Knesebeck mit den verbindlichsten Worten entlassen.

Einquartierungen und Truppendurchmärsche dauerten fort. Endlich kam Frieden, aber er entsprach nirgends im Lande den daran geknüpften Hoffnungen, und die Franzosen, anstatt die Mark zu verlassen, wurden nur innerhalb derselben disloziert. Um diese Dislozierungen für die Grafschaft Ruppin einzuleiten, wurde Knesebeck im August 1807 nach Liebenwalde geschickt, wo sich damals die Division Vilatte befand. Nachdem er die nötigen Notizen über Zahl und Gattung der unterzubringenden Truppen erhalten und dem französischen General die vollständigste Auskunft über die vorzunehmende Dislokation erteilt hatte, forderte Vilatte ihn auf, die Vorbereitungen zu dem nahe bevorstehenden Napoleons-Tage (15. August) zu treffen. Knesebeck tat wie befohlen. Als er andern Tages meldete, daß alles angeordnet sei, lud ihn der General ein, in Liebenwalde zu bleiben und an der Feier teilzunehmen. »General«, erwiderte Knesebeck, »Sie haben zu befehlen; wenn ich bleiben muß, so werd ich bleiben; aber kein preußischer Offizier wird sich aus freien Stücken dazu entschließen, bei solchem Feste zugegen zu sein.« Ein prüfender Blick traf den Sprecher. Dann trat Vilatte an ihn heran und schüttelte ihm herzlich die Hand.

Später, als das Generalkommando von Liebenwalde nach Ruppin hin verlegt worden war, entspann sich ein immer freundlicheres Verhältnis zwischen Knesebeck und dem französischen General. Vilatte war ein Ehrenmann, ein Soldat von ritterlichem Sinn. Dasselbe galt von seinem Adjutanten, dem Hauptmann Denoyer, einem Kreolen von Martinique, der im Hause Knesebecks eine Wohnung bezog und in liebenswürdiger Weise die Beziehungen zwischen diesem und dem General zu fördern wußte. Die Mußestunden, die der Dienst gönnte, wurden verplaudert; man verweilte gern bei früheren Aktionen und fühlte sich doppelt zueinander hingezogen, als sich bei diesen Gesprächen herausstellte, daß man sich während der Rheincampagne gegenübergestanden und auf der Mainzer Schanze Kugeln miteinander gewechselt hatte.

Mittlerweile wütete der Krieg in Spanien fort, wo im Juli 1808 die Kapitulation von Bailén eingetreten war. Knesebeck wußte davon, nicht aber Vilatte, der vielmehr umgekehrt von neuen Siegen und einem nahen Frieden träumte, mit Vorliebe von dem baldigen Abmarsch der französischen Truppen sprach und daran eine Einladung an Knesebeck knüpfte, ihn auf seinem »Château« in der Umgegend von Nancy zu besuchen.

Knesebeck erwiderte: »General, Sie werden uns bald verlassen, aber nicht, um in die Heimat zu ziehen. Der Frieden ist ferner denn je.«

»Sie irren, Knesebeck; unsere Affairen in Spanien stehen gut; der Krieg geht auf die Neige.«

»Ich bezweifle es, General. Darf ich mich offen zu Ihnen aussprechen?«

»Eh bien, parlez!«

»General, man hintergeht Sie. Die Bulletins Ihres Kaisers sind Täuschungen; es geht nicht gut; General Dupont hat bei Bailén kapituliert. 17000 Franzosen sind kriegsgefangen.«

»Sind Sie dessen so sicher?«

»Ganz sicher.«

»Eh bien, nous verrons. In acht Tagen sprechen wir weiter davon.«

Die acht Tage verstrichen und brachten die einfache Bestätigung der Kapitulation. Vilatte geriet in die höchste Aufregung, ließ Knesebeck zu sich entbieten, schüttete ihm sein Herz aus über die endlosen Kriege, wiederholte aber dennoch seine Einladung. Beide Männer waren bewegt. Knesebeck antwortete endlich: »Ich nehme Ihre Einladung an, General; ich werde kommen. Aber wenn wir uns wiedersehn, wird es in großer Gesellschaft sein

Das war 1808. Die französischen Truppen marschierten ab, aber nicht in die Heimat, vielmehr – nach Spanien.

Fünf Jahre später, als auch für Preußen der Tag der Erlösung anbrach, jubelte Knesebeck. Er hoffte den großen Kampf mitkämpfen zu können, aber eine Cabinetsordre berief ihn als ständischen Kommissar nach Potsdam, wo ihm die Aufgabe zufiel, bei der Organisation der kurmärkischen Landwehr tätig zu sein. So blieb es ihm versagt, mit ins Feld zu rücken und an den Ehren jener großen Zeit unmittelbar teilzunehmen, bis endlich, im Jahre darauf, die Rückkehr Napoleons und das rasche Vorrücken der Preußen, um dem drohenden Stoße so früh wie möglich zu begegnen, ihm auch diesen Wunsch erfüllte. Er erhielt eine Compagnie im 6. kurmärkischen Landwehrregiment, marschierte mit nach Flandern und focht bei Ligny, Sombreffe und Wavre.

So kam er auch nach Paris. Sein erster Gang war zu Vilatte, damals Chef der Gendarmerie der Hauptstadt. »Bonjour, général! da bin ich; erkennen Sie mich wieder?« – »Mon Dieu, Knesebeck, c'est vous« – und die alten Gegner und Freunde schüttelten sich die Hand. Knesebeck hatte sein Wort gelöst; er war gekommen, aber »in großer Gesellschaft«, wie er prophezeit hatte.

Weihnachten 1815 kehrte er heim, ererbte bald danach Löwenbruch und zog sich 1829 nach dem benachbarten Jühnsdorf zurück. Unter allen Tagen seines Lebens blieb ihm der Silvestertag 1807 der teuerste, wo die Stadt Ruppin ihm in festlicher Versammlung die Bürgerkrone überreicht hatte. Und in der Tat, mit freudigem Stolze mocht er sich der Worte erinnern, die damals, in noch frischer Dankbarkeit, an ihn gerichtet worden waren:

Als in den Tagen des Grams die blöden Gemüter erstarrten
    Und dem nahenden Sturm jegliche Seele erlag,
Tratest du kühnlich hervor, gesetzt und weis und besonnen,
    Zu beschwören den Sturm, der uns Verderben gedroht.

Er hatte wohl Anspruch auf diese Huldigung. Der Kreis, in dem ihm zu wirken vergönnt war, war nur ein kleiner und begrenzter, aber innerhalb desselben hatte er sich bewährt. Den größern Kreis sich zu schaffen lag außerhalb seiner Macht, indessen wo immer er stand, stand er da – ein ganzer Mann. Er starb hochbetagt am 11. Juli 1860.

 

Wir sitzen im Herrenhause zu Löwenbruch.

Die Türe des Gartensaals steht offen, und Duft und Frische dringen ein. Die Sonne scheidet eben, und nur ein roter Streifen liegt noch über dem Schwarzgrün der Edeltannen. Alles ist sabbatstill, und geräuschlos zieht ein Schwarm Tauben durch die Luft. Erdbeerschalen schmücken den Tisch und lachen uns an, heiter und behaglich fließt das Gespräch. Aber auch das, was uns umgibt führt seine Sprache. Jegliches, was seit Jahrhunderten hier war und wuchs, es ist nicht tot, es lebt und schafft und wirkt ein geheimnisvolles Band zwischen dem Vergangenen und dem Gegenwärtigen. Auf dem Tische vor uns steht ein Serpentinkrug, der das Wappen der Otterstedts auf seinem Silberdeckel trägt; durch die zurückgeschlagene Samtportière gewahren wir im Nebenzimmer die nun als Sofa dienende von Alvenslebensche Truhe, vor uns der Holunderbaum, der über die Gartenmauer ragt, mahnt uns an den alten von Gröben, der im Leinwandkittel unter diesem Blätterdache saß und phantastische Schlachten auf seinem Schachbrett schlug, und neben uns an der Wand tickt die Pendeluhr, die Knesebeck, dem Feldmarschall, über seinem Arbeitstische die Stunden schlug, als der Friedenskongreß die Fürsten Europas in der heitern alten Kaiserstadt versammelt hatte. Wie viele Denkschriften, Gutachten und Entwürfe entstanden bei dem Ticktack dieser gedrungenen Ebenholzpendule, die so diskret und in sich zurückgezogen dasteht, als wisse sie, was einem Zeugen schickt, der ernste Dinge gehört und gesehn.

Der letzte rote Streifen über den Tannen ist hin, und das leise Singen des Kessels im Nebenzimmer kündet uns die Teestunde. Niemand spricht mehr, aber es ist, als flüsterten die Stimmen derer, die nicht mehr sind.


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