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Die Röbels kamen etwa gleichzeitig mit den Askaniern in die Mark und gehörten einem Geschlecht an, das sehr wahrscheinlich von der am Müritz-See gelegenen Stadt Röbel (im Mecklenburgischen) seinen Namen führte. Schon im Landbuche von 1375 genannt, waren sie später im Norden und Nordosten von Berlin ansehnlich begütert und besaßen allda die samt und sonders im jetzigen niederbarnimschen Kreise gelegenen Ortschaften: Schönfließ und Schöneiche, Birkholz und Blankenburg, Wartenberg, Hohenschönhausen und Buch.
In teilweisem Besitze dieses letztren finden wir sie schon vor Beginn der hohenzollerschen Zeit, aber erst um 1541 kam das ganze Dorf Buch in ihre Hände.
Das war unter Hans von Röbel. Derselbe war kurbrandenburgischer Rat und gehörte mit zu den eifrigsten Anhängern und Beförderern der Reformation.
Ebendesselben Geistes waren seine zwei Söhne Joachim und Zacharias von Röbel, von denen der erstere, der mit einer Hedwig von Krummensee vermählte Joachim, die freundschaftlichsten Beziehungen zu Philipp Melanchthon unterhielt. Diese Beziehungen waren der Art, daß der Reformator (und zwar allem Anscheine nach wiederholentlich) auf Besuch nach Buch kam und zwei Kinder Joachims von R. über die Taufe hielt. Er machte bei dieser Gelegenheit der Kirche zu Buch ein aus den Werken Luthers bestehendes Geschenk, zehn Bände, in deren zehnten Band er einen Paulinischen Spruch aus dem Brief an die Kolosser: »Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit, lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, und singet dem Herrn in eurem Herzen«, eigenhändig eingetragen hat. Darunter die Jahreszahl 1559. Dieses Geschenk ist bis diesen Tag das Wertstück und die Zierde des Bucher Kirchenarchivs. Allerdings scheinen nicht alle Mitglieder der damaligen Röbelschen Familie von gleich ausgesprochener Kirchlichkeit gewesen zu sein. Einige waren Lebemänner, insonderheit Andreas von Röbel, ein am Hofe zu Cölln a. d. Spree hochangesehener Gast. Und zwar hochangesehen wegen seines adligen Zechens.. Erst um 1577, als er zur Bekleidung eines geistlichen Ehrenamtes an den Havelberger Dom berufen wurde, schien es nötig, ihn einen Enthaltsamkeitsrevers unterzeichnen zu lassen. In diesem hieß es: »... Und so will ich denn bei jeder Mahlzeit mit zwei ziemlichen Bechern Biers und Weins zufrieden sein. Sollt ich das aber übertreten und einmal trunken befunden werden, so will ich mich in der Küche einstellen und mir vierzig Streiche weniger eins (wie dem heiligen Apostel Paulus geschehen ist) von denen, so Ihro Kurfürstliche Gnaden dazu verordnen werden, mit der Rute geben lassen.
Joachim von Röbel war aber auch ein Kriegsheld und bracht es zu den höchsten militärischen Ehren in brandenburgischen, sächsischen und zuletzt auch in kaiserlichen Diensten. Er zeichnete sich namentlich in der blutigen Schlacht bei Sievershausen aus, in der Moritz von Sachsen fiel. Im Jahre 1572 besuchte er, als kaiserlicher Feldmarschall, seinen Bruder Zacharias von Röbel, der damals in der Festung Spandau kommandierte. Bei dieser Anwesenheit verschied er im siebenundfünfzigsten Jahre seines Alters und ward in der Spandauer Nikolaikirche beigesetzt. Drei Jahre später, 1575, starb auch sein Bruder. Ein beiden errichtetes Denkmal bewahrt ihre Namen in obengenannter Kirche. Beide sind gleich gewaffnet, in Plattenrüstung mit Schwert und Morgenstern. Dazu folgende, die Kriegstaten Joachims von Röbel verherrlichenden Reime:
Der edel und viel kühne Held
Joachim von Röbel, ich dir meld, Von Jugend auf mit gutem Rat Gar manche Schlacht besuchet hat. In Holstein, Fünen, Kopenhagen, In Ungarn, Frankreich tat er's wagen, Der Graf von Oldenburg sein' Mut Gespürt; der Sachs ihm auch war gut: Zum Wacht- und Rittmeister ihn macht';
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Ein Sohn dieses Feldmarschalls Joachim von R. war Ehrentreich von Röbel, der, neben Stipendien und anderen zahlreichen Stiftungen, auch ein »Röbelsches Erbbegräbnis«, und zwar in der Marienkirche zu Berlin, errichtete. Dasselbe zeigt die vor einem Kruzifix knienden lebensgroßen Figuren Ehrentreichs selbst und seiner Gemahlin Anna von Göllnitz, gestorben 1630. Jener – ein wohlbeleibter Herr mit stattlichem Bart – trägt die Ritterrüstung des siebzehnten Jahrhunderts, diese die kleidsam Frauentracht jener Zeit: ein langes Gewand mit weiten, faltigen Ärmeln und eine Flügelhaube. Auch eines andern Röbel noch, der sich im siebzehnten Jahrhundert auszeichnete, möcht ich hier flüchtig und in einer Anmerkung wenigstens erwähnen dürfen. Es war dies der Oberst Dietrich von Röbel auf Hohenschönhausen, der, »durch den sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. mit Führung eines Regiments zu Fuß begnadigt, an der Spitze dieses Regiments mit vor Wien und Ofen war und unterschiedenen Campagnen und Battalgen beiwohnte«. Des Krieges endlich müde, zog er sich um 1690 oder doch nicht viel später auf sein väterliches Gut (Hohenschönhausen) zurück und begann daselbst die kleine Steinkirche zu schmücken. Zu Helm und Schild einer mutmaßlich längst zurückliegenden Epoche hing er die Fahnen und Feldzeichen seines sächsischen Regiments und bekleidete die Wandung der Empore mit den Wappenschildern aller ihm durch Heirat verwandt gewordenen Familien: der Sparrs und Flanß', der Pfuels und Arnims und insonderheit der jetzt ausgestorbenen, aber im siebzehnten Jahrhundert über den ganzen Barnim hin reich begüterten Krummensees. Soviel über die Röbels. Von den andern drei Familien an andrer Stelle.
Die Sonne weckt uns bei guter Zeit. Das rote Deckbett hat uns mit all seiner Schwere nicht sonderlich gedrückt, und aufspringend eilen wir ans Fenster und lassen den Sommermorgen ein. Auch das Frühstück kommt, und die Lindenbäume draußen sorgen für Duft und Klang. Ein Blick noch auf das Strohlager, den Schauplatz unseres stillen Muts, und wir treten in die Dorfgasse hinaus, um zunächst dem Schlosse drüben unsern Frühbesuch zu machen.
Das Schloß zu Buch ist ein Flügelbau von jener einfachen Art, wie das vorige Jahrhundert ihrer so viele auf unsern märkischen Rittergütern entstehen sah. Sie haben einen gemeinsamen Familienzug, und wenn sich das vor uns liegende Schloß von ähnlichen Bauten unterscheidet, so ist es durch nichts als durch eine noch größere Einfachheit. Aller Schmuck scheint geflissentlich vermieden. Keine Säulen, kein Fries, kein Fenstersims; nicht Turm, nicht Erker, ja selbst die Rampe fehlt, die sonst wohl den Eindruck der Stattlichkeit schafft oder steigert. Ein paar Arabesken schnörkeln sich um die Tür, und ein halbes Dutzend Orangenbäume fassen den Kiesplatz ein. Alles schlicht, und doch hat man das bestimmte Gefühl, daß hier Reichtum und Vornehmheit ihre Stätte haben. Das Haus gleicht einem einfachen Kleid, einfach und altmodisch, aber der Park, der es einfaßt, ist wie ein reicher Mantel, der die Frage nach dem Schnitt des Kleides verstummen macht.
Und dieser Eindruck wiederholt sich im Innern. Aller bürgerliche Komfort fehlt, ebenso die kleinen Niedlichkeiten, in deren Hervorbringung die Neuzeit so verschwenderisch gewesen; aber diese Nippes fehlen nur, weil das Herz des Besitzers an andern Dingen hing oder weil er in feinem Sinn empfand, daß das Moderne zu dem historisch Überlieferten nicht passen würde.
Wir haben unsern Umgang vollendet und treten wieder in den Park hinaus. Einer der vielen Laubengänge desselben führt uns bis an die nahe gelegene Kirche.
Diese Kirche zu Buch ist ein ziemlich auffälliges Bauwerk. In einer alten Beschreibung Berlins und seiner Umgegend wird sie die »schöne Kirche« genannt, ein Ausspruch, der wohl nur in Zeiten möglich war, in denen man aufrichtig glaubte, durch Laternen- und Butterglockentürme die gotischen Formen unsrer alten Feldsteinkirchen ersetzen oder gar noch verbessern zu können. Alles, was dieser Bucher Kirche zugestanden werden darf, ist Stattlichkeit und ein gewisser malerischer Reiz. Ihre Grundform bildet ein griechisches Kreuz, aus dessen Mitte sich eine merkwürdige Mischung von gegliedertem Kuppel- und Etagenturm erhebt. Versuch ich eine Beschreibung. Jeder kennt jene Garten- und Speisepavillons, die sich in den Parkanlagen des vorigen Jahrhunderts so vielfach vorfinden und meist aus sechs oder acht ein gewölbtes Dach tragenden korinthischen Säulen bestehn. Denke man sich nun drei solcher Pavillons in Verjüngung übereinandergestellt und den untersten Pavillon kreuzartig erweitert, so hat man im wesentlichen ein Bild der Bucher Kirche. Nur eines kommt noch hinzu: rotgetünchte Wandflächen füllen den Raum zwischen den weißen Säulen und Pfeilern aus und stellen dadurch ein gestreiftes Ganze her, das am ehesten vielleicht an die holländischen Bauten aus dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts erinnert.
Ehe wir in die Kirche selbst eintreten, steigen wir einige Treppenstufen hinab in die Gruft, die sich unter dem Ostflügel der Kirche befindet und in mehr als einer Beziehung ein Interesse verdient. Diese Gruft oder doch wenigstens ein Teil derselben ist wahrscheinlich ein Überrest der alten Kirche, die hier stand, eine Voraussetzung, die sich darauf stützt, daß ein Sarg aus dem Jahr 1679 vorhanden ist während die gegenwärtige Kirche nicht vor 1727 beendigt war.
Die Gruft besteht aus zwei gewölbten Räumen, die durch eine offene Tür miteinander in Verbindung stehen. Der hintere Raum ist wahrscheinlich älter und empfängt so wenig Licht, daß man eine Kerze anzünden muß, um irgend etwas sehen zu können. Alles, was mehr in Front liegt, ist hell und geräumig. Beide Teile haben übrigens das gemeinsam, daß die darin aufgestellten Toten zu Mumien werden. Die hintere Gruftkammer beherbergt nur einen einzigen Sarg, in dem vorderen Gewölbe dagegen befinden sich einundzwanzig Särge, von denen vierzehn zur Linken und sieben zur Rechten stehen; dazwischen ein Gang. In den vierzehn Särgen zur Linken sind Mitglieder der Familie Viereck (darunter der Minister und seine beiden Frauen) beigesetzt, die sieben Särge zur Rechten aber umschließen Mitglieder der Familie Voß.
Wodurch die Mumifizierung erfolgt, ist noch nicht aufgeklärt. Vielleicht ist es die Trockenheit und mehr noch eine beständige leise Bewegung der Luft, was diese Erscheinung hervorruft. Die mumifizierten Körper sehen weiß aus, sind verhältnismäßig wenig eingedörrt und zeigen noch eine gewisse Elastizität von Haut und Fleisch. Der hier zuletzt Beigesetzte ist der Staatsminister Otto Karl Friedrich von Voß. In den Sargdeckel ist eine Metalltafel eingelegt, die einfach die Namen und Daten (geboren den 8. Juni 1755 etc.) gibt. Es ist dies derselbe Otto Karl Friedrich von Voß, der zur Zeit der Hardenbergschen Verwaltung, insonderheit aber in den Jahren, die den Befreiungskriegen folgten, aufs entschiedenste die Prinzipien und Interessen einer konservativen Politik vertrat. Unmittelbar nach dem Tode Hardenbergs wurde Voß Präsident des Staatsrats und des Staatsministeriums. Er überarbeitete sich, erkältete sich während einer Feuersbrunst, die gerade damals in Buch ausbrach, und zog sich einen Rückfall zu, als er nach längerer Zeit wieder seinen ersten Vortrag beim Könige hielt, zu dem er nicht anders als in Schuhen und Strümpfen hatte gehen wollen. Sein Tod war die Folge davon. Er starb am 30. Januar 1823.
Der schwere eichene Sarg, der sich in dem älteren, lichtlosen Gewölbe befindet, steht gemeinhin offen. Der danebenliegende Deckel ist mit einer Unmenge von schwarzen Nägelchen beschlagen, die sich bei näherer Untersuchung zugleich als Inschrift des Sarges erweisen. Die Entzifferung ist aber so schwierig, daß ich nur für annähernde Richtigkeit bürgen kann. Die Inschrift lautet: »Der hoch-hochwohlgeborne Herr, Herr Gerhard Bernhard Freiherr von Pöllnitz, Erbherr auf Reschau in Preußen, auf Buch, Karow und Birkholz in der Mark, kurfürstlich brandenburgischer Geheimer Kriegsrat, General-Wachtmeister und Oberstallmeister, Oberster im Dragonerregiment Mörner, residierte in Berlin, Cölln und Friedrichswerder; geboren 1617, gestorben den 2. August 1679.« Der völlig mumifizierte Körper, der am ehesten einem mit einer elastischen Ledermasse überzogenen Skelette gleicht, ist völlig unbekleidet und nur mit einem graumelierten Domino zugedeckt, an dem noch Hunderte von aufgenähten Silberschuppen glitzern. Der Schädel ist groß und prächtig geformt, das Gesicht aber klein und auf feine Formen deutend. Die Stirn zeigt eine Fraktur des Schädelknochens, wie es heißt, infolge eines Säbelhiebes, den der Freiherr in einer der Schlachten des Dreißigjährigen Krieges empfing. Das Nasenbein ist lädiert. Das geschah bei folgender Gelegenheit. Die Franzosen, kurze Zeit nach der Jenaer Schlacht, kamen auch nach Buch und drangen in die Kirche. Voll Übermut schleppten sie den Mumienkörper des Freiherrn aus der Gruft nach oben und begannen allerlei frivole Spiele mit ihm. Bei der Gelegenheit fiel er um und brach das Nasenbein. In einem andere märkischen Dorfe (Kampehl, in der Grafschaft Ruppin) kam eine ähnliche Geschichte vor. Übermütige Franzosen schafften die Mumie des Herrn von Kalbutz aus der Gruft in die Kirche und begannen, in höllischer Blasphemie, ihn als Gekreuzigten auf den Altar zu stellen. Einem der Übeltäter indes mochte das Herz dabei schlagen. Als er beschäftigt war, die linke Hand festzunageln, fiel der erhobene Mumienarm zurück und gab dem unten stehenden Franzosen einen Backenstreich. Dieser fiel leblos um; Schreck und Gewissen hatten ihn getötet. (Ich bin seitdem in der Kampehler Kirche gewesen und kann diese Geschichte leider nicht bestätigen. Herr von Kalbutz liegt mit gefalteten Händen da, die Finger beider Hände wie in eins zusammengewachsen. Im übrigen erzählte mir der Küster von der großen Popularität dieser Mumie; Handwerksburschen aus aller Herren Länder, die durch Kampehl zögen, ermangelten nicht, sich den Herrn von Kalbutz anzusehn, den sie alle als ein Kuriosum der Mark Brandenburg kennen.) In der Tat, es ist ein mehr denn fragliches Glück, in dieser Form der Nachwelt erhalten zu werden, und wir begreifen völlig diejenigen Mitglieder der Voßschen Familie, die sich ein Begrabenwerden in »ihrer Mumiengruft« eigens verraten. Gerhard Bernhard von Pöllnitz ist übrigens nicht, wie gelegentlich geschieht, mit dem Touristen, Kammerherrn und Memoirenschreiber Karl Ludwig von Pöllnitz zu verwechseln, den Friedrich der Große durch die Worte: »ein infamer Kerl, dem man nicht trauen muß; divertissant beim Essen, hernach einsperren«, zu charakterisieren versucht hat und dessen Memoiren gegenüber es doch wahr bleibt, »daß sie leichter zu tadeln als zu entbehren sind«. Gerhard Bernhard von Pöllnitz war der Großvater des Memoirenschreibers und, wie es sich für einen General und Oberstallmeister geziemt, mehr ausgezeichnet mit dem Degen als mit der Feder.
Ein Zweifel, den nichtsdestoweniger der Freiherr Truchseß von Waldburg gegen den Mut und die soldatische Ehre des Oberstallmeister erhob, führte zu einem der seltsamsten Duelle, die je gefochten wurden. Die beiden Gegner trafen sich (1664) auf dem sogenannten »Ochsengrieß«, einer Wiese in der Nähe von Wien. Die weite Reise war nötig, weil die vielen Duelle, die damals am brandenburgischen Hofe vorkamen, zu den allerschärfsten Erlassen gegen den Zweikampf geführt hatten. Das Duell sollte zu Pferde stattfinden und die Kugeln in möglichstes Nähe a tempo gewechselt werden. Der Oberstallmeister ritt an den Freiherrn Truchseß heran und fragte ihn, ob er gesagt habe: er habe ihn (den Pöllnitz) kujoniert und keine Satisfaktion bekommen können. Truchseß antwortete: »Ja, das habe ich gesagt.« Darauf wurden die Pistolen abgefeuert und in Gegenwart der Sekundanten frisch geladen. Pöllnitz fragte voll Courtoisie: »ob man die Pferde wechseln wolle«, was Truchseß ablehnte. Man ritt nun in lebhaftem Schritt aneinander heran und schoß auf nächste Distance. Die Kugel des Truchseß streifte den Oberstallmeister über den Bauch, die Kugel des letzteren aber traf den Truchseß tödlich. Er sank zur Seite und hielt sich mühsam im Sattel. Pöllnitz fragte ihn jetzt: »Müsset Ihr nunmehro nicht zugestehen, daß Ihr mir Unrecht getan und meine Ehre ohne Grund gekränket habt?«, worauf Truchseß erwiderte: »Ich hab Euch Unrecht getan und bitte, daß Ihr mir vergeben wollt.« Man nahm den Truchseß aus dem Sattel und legte ihn auf den Rasen. Der Oberstallmeister kniete an seiner Seite nieder und sprach dem Sterbenden aus Gottes Wort christlichen Trost zu, bis er verschied.
Wir verlassen nun die Gruft und treten in die Kirche. Sie zeigt sich geräumig, lichtvoll und von einer Einfachheit, die nach der Überladenheit der Façaden angenehm überrascht. Es fehlt aller vergoldete Zierat, aber das Eichenschnitzwerk an Kanzel und Altar ersetzt ihn mehr als genügend. In der Mitte wölbt sich die Kuppel, und nur der Bilderschmuck, den man an dieser Stelle wenigstens versucht hat, hebt die gute Totalwirkung der inneren Kirche zum Teil wieder auf. Ein Moses mit den zwei Sinaitafeln auf seinen Knien und eine büßende Magdalena, die den Fuß auf Drachen und Totenkopf setzt, sind Leistungen, die auf eine wenig ruhmreiche Stufe vaterländischer Kunst zurückweisen.
Der Ostflügel bildet einen »hohen Chor«. Altar und Kanzel trennen ihn von dem Hauptteile der Kirche völlig ab, und nur zwei Treppen zur Rechten und Linken unterhalten die nötige Verbindung. Es scheint, daß es Absicht des Baumeisters war, hier Raum für ein Camposanto, für eine marmorne Gedächtnishalle, zu schaffen, eine Vermutung, die dadurch bestätigt wird, daß sich die bereits beschriebene Gruft gerad unter diesem Teile der Kirche befindet. Den Intentionen des Baumeisters ist aber nur einmal entsprochen worden. Ein einziges, allerdings sehr reiches und prächtiges Grabmonument erhebt sich an dieser Stelle: das von Glume herrührende Marmordenkmal des Ministers von Viereck. Zieht man den Geschmack jener Zeit in Erwägung, der in dem Hange nach geistreicher Symbolik vielleicht etwas zu weit ging, so muß man zugestehen, daß es eine ganz vortreffliche Arbeit ist. Die Gestalten, aus denen sich das Ganze zusammensetzt, sind folgende: der Tod mit der Sichel und ein Engel mit dem Palmzweig, wozu sich dann, von der andern Seite her, eine weibliche Figur mit einer weit geöffneten Leuchte gesellt, unzweifelhaft um das »Licht der Aufklärung« anzudeuten, das wenigstens zu der Zeit, als das Denkmal angefertigt ward – etwa ein Jahrzehnt nach dem Tode von Vierecks –, als unerläßliches Requisit eines preußischen Kultusministers angesehen wurde. Die Büste des Ministers krönt das Ganze; darunter sein und seiner beiden Frauen Wappen und unter diesen wiederum eine lateinische Inschrift in Goldbuchstaben, die, wie sich denken läßt, nur bei den Verdiensten des illustren Mannes verweilt und keinen Nachklang enthält von jener Reprimande König Friedrich Wilhelms I., die da lautete: »Geheimer Rat von Viereck soll sich meritieret machen, nicht zu viel à L'hombre spielen, diligent und prompt in seiner Arbeit sein, nicht so langsam und faul, wie er bisher gewesen.«
Der Unterschied zwischen preußischen Cabinetsordres und Grabschriften war immer groß.
Noch eine Stelle bleibt, an die wir heranzutreten haben. Unter der Kuppel, inmitten der Kirche, bemerken wir eine Vertiefung, als seien hier die Ziegel, womit der Fußboden gepflastert ist, zu einem bestimmten Zweck herausgenommen und später wieder eingemauert worden. Es wirkt als habe die Absicht bestanden, einen Grabstein in diese Vertiefung einzulegen. Und in der Tat, wir stehen hier an einer Gruft. An ebendieser Stelle wurde die schöne Julie von Voß, bekannt unter dem Namen der Gräfin Ingenheim, beigesetzt.
Eine Darstellung ihres Lebens oder doch wenigstens ihrer Beziehungen zu König Friedrich Wilhelm II. ermöglicht sich seit 1876, seit welchem Jahre die Tagebuchblätter vorliegen, die durch die Gräfin von Voß, Oberhofmeisterin am preußischen Hof und Tante Juliens, während eines Zeitraums von beinah siebzig Jahren, von 1745 bis 1814, niedergeschrieben wurden.