Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Die Erscheinung des Bacchus.

1753.

                An einem schönen Frühlingstage
Dacht' ich, zu tief betrübt,
An die, die mich Getreuen nicht mehr liebt;
Ich ging und brach in laute Klage
Schwermüthig aus, und manches Ach!
Rief Echo nach,
Als Herold meiner Klage.

Da kam, das Haupt mit Laub umgeben,
Ein Mann den Berg herab;
Er taumelte, schwang einen Thyrsusstab
Und sprach: Ich bin der Gott der Reben!
Der Gott der Reben, sieh', bin ich!
Erkenne mich,
Ich bin der Gott der Reben!

Ich komme jetzt, um dich zu rächen,
Du denkst mir zu betrübt
An die, die dich Getreuen nicht mehr liebt!
An dieser Falschen dich zu rächen,
Komm' ich und sage: Werde mein!
Es soll mein Wein
Dich an der Falschen rächen!

Mit tiefempfundnen bangen Schmerzen
Folgt' ich dem schönen Gott;
Er spottete mit ernstem bittern Spott
Der zärtlichen verliebten Herzen:
»Ihr«, sprach er, »mordet Lebenszeit
Mit Gram und Leid;
Doch du sollst wieder scherzen!«

Er sprach's, und eine große Tonne
Voll von Burgunderwein
Stand da! »Silen!« rief er, »Silen, schenk' ein!«
Silen war da, und Freud' und Wonne
Floß um uns her, und die Natur
War schön, die Flur
Voll Glanz der Frühlingssonne!

Wir wurden Brüder; Bacchus sagte
Dem fragenden Silen –
Der stotterte: War – sie so schön? – So – schön?
Daß er – um sie so – kläglich – klagte? –
»Wie eine Göttin schön war sie,
Die Falsche die!«
Und sah mich an und fragte:

»War sie nicht wunderschön, Herr Bruder?«
Herr Bruder, ach, sie war
Recht schön, die Augen blau und schwarz das Haar!
Doch itzt gäb' ich sie für ein Fuder
Von solchem Wein! – Nein, für ein Faß! –
Nein, für ein Glas! –
Willst du sie nicht, Herr Bruder? –

 


 


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