Johann Wilhelm Ludwig Gleim
Gedichte
Johann Wilhelm Ludwig Gleim

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Des Armen Gebet

in den neugepflanzten Alleen.

1779.

                    Ich, in diesen weißen Haaren,
Ich, ein Armer, schach und matt,
Ich, ein Greis von neunzig Jahren –
Der in dieser guten Stadt
Greis geworden, viel erfahren,
Und so viel gelitten hat, –

Sitze hier und bete, flehe:
Vater, dessen Sonne scheint,
Vater droben in der Höhe,
Dem mein altes Auge weint,
Unter diesen Bäumen gehe
Mancher reiche Menschenfreund!

Gehe nie ein böser Richter,
Sohn des Satans und der Nacht,
Aergster alles Bösewichter,
Der aus Rechtem Unrecht macht;
Gehe nie ein schlechter Dichter,
Welcher Hohn der Tugend lacht!

Gehe nie ein Glaubenslehrer,
Der nach Lohn die Seelen mißt,
Der die Herzen seiner Hörer
Lenken mag mit Rednerlist,
Der zum Christenthum Bekehrer,
Aber nicht gut Beispiel ist!

Manche Menschen, meine Brüder,
Waren nicht den Armen taub:
Was sie gaben, das gib wieder! –
Haben diese Bäume Laub,
Leg' ich meine morschen Glieder
Gern' in's Grab und werde Staub!

Staub? – Nur halb! – Ich sterb' und schwebe
Hoch auf, über Stolz und Neid! –
Dir gab ich mein Herz und gebe
Dir mein Herz noch in der Zeit!
Staub nur halb, denn sieh', ich lebe
Dir, mein Gott, in Ewigkeit!

 


 


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