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Aberglaube, welcher bei Kindbetterinnen herrscht, desgleichen vor und bey der Geburt eines Menschen.

Diejenigen abergläubigen Weiber, welche mit Furcht und Angst die Zeit ihrer Schwangerschaft ausgehalten, und sich für Dingen gefürchtet haben, für welchen sie sich zu fürchten nicht nöthig hatten, werden nach ihrer Niederkunft mit neuer Angst geplagt; welches sie blos ihrer irrenden Phantasie und dem Hange zum Aberglauben zuzuschreiben haben. Sie pflegen daher auch oft nach der Geburt viel ängstlicher als vorher zu seyn, und ich glaube, daß viele Weiber die gebohren haben, die ersten 9 Tage nach ihrem Niederkommen nicht eine einzige Nacht, ohne Furcht und Zittern für Dingen die da geschehen mögten, einschlafen. Welche schädliche Folgen kann solches dahero nicht ihrer Gesundheit bringen! Der Schlaf soll sie erquicken, und ist auch keinem Menschen nöthiger als eben ihnen, und ihre Einbildungskraft, ihre Phantasie sind schuld, daß sie durch fürchterliche Träume erschreckt werden.

Der Schlaf bringt ihnen deswegen mehr Ermattung als Erquickung. Da zu der Zeit, bey dergleichen Weibern die Einbildungskraft ausserordentlich gespannt ist, und ihre Neven sehr reitzbar sind, so hätten sie um desto mehr nöthig, durch die Vernunft dergleichen Aberglauben aus ihrem Gemüthe zu verbannen, damit von dieser Seite ihrer und ihres Kindes Gesundheit gesichert werden.

Die Erstgebährenden sind besonders geneigt, alles für wahr zu halten, was ihnen von Mutter, Großmutter und andern dienstfertigen Freundinnen gesagt wird; denn sie glauben der Stand der Schwangerschaft und des Kindbetts, habe was ganz besonders auf sich, und in solchen könnten gute und böse Geister nach Wohlgefallen, entweder helfen oder schaden, und nach ihrer Absicht alles mit ihnen machen, was ihnen beliebte. Sind sie nun zwey, drey und mehrmal schwanger gewesen, und weder von einem guten noch bösen Geiste heimgesucht worden; so sollte man glauben, die Erfahrung hätte sie klug gemacht. Alleine die einmal vom Aberglauben eingenommene Weiber finden gleichsam eine gewisse Beruhigung darinn, wenn sie andere auf eine gleiche Art, so wie sie geängstiget worden sind, ängstigen können. Sie betheuern wohl gar, daß ihnen dies oder jenes vorgekommen wäre, welches doch vielleicht nur ein bloßer Traum gewesen ist; erdenken auch wohl etwas, um die junge Wöchnerinn desto eher dahin zu vermögen, daß sie glaubt und folgsam ist.

Es sind eine Menge abergläubische Possen bekannt, die den Menschen noch ehe sie gebohren werden, allerley Unannehmlichkeiten bereiten. Unter der Menge von diesen albernen Meynungen, die manche noch immer für eben so wahr als Gottes Wort ausgeben, sind folgende bemerkbar, die theils vor, theils nach der Geburt eines Menschen ausgekramt werden; ich setze sie untereinander her, wie sie mir beyfallen.

Eine Entbundene soll unter 9 Tagen nicht aus der Stube gehen und ihr Kind nicht allein lassen, weil sonst der Kobold oder ein anderes böses Ding käme, der das neugebohrne Kind austausche, und entweder ein anderes von schlechter Gemüthsart, oder wohl gar einen sogenannten Wechselbald davor hinlege; manchmal machte auch ein solcher böser Geist ein Kind krumm und lahm, oder nähme es gar mit, und hinterließe einen häßlichen Gestank. – Das muß in der That ein bitter böser Geist seyn!! – Man hat aber auch Gegenmittel gefunden, dem schlimmen Pursch von einenm Geist eine tüchtige Nase zu drehen, und ihm das Austauschen oder wegtragen der Kinder wenigstens zu erschweren. Eins davon soll dieses seyn, daß man des Mannes Hosen der angstvollen Wöchnerinn vor das Bett hängt, als wofür die kinderräuberischen Geister einen mächtig grossen Respekt tragen sollen. – Was es doch um eine Hose für ein wunderbares Ding ist! – Andere legen gewisse Kräuter, oder einen alten Besen auf die Thürschwelle, welche eben die Kraft, als die Hosen des Mannes haben sollen, und noch mehr, weil auch in Ansehung dessen, in dem ganzen Haus keine Hexerei haften könne. – Ei! ei! das wäre! –

Daß sich eine Kindbetterinn in den ersten Tagen von allen Geschäften enthält, vorzüglich solcher, die Kräfte erfordern, ist sehr gut; denn durch Anstrengung könnte ihr mancherly Schaden zuwachsen, und zwar vorzüglich Blutstürze, weil die Gebährmutter unter 14 bis 18 Tagen sich noch nicht hinlänglich zusammengezogen hat, die Gefäße derselben noch weit und lax sind, und also bey dem geringsten Zudrang des Bluts, sich noch mehr erweitern und einen Blutsturz verursachen können. Das aber in den ersten 9 Tagen die Wöchnerinnen ängstlich besorgt sind, und sich kaum wagen aus dem Bette zu gehen, ist eben so wenig rathsam; denn die beständige Bettwärme dehnt das Blut immer mehr aus, macht es zur Fäulniß geschickt, und kann zu dem bekannten Kindbettfieber, zu Frießeln und allerley gefährlichen Umständen Anlaß geben, wozu die Furcht auch das ihrige mit beyträgt. Eine Frau die in der Geburt nicht viel gelitten hat, kann, wenn es anders ihre Kräfte erlauben, den vierten bis fünften Tag nach derselben, einige Stunden des Tags sich gar wohl außer dem Bette aufhalten, und leichte Arbeiten verrichten. Hütet sie sich dabey für Aergerniß, Zorn, und besonders für Erkältung; und weis sie die lächerliche Furcht und Angst für Gespenstern, Hexen und dergleichen Possen mit Vernunft zu bezwingen und vernünftigen Vorstellungen Gehör zu geben; so wird sie sehr vergnügte und glückliche Wochen halten. Es ist auch nicht allemal nothwendig, daß sechs Wochen müßen ausgehalten werden, ehe eine solche Frau aus- oder zur Kirche gehe; es kann und darf gar wohl, nach Beschaffenheit der Gesundheitsumstände einer solchen Person, schon in der dritten oder vierten Woche geschehen. Es haben sich in diesem Fall unsere Weiber nicht nöthig nach dem alten jüdischen Gesetz zu richten, das genau 6 Wochen vorschreibt, sondern es hängt ihr Ausgang blos von den Umständen ab, ob sie wohl oder noch unpaß sind, auch muß die Witterung und Jahrszeit eine Ausnahme machen. Das man eine Wöchnerinn innerhalb der Wochenbettzeit für unrein oder unächt hält, ist eine äusserst lächerliche und ungereimte Meynung. Aller schweren Arbeit muß sich eine Kindbetterinnn in den ersten 6 Wochen enthalten, wenn sie sich auch gleich ganz gesund glaubt, weil sonsten die Gesundheit einer solchen Person, die dawider handelt, unvermerkt untergraben werden könnte.

Aus dem Aberglauben, daß die Kinder von einem sogenannten Kobold oder einer Unholdinn könnten ausgetauscht werden ist bey manchen die üble Gewohnheit entstanden, daß sie ihre Kinder mit sich zu Bette nehmen, um den Tausch oder Diebstahl eher zu verhindern; wodurch aber schon manches Kind im Schlaf erstickt, oder im Traum erdrosselt worden ist. Dieses kann auch um so leichter und daher geschehen: eine Frau ist um die Zeit ihrer Niederkunft mit einer sehr lebhaften Einbildungskraft begabt, die sich durch den Aberglauben noch mehr erhitzt, und jedes dadurch erregte Bild auf das lebhafteste vorstellt. Schläft nun eine solche Person, wie es gemeiniglich der Fall ist, mit Furcht und Angst ein, so kann sie schreckhafte Träume bekommen, sich im Schlaf ängstlich hin- und herwälzen, sich vergessen, und in der Phantasie ihr Kind erdrücken oder erdrosseln; man hat auch wirklich traurige Beyspiele daß dies wirklich geschehen ist, ob man dann gleich den im Schlaf unwissend vollbrachten Mord, dem Geist oder dem Gespenst das man im Traum sah, ohne anders zuschreibt. Um also dieses Unglück zu verhüten, soll man nie gestatten daß kleine Kinder von großen oder erwachsenen Personen mit zu Bette genommen werden.

Sogar an dem Tag, an welchem eine Frau ihren ersten Ausgang nach vollendetem Wochenbette in die Kirche macht, um da Gott für ihre und ihres Kindes Erhaltung zu danken, heckt der Aberglaube eine unsinnige und boshafte Meynung aus. Wenn eine solche Frau an diesem Tag nach vollbrachtem Gottesdienst in ein Haus geht, um da eine Freundinn zu besuchen, so soll es in diesem Haus noch selbiges Jahr eine Feuersbrunst geben. – Auf dem Heerd doch wohl nur? – Es ist wirklich unbegreiflich, wie es noch Menschen geben kann, die einer solchen, und mehrern dieses Gelichters, tollhausmässigen Meynung beypflichten; und doch giebt es leider solch unseelige Menschengeschöpfe genug. Eine Freundinn besuchen und Feuer auskommen, welche Verbindung und welche unzertrennliche Gefährden!! Dergleichen Dinge sollten in den Schulen, vorzüglich in den Mädchenschulen erzählet und den Kindern daselbst so viel als möglich, das Unmögliche und Ungereimte davon beygebracht werden, damit der schändliche Aberglaube gestürzt und nicht von Mutter auf Tochter fortgepflanzt würde; denn es ist bekannt, daß der mehrste Aberglaube ohnehin unter dem weiblichen Geschlecht herrscht.

Wenn eine Wöchnerinn über ein Feld- oder Gartenbeet gehet, soll in etlichen Jahren nichts darauf wachsen, und was schon gewachsen ist verderben. – Kann seyn, wenn man etliche Jahre nichts hinpflanzt, und das bereits gepflanzte nicht ordentlich wartet. Ein in D. wohnender Bauer hatte in seinem am Hause liegenden Garten guten Sallat- und Köhlsaaamen gesäet. Er war nicht zu Hause, als die Frau, deren Wochenzeit noch nicht um war, eine Ziege im Garten merkte. Gleich lief sie heraus, und jagte sie fort, und versetzte den andern Tag die Pflanzen. welche sehr wohl gedeiheten, ohnerachtet sie als Sechswöchnerinn über alle Beete gelaufen: Denn es trat fruchtbare Witterung ein.

Wenn eine Sechswöchnerinn einen schwarzen Latz vorlegt, so wird das Kind furchtsam. So würde durch die Farbe des Brustlatzes, welchen die Mutter trägt, auch jeder andere Character des Kindes bestimmt werden können: der rothe, z.B. würde muthige Krieger machen, u.s.w. Aber nein, es sind ganz andere Umstände, welche die Denkungsart des Menschen bestimmen. Erziehung, Unterricht und Beispiele thun zu dem Chraketer alles; ein schwarz, weiß oder anders gefärbter Latz nichts. Wenn eine Sechswöchnerinn zur Kirche geht, kann sie merken, ob sie ins künftige einen Sohn, eine Tochter oder gar kein Kind bekommen werde: Denn wenn der Kirchengängerinn eine Mannsperson zuerst begegnet, soll sie einen Sohn; wenn ihre eine Weibsperson – eine Tochter bekommen: Begegnet ihr aber niemand, so soll sie auch kein Kind mehr bekommen. Wenn ihr zwei Personen zugleich begegnen, soll sie Zwillinge kriegen. Die Erfahrung widerlegt diese und unsere Vorurtheile, und kann sie am besten widerlegen. Denn wie oft begegnen einer solchen zwei, drei und mehrer Personen, ein andermal gar keiner, und der Erfolg ist nie der erwartete. Trift es einmal zu, so wird solch ein Exempel als Beweis aufgestellt; die andern werden, wie es bei dergleichen Fällen gewöhnlich geschieht, vergessen. Ein schwangeres Weib, das Gevatter wird, soll ja nicht das Kind selbst aus der Taufe heben; denn sonst würde entweder das Kind, das getauft ist, oder ihr eignes bald sterben. Gründe könnten nicht angeführt werden, oder sie sind wenigstens sehr nichtig, z.B. man habe sein Lebtage gehört, daß es nicht gut sey u.s.w. Wie oft nehmen Schwangere die Kinder anderer Leute auf den Arm, und es schadet ihen nicht, wie sie selbst glauben: Nur bei der Taufe soll es lebensgefährlich für sie seyn. Endlich soll keine schwangere Frau unter einer Wagendeixel hinkriechen, weil sie sonst über die gewöhnliche Zeit schwanger gehen müsse. Durch Niederbücken und Durchkriechen unter einer Wagendeixel kann sie allerdings unter gewissen Umständen Schaden leiden; aber nicht das, worunter sie sich bückt, sonderb die Biegung und Drückung selbst kann den Schaden verursachen. Wen zwei Kinderstillende Weiber zugleich mit einander trinken, so trinkt eine der andern die Milch ab. Diese Meinung stimmt mit der überein, da man glaubt: Wenn zwei Personen, die zu gleicher Zeit mit einander anfiengen, und aufhörten zu trinken, einer dem andern die Farbe abtrinke. Wie mancher würde blaß von der Tafel aufstehen, wo oft zwanzig auf einmal, auf jemandes Gesundheit die Gläser leeren, wenn letzteres wahr seyn sollte: Und wenn jenes gegründet ist, so wird man vermuthlich bald die Regeln entdecken, mit welchen die eine trinken muß, um der andern den größten Tort zu thun. Ein neugebohrnes Kind darf nicht eher von der Brust trinken, bis es getauft ist; – aber hungern und dursten darf es? Ein Kind darf nicht von der Brust entwöhnt werden, wenn zur Saat geackert wird; sondern, wenn der Acker im Sommer voll Getraide steht, oder im Winter mit Schnee bedeckt ist. – Darauf braucht man also nicht zu sehen, ob die Mutter etwa krank ist, oder andere Umstände das Entwöhnen nöthig machen? Ueber die Wiege des Kindes, wenn es darinn liegt, darf man nichts herüber holen, es kriecht den Herzgespann. Bringt man ein Kind zum erstenmal zu dir, so schenke im 3, 6, oder 9 Schnattereier. Diese stoß dem Kind dreimal in den Mund und singe: Wenn die Henne anfängt zu gatzen, so fange du an zu schwatzen: Da lernt das Kind sobald sprechen – als es Zeit dazu ist. Ein neugebohrnes Kind soll man nicht auf die linke Seite zuerst legen; es wird und bleibt sonst sein Lebetag links – wenn man ihm das Linksseyn sich angewöhnen läßt. Ein Knabe, der gebohren wird, wenn Venus Morgenstern ist, bekommt ein viel jünger Weib als er ist; Ist aber Venus Abendstern, so bekommt er ein älter Weib als er ist. Bei einem Mädchen ist es ganz das Gegentheil. So sollte also der viele hundert tausend Meilen weit entfernte Stern, den man Venus zu nennen beliebt hat, auf Heirathsangelegenheiten Einfluß haben? Der siebente Sohn ist glücklich, etwas zu heilen und zu pflanzen – wenn er die dazu nöthigen Wissenschaften gut lernt. Kinder, am Sonntag geboren, können Gespenster sehen, und sind glücklich. – Welche Gegensätze; Gespenster sehen und glücklich seyn! Wenn ein Kind, nachdem man schon angefangen hat, es zu entwöhnen, wieder an die Brust gelegt wird, so kann es beschreien: – Wenigstens wird es verläumden können, wenn sein Herz böse ist, und man seine Denkungsart nicht bessert. Das am Himmel regierende Zeichen des Krebses, Löwens x. haben auf die Denkungsart und die Schicksale der Kinder Einfluß; aber wie in aller Welt sollte das möglich seyn? Wenn das Kind so zur Welt kommt, daß es das Gesicht oben hat, dann kommt es am Galgen – wenn es ihn verdient hat.


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