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Die junge Marie unterbrach eine Bedienung, kaum daß sie sich entschuldigte. Sie lief der Aufwärterin bis auf die Straße nach. »Was gibt es eigentlich?« fragte sie eilig. »Nichts, was uns beide anginge«, war die rauhe Auskunft. »Mais encore?« beharrte Marie. »Sie haben Madame die Wahrheit gesagt, über Sachen wie gestern nacht? Allerdings saß er dabei.«
»Die Wahrheit, meine Tochter, dir will ich sie sagen.« Sie war lückenhaft zu verstehen, wegen behinderter Zunge. Ebensogut konnte es Absicht sein. »Madame Antoinette bedient sich ihrer Betrunkenheit«, stellte Marie fest. »Die Wahrheit, meine Tochter«, lallte die Frau. »Du amüsierst dich zu oft. Jetzt läufst du sogar aus dem Geschäft, wenn draußen einer winkt. Wer das einmal gewohnt war, läßt es niemals für immer. Eines Tages glaubst du vielleicht, du seiest imstande, dich ehrbar zu verheiraten. Aber nein, deine schlechten Gewohnheiten machen dir einen Strich durch die Rechnung.«
Marie hatte begriffen. Die Drohung betraf scheinbar sie selbst, aber das lag fern, es berührte sie noch nicht. Heute in Gefahr war Madame, was Marie aufrichtig schmerzte. Sie hätte weiter gefragt, wie es mit Lecoing stehe, wieviel er ahne, ob er gewarnt sei. Indessen schritt die Aufwärterin rüstig aus, als hätte sie nie getrunken. Bis sie bei ihren Fremden anlangte, arbeitete gewiß auch die Zunge nach Wunsch. Da Marie keine zweite Minute dem Laden stehlen wollte, kehrte sie um.
Dort war Unheil ausgebrochen. Das frische Brot für den Abend wurde mehrfach verlangt, natürlich war es nicht fertig. Wer konnte dafür? Die Patronne überreizt, der Nachsicht selbst bedürftig, machte dennoch ihren Bäcker verantwortlich. Eigens hatte sie ihn mit herausgenommen, damit ein unzufriedenes Publikum ihn sehen und von seiner Verfehlung überzeugt sein sollte. Er trägt die Jacke übergeworfen, hat an die zwei Stunden bei Tisch gesessen! Als ob nicht ihre eigenen Angelegenheiten ihn so lange aufgehalten hätten, trotz einem Pflichtgefühl, das sie ihn zu unterdrücken zwang. Jetzt aber, auf seine Kosten stellt sie sich unschuldig bei den Leuten. Immerhin klopft sie ihn auf die Schulter, um zu sagen, sein Fehler sei verzeihlich und komme nicht alle Tage vor.
Lecoing, bereit, ihre Autorität zu achten, ist tatsächlich im Zweifel, ob er nichts verbrochen hat. Dies beseitigt keineswegs die Ideen, auf die er ihretwegen verfallen ist, liederliche Ideen, aber sie hat dergleichen veranlaßt. Der Augenblick ist wieder aufgefrischt, als Madame Vogt ihm unheimlich wurde! Hier schwillt ihm die Stirn, er würde sich erzürnen, wenn man in Gegenwart von Kunden, die ihr Recht verlangen, nicht höflich bliebe.
Die vernünftige Camille rät ihm nachzugeben, er sieht es ihr an. Als sie mit einem kleinen Wink nachhilft, entschuldigt er sich bei den anwesenden Personen, die schon um einige vermehrt sind. Er spricht von einem Begräbnis, dem er habe beiwohnen müssen. Seinen Gehilfen, so jungen Burschen, sei ihre Ungewandtheit nicht vorzuwerfen. »Mesdames et Messieurs!! Vous nous tiendrez compte des Services déjà rendus. Quant à moi, je ne flancherai jamais. Le devoir est le devoir.«
Die rednerische Bewegung trug ihm Beifall ein. Das Gesicht der Patronne stimmte zu und besänftigte sich. Camille blickte mütterlich auf ihr Werk: sie hatte Lecoing zur Besinnung gebracht. Maria Piccini denkt: »Ein schöner Mann!« – und strahlt, da sie einen noch schöneren meint, er ist ihr eigen. Im Laden wird man ihn niemals sehen, aber ein großer Abend ist beschlossen.
La propriétaire erließ gnädige Versprechungen, an die Bittsteller, die nach ihrer Situation meistens unter ihr standen. In weniger als einer Stunde könnten sie das frische Brot holen. Weit zu gehen hatte keiner, sie entfernten sich geschmeichelt. Ganz anders Yvonne, ihre Beruhigung verschwand sofort, ihr Gehaben entgleiste schon wieder. Dieser Wochentag, warum gerade er, blieb nun einmal gestört, er war endgültig aus der Regel gefallen. Madame dürstete nach Zusammenstößen, oder war es Hilfe, die sie suchte. Lecoing jedenfalls bekam den Eindruck, sie brauche ihn noch. Als sie, etwas Auffallendes, eigentlich unter ihrer Würde, hinaus vor den Laden trat, begriff Lecoing seinen Irrtum.
Er wollte hinten verschwinden, die Treppe hinab nach der Backstube, nur die junge Marie rief ihn an, sie wußte etwas. »C'est pressé, Monsieur.« – »Was denn, was eilt? Das Brot eilt. Mêlez-vous de ce qui vous regarde, la petite!«
Sie kannte das Mittel, ihn festzuhalten. »Sie haben gesprochen, Monsieur Lecoing, wie der Patron, der Sie sein sollten. Alle bewunderten Sie, auch ich. Vous êtes un homme«, sagte sie, schlank aufgerichtet, gewölbte Büste, besonders aber den tiefroten Mund vorgeschoben, was die Männer, nach ihrer Erfahrung, sinnlich verstanden und gern genehmigten.
Lecoing tat es gleichfalls. »Pas de bêtises, n'est-ce pas«, murrte er unfreundlich, aber sein Blick erwachte. Die Kleine hatte recht zu verlangen: »Cachez vos yeux, et ne comptez pas sur moi pour vous allumer. Es ist wirklich wahr, als Patron möchte ich Sie haben. Sie wären mein Tugendwächter. Il y a des chances, daß ich unter Ihrem Befehl noch eine Weile meine Jungfernschaft behielte.«
»Ta virginité, elle court«, sagte er, ganz ohne den Wunsch hier abzubrechen. Daher begann Marie endlich von der Sorge, die sie herführte. »Ihre Geschichte mit Madame gibt mir zu denken. In der Liebe sind Sie weniger tüchtig als dort unten, mein Junge«, erklärte die Siebzehnjährige dem wuchtigen Vierziger mit der gefurchten Stirn, die sich oben entblößte. »Die Meinung, die Sie von mir haben, ermutigt mich, Ihnen zu raten, daß Sie sich beeilen mögen.«
»Du willst sagen, sie hätte einen anderen?« Er nahm sogleich zurück, was zuviel war. »Natürlich hat sie ihn nicht, aber sie zögert zwischen ihm und mir?« Hierauf dachte sie schlicht: »Quel imbécile!« Aber da er angstvoll fragte: »Welcher ist es?« antwortete sie schonend. »Gar keiner. Habe ich das Gegenteil gesagt?« Unvorsichtig behauptete sie: »Der Garagist in der rue du Congrès ist es nicht.«
»Ah! der.« Er mußte das Kinn auf seine nackte Brust stützen, so groß war sein Schrecken. »Ce mécano-là aura de mes nouvelles«, knurrte er, während sie im stillen sich selbst beipflichtete. »Madame Yvonne hat andere Ideen als einen type quelconque, même très à son aise. Das merkt man an ihrem neuen Interesse für Kobalt.«
Hörbar, obwohl gedämpft, sprach sie: »Sérieusement, Sie sollten sich bei Kobalt erkundigen.« Aber vorläufig war er wütend. »Die Verrückte, meinen Sie? Stumm ist sie auch.« Hierauf die hübsche Italienerin: »Sie irren wieder, ihre Stimme ist kürzlich gehört worden – von Madame Yvonne. Ihnen muß man alles einzeln beibringen.«
Ironisches Mitleid, es traf ihn, er wurde erst richtig aufmerksam, wobei ihr verwirrender Mund seine natürliche Erklärung fand. »Mais elle est prognathe, c'est tout son secret. Avec cela, eile m'aurait presque eu.« Zu spät, sie hatte ihn schon, vermittels ihrer vorgebauten Unterlippe; er sah sich bereit, ihren Eingebungen zu folgen. »Madame verkehrt heimlich mit Kobalt«, begriff er plötzlich. »Obwohl sie vorgibt, sie wüßte nichts von der Person. So ist es, sie erwartet sie!«
Seine Lehrmeisterin staunte nur. »Ein Verstand wie Ihrer braucht keine Nachhilfe. Sie wissen, was bei uns Frauen das gefährliche Alter ist. Wenn ich später, o später, selbst hineinkomme, werde ich es erfahren. Wahrscheinlich sehne ich mich dann nach meiner unbesonnenen Jugend. Ein Rückfall droht mir; nur der Mann, der aussieht wie Sie, und dessen physique hält, was es verspricht, wird sich mir unentbehrlich machen, ja, mich retten. Daher …«
Sie wendete den Hals, die Patronne war zurück im Laden. »Daher, zugegriffen! Nicht denken, Sie erwiesen Gnaden! Sie wollen der Patron werden. Madame Yvonne ist begehrenswert. Tiens! sie ist es mehr als ich. Sie ist nicht nur reif, sondern reif für Sie – heute, Patron, heute!« Hiermit war sie fort, leicht und klug, während Lecoing von Gedanken schwer nach der Backstube hinabstieg.
Im Laden sprach Madame mit einer einzelnen Frau, une pas-grand-chose, ihr Mann arbeitete in den städtischen Gärten; Madame Yvonne, uneingedenk des verschiedenen Vermögens, drang in die Ärmere, ihr das Ausbleiben Kobalts zu erklären. »Drei Uhr vorbei, noch immer keine Kobalt! Sonst ist sie vor zwölf Uhr auf ihrem Rückweg. Sie begreifen, Madame, wenn eine Person täglich vorbeikommt … Auch Sie erinnern sich nicht? Wirklich nicht? Aber Ihr Mann, der immer auf der Straße ist, und Sie bringen ihm das Essen?«
Aus der Frau war nichts herauszubekommen. Die Patronne entließ sie trocken. »Ihr Brot bekommen Sie später.« Alleingeblieben, hielt sie sich an die geduldige Camille, die aber schon vorher bestürmt worden war. »Du bist neugierig, nach jedem Passanten blickt ihr beide aus, du und Marie. Nur Kobalt ist euch entgangen. Ich hatte eine Besprechung nach dem Essen, ihr waret hier und wißt von nichts?«
Marie dachte, während sie das geziemende Gesicht wahrte: »Du, meine Gute, wirst von deiner Kobalt einen schönen Gruß bekommen, denn nicht später als heute abend spricht Lecoing mit dir. Bedanke dich bei mir!« Sie fühlte sich als den guten Geist des Geschäftes, Madame wäre in der Verfassung, einen Gigolo zu nehmen! Um so mehr empfand sie als unverdient, was Madame ihr nunmehr in Aussicht stellte.
»Du wirst heute abend hierbleiben«, sprach Madame mit furchtbarer Milde. »Ich bin deinen Eltern für dich verantwortlich.« Die Eltern kannte sie gar nicht. »Solange sollst du nicht auf Abwege geraten.«
Längst geschehen, bedeutet aber nicht dasselbe, als wenn Madame einen Gigolo nimmt. »Liebes Kind, ich verspreche, auf dich achtzugeben.« – »Ich auch auf Sie, Madame«, hätte Marie gesagt, wäre sie nicht so klug gewesen. Ihr erster Ausgang mit einem neuen Bewerber war verabredet, es hieß den Abend retten.
Sie fragte bescheiden: »Wie lange werden wir heute abend offenhalten wegen Kobalt?« Aber die einfachen Worte besaßen die Gabe, Madame außer sich zu bringen. Keine Spur mehr der Milde, die schon furchtbar gewesen war. Madame rief: »Fais ta dévotion! Tu n'es qu'une créature charnelle.« Eine fleischliche Natur, und soll beten.
Obwohl gewiß wahr, überschritt es das Maß. Maria Piccini hielt sich nicht länger. »Du moins, je ne suis pas une femme à passions, déjà mûre.« Dies kam wirklich aus ihr heraus, aber entstellt vom Schluchzen. Sie drückte den Mund ins Taschentuch und stand abgewendet, es sah halb nach Selbsterkenntnis aus und nur halb nach Protest, so daß es nichts verdarb. Tatsache war: Madame fand ihre Nerven wieder, sie setzte sich hinter die Kasse, eine Notwendigkeit übrigens für ihr Ansehen. Schon wieder trat Volk auf und verlangte Brot.
Es wurde befriedigt, Philippe und Félix erschienen, auf den Armen die erste Ladung. Da alle Hände voll zu tun war, bedienten auch die Jungen. Dem einen genügte der Vorwand, den Damen seinen Hof zu machen. Dagegen der pockennarbige Philippe, die Augen geschärft von nicht erhörter Liebe, bemerkte sogleich, daß Marie geweint hatte. »Du hast Kummer?« fragte er heimlich.
Ihr Gesicht verzog sich, vielleicht, um nochmals von Tränen überzufließen. Es konnte auch sein, daß sie ihn ausgelacht hätte wie gewöhnlich. Das empfangene Mitgefühl überwog. »Nur Undank hat man«, seufzte sie, während sie ein Kind mit dem meterlangen Brot nach der Kasse schickte. Der pockennarbige Junge versprach tief bewegt: »Ich werde dich beschützen, wenn wir verheiratet sind.«
Da bekam er von der Begehrten einen Blick, zuerst riß sie hart die Augen auf, in derselben Bewegung aber wurden sie eng und schimmerten feucht. Die seinen erglühten, ihm stockte das Herz. Unmöglich, sie mißzuverstehen. »Deine Chance ist jetzt«, hatte sie ihm bedeutet. »Unsere Angelegenheit hat nicht Zeit, bis wir heiraten können, weißt du, ob wir uns heiraten?« Von ihrer Kühnheit entfiel ihm seine eigene, er warf die übrigen Laibe auf den Ladentisch und eilte, mehr zu holen.
Sobald im Absatz der Ware eine Lücke entstand, kam die Patronne nach vorn. Obwohl mit vorsätzlicher Langsamkeit, war sie bald genug unter der offenen Tür und hielt den Kopf hinaus, die Straße abzusuchen. Camille, hinter ihr, meinte es gut mit ihrem Trost. »Kobalt ist sicher schon vorüber.« Yvonne erwiderte: »Schweige!« Anders entsprach sie den Worten der jungen Marie. Diese gebrauchte eine Wendung aus ihrer Sprache: »Un giorno come questo non si muore.« So schönes Wetter, da wird nicht gestorben.
Yvonne war gerührt: – weil ein fremder Volksmund ihre Sorge zerstreuen wollte? Oder über die créature charnelle, die mit ihr empfand; sie wußte nicht. Laut zu antworten, verbot sich ihrer bedrängten Kehle; tonlos sprach sie vor sich hin: »Der Tag ist zu schön, um zu sterben. Das sagt man, stirbt aber auch heute. Hätte ich nur nicht dieses Vorgefühl, daß etwas ihr zustößt! Kein Vorgefühl eigentlich, denn es ist geschehen: ich vernahm ihre Stimme.«
Endlich konnte sie sagen: »Lange warte ich nicht mehr, bis ich den Kommissar benachrichtige. Mich wundert nur, daß noch niemand es getan hat. Alle Nachbarn kennen Kobalt und ihre Pünktlichkeit, die kein Verdienst ist; wer hielte sie zurück, wo könnte sie verlorengehen. Gleichwohl ist sie in eine Falle gegangen oder hat sich verkrochen; mag sein aus Verzweiflung.«
So sprach Yvonne zu den Mädchen. Nicht eine Silbe hätte sie ihnen anvertraut, am Morgen, als sie das trockene Brot hinauslegte – für die Hunde. Noch lag es da, womit nichts bewiesen war; Kobalt ließ liegen, was nicht ihr eigen, man hätte ihr denn gesagt, sie solle es nehmen. Aber die ganze Frage schied aus. Kobalt war nicht vorbeigekommen.
Eine weitere Stunde verstrich und wieder eine. Die Kunden kamen und gingen, zahlreicher, schien es, als sonst, die Fächer mit Brot leerten sich früher. Yvonne war viel in Bewegung, geschäftig und ernst, vom Laden nach der Küche, um selbst das Abendessen zu besorgen, sowie hinunter in die Backstube, wo sie bekanntgab, daß heute nicht vor acht geschlossen werde. Alle sollten zum Abendessen bleiben.
Bei jeder Rückkehr in den Laden war sie auf Neuigkeiten gefaßt, sei es, daß gerade diesen Augenblick der Rahmen der Tür die ersehnte Gestalt umspannte oder daß sie, schaurig zu denken, von der Ambulanz hinweggefahren wurde. Yvonne wäre nicht hinausgestürzt, hätte keinen der Leute gefragt, wen sie ablieferten: ihr wäre es bekannt gewesen.
Nach dem grausamen erschien ihr jedesmal ein mildes Bild. Der Gegenstand ihrer Gedanken war da, war eingetreten – von selbst; hatte das Brot vor der Tür erblickt und alles verstanden. Es ist unbekannt, ob die selbstbewußte Herrin des Ladens der elenden Gestalt um den Hals gefallen wäre.
Indessen geschah nichts, das Befürchtete so wenig wie das Erhoffte. Nur, daß die Passanten von der Straße verschwanden, da überall die Suppe auf den Tisch kam. »Auch bei uns«, bemerkte Yvonne, ohne die übliche Genugtuung. Sie hieß ihr Personal mit Essen anfangen; sie habe noch zu schreiben. Wirklich saß sie hinter ihrer Kasse, die Hand auf einem Blatt Papier, und prüfte sich.
»Hat sie mich gewarnt? Als ich ihre Stimme hörte, war es nicht doch, daß sie mir raten, vielmehr gebieten wollte – was? In Würde zu altern, wie sie. Ja, wie sie, die standhaft bleibt, et sa constance est méritoire. Dieu le sait. Törichte Welt, die sie verrückt nennt! Ich will ihr das Leben leichter machen – hätte früher damit anfangen sollen, aber wann nimmt einer sich des anderen an? Wenn er ihn erkennt. Das geschieht nur durch ein Wunder.«
Soweit ihre Klarheit. Was ihr Geist überdies beifügte, war Träumerei und schwach bewußt. Etwas schwebte an ihr vorbei, von einem Leben schwierig, fremd, bis zum Gespenstischen fein, aber ermächtigt einzuwirken auf ihr eigenes, robustes, einfaches. Wer spricht? Bäckerin Vogt, Bankkredit achtbar, wenn hiervon die Größe einer Seele bestimmt würde. »Ich und mein Haus, lauter gewöhnliche Leute, sind heute ihr unterworfen, alle horchen wir auf ihre Stimme, während wir die Suppe schlürfen.« Den Satz brachte sie, wenigstens ihr verständlich, hervor. »Je me comprends«, sagte sie.
Hierauf beschrieb sie das Blatt. »Madame!« redete sie die Erscheinung an. Der wahre Name fiel ihr gerade jetzt nicht ein, mag sein, sie hatte zu innig gedacht. Den Spitznamen konnte sie nicht brauchen. »Madame, de grâce, gehen Sie an dieser Tür nicht vorüber! Treten Sie ohne Zögern ein, sie bleibt nur Ihretwegen offen. Ich muß Ihnen etwas sagen: Sie, das wissen Sie wohl, sprachen zu mir schon. In Erwartung, Ihre alte Freundin. Gezeichnet: Yvonne.«
Sie ließ den Brief unverschlossen, sie suchte nach einem frischen Brot. Da im Laden keines mehr vorhanden, holte sie das letzte nicht angebrochene vom Eßtisch. Niemand fragte. Sie schlug es in Seidenpapier; mit einer seidenen Schleife befestigte sie obenauf den ausgebreiteten Brief. Den Tisch schob sie noch weiter vor, auf die Straße.