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Zurück ist der Inhaber der drei Namen, an die niemand glaubt, und der beiden Mappen, denen man trauen kann. Ist er auf leisen Sohlen gekommen? Aber beim Streicheln der Hand, dem Gleiten einer Träne hätten sie ihn ohnehin übersehen, und es ist dunkel. Er reißt den Wagenschlag auf. »Ah!« machten beide. Er sagte, während er auf den Sitz fiel: »Versucht nicht erst euch zu wundern. Wenn ich verschwinden wollte, ließe ich das Geld hier, ihr wißt es. Das kleine Café der Sackgasse hat einen zweiten Ausgang, ins Freie.« – »Bedolle?« fragte Léon Jammes den Chauffeur, der auch wieder da war. »Wir kennen die Hintertür«, meldete Bedolle.
Während er seinen Platz einnahm, berichtete er hinsichtlich des zweiten Wagens: »Chopard wird hier stehenbleiben, bis jemand einsteigt, gleichviel wer.« Schon fuhr er, aber das Ziel, der heftige Lichtkegel, der unterhalb des Pflasters zu entstehen schien, befand sich im Gebiet des nächsten Häuserblocks, keine hundert Meter weit. Alsbald gelangte man in den Lichtkegel, der blendete. Zum Wagen hinein, noch bevor er stand, wurde gesprochen, man sah nicht gleich, von wem.
Dann erkannte man zwei entblößte Mädchen, silbern pailletiert, gut hergerichtet, nicht nur das Gesicht bitte. Aber die Töne der Gesichter, rosige, bläuliche, auch ein Tiefblau unter den Brauen, der karminrote Mund, aber inmitten die gepuderte Nase, alles war kundig abgestuft im Sinne des gelben Gelocks, wogend um schimmernde Schultern; die Komposition rief nach der Coiffure aus Federn und bestirntem Schleier. Auf der Hand hätte das Ganze so gut wie nichts gewogen. Harmlos spielten darin nächtliche Lüftchen.
Ein Riese, viel schwarze glatte Haut, immerhin eine Badehose, schwang über den zarten Wesen, um sie gegen die Witterung zu sichern, einen Papierschirm groß wie ein Teller. Die Ankommende, noch soeben unter ganz verschiedenen Eindrücken, unvorbereitet auf Erscheinungen der Art, aber, ihnen nicht von jeher fremd, erfährt eine traumhafte Sekunde lang ihre Zurückversetzung – wohin? Aufschluß würde die Straße gehen; ist sie noch dieselbe wie am Nachmittag? Verstaubt, verschollen, ohne Anspielungen, außer wenn alter Besuch kommt?
Man sieht nicht. Der Scheinwerfer aus dem wieder eröffneten Keller trifft die anfahrenden Gäste in die Augen. Ein guter Trick, blind sind sie ausgeliefert, einem Zauber, der nicht viel verspricht. Die gegebenen Zeiten und Sitten sind weder sorglos noch phantasievoll. Einige commerçants des Viertels werden Neuigkeiten erwarten; wenigstens sie sind in Sachen ihres Vergnügens nie enttäuscht, da sie es nach ihrer Art behandeln, wie jedes andere Geschäft. Es wären Glückliche, hätten sie nicht außer dem Vergnügen manchmal die Reue zu bezahlen.
Diese Betrachtungen, einschließlich von Gratisausflügen auf soziales Gebiet, finden alle noch statt, bevor der Wagen zum Halten kommt. Zwischen zwei Umdrehungen der Räder begreift einer viel, wenn er dieselben Wahrheiten wie schon oft begreift. In diesem und in jedem Wagen fährt mit ihnen die Welt, die sie gelebt haben.
Eine Herzogin steigt allerdings nicht besser aus als die Kundin, die mit diesem Titel angesprochen wurde von den beiden robes pailletées. »Duchesse, ma divinité! on vous attendait. Nous autres, on a beau être belles, c'est à vous d'avoir grand air.« Worauf die andere eine rauhe Stimme hören ließ, aber mit den Armen einer Sylphe versuchte sie ihre Heldin in Empfang zu nehmen.
»Que je vous embrasse, mon adorée. Vous savez qu'ici les femmes font des mille et des cents. Devant vos charmes, je m'écroule.« Zwei Stimmen, eine heisere, eine gelle: »C'est nous, vos ouvreuses de portière.« Zwei ausgestreckte Hände, in die ein Begleiter Geld legen sollte.
Sie wies, mit einer ihrer Schultern nur, nach ihrem Begleiter im Wagen, der sich unbeteiligt stellte. »C'est lui. Il fait semblant de ne pas comprendre. Ça viendra, vous ne perdrez rien d'attendre.« Die lieblichen Bettlerinnen senkten die erwartungsvollen Hände. »Oh! cette voix. Je la reconnais entre toutes«, sagte die Längere, entzückt ohne jede Barzahlung. Die zweite gab allerdings zu bemerken, im Augenblick seien sie hereingefallen, geradezu neese. »On se fout de nous, il n'y a pas à dire.« Aber sie meinte nicht Kobalt, wie sie die Herzogin im stillen nannte. Sie meinte den Ungezogenen, den Kobalt mitbrachte.
»Ce soir vous sortez un mal élevé. II n'est pas fichu de nous respecter«, sagte sie von dem Herrn mit den beiden gekrönten Mappen, der seine Mißbilligung deutlich vorführte. Nicht allein, daß er sitzenblieb und nur unwillig seiner Patronne das Aussteigen erlaubte. Noch weniger fiel es ihm ein, Geld sehen zu lassen. Tatsächlich, für wen? »Pour ces poules d'occasion que je ne connais même pas.« Ohne die beiden einer Anrede zu würdigen, verwies er sie dennoch an den Herrn von der Polizei, mit ihm hätten sie öfter zu tun. »Dich läßt er keinen Schritt allein«, wurde ihm erwidert.
Léon Jammes verschob die gebotene Auseinandersetzung mit dem unlustigen Gast, bis er die Damen, alle drei, vom Wagen entfernt und sie der Obhut des Negers empfohlen hatte. Die beiden Verkehrsdamen nahmen ihre Herzogin Kobalt in die Mitte, vor dem Keller warteten sie, bei lebhaftem Austausch. Dies vollbracht, stellte Léon Jammes sich vor dem offenen Wagenschlag auf. »Sprechen wir!« befahl er. Da der andere grinste, gab er unvermittelt nach.
»Sie dürfen schweigen, Leslie. Was vorgeht, berichte ich selbst. Als ich Sie vor dem Gebäude der Bank überraschte, steckten Sie hinter meinem Rücken Ihrem Chauffeur einen Zettel zu, an den Comte X. Sie wußten noch nicht, daß Bedolle für mich arbeitet. Durch meinen Chopard hat Ihr Freund das Briefchen erhalten.« – »Kein Freund«, knurrte Leslie. »Aber Krapotnikoff! Sie verlassen eine Sache, nun sie siegt?« – »Sie siegt nicht«, behauptete Krapotnikoff. »Die Verschwörer sind zu leichtgläubig. Monsieur le Comte war sogleich einverstanden, in das sinistre Sackgassen-Café zu schleichen, damit ich ihm eine unbestimmte Anzahl von Millionen einfach überreiche.« – »Sie haben ihm gesagt, er müsse sie stehlen.«
Pause. Offener Mund. »Woher haben Sie das?« – »Wollten Sie sich oder ihn vor Laplace rechtfertigen?« Die Frage enthielt Anerkennung, ein gewisses Wohlwollen klang mit. »Dies nannten Sie ihm als Grund. Er war wieder leichtgläubig. Er hat nicht erraten, daß auch ich zur Stelle sein werde und daß Sie sich rächen wollen.« – »Rache kommt immer unerwartet. Dabei ist sie die Sache selbst.« – »Der Sinn Ihrer Tätigkeit?« – »Ich habe noch keinem Menschen seine Beleidigungen vergessen.« Der Mann ohne Namen hat bestimmt nicht beabsichtigt, dies Gesicht zu zeigen, den böse gewundenen Mund, die unheilvoll verfärbte Haut mit scharf eingerissenen Zügen. Der andere folgte der Verwandlung das erste Mal, sie befriedigte ihn.
»Gut. Ich sehe«, sprach Léon Jammes. »Sie sind der Mann, der das Gedächtnis für seine Demütigungen, besonders die selbst zugefügten, mit sich durch das Leben führt.« Der längst Bekannte verstand nicht gleich, ihm war der Kopf durchgegangen, man hätte ihn umsonst gefragt, wo er war. Gewiß hörte er aus dem Keller den Lärm nicht, unterschied vor dem Keller, in dem heftigen Kreis weißen Scheines die Gestalten nicht. Jede muß ihm den Eindruck gemacht haben, als drehte sich mit ihr der Boden. Er hatte funkelnde Augen ohne Besinnung, lehnte über sein Sitzpolster aus dem Wagen, der ihm fremd war – er sprach nicht länger.
Aber der Erscheinung, draußen ihm gegenüber, die er auch nicht unterbrachte, hätte er jedes Geheimnis anvertraut. Anstatt der Sprache kam ihm ein Weinkrampf – nur kurz, eher angedeutet, aber echt nach dem Urteil des Beobachters. Léon Jammes ließ dem Anfall seine Zeit. »Ein unbeherrschter Knabe«, dachte er. »Noch eine Minute, ich werde die Wahrheit wissen, man wird gefügig geworden sein.« Er begann sachlich, ohne sein Dazutun wurde der Ton menschlich. »Sie haben das nicht oft, und es ist zu entschuldigen.« Der ältliche Knabe versuchte sich schon wieder in Ironie. »Seelenforscher Ihrer Art geleiten den Patienten auf leisen Wegen zu der Mauer, wo das peloton d'exécution schon seiner harrt.«
»Sie verkennen die Lage – oder verlangen Sicherheiten. Ich muß Sie laufen lassen, mein Lieber.« Leichthin gesagt, Biederkeit war vermieden. – Der andere: »Dafür daß ich Ihnen einen Schurken ausliefere. Bedenken Sie auch, daß geschossen werden kann?« Achselzucken des Psychologen vom Deuxième Bureau. »Sie wünschen Sicherheit für sich, aber Ihrem Feind soll sein Ende sicher sein. Sie sind im Hassen eine Nummer eins, hier indessen hassen Sie noch etwas mehr als den Menschen, der Sie mißbraucht, um sich zu retten. Spät genug sind Sie dabei, gutzumachen an einer Frau. Sie haben Gedächtnis, nicht für fremde Untaten allein.« – »Ob ich meine kenne!«
Diesen zweckdienlichen Gedanken gewährte sein Verbündeter ihm eine Weile, bevor er weiterging. »Es fügt sich, daß Sie Ihre alten Untaten aufheben wollen. Mit der Frau, die Sie verlassen und bestohlen haben, meinen Sie es gut und treu. Die eine Schande wird nicht mehr existieren, was sonst auch schändlich wäre; da platzt ein sinnloser Comte X hinein, will, daß Sie dasselbe noch einmal tun, nochmals die Frau bestehlen, sie verraten wie vor Zeiten.« – »So nicht«, sagte der bleiche Mensch, inständig, aber still – das war er hier zuerst.
Er sagte: »Die Frau, die uns beide beschäftigt, ist seit damals geschwächt, älter, kränker; sie wird es viel mehr nicht werden. Ich hätte gerade noch den Tag genutzt.« – »Ich auch«, sagte Léon Jammes und betrachtete seinen unverhofften Gefährten, wie bleich er war. »Es ist sein Herz«, dachte er. »Meine Leber wird mir eine schlechte Nacht machen.« Körperliche Folgen eines seelischen Ergebnisses, das zwischen ihnen eine Gemeinschaft herstellte – sie mußten einander betrachten.
»Sollten wir verliebt sein?« fragte einer von ihnen. Wer, beachteten sie nicht; gedacht hatten es der eine wie der andere, sie vergaßen zu erstaunen über die unerlaubte Vertraulichkeit. Ihre amtlich gebotene Gegnerschaft fand sich unterbrochen, dazwischen trat die Frau, die heute da war, aber wer ist sicher seines Morgen? Der Abenteurer sagte zu dem Regelmäßigen: »Was man nicht alles Liebe nennt! Wir lieben auch einen letzten Tag, und Krieg ist heute ausgebrochen.« Als ob er sich erinnerte.
Erinnert sich der Regelmäßige: »Eine Person, die nicht mehr sein wird, aber noch treibt sie Menschen um, Dinge um, ist wie ein letzter Tag. Gewiß fühlen heute für sie noch andere und fragen nicht.«
»Merkwürdig«, sagte einer. Dasselbe »étrange« sprach der andere aus. Beide setzten ihren Ton unten an und endeten hoch.