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13

Na, das nicht gerade. Lieb haben soll sie mich. Aber ich wünsche, daß ich sie nicht kriegen soll.«

»Der Vater soll dagegen sein?«

»Ja. Das Mädchen soll ganz närrisch auf mich sein, der Vater aber das Gegentheil. Ich will sie nämlich aus dem Harem entführen.«

»Entführen!« kicherte sie, und die Andere stimmte mit ein. »Also darum frugst Du mich wohl, ob ich in einem Harem sei?«

»Ja.«

»Würdest Du mich entführen?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Ich denke. Du liebst mich!«

»Ja, ich bin Dir freilich gut; aber das ist nicht die Hauptsache. Wenn ich Dich bekommen kann, mag ich Dich nicht haben. Es muß schwer sein, sehr schwer!«

Die beiden Mädchen blickten sich an. Sie kämpften mit dem Lachen, welches gewaltig herausplatzen wollte, doch gelang es ihnen, es zu unterdrücken.

»Es ist bei uns schwer, sehr schwer,« antwortete die Eine.

»Wirklich? Inwiefern denn sehr schwer?«

»Wir sind eingeschlossen.«

»Das thut nichts, gar nichts. Uebrigens sehe ich nichts davon, daß Ihr eingeschlossen seid.«

»Inwiefern?«

»Nun, Ihr lauft ja hier ganz frei herum!«

»O, das ist nur zum Scheine. Wir werden von Weitem sehr scharf beaufsichtigt.«

»Auch das thut nichts. Ich brauche Euch nur nach meiner Yacht zu führen, so ist die Entführung fertig.«

Das geht nicht so leicht, wie Du denkst. Der Bey von Tunis will uns kaufen; wir sollen seine Frauen werden. Wir werden bewacht, ohne daß Du es bemerkst. Du würdest mit uns Dein Schiff nicht erreichen.«

»Nicht? Hm, das gefällt mir.«

»Ja, wir könnten nur aus unserer Wohnung in der Stadt entführt werden. Aber unser Vater ist sehr wachsam und streng. Er würde Dich tödten, wenn er Dich dabei erwischte.«

»Tödten? Schön, sehr schön! Das gefällt mir!«

»Und sodann ist noch ein Hinderniß vorhanden. Ich lasse mich nämlich nicht allein entführen.«

»Nicht? Warum nicht? Soll ich etwa alle Zwölf, von denen Du sprachst fortschaffen?«

»Nein, denn neun davon sind Weiber und auch alt.«

»Da mögen sie bleiben, wo sie sind.«

»Aber wir drei Andern, wir sind Schwestern. Wir haben uns lieb. Wir haben uns gegenseitig zugeschworen, uns nicht zu verlassen. Wer nicht gleich alle Drei nimmt, der bekommt gar keine.

»Verteufelt, verteufelt! Alle drei!« schmunzelte der Lord. »Ihr seiet ja die richtigen Wetterhexen!«

»Nicht wahr, diese Bedingung ist schwierig, so schwierig, daß Du nun von mir gar nichts wissen willst?«

»Was Du denkst! Grad diese Bedingung ist mir die allerliebste. Aber wie steht es mit der dritten Schwester? Ist sie jung?«

»Sie ist die jüngste von uns.«

»Und schön?«

»Sie ist ebenso die Schönste von uns.«

»Gut, gut, ausgezeichnet! Also ich habe Euch alle Drei.«

»Giebst Du uns Dein Wort und Deine Hand darauf?«

»Ja. Hier ist Wort und Hand. Aber, Kinder, sagt mir nun auch, warum Ihr Euch überhaupt entführen lassen wollt. Eigentlich kommt mir Eure Bereitwilligkeit doch ein Bischen verdächtig vor.«

»Wie kannst Du das sagen! Der erste und eigentliche Grund ist der, daß wir Dich lieben.«

»Das geht, das lasse ich gelten. Weiter!«

»Zweitens ist unser Vater ein Tyrann.«

»Der Esel!«

»Er giebt uns zu wenig zu essen.«

»Na, sehr verhungert seht Ihr nicht aus!«

»Nichts zu trinken!«

»Und doch trinkt Ihr das Wasser der Liebe!«

»Heimlich, ganz heimlich nur!«

»Ach so! Und drittens können wir uns mit seinen Weibern nicht vertragen. Sie sind alt und zänkisch und klatschsüchtig. Sie hassen uns, weil wir jung und hübsch sind. Darum thun sie uns so viel Aerger an, wie ihnen nur möglich ist.«

»Gut! Also fort von den alten Nachthauben!«

»Und endlich gefällt es uns nicht, daß wir den Bey von Tunis heirathen sollen.«

»Wie? Das gefällt Euch nicht? Tausend Andere würden sich darnach sehnen. Er ist ja der Reichste, Größte und Vornehmste im ganzen Lande.«

»Ja, bis heut waren wir damit ganz einverstanden. Nun aber sind wir es nicht mehr.«

»Warum nicht mehr?«

»Weil wir Dich gesehen haben.«

»Macht keine Faxen!«

»Wir lieben Dich.«

»Ist das wahr, he, wie?«

»Wir haben es Dir ja bereits zugeschworen.«

»Das ist für mich sehr erfreulich. Aber, Kinder, sagt mir doch zunächst einmal Eure Namen. Ich weiß ja gar nicht, wie ich Euch nennen und rufen soll.«

»Das dürfen wir nicht.«

»Ah, warum nicht?«

»Es ist uns verboten.«

»Unsinn! Euch Weibern ist Vieles verboten, was Ihr dennoch thut! Ja, Ihr thut es gewöhnlich nur deshalb, weil es eben verboten ist.«

»Nenne uns lieber so, wie Du willst!«

»Das ist romantisch, und darum gefällt es mir. Also will ich darauf eingehen und Euch die Namen geben. Ich sitze da zwischen Euch und komme mir dabei vor wie der Erzvater Jacob, welcher ja auch zwei Schwestern mit sich in die Heimath nahm. Wie diese beiden Schwestern sollt Ihr heißen. Du rechts Rachel und Du links Lea. Seid Ihr damit einverstanden?«

»Ja,« antworteten Beide unter einem herzlichen Lachen.

Er ahnte nicht, daß er gerade ihre richtigen, eigentlichen Namen getroffen hatte. Sie waren Jüdinnen, was sie ihm aber nicht verrathen wollten.

»Schön!« fuhr er fort. »Nun laßt uns also einmal recht ernsthaft von unserem Vorhaben sprechen. Habt Ihr vielleicht die Ansicht, daß ich Euch ganz mit mir nehmen soll?«

»Ja, natürlich.«

»Und Euch dann heirathen?«

»Nun, etwa nicht?«

»Kinder, das geht nicht. Ich darf als Christ keine Türkin heirathen, und Zwei darf ich vollends gar nicht heirathen. Das wäre eine schöne Geschichte. Also merkt wohl auf: Entführen will ich Euch recht gern und mit dem größten Vergnügen, heirathen aber kann ich Euch nicht.«

»Das schadet nichts!«

»Wie?« fragte er erstaunt. »Das schadet nichts?«

»Nein, gar nichts.«

»Aber, Kinder, das ist doch wunderbar! Ich denke, daß Ihr vor Entsetzen ganz außer Euch gerathen werdet, und nun sagt Ihr in aller Ruhe, daß es nichts schadet!«

»Was soll es denn schaden?«

»Wenn ich Euch nicht heirathe? Hm!«

»Es giebt doch Andere, viele Andere!«

»Donnerwetter!« platzte er heraus.

»Ist das nicht wahr?«

»Ja, wahr ist es. Also Ihr meint, daß ich Euch entführen soll, damit Andere Euch bekommen?«

»Ja.«

»Ich soll also für Andere die gebratenen Kastanien aus dem Feuer holen?«

»Willst Du nicht? Dann laß uns im Harem sitzen, oder heirathe uns.«

»Verteufelt, verteufelt! Recht habt Ihr freilich. Aber Ihr dauert mich, und ich bin einmal auf dieses Abenteuer erpicht. Ich werde Euch also entführen.«

»Wann?«

»Das bestimmt Ihr lieber selbst.«

»Bald oder später? Welches von Beiden ist Dir lieber?«

»Sehr bald. Am Allerliebsten noch heut!«

»Noch heut? Wie denkst Du, Lea?«

»Hm! Wie denkst Du, Rahel?«

»Ich denke, daß es schwierig sein wird.«

»Ja, aber möglich ist es doch.«

»Ja, wenn die Andern alle schlafen.«

»Eher nicht. Aber jetzt läßt sich darüber noch gar nichts bestimmen. Wir sind jetzt nicht daheim. Wenn wir nach Hause kommen, ist vielleicht an der Ordnung des Harems etwas geändert.«

»Was sollte da geändert sein?« fragte der Lord.

»Nun, vielleicht erhalten die Alten den Besuch anderer Haremsfrauen. Dann wäre die Entführung unmöglich.«

»Ach so! Dann rathe ich Euch, nach Hause zu gehen und Euch zu erkundigen.«

»Das ist das Allerbeste. Aber wie können wir Dir Nachricht geben?«

»Das weiß ich nicht. Das müßt Ihr wissen.«

»Du hast Recht. O, wenn Du doch unsern Vater besuchen könntest. Dann ließ sich Vieles machen.«

»Empfängt er denn keine Besuche?«

»Sogar sehr oft. Aber leider liebt er die Ausländer nicht, und die Engländer am Allerwenigsten.«

»Da ist er der größte Esel, den es geben kann.«

»Ja sehr politisch ist unser Vater nicht – aber geizig, sehr geizig und das ist vielleicht der Punkt, an welchem Du ihn anfassen könntest.«

»Wieso?«

»Du müßtest ihm einiges Geld zuwenden.«

»Ein Backschisch geben?«

»O nein, nein! Ein Backschisch giebt man nur einer untergeordneten Person. Damit würdest Du ihn so beleidigen und erzürnen, daß unser Plan für immer und ewig unausführbar sein würde.«

»So wollen wir es unterlassen. Was ist denn eigentlich dieser alte Isegrimm?«

»Juwelenhändler.«

»Sapperment! Also reich?«

»Steinreich.«

»Hm! Hat er einen Laden, so daß man ungenirt zu ihm gehen kann?«

»Nein. Das ist ja eben der leidige Umstand. Er hat sich vom Geschäft zurückgezogen. Er kauft und verkauft nur noch aus reiner Liebhaberei. Viele von Denen, welche zu ihm kommen, werden fortgewiesen. Er zeigt keinem Menschen seine Schätze, seine Kostbarkeiten. Er thut ganz arm. Er bringt nur wenige und einzelne Sachen. Das sind aber stets Seltenheiten. Wer das kennt und versteht, der ist sein Mann.«

»Hm! Auch ich liebe die Raritäten!«

»Wolltest Du es versuchen?«

»Ja.«

»Aber solche Seltenheiten sind sehr theuer!«

»Ein Königreich werden sie doch nicht kosten.«

»So merke Dir! Du mußt ihn bei dieser seiner schwachen Seite anfassen; Du darfst nicht handeln und feilschen; dadurch gewinnst Du seine Achtung und Theilnahme. Vielleicht ladet er Dich gar ein, mit in den Hof zu gehen und den Kaffee zu trinken.«

»Ist das so eine Auszeichnung?«

»Ja. Er thut das höchst selten; mit einem Franken hat er es überhaupt noch nie gethan. Erhältst Du aber diese Einladung, so haben wir gewonnen.«

»Ah! Wieso?«

»Wir können Dir dann mittheilen, wie Du uns aus dem Harem bringen kannst. Nämlich hinter dem Platze, an welchem der Gast zu sitzen pflegt, ist ein Gitter, für die Frauen bestimmt. Dahinter werde ich mit den Schwestern stecken. Steht der Vater einmal auf, um sich für kurze Zeit zu entfernen, wozu wir ihm Veranlassung geben werden, so sind wir allein und werden Dir durch das Gitter den Plan mittheilen.«

»Sehr gut ausgedacht! Weiberlist über Alles ist! Wenn er sich aber nicht entfernt?«

»So stecken wir Dir einen Zettel zu, auf welchem alles Betreffende zu lesen ist.«

»Schön! Wie heißt er?«

»Ali Effendi. Aber Du darfst keinem Andern seinen Namen nennen und auch Niemand nach ihm fragen.«

»Warum nicht?«

»Das würde uns vielleicht verrathen. Du trägst eine auffallende Kleidung. Wenn wir drei Schwestern verschwunden sind, darf kein Mensch ahnen, wohin wir uns geflüchtet haben.«

»Aber wie finde ich seine Wohnung, da ich nicht nach ihm fragen darf?«

»Du folgst uns Beiden von Weitem. Da, wo wir eintreten, wohnen wir natürlich.«

»Richtig. Ich komme dann nach.«

»Aber nicht eher, als bis es vollständig dunkel ist. Sonst sieht man uns hinter dem Gitter sitzen. Jetzt laß uns trinken und dann gehen.«

Sie machten die Flasche leer, da er sich weigerte, noch einmal zu trinken. Dann wurde aufgebrochen.

Die beiden Mädchen gingen nach dem See und ließen sich überfahren. Auch er nahm einen Ruderer. Da er jetzt wußte, daß diese Leute Französisch und Italienisch verstehen, machte es ihm keine Mühe, sich mit ihm verständlich zu machen. Er stieg an das Land gleich nachdem die beiden Schönen den Kahn auch verlassen hatten.

Sie hatten sich jetzt verhüllt, zogen aber dennoch die Blicke vieler der Begegnenden auf sich. Der Lord ahnte den Grund nicht. Er murmelte wohlgefällig vor sich hin:

»Alle, Alle gucken sie auf diese Beiden! Sie sind sehr schön! Und wem werden sie gehören? Mir! Alle tausend Teufel! Ich habe niemals geglaubt, daß solche schöne Kinder, noch dazu tunesische Orientalinnen sich in mich verlieben könnten! Wie es scheint, bin ich trotz Alledem kein so übler Kerl.«

Natürlich zog auch er die Blicke der Vorübergehenden aus sich, doch machte er sich nichts daraus. Er folgte den Mädchen, die sich gar nicht nach ihm umsahen, durch mehrere der engen, winkeligen Gassen und Gäßchen, bis sie in eine Thür eintraten.

Erst da wendete Rahel den Kopf und nickte ihm zu. Er ging in gleichgütiger Haltung vorüber, als ob das Haus ihn nicht im Mindesten interessire, betrachtete es sich aber doch sehr genau.

Die Vorderfront sah aus wie eine alte, baufällige, hohe Mauer. Sie hatte kein Fenster, keine einzige Oeffnung als die Thür allein. Das war Alles, was er erblickte. Aehnlich war das Nachbarhaus gebaut, neben welchem ein enges Gäßchen einbog. Er ging in dasselbe hinein. Jedenfalls befand sich da ein Garten; doch war die Mauer desselben so hoch, daß er nicht darüber hinweg zu blicken vermochte.

»Das ist höchst merkwürdig!« meinte er zu sich. »Durch die Hausthür werde ich sie nicht entführen können! also geht es nur nach hinten hinaus und durch diesen benachbarten Garten. Woher aber die Leiter nehmen, die dazu nothwendig ist? Na, ich werde ja erst hören müssen, was die Mädchens dazu sagen.«

Er prägte sich die Gasse und das Haus ganz genau ein, so daß er sicher war, Beide des Abends zu finden. Bis dahin war es gar nicht mehr lang. Er suchte ein Kaffeehaus auf, welches in europäischem Style eingerichtet war, und rauchte und trank dort, bis das Licht des Tages sich zurückgezogen hatte.

Nun brach er auf. Es war ihm doch ein wenig eigenthümlich zu Muthe. Nicht etwa, daß er sich gefürchtet hätte; o nein, Furcht oder Angst kannte er nicht; aber er fühlte eine innerliche Spannung, welche sogar einer kleinen Beklemmung ähnlich war. Und das war ja auch kein Wunder. Endlich, endlich sollte sein Herzenswunsch in Erfüllung gehen: die Entführung aus dem Serail! Und nicht nur Eine sollte er entführen, sondern gleich Drei wollten ihm folgen. Eine immer schöner und jünger als die Andere. Was würden Normann und Wallert dazu sagen!

Diese Gedanken gaben ihm so viel Selbstgefühl, daß er sich hoch aufrichtete und den Cylinderhut weit in den Nacken schob. Er fand dir Gasse und das Haus. Die Thür war von Innen verschlossen. Er klopfte.

Er war neugierig auf diesen Ali Effendi, den Vater der drei Mädchen, die ihm entführt werden sollten. Er hatte das Klopfen zu wiederholen, dann hörte er einen schlürfenden Schritt, und die Thür wurde nur so weit geöffnet, als es eine eiserne Sicherheitskette zuließ, welche innen angebracht war.

»Ziaret-damalar-de?«

Diese türkische Frage wurde von einer rauhen, schnarrenden Frauenstimme ausgesprochen. Zu Deutsch heißen die Worte: »Besuch bei den Damen?« Zum Glück oder vielmehr zum Unglücke verstand aber der Lord nicht Türkisch, sonst hätte er aus dieser Frage errathen, daß er sich vor einem verrufenen Hause befinde, vor einem Hause jener Art, von welchen der discrete Dichter so bezeichnend sagt:

Einstens bin ich auch gegangen,
Wo die letzten Häuser sind.
Saß mit bunt bemalten Wangen
Ein verlorenes, schönes Kind.
Grüß Dich Jungfer! – Dank der Ehre!
Wart, ich komme gleich hinaus!
Und wer bist Du? Bajadere;
Und das ist der Liebe Haus.

Da er aber die Worte nicht verstanden hatte, sagte er in französischer Sprache:

»Ich verstehe Sie nicht. Können Sie nicht französisch?«

»Ja. Warten Sie!«

Es wurde eine alte Laterne an die Thürspalte gehalten, so daß der Schein des Lichtes auf ihn fiel. Ueber der Laterne kam ein häßliches, runzeliches Frauengesicht zum Vorscheine, welches aus tiefliegenden, triefigen Augen einen forschenden Blick auf ihn warf.

Er war natürlich von den beiden Mädchen schon angemeldet worden, und da sie vergessen hatten, nach seinem Namen zu fragen, so hatten sie seine Person beschrieben. Die Alte hatte in Folge dessen ihre Instruction erhalten. Sie sah, daß er der Erwartete sei, ließ ihn aber doch nicht sofort ein, damit er nicht vermuthen möge, daß sie bereits von ihm wisse, sondern sie fragte:

»Zu wem wollen Sie?«

»Zu Ali Effendi.«

»Was wünschen Sie von ihm?«

»Ich bin ein Freund von Seltenheiten und Alterthümern und habe gehört, daß er eine Sammlung solcher Sachen besitzt.«

»Er liebt es nicht, um diese Zeit gestört zu werden. Was hat er davon, wenn alle Fremden kommen, um seine Sachen zu sehen, und dann wieder gehen, nachdem sie nichts als einen bloßen Dank gesagt haben!«

»Das will ich ja nicht thun. Zu solchen Fremden gehöre ich nicht.«

»Wollen Sie etwa kaufen?«

»Ja, wenn mir Etwas gefällt.«

»So will ich es wagen, Sie einzulassen. Warten Sie aber da in dem Gange!«

Sie entfernte die Kette, verschloß die Thür hinter ihm und entfernte sich dann mit der Laterne, ihn im Finstern stehen lassend. Bald darauf war es ihm, als ob er laute, lachende Frauenstimmen vernehme.

»Das sind jedenfalls die Weiber,« dachte er. »Es scheint also in den Harems zuweilen auch lustig herzugehen. Das erinnert mich an meinen Besuch bei dem Mädchenhändler Barischa in Constantinopel. Da ging es auch durch so einen dunklen Gang nach dem Allerheiligsten.

Man ließ ihn ziemlich lange warten. Endlich kehrte sie zurück, leuchtete ihm in das Gesicht und zeigte dabei ein Grinsen, von welchem man nicht sagen konnte, ob es ein verunglücktes, freundliches Lächeln oder eine höhnische Schadenfreude bedeuten solle.

»Sie dürfen kommen!«

Bei diesen Worten deutete sie ihm mit der Hand an, daß er ihr folgen solle. Er that dies. Sie führte ihn aus dem Hausflur nach einem schmalen Seitengange, wo sie eine Thür öffnete und ihm winkte, einzutreten. Sie selbst blieb draußen und machte die Thür hinter ihm zu.

Er befand sich in einer kleinen, viereckigen, weiß getünchten Stube, in welcher sich nichts, aber auch gar nichts befand als ein alter Tisch mit zwei noch viel älteren Stühlen. Er rückte sich einen derselben zurecht, setzte sich darauf und wartete. Auf dem Tische stand ein Leuchter aus verrosteten Eisendraht, in welchem ein stinkendes Talglicht brannte.

Nach einiger Zeit wurde eine zweite Thür geöffnet und der Herr des Hauses trat ein. Er trug einen langen, fast am Boden schleppenden, großblumigen Kaftan und einem rothen Fez. Er war alt, und der lang herabwallende graue Bart gab seiner Erscheinung etwas Ehrwürdiges, was aber durch den stechenden Blick seiner kleinen Augen fast ganz wieder ausgehoben wurde.

»Achschamlar chajrola!« grüßte er, indem er sich nicht verbeugte, sondern eine grüßende, vornehme, fast herablassende Handbewegung machte.«

»Was heißen diese Worte? Ich verstehe nur Französisch.«

» Bon soir

»Ah, guten Abend? Dank schön, Monsieur Ali Effendi! Verzeihung, daß ich Sie störe! Ich habe von Ihren Kostbarkeiten gehört und wollte Sie bitten, mir Einiges davon zu zeigen.«

»Eigentlich thue ich das nicht gern. Ich habe mein Geschäft aufgegeben.«

»Weiß es, weiß es! Aber unter Kunstkennern und Liebhabern ist das doch etwas Anderes.«

»Ja, wenn Sie wirklich Kenner und Liebhaber wären – –!«

»Ich bin es, ich bin es!« beeilte er sich zu sagen.

Im Stillen aber dachte er:

»Kenner bin ich, nämlich von Frauenschönheit, und Liebhaber auch, denn ich werde ihm seine Töchter entführen.«

Der Alte betrachtete ihn vorsichtig prüfend, nickte langsam mit dem Kopfe und fragte dann:

»In welchen Fächern sind Sie am Liebsten zu Hause?«

»In Allen.«

»Nun, so will ich Ihnen einmal einige alte Münzen zeigen, welche höchst werthvoll sind.«

Er ging wieder. Der Lord lehnte Hut, Regenschirm und Fernrohr in die Ecke und wartete geduldig. Als der Alte wiederkam, hatte er ein kleines, ledernes Beutelchen in der Hand, welches er öffnete. Er nahm eine Münze hervor, welche sehr sorgfältig in Seidenpapier eingewickelt war, entfernte das Papier und gab sie ihm.

»Das ist eine große Seltenheit. Kennen Sie sie?«

»Es war ein altes, französisches Fünfsoustück, doch mit so abgegriffenen, vielleicht auch mit Fleiß abgeschliffenen Flächen, daß absolut von der Prägung nichts mehr zu erkennen war. Der Engländer betrachtete und prüfte es aufmerksam und meinte dann:

»Ein altes, großes Kupferstück.«

»Ja, aber woher und aus welcher Zeit?«

»Weiß ich wirklich nicht. Ich muß aufrichtig gestehen, daß mich meine Kenntnisse hier verlassen.«

»Nun, so hören sie in Andacht und Ehrfurcht zu, daß dieses Stück zu den hundert Münzen gehört, welche der Prophet Muhammed, den Allah segnet, zum Andenken an die Eroberung von Mekka prägen ließ.«

Der Engländer hatte keine Lust, zu glauben, daß Muhammed sich damals im Besitze einer Prägmaschine befunden habe, doch mußte er Ali Effendi bei guter Laune erhalten, wenn er überhaupt seinen Zweck erreichen wollte; darum sagte er im Tone der Bewunderung:

»Wirklich? Ah, dann ist diese Münze freilich von hohem Werthe. Wie ist sie zu taxiren?«

»Fünfzig Francs.«

Das war dem Engländer doch zu viel. Er gab sie zurück und sagte:

»Vielleicht ist sie es wirklich werth; aber ich bin überzeugt, daß Du sie nicht verkaufen wirst.«

»Warum nicht? Ich habe ihrer mehrere.«

»Zeige her!«

»Hier dieses Silberstück ist fast ebenso kostbar. Siehe es Dir einmal genau an!«

Der Engländer that dies, doch waren auch hier alle beiden Seiten so glatt, daß man der Münze unmöglich ansehen konnte, daß sie vor Zeiten einmal ein österreichischer Sechskreuzer gewesen war.

»Kenne ich leider auch nicht!«

»Nicht? Und doch ist sie viel werth. Muhammed der Zweite ließ sie schlagen als Andenken an seine glorreiche Eroberung von Konstantinopel.«

Von dieser Gloriosität war der Münze nun freilich nichts mehr anzusehen. Dennoch fragte der Lord:

»Wieviel ist sie werth?«

»Dreißig Francs.«

»Ich glaube, diese Denkmünze ist Ihnen so an das Herz gewachsen, daß Sie sie nicht verkaufen werden. Zeigen Sie mir andere.«

Der alte Betrüger brachte noch drei oder vier Stück zum Vorscheine, welche einen bedeutenden Werth haben sollten; leider aber waren sie ebenso ohne alles Gepräge wie die beiden ersten. Als der Engländer keine Miene machte, eine derselben zu kaufen, sagte der Besitzer:

»Ich denke, Du bist Kenner und Liebhaber; aber ich sehe davon nichts.«

»O doch! Aber ich habe gemeint, daß Du Dich nicht von diesen Münzen trennen willst.«

»Warum nicht? Habe ich doch andere!«

»Nun, was verlangst Du, wenn ich die, welche Du mir hier gezeigt hast, in Summa kaufe?«

Der Alte sah ein, daß er kein Geschäft machen werde, falls er die Saiten zu hoch spanne, darum antwortete er:

»Ich lasse mir nie etwas abhandeln, da ich stets den geringsten Preis angebe; das wolle berücksichtigen. Wer weniger bietet, der beleidigt mich, lieber mag er gar nicht bieten. Diese Münzen kosten hundert Francs, wenn ich sie zusammen auf einmal verkaufen kann. Da gebe ich auch noch den Beutel zu.«

Der Beutel war keinen Pfennig werth; also war diese letzte Bemerkung rein lächerlich. Um des Zweckes willen, der den Lord hergeführt hatte, sagte er:

»Gut, so wollen wir nicht handeln. Ich kaufe sie.«

Er zog seine Börse, zählte die verlangte Summe hin und steckte dafür den Beutel ein. Der Andere strich das Geld in die tiefe Tasche seines Kaftans und sagte:

»Du hast ein sehr gutes Geschäft gemacht und wirst also wiederkommen.«

»Nein, das werde ich nicht, da ich nicht lange in Tunis bleibe.«

»So will ich Dir lieber gleich heut noch etwas zeigen, falls Du noch Einiges sehen willst.«

»Was hast Du?«

»Einen Ring, einen kostbaren Ring, welchen die Lieblingsfrau des Propheten getragen hat.«

»Zeige ihn mir!«

Als der Alte sich entfernt hatte, sagte der Engländer zu sich:

»Dieser Ali Effendi ist ein Schlaukopf; aber seine Töchter sind sehr schön. Vielleicht glaubt er auch selbst an den Werth dieser Münzen. Ich muß ihn dahin zu bringen suchen, daß er mich in den Hof führt.«

Der Ring war ein einfacher goldener, vielleicht auch nur vergoldeter Reif, welchen der Engländer für fünfzig Francs erhielt. Dann wurden Waffen gebracht. Der Lord kaufte für schweres Geld einen Dolch, welchen der Kalife Abu Bekr getragen haben sollte, und die Spitze eines Pfeiles, welche man dem berühmten Feldherrn Tarik aus der Wunde geschnitten hatte.

»So,« sagte er dann, »jetzt habe ich, was meine Seele begehrt; nun kann ich gehen.«

Er griff nach Hut, Regenschirm und Fernrohr. Der Alte konnte ihn nicht gehen lassen, da es in seinem Plane lag, ihn in den Hof zu bringen. Darum sagte er:

»Wenn Sie ein Fingan Kaffee mit mir trinken wollten, würde ich Ihnen noch eine große Merkwürdigkeit zeigen, über welche Sie sich freuen könnten.«

»Was ist das?«

»Das sage ich erst dann, wenn Sie es sehen.«

»Sie machen mich neugierig.«

»Ich vermag aber, diese Neugierde zu befriedigen.«

»Nun, so will ich bleiben.«

»Sie werden es nicht bereuen. Kommen Sie!«

Er führte ihn durch zwei kleine Stuben hinaus in einen Hof, welcher nur wenige Quadratellen Fläche hatte und rundum von einem hölzernen Gitterwerk umgeben war. Eine einzige Laterne brannte da. Grad unter derselben befand sich eine kleine Erhöhung, welche aus einigen Brettern bestand, die auf Steinen lagen und von einem Teppiche belegt waren.

.

»Setzen Sie sich hier!« sagte der Alte. »Ich will den Kaffee bestellen und komme gleich wieder.«

Er ging. Der Engländer hatte kaum sich mit dem Rücken an das Gitter gelehnt, so wurde er durch die Oeffnungen desselben angestoßen.

»Willkommen!« flüsterte eine weibliche Stimme. »Wir sind hier.«

»Alle Drei?« fragte er leise zurück.

»Ja.«

»Schön! Also wie soll es werden?«

»Das wissen wir noch nicht genau. Besuch haben wir nicht; aber wir müssen erfahren, wann der Vater schlafen geht.«

»Sapperment! Ich muß es aber doch wissen!«

»Nur Geduld. Er wird gleich wiederkommen, und ich glaube, daß er da eine Aeußerung thun wird, welche uns das Gewünschte hören läßt. Hast Du gekauft?«

»Ja.«

»Das ist gut. So hat er gute Laune?«

»Es scheint so.«

»Er schien mir doch noch mürrisch zu sein. Wenn Du ihm noch etwas abkaufen wolltest, so wäre es gut. Er zieht sich dann sehr zeitig zurück, um das Geld zu zählen und einzuwickeln, was seine größte Freude ist. Da kommt er. Sei höflich und gefällig zu ihm!«

Der Alte kam zurück. Hinter ihm ging die Frau, welche dem Lord geöffnet hatte. Sie trug Kaffee und zwei Pfeifen, welche angebrannt wurden, als der Hausherr sich neben seinem Gaste niedergelassen hatte.

Beide unterhielten sich über ganz Gewöhnliches, so daß der Lord aus reiner Langeweile nach dem merkwürdigen Gegenstände fragte, welcher ihm noch gezeigt werden sollte.

»Der ist nicht nur merkwürdig, sondern einzig in seiner Art. Ja, er ist eigentlich ein Heiligthum. Da ich aber weiß, daß er bei Ihnen in würdige Hände gelangt, so bin ich bereit, ihn abzutreten. Ich gehe, ihn zu holen.«

Er entfernte sich abermals. Da flüsterte es hinter dem Lord:

»Wirst Du kaufen?«

»Ich weiß ja gar nicht, was es ist.«

»Darauf kommt ja gar nichts an. Wir sitzen hier wie auf Kohlen. In einigen Minuten wird der Vater abgerufen werden, dafür haben wir gesorgt. Wenn er lange genug ausbleibt, können wir Dir die nöthige Anweisung geben. Du mußt ihn bei guter Laune erhalten.«

»Nun gut, so kaufe ich das Ding, mag es auch sein, was es nur immer will!«

Es war nur darauf abgesehen, den Beutel des Engländers zu leeren. Der Alte kehrte zurück, setzte sich nieder und zog etwas aus der Tasche, was er dem Lord hingab.

»Hier, sehen Sie es sich an und staunen Sie!«

»Was ist es denn?«

»Rathen Sie einmal!«

»Das ist ein Bogen altes Packpapier.«

»Richtig! Aber von welch ungeheurem Werthe!«

»In wiefern?«

»Sie ahnen nicht, was darin gesteckt hat?«

»Wie könnte ich es errathen?«

»Nun, Sie sind zwar ein Ungläubiger, aber Sie wissen vielleicht, daß der Koran unser heiliges Buch ist?«

»Das weiß ich sehr gut.«

»Und daß es dem Propheten von dem Erzengel Gabriel offenbart worden ist?«

»Ja.«

»Der Erzengel hat es also vom Himmel heruntergebracht; durch die Wolken hindurch wäre es aber naß geworden, darum hat es der Engel eingewickelt.«

»Donnerwetter!« stieß der Lord hervor, indem er vor Erstaunen über diese Dreistigkeit nicht nur den Mund, sondern auch die Augen so weit wie möglich aufriß.

»Fluchen Sie nicht bei einer Sache von solcher Heiligkeit!«

»Entschuldigung! Soll der Koran etwa bei dieser erwähnten Gelegenheit in dieses Papier gewickelt gewesen sein?«

»Ja.«

»Dann giebt es in dem Himmel Muhammed's wohl eine Anzahl von Papiermühlen?«

»Spotten Sie nicht! Das darf ich als gläubiger Anhänger des Propheten nicht anhören.«

»Woher sollte der Engel das Papier da oben hergenommen haben, wenn es nicht im Himmel fabricirt worden wäre!«

»Allah ist allmächtig. Er kann Papier aus nichts machen.«

»Hm, das ist die gewöhnliche Erklärung!«

»Sie ist die einzig richtige. Glauben Sie etwa nicht daran?«

»Aufrichtig gestanden, will ich Ihnen sagen, daß – –«

Er wollte sagen, daß es ihm gar nicht einfalle, an die Fabel zu glauben. Da aber wurde er durch das Gitter in den Rücken gestoßen; darum lenkte er ein:

»Daß ich die Sache doch für möglich halte.«

»Möglich? Möglich nur?«

»Nun, sagen wir, wahrscheinlich!«

»Auch das ist zu wenig. Wenn Sie mich nicht beleidigen wollen, dürfen Sie nicht den leisesten Zweifel hegen.«

Da er jetzt mehrere schnell auf einander folgende, also sehr dringlich gemeinte Puffer erhielt, erklärte er:

»Wenn ich es mir recht überlege, muß ich allerdings sagen, daß ich das Papier für echt halte.«

»Wollen Sie es kaufen?«

»Ich habe es noch gar nicht genau angesehen. Es ist dazu zu finster hier!«

»Es ist nichts zu sehen als nur das Papier.«

»Keine Adresse darauf, die der Engel geschrieben hat?«

»Nein. Wozu die Adresse, da er es dem Propheten selbst und direct gegeben hat.«

»Wie aber ist es in Ihre Hände gekommen?«

»Durch Erbschaft. Ich bin ein echter Nachkomme des Propheten, ein Sherif.«

»Ach so! Da läßt es sich freilich erklären.«

»Also wollen Sie es kaufen?«

»Wie ist der Preis?«

»Dreihundert Franken.«

»Donnerwetter, ist das – –«

Er hielt inne, denn zwei Fäuste bearbeiteten von hinten seinen Rücken. Darum fuhr er fort:

»Ist das spottbillig!«

»Nicht wahr? Ein solches Heiligthum, und nur dreihundert Franken! Ich hätte das Fünffache fordern sollen. Aber was ich einmal gesagt habe, das gilt.«

Da kam die Alte in den Hof und meldete, daß der Nachbar gekommen sei, um wegen der Grenzmauer mit dem Herrn zu sprechen.

»Da werden wir leider gestört!« sagte dieser zu dem Engländer. »Vielleicht kann ich nicht gleich in der Minute wiederkommen. Also, werden Sie es behalten?«

»Ja,« antwortete der Gefragte, da er abermals einen aufmunternden Stoß erhielt.

»Schön! Verzeihen Sie meine Entfernung. Ich werde mich beeilen. Hier ist das Papier.«

Er legte es ihm hin und ging. Kaum war er verschwunden, so wich hinter dem Engländer das Gitter und eine Stimme sagte leise:

»Komm herein! Schnell!«

Er stand auf und wurde von einer Hand in die Oeffnung gezogen und von da weiter bis in eine Stube, in welcher ein Licht brannte. Da sah er seine beiden schönen Freundinnen mit einer Dritten, welche allerdings auch nicht häßlich war.

»Das hast Du gut gemacht,« sagte Lea. »Das hier ist unsere Schwester. Gefällt sie Dir?«

»Ja, natürlich!«

»Und sie darf mitkommen?«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»So gehen wir Beide also auch mit. Komm heraus in den Garten!«

Es führte eine Thür hinaus auf ein kleines, freies Plätzchen, in welchem er trotz des abendlichen Dunkels einen Baum bemerkte. Dieser war jedenfalls der Vorwand, das winzige Viereck mit dem stolzen Namen eines Gartens zu bezeichnen. An diesem Baume lehnte eine Leiter. Lea deutete auf dieselbe hin und sagte:

»Siehst Du diese Leiter? Mit ihr werden wir heut entkommen. Nämlich hier nebenan ist der Garten des Nachbars. Wir steigen da hinüber, dann trennt uns nur noch eine Mauer von einer engen Gasse.«

»Ich kenne sie.«

»Das ist gut. So brauche ich sie nicht zu beschreiben. In dieser Gasse erwartest Du uns.«

»Wann?«

»Grad um Mitternacht.«

»Ich werde mich pünktlich einstellen und hoffe, daß wir nicht gestört werden.«

»Das fürchte ich nicht, denn Du hast den Vater in sehr gute Laune versetzt. Er wird zeitig schlafen gehen.«

»Allah gebe ihm eine angenehme Ruhe! Kinder, Ihr könnt froh sein, von Eurem Vater fortzukommen!«

»Warum?«

»Der Kerl ist ein Nichtsnutz. Er ist es gar nicht werth, so schöne, gute und brave Kinder zu haben!«

»Das verstehe ich nicht.«

»Nun, seine Münzen sind keinen Para werth und mit dem Himmelspapier hat er mich vollends gar über das Ohr gehauen. Aber ich haue ihm noch viel derber über das seinige, indem ich Euch entführe. Der alte Schwindler soll sich morgen früh wundern, wenn er so plötzlich ein kinderloser Waisenvater geworden ist. Ich verdiene mir ein Gotteslohn, indem ich Euch von ihm befreie!«

»O Allah! Das haben wir nicht vermuthet!«

»Ja, Ihr könnt nichts dafür. Also um Mitternacht?«

»Ja. Du kommst doch gewiß?«

»Ganz sicher!«

»So kehre jetzt wieder zu Deinem Sitze zurück. Er darf nicht ahnen, daß Du fortgewesen bist.«

Sie geleiteten ihn zurück und schoben das Gitter wieder hinter ihm zu. Er setzte sich nieder und wartete auf die Rückkehr des Wirthes. Dieser ließ seinen angeblichen Töchtern länger Zeit, mit seinem Opfer zu sprechen, als sie nöthig gehabt hatten. Es war wohl über eine halbe Stunde vergangen, als er wiederkam.

»Da bin ich endlich,« sagte er. »Die Unterredung war sehr nothwendig, sonst wäre ich eher zurückgekehrt. »Wünschen Sie noch eine Pfeife?«

»Ich danke, danke! Ich habe genug!«

»Und die dreihundert Francs?«

»Erhalten Sie sofort.«

Er stand auf, bezahlte und schob das Packpapier in die Tasche. Der Wirth brachte ihn in den Hausgang zurück und nahm dort sehr höflich und freundlich Abschied. Die alte Schließerin brachte ihn an die Hausthür, öffnete diese aber nicht, sondern sie legte ihm die Hand an den Arm und fragte:

»Wollen Sie mir nicht ein kleines Bakschisch geben?«

Er griff in die Tasche und erfüllte die Bitte. Sie hielt das Geldstück an die Laterne und sagte:

»Ein Frank, ein lumpiger Frank!«

»Ist das nicht genug für die kleine Mühe, mich da hinaus zu lassen?«

»O, dafür wäre es genug, aber ich habe ja viel, viel mehr für Sie zu thun.«

»Was denn zum Beispiele?«

»Ich habe doch nicht blos Sie hinaus zu lassen.«

»Wen denn noch?«

»Die drei Schwestern.«

»Tausend Donner!« sagte er erschrocken. »Was für Schwestern meinen Sie denn eigentlich, he?«

»Sie sind verschwiegen, wie ich bemerke, und das ist sehr gut. Aber Sie können Vertrauen zu mir haben. Die Mädchen haben mir Alles gesagt, da Sie ohne meine Hilfe gar nicht hinaus in den Garten könnten.«

»Ich verstehe Sie noch immer nicht!«

»O, Sie verstehen mich sehr gut; das weiß ich ganz genau. Ich bin die Schließerin, ich habe die Schlüssel des Harems. Lasse ich, bevor ich schlafen gehe, die Thür nicht offen, so können sie nicht in den Garten.«

»Ich begreife nicht, was Sie meinen. Von welch einer Thür sprechen Sie denn eigentlich? Was gehen mich Ihre Thüren an!«

»Mehr als Sie zugeben wollen. Sie sind ja selbst mit draußen gewesen.«

»Wo draußen?«

»Im Garten, um sich die Leiter und die Mauern zeigen zu lassen, über welche hinweg der Weg gehen soll.«

Er sah ein, daß ein Leugnen ihm hier nichts mehr nützen könne. Er schüttelte den Kopf und meinte mißbilligend:

»Welche Unvorsichtigkeit.«

»Was nennen Sie unvorsichtig?«

»Andere Personen in das Vertrauen zu ziehen.«

»Das ist nicht eine Unvorsichtigkeit, sondern eine Klugheit, sogar eine Notwendigkeit, da ohne mich kein Mensch entkommen kann.«

»Hören Sie, Sie werden doch nicht etwas verrathen?«

»Nein. Ich habe die Kinder erzogen; ich liebe sie, als ob sie meine eigenen seien, und ich gönne ihnen das Glück. O Allah, könnte ich doch mit ihnen!«

»Um Gotteswillen!« stieß er unvorsichtig hervor.

»O, sie würden mich mitgenommen haben, aber ich fürchte mich so sehr, auf eine Leiter zu steigen.«

»Das ist allerdings sehr gefährlich,« sagte er schnell. »Man kann dabei ganz leicht den Hals brechen, auch die Beine und die Arme dazu. Dann liegt man da!«

»Das weiß ich ja, und darum verzichte ich, sie zu begleiten, obgleich mir das Herz brechen wird, wenn ich ohne meine Lieblinge zurückbleiben muß.«

»Da machen Sie sich keine schweren und trüben Gedanken! Es wird ihnen sehr gut gehen und ich werde sie veranlassen, zuweilen an Sie zu schreiben.«

»Ach ja, das wollte ich Sie bitten, das ist ja der einzige Trost, welcher mir bleibt.«

»Haben sie Ihnen denn vielleicht gesagt, wer ich bin?«

»O nein. Dazu sind sie viel zu vorsichtig.«

»Und wohin ich sie von hier aus bringen werde?«

»Auch das nicht. Ich verlange es auch nicht zu wissen, denn je mehr man mir mittheilt, desto mehr habe ich zu verschweigen, und das ist um so schwerer, je weniger man für eine solche Schweigsamkeit belohnt wird.«

Sie hielt ihm dabei sehr bezeichnend den einzelnen Franken hin, welchen sie erhalten hatte.

»Nun, wie hoch schätzen Sie denn Ihre Verschwiegenheit?«

»Wenigstens fünfzehn Francs.«

»Ich gebe Ihnen zwanzig – –«

»O Sie guter, Sie barmherziger Herr! Für dieses Bakschisch können Sie mir Alles, Alles anvertrauen, und ich werde kein einziges Wort davon sagen!«

»Gut! Hier haben Sie! Aber wenn Sie nur eine einzige Silbe verrathen, so komme ich zurück, um Ihnen den Hals umzudrehen, so daß Sie sich dann Zeit Ihres Lebens nur noch von hinten betrachten können, und außerdem sprenge ich noch extra alle Ihre drei Lieblinge mit Pulver in die vierundsechzig Lüfte! Verstanden?«

Er drückte ihr das Geld in die Hand und wurde nun von ihr unter vielen Danksagungen hinausgelassen. Drin aber lachte sie höhnisch:

»Dummer Mensch, wirst Du noch bluten müssen!«

Und draußen brummte er selbstgefällig vor sich hin:

»Der habe ich Angst gemacht! Die sagt kein Wort, um ihre Lieblinge nicht unglücklich zu machen und auch ihren eigenen Hals zu retten. Dem Alten aber sollte ich in Wirklichkeit das Gesicht in den Nacken drehen! Ein Bogen Packpapier aus dem Himmel! Welch eine Frechheit! Welch eine Unverschämtheit! Na, die Strafe kommt ja für den alten Galgenstrick schon in der Frühe.«

Er schlenderte durch die Gäßchen zurück. Als er im Begriffe stand, über einen kleinen, freien Platz zu gehen, fiel ihm ein besser gebautes Haus auf, vor dessen Thür zwei große Laternen standen. Ueber dem Eingange befand sich eine aus großen, goldenen Lettern bestehende Inschrift. Er trat näher und las:

» A la maison italienne! – zum italienischen Hause. Ah, der bekannte Gasthof, in welchem so viele Fremde logiren. Gehen wir einmal hinein. Vielleicht giebt es da ein Glas englisches Porter oder Ale.«

Als er in das allgemeine Gastzimmer trat, war die erste Person, welche er erblickte, Wallert, sein Reisegefährte. Er setzte sich natürlich sofort zu ihm.

»Haben Sie unsere Botschaft empfangen?« fragte dieser.

»Welche Botschaft?«

»Daß wir beschlossen haben, hier zu logiren?«

»Nein. Ich bin gar nicht an Bord geblieben und trete auch nur ganz zufällig hier herein.«

»Das ist ein Glück. Wir haben zwei Zimmer für Sie belegt. Als ich Sie sah, glaubte ich, Sie kämen in Folge unserer Benachrichtigung.«

»Allerdings nicht.«

»Wo sind Sie denn da während der langen Zeit gewesen?«

»Pst! Geheimniß!« antwortete der Engländer mit wichtiger Miene, indem er den Finger an den Mund legte.

»Geheimniß?« lachte Wallert. »Haben Sie etwa bereits einen Harem entdeckt?«

»Ja.«

»Wohl gar schon drin gewesen?«

»Ganz und gar drin!«

»Und werden Eine entführen?«

»Drei sogar!«

»Spaßvogel!«

»Pah! Es ist Ernst! Aber haben auch Sie irgend welchen Erfolg gehabt?«

»Leider nicht. Wir sind beim Consul und auf der Polizei gewesen, sogar beim Limam reïssi, vergebens!«

»Wer ist der Limam Reißig?«

»Der Hafenmeister. Wir glaubten, Auskunft von ihm zu erhalten, da er bei jeder Ausschiffung zugegen ist, haben auch erfahren, daß zwei Dampfer von Constantinopel aus vor unserer Yacht hier angekommen seien, konnten aber von diesem Ibrahim Pascha nicht die geringste Spur entdecken.«

»Weil er einen anderen Namen führt.«

»Er kann aber doch seine Person nicht verändern, und die Frauen, welche bei ihm sind, bilden auch einen Anhalt, auf seine Fährte zu kommen.«

»So bin ich also viel, viel glücklicher gewesen!«

»Wie? Hätten Sie zufällig Etwas von ihm gehört?«

»Nein, das meine ich nicht. Ich sprach nur von meiner eigenen Angelegenheit. Es ging mir wie Cäsar: Ich kam, ich sah, und ich siegte.«

»Natürlich in der Phantasie!«

»Oho! Sie sind wirklich ganz verliebt in mich, wenigstens Zwei von ihnen, die Rahel und die Lea.«

»Jüdische Namen!«

»Habe sie ihnen selbst gegeben.«

»Bitte, seien wir ernst, Mylord!«

»Das bin ich ja.«

»Unsinn! Sie hätten wirklich eine Damenbekanntschaft gemacht und wo?«

»Jenseits des Sees, in den Ruinen von Karthago.«

»Und Drei sind es?«

»Drei, volle drei Personen, Eine immer schöner und jünger als die Andere! Verteufelt, verteufelt! Na, warten Sie es nur ab! Sie werden den Mund aufsperren! Aber Sie kriegen Keine von ihnen, keine Einzige!«

Jetzt nun mußte Wallert einsehen, daß es dem Lord wirklich ernst sei. Er wurde besorgt für ihn, darum bat er:

»Wollen Sie die Güte haben, mir Näheres mitzutheilen?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Selbst dann nicht, wenn ich Sie dringend ersuche?«

»Selbst dann nicht. Heut erfahren Sie nichts.«

»Mylord, Sie begeben sich in Gefahr. Sie verstehen die Sprache des Landes nicht. Wie leicht kommen Sie da in eine Lage, welcher Ihre Kräfte nicht gewachsen sind.«

»Meine Kräfte? O, heut habe ich Riesenkräfte! Heute hebe ich ganz Tunis aus den Angeln!«

»Sie wollen doch nicht schon heut Etwas unternehmen?«

»Natürlich! Grad heut schon! Es geht eben riesig schnell. Ich muß doch ein hübscher Kerl sein, so eine Art Adonis oder Amor oder Cupido.«

»Aber Sie wohnen hier bei uns?«

»Heut nicht, sondern morgen erst.«

»Ich bitte Sie um Gotteswillen – – –«

»Papperlapapp, lieber Master! Aber warten Sie! Ich werde doch noch heut hierher ziehen, um gewisse Spuren zu vernichten, um die Nachforschung von mir abzulenken. Aber nicht gleich jetzt. Ich komme erst so ungefähr zwei Stunden nach Mitternacht. Da bin ich fertig.«

»Doch nicht etwa mit einer Entführung?«

»Ja freilich! Mit einer Entführung aus dem Serail, aus dem schönsten Harem, welcher in Tunis zu finden ist.«

»Lassen Sie sich warnen! Lassen Sie sich abreden! Thun Sie nichts ohne uns!«

»Pah! Grad ohne Sie will ich es thun, um Ihnen zu beweisen, was ich in solchen Entführungen zu leisten vermag. Sie denken wohl, weil ich in Constantinopel vom Baume gefallen bin, rutsche ich auch hier wieder herab?«

»Nein, das nicht. Aber zwei Aeußerungen von Ihnen geben mir zu denken. Erstens nannten Sie die Namen Rahel und Lea. So heißen nur Jüdinnen, und die braucht man doch nicht zu entführen.«

»Es sind drei echte Muhammedanerinnen, keine imitirten. Die beiden Namen habe ich Zweien von ihnen gegeben, weil ich zwischen ihnen saß wie der Erzvater Jacob zwischen den Schafherden – wollte sagen zwischen Lea und Rahel.«

»Und draußen in den Ruinen haben Sie sie kennen gelernt?«

»Ja.«

»Am Tage?«

»Natürlich. In der Finsterniß mache ich keine Damenbekanntschaften, weil man sich da leicht in Verschiedenem täuschen kann.«

»Waren sie verschleiert?«

»Ja; später aber in der Hütte und bereits vorher entschleierten sie sich.«

»In Gegenwart des Ruderers?«

»Ja.«

»Sie wurden in eine Hütte geführt? In eine unbewohnte?«

»Nein, in eine bewohnte. Der Eunuch bewohnte sie. Der Kerl hatte ein gewisses Wasser der Liebe zusammengebraut aus Spiritus, Koloquinthen und Knoblauch. Ich mußte, glaube ich, zehn Francs für die Flasche bezahlen, konnte aber das Zeug nicht hinunterbringen.«

»Ah! Sapperment! Ein Eunuche war da? Unsinn! Bezahlen mußten Sie? Schön! Tranken diese Damen etwa auch?«

»Freilich! Das lief hinunter wie in die Kellerfenster.«

»Dann ist es sicher! Mylord, Sie sind getäuscht worden.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Ganz gewiß!«

»Alle Teufel! Halten Sie mich etwa für dumm?«

»Nein, aber für begeistert, und die Begeisterung hat stets eine Ähnlichkeit mit dem Rausche. Man denkt und urtheilt nicht so scharf wie im nüchternen Zustande –«

»Nun, Master Wallert, ich werde Ihnen beweisen, daß ich sehr scharf gedacht und calculirt habe. Der Plan, welchen ich ausgeheckt habe, kann gar nicht scharfsinniger entworfen sein. Die Leiter steht bereits am Baume. Ueber zwei Mauern hinweg, und dann fallen mir alle Drei höchst liebevoll in die Arme. Ich schaffe sie nach der Yacht und komme dann hierher. So verwische ich die Spur.«

»Hat denn die Hütte da draußen in den Ruinen einen Garten, da Sie vom Baum, von der Leiter und dann auch von zwei Mauern sprechen?«

»Nein. Da draußen waren sie nur spazieren. Sie wohnen in der Stadt bei ihrem Vater, der Juwelenhändler war und sich nun zur Ruhe gesezt hat.«

»Waren Sie denn in dieser Wohnung?«

»Natürlich. Ich nahm mir zum Vorwand, dem Alten Einiges von seinen Raritäten abzukaufen. Ich habe da Verschiedenes – Sapperment, das muß ich Ihnen zeigen. Hier, dieses Papier soll vom Himmel kommen. Der Koran hat drin gesteckt, damit er in den Wolken nicht naß werden sollte, als der Erzengel ihn vom Himmel brachte. Diese alten Münzen wurden geschlagen zum Andenken an die Eroberung von Mekka und Constantinopel. Diese Pfeilspitze wurde – – –«

Er fuhr lachend in seiner Erklärung fort, indem er die Gegenstände auf den Tisch legte.

»Und das Alles haben Sie geglaubt?« fragte Wallert, der in seinem ganzen Leben noch nicht so erstaunt gewesen war, als in diesem Augenblicke.

»Geglaubt? Was denken Sie! Fällt mir gar nicht ein! Der Alte ist ein Spitzbube. Aber seine drei Töchter sind die reinen Engel!«

»Seine drei Töchter sind ebenso große Spitzbübinnen. Die Ruinen sind berüchtigt. Wissen Sie, wer da draußen verkehrt? Was für Damen?«

»Nun?«

»Solche, welche sich ihre Liebe bezahlen lassen.«

»Das ist möglich, geht aber mich nichts an. Meine Drei gehören nicht in diese Categorie.«

»Ich bitte Sie dringend, Verstand anzunehmen!«

»Donnerwetter! Ich habe Verstand, so viel Verstand, daß er für ein ganzes Dutzend Personen ausreicht und auch für Sie mit!«

»Ich sehe, ich muß Normann holen.«

»Ist er hier?«

»Ja, auf seinem Zimmer. Oder bitte, gehen Sie lieber gleich mit hinauf!«

»Danke, danke sehr!«

»So hole ich ihn. Er mag seine Vorstellungen mit den meinigen vereinigen.«

»Hilft Ihnen nichts, gar nichts!«

»Ich hoffe das Gegentheil. Entschuldigen Sie mich für einen Augenblick, Mylord.«

Er eilte fort. Der Engländer warf schnell ein Geldstück für das Getränk auf den Tisch, setzte den Hut auf, raffte den Regenschirm und das Fernrohr an sich und verließ das Haus in aller Schleunigkeit. In der Eile vergaß er die Raritäten, welche auf dem Tische liegen blieben. Draußen bog er um einige Ecken, und erst dann lief er langsamer.

»Glücklich entkommen!« seufzte er auf. »Dieser Teufelskerl gönnt mir wirklich den Ruhm nicht, eine dreifache Entführung bewerkstelligt zu haben. Es ist doch eine böse Welt! Sogar den besten Freunden ist nicht mehr zu trauen! Sie schnappen Einem grad die appetitlichsten Bissen weg. Ich werde aber diesen Wallert beschämen, indem ich mit einer vollständigen, glücklich und ruhmvoll vollendeten Thatsache vor ihn hintrete. Aber ich durchschaue ihn: Drei Mädchen; er, Normann und ich, da käme auf Jeden Eine; aber ich werde sie alle Drei holen. Punktum!«

Er ging weiter, in der Richtung nach dem Hafen zu. Draußen vor der Stadt überholte er einen Menschen, welcher langsam desselben Weges ging. Eine so gekleidete Gestalt wie der Lord wäre selbst in größtem Dunkel aufgefallen. Kaum war er vorüber, so hörte er hinter sich einen lauten Freudenruf und dann die Worte:

»Hamdullillah! Lord Effendi! Lord Effendi!«

Er blieb stehen, drehte sich um und blickte dem Rufer in das Gesicht. Er erkannte ihn. Es war der junge Arabadschi, der Vertraute der schönen Zykyma, der ihnen in Constantinopel bei der Entführung mit hatte helfen wollen.

»Mensch, Kerl, Du hier! Alle Teufel! Ist etwa Zykyma auch mit da?«

»Burada Zykyma; burada Tschita; burada Ibrahim Pascha; burada Derwisch Osman.«

»Ah, das sind ja Alle. Aber wer ist denn dieser Burada? Oder ist's ein Frauenzimmer?«

Burada heißt ›hier‹ oder ›hier ist‹. Der hoch erfreute Arabadschi verstand natürlich den Lord nicht. Er sagte:

»Gel-sunler, gel-sunler!«

Das heißt: »Kommen Sie, kommen Sie!« Dabei deutete er nach links hinüber.

»Was heißt das? Ein gelber Sunnler? Ich verstehe diese dumme Sprache nicht! Die muß man erst lernen, während ich das Englische sofort verstanden habe.«

»Hermann Wallert Effendi nerde?« fragte der Arabadschi, welcher sich erinnerte, daß der Lord gar nicht Türkisch verstand. Das hieß auf Deutsch: Wo ist Herr Hermann Wallert. Der Lord schloß aus dem Namen, was der Frager meinte, und antwortete:

» A la maison italienne

»Onu bilir-im, onu bilir-im!«

Das heißt: Ich kenne es, ich kenne es! Bei diesen Worten drehte er sich um und eilte davon, der Stadt wieder zu, um Wallert aufzusuchen.

»Billirim! Dummes Wort,« brummte der Lord. »Aber ist es nicht ein Wunder, den Kerl zu treffen? Bei Nacht und Nebel? Na, diese Freude, wenn er zu den Beiden kommt! Das ist sehr gut für mich, denn da werden sie nun wohl nicht daran denken, mich zu stören. Nun haben auch sie ihr Abenteuer und werden mich hoffentlich in Ruhe lassen. Sie entführen ihre beiden Mädels und ich meine Drei, macht Fünf. Dann dampfen wir ab. Vorher aber spreche ich mit diesem Ibrahim Pascha ein Wort von wegen der Uhr und der Familie Adlerhorst.«

Er setzte seinen Weg nach der Yacht fort. Am Bord angekommen, hörte er, daß der Capitän ein Wenig an Land gegangen sei und dem Steuermann den Befehl übergeben habe; darum mußte sich der Lord an diesen wenden und ihm sagen, daß er nach Mitternacht drei Damen bringen werde.

»Entführung?« fragte der Schiffer.

»Ja, Entführung.«

»Ach! Darf ich mit?«

»Nein. Kann Niemand gebrauchen.«

»Vielleicht doch meine Fäuste!«

»Auch nicht. Mache Alles selbst.«

Damit ging er nach der Kajüte, um den türkischen Anzug anzulegen, welchen er in Constantinopel gekauft hatte. Er konnte doch unmöglich in seinem karrirten Habit eine Entführung riskiren. Bevor er die Yacht wieder verließ, wagte es der Steuermann, eine höfliche Warnung auszusprechen, erhielt aber einen scharfen Verweis. Er beruhigte sich um so leichter, als er überzeugt war, daß der Lord nichts ohne Normann und Wallert thun werde, hatte sich aber darin für dieses Mal getäuscht.

Um nicht dennoch von den beiden Genannten aufgesucht und getroffen zu werden, machte der Lord einen Umweg. Darum hatte er gar nicht viel Zeit übrig, als er die Stadt erreichte. Früher hatte jeder Passant des Abends eine Laterne tragen müssen; dieses Gebot war vor Kurzem aufgehoben worden, darum erreichte der Lord das Gäßchen, ohne angehalten oder auch nur beachtet worden zu sein. Die Uhr zeigte fünf Minuten vor Mitternacht. Er war keinen Augenblick zu früh gekommen.

Diese fünf Minuten vergingen und noch fünf, noch zehn, ohne daß er Etwas sah oder hörte. Endlich war es ihm so, als ob es jenseits der Mauer ein Geräusch gegeben habe. Und richtig, da scharrte es oben leicht an dem Rand hin, als ob eine Leiter angebracht werde, und dann sah er über sich einen Kopf erscheinen.

»Pst!« machte es leise. »Bist Du da?«

»Ja,« antwortete er, von der Mauer zurücktretend, an welche er sich geschmiegt hatte, um nicht so leicht gesehen zu werden. »Wer ist's?«

»Ich, Rahel!«

»Und die Andern?«

»Sind noch unten. Da kommt Lea.«

Die beiden Genannten setzten sich auf die Mauer, die Dritte dann auch, und nun zogen sie die Leiter, welche nicht zu schwer war, drüben herauf und ließen sie hüben hinab. Er hielt fest, und sie stiegen herunter. Eine nach der Andern.

»Da sind wir!« sagte Lea, indem sie beide Arme um ihn schlang. »Siehst Du, daß wir Wort halten?«

»Ja, Ihr seid brav und muthig. Ich glaubte bereits, daß Ihr nicht kommen würdet.«

»Es ging so langsam. Wir mußten an jeder Mauer die Leiter auf beiden Seiten anlegen.«

»Was thun wir mit ihr?«

»Wir lassen sie hier liegen.«

»Da wird man aber merken, auf welche Weise Ihr entkommen seid!«

»Was schadet das? Wenn man nur nicht weiß, wohin wir sind. Zurücktragen können wir sie doch nicht wieder.«

»Da wollen wir uns auch nicht länger hier aufhalten. Kommt also mit!«

Sie folgten ihm. Er hatte keine Ahnung, daß der sogenannte Vater seinen angeblichen Töchtern höchst eigenhändig über die Mauern weggeholfen hatte, und daß bereits ein Anderer in der Nähe stand, der ihn unbemerkt beobachtet hatte und nun die Leiter entfernte.

Die drei Mädchen folgten ihm schweigend bis vor die Stadt hinaus. Dann blieben sie berathend stehen, ob sie direct oder auf einem Umwege nach der Yacht gehen wollten. Der Lord schlug das Erstere vor. Er freute sich wie ein König über das gelungene Unternehmen; denn daß es jetzt noch mißlingen werde, das hielt er gar nicht für möglich. Noch waren die Mädchen unentschlossen, welcher Weg der sichere sei, so tauchte grad neben dem Lord eine Gestalt auf und sagte französisch:

»Guten Abend! Was thun Sie hier?«

»Guten Abend,« antwortete der Gefragte höflich, sich nicht merken lassend, daß das urplötzliche Erscheinen eines Menschen ihn erschreckt hatte. »Warum fragen Sie?«

»Weil ich ein Recht dazu habe.«

»Und ich auch,« meinte eine zweite Stimme an seiner andern Seite.

Der Engländer drehte sich um. Auch da stand ein Mann.

»Was wollen Sie von uns, Messieurs?«

»Was thun Sie hier?« fragte der Erste wieder.

»So kann ich auch Sie fragen.«

»Oho! Kennen Sie uns?«

»Nein.«

»Aber unsere Uniformen kennen Sie?«

»Ich sehe sie ja nicht.«

»Nun, so schauen Sie her.«

Der Mann zog eine kleine Laterne aus der Tasche, öffnete sie und ließ ihr Licht auf sich fallen. Er trug die Uniform eines Polizeisoldaten, der Andere ebenso, und jetzt tauchte noch ein Dritter in demselben Gewande auf.

»Sie sind Polizisten?« fragte der Lord.

»Wie Sie sehen. Also Antwort! Was thun Sie hier?«

»Ich gehe spazieren.«

»Mit diesen Mädchen?«

»Es sind meine Frauen.«

»Ach! Wer sind Sie?«

»Ich bin Lord Eagle-nest.«

»Ein Lord? Haha! Das machen Sie einem Andern weiß!«

»Ich kann es beweisen!«

»Oho! Ein Lord hat nicht drei Frauen. Ein Lord trägt auch nicht diese Kleidung. Also, woher haben Sie diese Mädchen?«

Der Engländer fürchtete sich nicht. Er hatte in aller Ruhe geantwortet. Jetzt aber glaubte er, etwas weniger höflich sein zu dürfen. Er sagte:

»Ich glaube nicht, daß ich Ihnen Rede zu stehen habe.«

»So muß ich Sie arretiren!«

»Das werden Sie bleiben lassen. Ich bin Engländer, und einen solchen arretirt man nicht ungestraft.«

»Beweisen Sie es!«

»Kommen Sie mit auf mein Schiff.

»Ihr Schiff, wenn Sie überhaupt eins hätten, geht mich gar nichts an. Das Schiff ist überhaupt eine Lüge.«

»Nehmen Sie sich in Acht! Von einem Polizisten lasse ich mich nicht einen Lügner nennen.«

»Zeigen Sie mir Ihren Paß!«

»Den habe ich eben auf dem Schiffe.«

»So lassen Sie ihn sich morgen bringen. Jetzt aber gehen Sie mit. Sie sind verdächtig. Ich arretire Sie sammt den Mädchen, die Sie jedenfalls geraubt haben.«

»Lassen Sie das lieber bleiben! Ich gehe nicht mit.«

»Das wird sich finden. Vorwärts!«

Er ergriff den Lord am Arme, erhielt aber von demselben einen solchen Boxer auf die Magengrube, daß er zur Erde stürzte. In demselben Augenblicke aber warfen sich die beiden Andern auf den Engländer. Er hatte das vorher gesehen und empfing sie mit zwei wohlgezielten, regelrechten Boxhieben, wurde aber von Zweien, die er bisher noch gar nicht gesehen hatte, von hinten gepackt und zu Boden gerissen. Er wehrte sich gegen Fünf aus Leibeskräften, wurde aber doch überwältigt und dann an den Händen gebunden.

*


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