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Steinbach drängte sich aus dem dichten Kreis heraus und ging, so lange er im Lichtscheine zu sehen war, gefolgt von den finsteren, haßerfüllten Blicken der Araber. Diese glaubten natürlich, er kehre zu seinem Gefährten zurück, und hatten in Folge dessen nicht weiter Obacht auf ihn. Aber Steinbach war nicht der Mann, sich von ihnen täuschen zu lassen. Er traute ihnen nicht und hatte die Absicht, zu erfahren, welches das eigentliche, wahre Resultat ihrer Berathung sei. Das wäre nun wohl sehr schwierig gewesen, aber er hatte sich das Terrain sehr genau angesehen. Der Kreis, welchen die Versammelten bildeten, war so groß, daß der dazu benutzte freie Platz kaum ausreichte. Die Leute standen bis hart an die Zelte heran, welche um diesen Platz lagen. So saß auch der Scheik hart an einem Zelte, neben welchem mehrere hohe Kameelsättel aufeinander lagen. Hinter ihnen war es dunkel. Dorthin schlich sich Steinbach so schnell wie möglich.
Hinter den Zelten befand sich kein Mensch, und da der ganze Raum im Schatten lag, so gelang es Steinbach, auf dem Boden kriechend bis hin zu den Sätteln zu gelangen. Er legte sich dort nieder, konnte zwischen den Lücken hindurchblicken und, da der Scheik kaum drei Schritte vor ihm am Boden saß, auch jedes Wort hören, was gesprochen wurde.
Die Araber waren so sicher, unbelauscht zu sein, daß sie sich keine Mühe gaben, mit gedämpfter Stimme zu reden. Eben hatte einer der Aeltesten eine Bemerkung gemacht, auf welche der Scheik entgegnete:
»Du hast Unrecht. Warum machst Du mir Vorwürfe? Wir mußten unsere Gäste beschützen. Daß sie sich ohne unser Wissen entfernt haben, kann uns nur lieb sein. Wir können ihre Flucht nicht verantworten, denn wir sind nicht schuld daran.«
»Aber er wirft die Schuld auf uns!«
»Das brauchen wir nicht zu dulden.«
»Was willst Du dagegen machen?«
»Ich fürchte mich nicht vor ihm!«
»Er ist ein großer, berühmter und tapferer Krieger; das hat er bewiesen, indem er sich in unsere Mitte wagte.«
»Er hofft darauf, in uns Furcht zu erwecken. Und gerade weil er so ein großer Krieger ist, habe ich keine Sorge um unsere Töchter.«
»So verstehe ich Dich nicht.«
»Nimm Deine Gedanken zusammen, dann wirst Du mich verstehen. Die Seinen werden einen berühmten Krieger nicht gern einbüßen.«
»Wer spricht davon, daß sie ihn einbüßen sollen?«
»Ich. Wir nehmen ihn gefangen.«
»Das ist nicht möglich.«
»Warum nicht?«
»Er selbst hat es gesagt.«
»Wehe Dir, wenn Du den Worten eines Ungläubigen Glauben schenkst! Er hat es gesagt, nur um uns einzuschüchtern.«
»Er sieht nicht aus wie ein Mann, welcher sich fürchtet oder welcher Lügen macht, um sich zu retten.«
»Und doch ist es so. Er ist groß und stark, größer als Einer von uns. Aber Mehrere von uns werden ihn leicht bezwingen.«
»Er hat Waffen, welche wir nicht kennen.«
»So verhindern wir ihn, diese Waffen zu gebrauchen. Wir nehmen ihn gefangen und geben ihn nur gegen unsere Töchter frei.«
»Die Beni Sallah werden kommen, ihn zu befreien. Das wird Kampf und Blutvergießen geben.«
»Ich verachte sie. Meinst Du, daß sie so zahlreich seien, daß wir sie fürchten müßten?«
»Wenige sind es jedenfalls nicht, sonst hätten sie sich nicht so in unsere Nähe gewagt.«
»Und ihrer Viele sind sie auch nicht, sonst wären sie über uns hergefallen, anstatt sich an schwachen, wehrlosen Mädchen zu vergreifen.«
»Sie wollen ihren Zweck lieber mit List als durch Gewalt und Blutvergießen erreichen.«
»Du redest, als ob Du ihr Freund seist!«
»Das bin ich nicht. Mein graues Haar schützt mich gegen jeden solchen Vorwurf.«
»So willst Du, daß wir den Preis bezahlen?«
»Ich denke, daß er mit sich handeln lassen wird. Und es ist besser, wir vergleichen uns, als daß wir es auf einen Kampf ankommen lassen.«
»Es wird keinen Kampf geben. Wir überwältigen ihn leicht. Dann ist sein Leben in unserer Hand, und wir können unsere Töchter fordern, ohne ein Schaf oder eine Ziege bezahlen zu müssen, oder ist es vielleicht nicht so?«
Diese Frage war an die Andern gerichtet. Ein beifälliges Murmeln antwortete. Auch laute, zustimmende Rufe ließen sich hören. Das veranlaßte den bedächtigen Alten, zu sagen:
»So wasche ich meine Hände in Unschuld. Thut also jetzt, was Euch gefällt.« –
Es wurde abgestimmt, und es zeigte sich, daß die überwiegende Mehrzahl der Meinung des Scheiks war. Sein Vorschlag ward zum Beschluß erhoben.
»Soll ich den Ungläubigen holen?« fragte Einer.
»Nein,« antwortete der Scheik. »Das könnte ihm auffallen und Verdacht in ihm erwecken. Bis jetzt habe nur ich mit ihm verkehrt. Käme ein Anderer, so könnte er leicht mißtrauisch werden. Ich muß also selbst gehen. Wartet also, bis ich ihn bringe.«
»Und was thun wir dann?«
»Fünf der Stärksten stellen sich hierher, wo er durch den Kreis muß. Ich gehe voran; er folgt mir, und sobald sie sich hinter ihm befinden, fallen sie über ihn her, halten ihm die Arme, reißen ihn nieder und binden ihn so, daß er sich nicht bewegen kann. Arme dazu sind ja genug vorhanden. Der Teufel müßte sein Diener sein, wenn es uns nicht gelingen sollte!«
Er ging, und die Andern warteten in der festen Ueberzeugung, daß der Anschlag gelingen werde. Die Stärksten wurden ausgewählt und Stricke und Riemen herbeigeholt.
Sobald Steinbach hörte, was mit ihm geschehen solle, wartete er den letzten Theil der Verordnung des Scheiks gar nicht ab. Er kroch zurück, und als er sich hinter dem Zelte im Dunkeln befand, sprang er eiligst weiter, zu Nena hin, welchem er schnell einige Weisungen ertheilte.
»Du fürchtest Dich doch nicht?« fragte er ihn dann.
»Nein, Effendi. Ich stehe unter Deinem Schutze.«
»Sie werden aber vielleicht nicht sehr zart mit Dir verfahren!«
»Tödten werden sie mich jedoch auch nicht. Der Scheik ist ihnen jedenfalls mehr werth als ich, und so werden sie mich schonen müssen, um nicht ihn und dann auch die Mädchen zu verlieren.«
»Ich würde Dich mitnehmen; aber es muß ja Jemand hier sein, um ihnen als Bote zu dienen.«
»Hab keine Sorge um mich, Effendi! Ich weiß, daß mir nichts geschehen wird und bin ganz ruhig dabei. Thue also in Allahs Namen, was Du Dir vorgenommen hast!«
Steinbach setzte sich, da er jetzt den Scheik langsam herbeikommen sah und nahm die Haltung größter Unbefangenheit an.
»Willst Du nun mit mir kommen?« fragte der Araber.
»Warum?«
»Um unsern Beschluß zu vernehmen!«
»Warum soll ich da mit Dir kommen? Kannst Du ihn mir nicht hier sagen?« –
»Das gilt nichts. Ich muß ihn Dir vor der Versammlung kund geben. Erst dann hat er Giltigkeit.«
»Wie lautet er?«
»Wir thun, was Du willst.«
»Ist das wahr?«
Er stand bei dieser Frage auf und trat an den Scheik heran.
»Ja,« antwortete dieser.
»Nun gut, so will ich mitgehen. Aber ich sage Dir, daß es zu Deinem Schaden ausschlägt, wenn Du mich täuschen solltest. Ich verstehe keinen Spaß.«
»Wir treiben nicht Scherz, sondern Ernst, und ich vertrete Alles, was wir thun und was Dir geschehen könnte. Es komme auf mich!«
»Nun gut, so mag es auf Dich kommen und zwar gleich jetzt!«
Er faßte den Scheik mit beiden Händen bei der Gurgel und drückte ihm diese so fest zusammen, daß der so unerwartet Ueberfallene keinen Athem holen konnte und die Arme schlaff herabsinken ließ. Er wurde ohnmächtig. Jetzt faßte Steinbach ihn bei der Brust, schwang ihn sich auf die Achsel und eilte mit ihm davon, in die Nacht hinein, dahin, wo sich die Pferde befanden. Diese waren jetzt ohne Beaufsichtigung, da alle männlichen Mitglieder des Stammes sich zum Berathungsfeuer begeben hatten. Steinbach suchte sich, so weit es die Dunkelheit zuließ, ein gutes heraus, stieg auf, legte den Besinnungslosen quer über das Pferd vor sich herüber und ritt davon.
Nena, der Indier, saß bewegungslos an seinem Platze, als ob er gar nichts zu befürchten habe. Einige Zeit lang blieb es ruhig. Dann ließ sich aus der Gegend, wo die Versammlung sich befand, ein dumpfes Stimmengewirr hören, und nachher kam Einer gelaufen und fragte:
»Wo ist der Scheik?«
»Bin ich sein Hüter?«
»War er nicht hier?«
»Frage ihn selbst.«
»Antworte doch! Wo in der Effendi?«
»Fort.«
»Wohin?«
»Zu seinen Beni Sallah.«
»Allah l'Allah! So ist wohl der Scheik in das Lager nach ihm suchen gegangen und findet ihn nicht.«
Er rannte fort nach dem Feuer, und dann hörte Nena, daß die Versammlung sich theilte, um den Scheik zu suchen. Niemand fand ihn. Darum kamen Alle zu dem Indier, um sich zu erkundigen. Dieser behielt seine vollständige Ruhe bei. Einer fragte:
»Hast Du den Scheik gesehen?«
»Ja.«
»Wo ist er?«
»Warum fragst Du da mich?«
»Weil wir ihn vergebens suchen; Du aber weißt es.«
»Wohl weiß ich es. Ihr werdet ihn vielleicht niemals wiedersehen.«
»Warum?«
»Er wird den Pfad des Todes wandeln.«
»Mann, Mensch, sprich deutlicher! Du meinst doch nicht etwa, daß er sterben wird?«
»Ja, das meine ich.«
»Ist ihm ein Unglück zugestoßen?«
»Ein sehr großes.«
»Welches?«
»Er hat sich den Zorn meines Effendi zugezogen, und ein größeres Unglück als dieses giebt es nicht.«
»Weshalb den Zorn?«
»Er wollte ihn verrathen, ihn betrügen.«
»Wieso?«
»Er sagte, daß Ihr thun wolltet, was der Effendi von Euch verlangt hatte, und es war nicht wahr.«
»Es war wahr.«
»Nein, es war eine Lüge. Ihr wolltet den Effendi überfallen und binden und niederwerfen.«
»Wer hat Euch das gesagt? Es ist nicht wahr.«
»Leugne nicht! Mein Effendi hat es selbst gehört. Er hat sich bei dem Zelte befunden, da, wo die Reitsättel liegen und Euren Anschlag belauscht.«
»Allah! Und wo ist er jetzt?«
»Fort, bei den Beni Sallah. Ich habe es Euch ja doch bereits gesagt. Warum fragt Ihr nochmals?«
»Und der Scheik?«
»Er ist auch mit fort.«
»Zu den Beni Sallah?«
»Ja.«
»Das lügst Du! Er wird nie und nimmer zu ihnen gegangen sein.«
»Freiwillig nicht; aber der Effendi hat ihn gezwungen; er hat ihn gefangen genommen.«
»Mensch, wenn das wahr ist, so bist Du des Todes!«
Es blitzten mehrere Messer in den Händen der Araber.
»Ich fürchte den Tod nicht; aber ich weiß, daß Ihr mich nicht berühren werdet.«
»Wir werden Dich langsam martern und tödten!«
»So werden Eure Töchter mit dem Scheik noch viel ärgere Qualen erdulden müssen.«
»Dich hat der Teufel zu uns gesandt!«
»Nein, ich bin im Gegentheil der Bote Allahs, des Allgütigen. Wäre ich nicht hier, so würden die Eurigen verloren sein.«
»Warum bist Du nicht auch mit dem Effendi gegangen?«
»Um Euch zu beweisen, welche Gnade und Langmuth er besitzt. Ich soll Euch noch eine Frist der Barmherzigkeit geben. Kommt mit zum Berathungsfeuer! Dort wollen wir weiter sprechen.«
»Sie folgten ihm, voll innern Grimm's, daß sie nun an Stelle Steinbachs diesen Mann hatten, dessen Besitz ihnen gar nichts nützen konnte. Sie wußten natürlich nicht, daß Steinbach den Indier auf keinen Fall verlassen, sondern im Gegentheile Alles gethan hätte, ihm die Freiheit wieder zu verschaffen. –
»Hört, was ich Euch sagen werde!« begann der treue Mann. »Ich soll nochmals dasselbe von Euch verlangen, was bereits der Effendi von Euch gefordert hat. Paßt auf, was ich thun werde!«
Er zog sein Pistol aus dem Gürtel, hielt es empor und drückte ab. Nach kaum einigen Sekunden wurde sein Schuß durch einen zweiten beantwortet, welcher in der Ferne fiel.
»Wer hat geschossen?« fragte Einer.
»Der Effendi. Ich habe ihm das Zeichen gegeben, daß die Berathung beginnt. Sie darf nur fünf Minuten dauern. Dann wird der Effendi wieder schießen, zum Zeichen, daß er Euern Bescheid hören will.«
»Wie soll er ihn hören?«
»Durch mich. Schieße ich nicht, so habt Ihr seine Forderung verworfen, und Eure Töchter werden mit dem Scheik getödtet. Schieße ich aber, so ist das ein Zeichen, daß Ihr seinen Vorschlag angenommen habt.«
»Wenn wir Dich nun überwältigen und an Deiner Stelle schießen, obgleich wir die Forderung des Effendi nicht befriedigen wollen?«
»So würdet Ihr Eure Lage nur verschlimmern. Ich muß, sobald ich geschossen habe, mit Einigen von Euch zum Effendi gehen, wo dann der Vertrag ausgefertigt wird. Jetzt beeilt Euch! Bedenkt, daß von den fünf Minuten bereits zwei verflossen sind. Der Effendi giebt Euch, seit er Euren Verrath kennen gelernt hat, keine weitere Frist!«
Er trat zurück. Jetzt waren sie Alle im höchsten Grade ängstlich geworden. Der bereits erwähnte Alte, welcher im Interesse des Friedens gesprochen hatte, erhob seine Stimme wieder, und zwar mit mehr Nachdruck und Erfolg als vorhin, wo der Scheik ihm so kräftig widersprochen hatte. Die Noth ging an den Mann, und selbst die Widerstrebendsten sahen ein, daß ihre Weigerung von der größten Gefahr für die Bedrohten sein werde. Von allen Seiten erhoben sich mahnende Stimmen.
Da erscholl Steinbachs zweiter Schuß.
»Nun, was beschließt Ihr?« fragte Nena. »Ich muß sofort Antwort geben, sonst ertheilt er den Befehl, daß die Eurigen getödtet werden.«
»Was geschieht dann mit Dir?«
»Das laßt meine Sorge sein!«
»Wir werden Dich auch tödten!«
»Was liegt an mir altem Manne! Uebrigens weiß ich, was ich in diesem Falle zu thun habe. So leicht, wie Ihr es denkt, würde es Euch nicht werden, mich zu ermorden. Also schnell!«
»Schieß los!« rief der Alte. »Schieß los in Allahs Namen! Wir gehen auf die Bedingung ein.«
Nena drückte los, lud dann die beiden Läufe seiner Pistole wieder und sagte:
»Jetzt nun sucht Euch sechs der besten Krieger aus. Sie sollen mich begleiten, um den Vertrag auszufertigen. Aber sie müssen unbewaffnet sein.«
Es ging nicht anders. Die Sechs wurden ausgewählt und gingen mit Nena fort.
Dieser führte sie durch den Palmenwald, an dem Gottesacker vorüber, den Berg hinab, in die Schlucht hinein, aus dieser wieder hinaus bis dahin, wo Steinbach mit seinen Beni Sallah hielt, die Gefangenen in der Mitte.
»Allah sei Dank!« rief der Scheik, tief aufathmend. »Ich hatte Angst, daß dieser Mann nicht schießen werde.«
Er hatte natürlich noch größere Angst um sein Leben gehabt. Steinbach nahm das Wort:
»Machen mir es kurz! Ich habe keine Zeit zu verlieren. Gehen die Beni Halaf auf meine Vorschläge ein, Nena?«
»Ja.«
»So bestimme ich Folgendes: Der Scheik wird mit den zwanzig Mädchen freigelassen; diese sechs Krieger aber reiten mit den Beni Sallah als Geißeln nach dem Dorfe der Letzteren, wo sie ein volles Jahr in aller Freundschaft zurückbehalten werden. Dann können sie wieder zu den Ihrigen zurückkehren. Sie reiten jetzt augenblicklich unter sicherer Begleitung ab. Die andern Beni Sallah bleiben hier, um die Bezahlung in Empfang zu nehmen, sobald es Tag geworden ist. Dann wird Friede und Segen sein zwischen den beiden tapferen Stämmen.«
Der Scheik widersprach noch ein Wenig. Den Geißeln paßte es natürlich gar nicht, daß sie so plötzlich die Heimath für die Dauer eines Jahres verlassen sollten. Da ihnen aber dabei keinerlei Gefahr drohte, so kam der Vertrag endlich zu Stande und wurde mit Eiden besiegelt, welche so heilig sind, daß sie von einem Moslem niemals gebrochen werden.
Zehn der Beni Sallah machten sich sofort mit den Geißeln auf den Rückweg. Es geschah das aus dem Grunde, daß die Beni Halaf ja nicht auf den Gedanken kommen konnten, in Beziehung dieser Sechs noch Einwände zu erheben. Die Anderen begaben sich sodann mit den Gefangenen, welche nun freilich frei waren, in das Lager.
Dort wurden sie willkommen geheißen, aber nicht etwa mit außerordentlichem Entzücken. Tarik aber war der Mann, seine Leute zu nehmen. Er trat in den Kreis der Versammelten, welche düster vor sich niederblickten und sagte:
»Die Beni Halaf hielten die Beni Sallah für ihre Feinde. Darum haben sie die drei Flüchtigen bei sich aufgenommen und sie nun wieder entkommen lassen. Das war nicht klug von ihnen, denn sie sollen es nun mit Kameelen oder Pferden bezahlen. Aber ich will ihnen beweisen, daß ich nicht ihr Feind, sondern ihr Freund bin. Wir haben die Beni Suef besiegt und eine große Beute gemacht; darum wollen wir nicht die Beni Halaf ihrer Habe berauben, sondern ihnen ihre Thiere schenken. Es sei Friede zwischen uns und ihnen! Nur die sechs Krieger mögen ein Jahr lang unsere Gäste sein, damit sie mit uns leben und dabei erfahren, daß wir es gut mit unsern Freunden meinen. Hier ist meine Hand. Der Scheik mag herkommen und die seinige hineinlegen zum Zeichen, daß wir Brüder sind!«
Diese Worte machten einen außerordentlichen Eindruck. Selbst Steinbach hatte dem jungen Manne keine solche Politik, keine solche weise Mäßigung zugetraut. Alles brach in Jubel aus. Die Gesichter der Beni Halaf wurden plötzlich ganz anders. Der Grimm verwandelte sich in Freude, der Aerger in Entzücken. Alle drängten sich an den jungen, wackern Scheik heran, um ihm die Hand zu drücken, und der alte Scheik der Beni Halaf rief:
»Du bist mein Bruder und mein Sohn! Willst Du meine Tochter zum Weibe haben?«
»Nein, ich danke Dir! Ich habe bereits ein Weib!«
»Das ist schade, jammerschade! Ich hätte sie Dir sehr gern gegeben, und Du wärst mein Erbe geworden; aber es kann nicht sein; ich muß mich drein ergeben. Allah ist groß, und Muhammed ist sein Prophet!«
Jetzt wurden mehrere Feuer angezündet, mehrere Hammel geschlachtet und mehrere große Krüge voll gegohrenen Palmensaft herbeigeholt. Das freudige Ereigniß mußte natürlich begastmahlt werden.
Während Steinbach sehr ernst diesen Vorbereitungen zuschaute, trat der alte Scheik zu ihm.
»Effendi, warum freust Du Dich nicht auch mit? Warum ist Deine Seele so betrübt?«
»Ich freue mich der Eintracht, welche zwischen Euch erwacht ist, und ich wünsche, daß sie nie ein Ende nehmen möge; aber ich habe Alles verloren, während Ihr Alles gewonnen habt. Ich gedachte, meine Feinde zu ergreifen, und nun muß ich die Jagd von Neuem beginnen.«
»Daran bin ich schuld, Effendi.«
»Ja freilich!«
»Hätte ich gewußt, welch ein gutes Ende die Sache nehmen werde, so wäre es mir nicht eingefallen, diese Hallunken entkommen zu lassen. Aber tröste Dich! Allah wird sie Dir wieder in Deine Hände geben. Und an mir hast Du Dich schon im Voraus gerächt.«
»Wieso?«
»Glaubst Du es, es sei ein Vergnügen oder gar eine Wonne, bei der Kehle gedrückt zu werden, bis man den Verstand verliert, und dann inmitten der Feinde wieder aufzuwachen? Ich glaubte da nicht, daß ich die Meinigen wiedersehen oder gar heute noch Lagmi trinken und Hammelbraten essen werde. Allahs Wege sind wunderbar. Er wird Dich so leiten, daß Du Diejenigen, welche Dir heute entkommen sind, auf das Leichteste wieder ergreifen kannst.«
»Das mag er geben. Ich muß ihnen sogleich nach.«
Tarik und Hilal waren herbei gekommen und hörten diese letzteren Worte.
»Das wirst Du nicht!« sagte Tarik. »Du wirst bei uns bleiben und Dich des Glückes freuen, welches wir nur Dir zu danken haben.«
»Nein, er wird nicht bleiben!« sagte dagegen Hilal. »Ein Mann läßt seine Feinde nicht entkommen. Ein Weib mag sich zum Lagmi setzen und Braten essen und dabei den Feind entlaufen lassen. Masr-Effendi muß die Flüchtigen ergreifen; er wird ihnen sofort nachjagen, und ich werde ihn begleiten.«
»Du?« fragte Steinbach erstaunt.
»Ja, ich.«
»Gedenke doch Deiner Hiluja!«
»Sie ist die Seele meines Lebens; aber sie bleibt mir gewiß. Ich habe vorher meine Pflicht zu thun. Wir danken Dir Alles. Meinst Du, daß ich Dich allein ziehen lasse? Und muß ich nicht mit? Bin ich nicht gezwungen dazu? Wer soll mit Dir zum Vicekönig gehen und ihm für Alles danken und einen Vertrag mit ihm abschließen? Das kannst Du nicht thun; das kann nur ich, der Bruder des Scheiks der Beni Sallah. Also laß Dich nicht abhalten, sondern bereite Alles zur Abreise vor, damit wir keine Zeit versäumen und die Flüchtigen noch einholen.«
Er hatte da sehr richtig gleich mehrere Gründe genannt, welche einen sofortigen Aufbruch nothwendig machten. Zwar erhoben die Anderen noch wenigstens ebenso viele Einwände, welche aber durch gewichtige Gründe bald niedergeschlagen wurden.
Es war den braven Arabern vom Stamme der Beni Sallah fast unmöglich, zu denken, daß der Mann, dem sie zu verdanken hatten, daß sie jetzt nicht vernichtet waren, der wie ein von Gott gesandter Bote und Wohlthäter unter ihnen erschienen war, nun plötzlich ebenso schnell von ihnen scheiden wollte, wie er bei ihnen aufgetaucht war. Sie mußten sich aber drein fügen.
Tarik bot ihm, Normann und dem braven Arabadschi Geschenke an, welche in guten, ausgezeichneten Reitkameelen bestanden, Steinbach aber wies das Alles ab und nahm nur einige kleine, an sich werthlose Andenken als Erinnerungszeichen von den Leuten an, deren Interessen ihm während der letzten Tage so wichtig, wie seine eigenen gewesen waren.
Es wurden die besten Kameele ausgesucht, gesattelt und mit Wasser und Proviant beladen; dann nahmen die Scheidenden Abschied. Als sie fortritten, Steinbach, Normann, der Arabadschi und Hilal, ertönten die lauten Klagen der Zurückbleibenden, die noch zu hören waren, als die kleine Carawane und ihre Lichter nicht mehr zu sehen waren.
Steinbach hatte nämlich die vorsichtige Veranstaltung getroffen, einige Fackeln anbrennen zu lassen, um die Spuren der Entflohenen wenigstens so weit verfolgen zu können, bis man sicher war, daß sie die eingeschlagene Richtung auch weiter verfolgen würden. Nena und Saïd gingen, diese Fackeln in den Händen, zu Fuß voran, um den Sand zu beleuchten; die Anderen folgten langsam im Sattel.
Als dann die Fährte die gleiche Richtung behielt und die Fackeln verbrannt waren, stiegen die beiden Genannten auch auf ihre Thiere, und dann ging es, so schnell die Kameele zu laufen vermochten, auf Dar el Gus Abu Seïd zu.
Dieser letztere Ort ist eine Landschaft, welche zu der sogenannten kleinen Oase gehört. Es war nicht sehr weit bis dorthin. Man erreichte dieses Ziel beim Anbruche des zweiten Morgens, und die Fährte der Verfolgten bewies, daß man sich hart auf den Fersen derselben befand.
Sie ritten in das zu der Landschaft gehörige Dorf El Kasr ein und lenkten nach dem Zelte des Scheiks.
Dieser trat ihnen aus der Thür entgegen, betrachtete sie mit finstren Blicken und fragte:
»Wer seid Ihr?«
»Sallam aaleïkum!« grüßte Steinbach. »Warum fragst Du, bevor Du den Gruß ausgesprochen hast?«
»Soll ich Euch grüßen, die Ihr Ungläubige seid!«
»Wer hat Dir das gesagt?«
»Ich weiß es.«
»Ich weiß es auch. Ich suche bei Dir drei Männer, welche Dir mitgetheilt haben werden, daß wir auf ihrer Fährte sind. Wo befinden sie sich?«
»Das weiß ich nicht.«
»Willst Du der Beschützer von Verbrechern sein?«
»Ich beschütze, wen ich will und lasse mir von keinem Menschen eine Vorschrift machen.«
»Ich werde Dich gut belohnen, wenn Du mir sagst, wo ich Diejenigen finde, welche ich suche.«
»Ich mag keine Belohnung von Dir.«
»So sage ich Dir, daß ich unter dem Schutze des Großherrn und des Khedive stehe. Wenn Du Dich weigerst, mir zu dienen, bist Du Dir selbst zum Schaden.«
»Die Männer, welche Du suchst, sind fort.«
»Wohin?«
»Nach Mendikkeh. Sie wollten den graden Weg noch Kairo einschlagen.«
Es war richtig, daß der angegebene Ort an dem gradesten Wege der Hauptstadt lag.
»Wann kamen sie hier an?«
»Vor drei Stunden.«
»Wann ritten sie wieder fort?«
»Nach einer Viertelstunde. Sie nahmen nur Wasser in ihre Schläuche; dann gingen sie wieder.«
»Und Du sagst mir die Wahrheit?«
»Ja.«
Dieser Mann hatte Etwas an sich, was nicht sehr vertrauenerweckend war; aber dennoch sah Steinbach es ihm an, daß er wenigstens mit seiner letzten Aussage keine Lüge gesagt hatte. Er wendete daher sein Kameel, um fort zu reiten und den Weg nach Mendikkeh einzuschlagen.
»Halt!« sagte da der Scheik. »Nehmt Ihr denn kein Wasser ein?«
»Nein.«
»Aber Ihr habt welches zu nehmen und uns zu bezahlen!«
»Wir brauchen keins.«
»Ohne Bezahlung aber dürft Ihr nicht fort. Ich habe das Recht, von jedem Reiter einen Zoll zu erheben.«
»Schäme Dich, von Ungläubigen Geld zu verlangen! Wärst Du uns höflich entgegengekommen, so hättest Du ein Geschenk erhalten, mit welchem Du ganz sicher sehr zufrieden gewesen wärst. So aber bekommst Du nichts, gar nichts.«
»So lasse ich Euch gar nicht fort!«
Er stellte sich Steinbach drohend in den Weg. Dieser aber zog seinen Revolver, hielt ihm denselben entgegen und rief ihm zu:
»Weiche zur Seite oder ich schieße Dich nieder!«
»Allah, Allah!« rief der Mann und sprang höchst erschrocken seitwärts.
Steinbach ritt mit den Seinen davon, ohne sich nach dem Kerl umzusehen.
Der Ort ist nicht groß. Die Zelte und Hütten lagen bald hinter ihnen Da meinte Normann:
»Glauben Sie wirklich, daß der Pascha und der Graf hier diesen Weg geritten sind?«
»Ich glaube es. Erstens sah der Scheik ganz so aus, als ob er die Wahrheit sage, und zweitens haben sie es so eilig, daß sich annehmen läßt, daß sie den gradesten Weg einschlagen. Warum sollten sie den Umweg über El Ajus reiten?«
»Um uns irre zu führen.«
»Hm! Sollten sie wirklich auf einen so klugen Gedanken gekommen sein? Hier ist eine Fährte. Ich will sie untersuchen.«
Er stieg ab. Nach genauer Untersuchung fand er, daß es ganz dieselben Thiere waren, denen man bisher gefolgt war. Gewisse kleine Merkmale, welche nur Steinbachs scharfes Auge erkennen konnte, bewiesen dies. Also stieg er wieder auf und ritt in der Ueberzeugung weiter, daß er die Verfolgten vor sich habe. Um den Vorsprung, welchen diese hatten, einzuholen, wurden die Thiere zur höchsten Eile angetrieben.
Bis Mendikkeh reitet man drei Stunden. Als sie dort ankamen, suchten sie ebenso den Scheik des Ortes auf, welcher sie freundlich begrüßte.
»Sind drei Reiter mit vier Kameelen hier durchgekommen?« fragte Steinbach.
»Ja.«
»Sind sie noch im Orte?«
»Nein. Sie sind nur einen kurzen Augenblick bei mir abgestiegen und dann gleich weiter geritten in der Richtung nach Kahira.«
»Ich danke Dir. Hier hast Du eine Belohnung für diese Auskunft. Sallam aalleïkum!«
Er gab ihm ein größeres Silberstück und wendete sich, um fortzureiten. Der Scheik sah das Geld, hier eine große Seltenheit. Ein solches Geschenk hatte er für seine wenigen Worte nicht erwartet.
»Halt!« rief er. »Warte noch einen Augenblick!«
Und als Steinbach sein Kameel wieder herumdrehte, trat er nahe zu dem Thiere heran und sagte:
»Deine Hand besitzt die Gabe der Wohlthätigkeit; darum will ich nicht haben, daß Du betrogen wirst.«
»Ach, Du hast mir die Unwahrheit gesagt? Du siehst mir aber gar nicht so aus.«
»Ich habe Dir die Wahrheit gesagt, aber in dem Munde der Anderen wohnt die Lüge. Du suchst zwei Fremde, welche mit einem Beni Suef nach Kahira reiten?«
»Ja. Du sagtest, sie seien hier durchgekommen.«
»Nein, das sagte ich nicht. Du frugst nach drei Reitern mit vier Kameelen; die kamen hier durch, das ist wahr; aber es sind nicht Diejenigen, welche Du suchst.«
»Wer denn?«
»Es sind drei Männer aus El Kasr, woher Du jetzt gekommen bist. Sie stiegen bei mir ab und rühmten sich, daß sie ausgeritten seien. Dich irre zu leiten.«
»Die Männer, welche Du suchst, haben in El Kasr ihre Thiere mit andern vertauscht, dem Scheik viel Geld gegeben und sind dann über Labu nach Kahira geritten. Die Thiere aber, auf denen sie ankamen, wurden von drei dortigen Männern bestiegen, welche hierher zu uns ritten, um Dich irre zu führen. Du solltest stets dieselbe Fährte vor Augen haben.«
»Verteufelt!«
»Sie werden noch so weit reiten, bis die Flüchtlinge einen genügsamen Vorsprung haben, und dann nach El Kasr zurückkehren und über Dich lachen. Die Kameele, welche sie eingetauscht haben, sind weit besser als Diejenigen, welche sie dafür hingaben. Sie machen ein sehr gutes Geschäft.«
»Dieses Geschäft soll ihnen wohl verdorben werden! Ich danke Dir für Alles, was Du mir sagtest. Hier hast Du noch ein Geschenk! Wie lange ist es her, seit diese Kerls hier durchgekommen sind?«
»Keine ganze Stunde.«
»So müssen wir sie in zwei Stunden einholen. Allah sei mit Dir!«
Er sauste mit seinen Begleitern durch den Ort und in die Wüste hinaus, wo die deutlich sichtbaren Spuren ihm zeigten, wo die drei Betrüger geritten waren.
Hilal, welcher die Kameele zu behandeln verstand, ritt an der Spitze und zog die Pfeife hervor. Die Töne derselben wirkten mehr als die Peitsche. Die Thiere strengten alle Kräfte an, so daß sie förmlich mit der Schnelligkeit des Sturmes dahinflogen.
»Was werden wir mit den Kerls thun, wenn wir sie einholen?« fragte Normann.
»Ihnen die Thiere abnehmen, so daß sie zu Fuß nach Hause laufen müssen. Und nebenbei sollen sie noch eine Lehre erhalten, welche sie nicht so schnell vergessen werden.«
Er hob bei diesen Worten die schwere, aus Nilpferdhaut geschnittene Kameelpeitsche empor.
Kaum waren anderthalb Stunden vergangen, so sahen sie die vier Kameele vor sich, drei Reiter und ein leeres Thier. Auch sie wurden natürlich nun bemerkt. Die Reiter hielten ihre Thiere an und stiegen ab.
»Ah, sie wollen sich lagern, um uns in Muße auslachen zu können!« sagte Steinbach. »Sie sollen ihre Freude erleben. Sie, Normann, ich und Hilal, wir nehmen ein Jeder einen Mann, aber so schnell, daß sie die Waffen nicht gebrauchen können. Das Uebrige besorge ich selbst.«
In zehn Minuten hatten sie die Gruppe eingeholt. Die Kameele lagen und die drei Männer saßen im Sande, die Kommenden mit höhnischen Blicken betrachtend. Diese hielten an.
»Woher?« fragte Steinbach.
»Was geht es Dich an!« antwortete Einer stolz.
»Wohin?«
»Nach Hause.«
Steinbach und seine Begleiter sprangen aus den hohen Sätteln herab. Der Erstere fuhr fort, auf die Thiere der Lagernden zeigend:
»Diese Kameele kommen mir bekannt vor.«
»Sie gehören uns.«
»Nein. Sie sind den Beni Halaf gestohlen worden.«
»Wir sind keine Diebe. Was fällt Dir ein!«
»Aber Ihr habt sie von den Dieben eingetauscht, welche nach Labu sind, und Ihr reitet diesen Weg, um uns irre zu führen.«
»Bist Du verrückt! Sage noch ein solches Wort, so schieße ich Dich über den Haufen!«
Der Sprecher war bei diesen Worten aufgesprungen und griff nach seiner Pistole. Auch die beiden Andern standen auf.
»Du willst schießen? Warte, da will ich erst laden, aber nicht Deine Pistole, sondern Dich!« rief Steinbach.
Er schlug dem Manne blitzschnell die Waffe aus der Hand, faßte ihn beim Genick, wirbelte ihn einige Male um sich selbst und warf ihn dann zu Boden, daß Alles krachte. Dann knieete er ihm mit einem Beine auf den Nacken und begann nun, den Hintertheil des Mannes mit der Peitsche zu bearbeiten, daß die Hosen in Fetzen flogen.
Ebenso schnell hatten auch Normann und Hilal die beiden Anderen ergriffen und entwaffnet. Saïd und Nena halfen ihnen und nahmen die Waffen zu sich. Als Steinbach den Einen so durchgeprügelt hatte, daß er liegen blieb, kamen auch die beiden Andern daran. Sie brüllten wie die Eber, fluchten entsetzlich und gaben, als dies nichts half, gute Worte – vergebens. Die Peitsche verrichtete eine so vollständige Arbeit, daß Steinbachs kräftiger Arm ermüdete.
»So!« sagte er. »Ihr habt über uns lachen wollen, jetzt könnt Ihr Euch selbst auslachen, Ich will Euch lehren, Euch über einen Effendi aus dem Abendlande lustig zu machen!«
»Giaur!« knirrschte einer von ihnen.
»Willst Du noch mehr? Du sollst Deinen Willen haben. Da!«
Er schlug von Neuem auf ihn ein. Die beiden Andern mochten glauben, daß nun auch an sie nochmals die Reihe käme; sie sprangen auf und eilten davon. Der Dritte sah dies, riß sich von Steinbach los und folgte ihnen in so großen Sprüngen, als ihm die Schwielen erlaubten, welche er erhalten hatte.
»Grüßt Euern Scheik von mir!« lachte Steinbach ihnen nach, »und sagt ihm, daß ich Euch den Zoll gegeben habe, den ich ihm verweigerte!«
Jetzt nun wurden die erbeuteten Thiere an einander gebunden; die Reiter stiegen auf und eilten weiter, nach dem Rathe Hilals, welcher den Weg kannte, quer durch die Wüste auf Abu Mehery zu, wo auch der Russe, der Pascha und der Suef durchkommen mußten. Der Gedanke, Steinbach zu täuschen, war diesen drei Genannten von Nutzen gewesen, denn als der Deutsche mit seinen Begleitern nach Abu Mehary kam, erfuhr er, daß die Gesuchten bereits vor vier oder fünf Stunden durch den Ort gekommen seien.
Hier mußte nothwendiger Weise Halt gemacht werden, um die leeren Wasserschläuche zu füllen. Dann aber ging es eiligst weiter, nach Meghara, wo sie erfuhren, daß die Gesuchten noch immer einen sehr ansehnlichen Vorsprung hatten.
Von hier aus führte die sehr belebte Carawanenstraße grad ostwärts auf Kairo zu. Diese letzte Strecke wurde bei Nacht zurückgelegt.
In Dschiseh angekommen, von wo aus man die Pyramiden zu besuchen pflegt, erhielten sie die Gewißheit, daß die Verfolgten vor drei Stunden hier gewesen seien. Nun ging der Ritt am viceköniglichen Palaste vorüber und über die Brücke der beiden Nilarme, welche die Insel Bulak einschließen. Als sie am Hafen von Bulak vorüberkamen, sahen sie die Yacht des Lords am Ufer liegen. Sie hatten jetzt aber keine Aufmerksamkeit für dieselbe, sondern sie ritten direct nach dem Hotel, in welchem Wallert (Adlerhorst) mit Tschita Wohnung genommen hatte.
Beide waren zu Hause. Tschita heißt zu Deutsch Blume, und das schöne Mädchen blühte in Wahrheit wie eine Rose, als sie mit ihrem Bruder die Zurückkehrenden begrüßte. Steinbach nahm sich keine Zeit zu langen Verhandlungen und Berichten. Er sagte:
»Wir haben Ibrahim Pascha und den Russen getroffen und verfolgt. Sie sind vor drei Stunden hier angekommen, und ich muß sofort auf die Suche gehen. Ihre Nachforschungen sind jedenfalls erfolglos gewesen?«
»Ja,« antwortete Wallert. »Aber ich glaube, der Lord ist so glücklich gewesen, die Bekanntschaft einer Dame zu machen, von der es möglich ist, daß sie Gökala ist.«
»Unmöglich!« rief Steinbach. »Wo ist sie?«
»In einer kleinen Gasse der Altstadt.«
»Und der Lord?«
»Wohnt ihr gegenüber. Er hat von ihr einen Brief an Sie.«
»Dann sofort hin, schnell hin! Um aber für alle Fälle bereit zu sein, mag ein Bote nach der Yacht laufen und sagen, daß der Kessel gefeuert werden soll. Auch hier muß sofort eingepackt werden. Man weiß nicht, ob wir nicht gezwungen sind, augenblicklich abzureisen.«
Er eilte mit Wallert fort, in die enge Gasse, zu dem Lord, welcher mit dem Steuermann in seiner Stube saß und Arabisch trieb. Er sprang freudig erstaunt auf, als er die Beiden eintreten sah. Um zu zeigen, daß er Arabisch gelernt habe, grüßte er:
»Ahla wa sahla wa marhala!«
»Unsinn!« sagte Steinbach eilig. »Geben Sie mir den Brief!«
»El Meltub heißt Brief. Itfaddal isterih, nehmen Sie gefälligst Platz!«
»Lassen Sie Ihr Arabisch beim Teufel! Ich will den Brief haben, den eine Dame Ihnen für mich gegeben hat!«
»Alle Teufel, haben Sie es eilig! Hier ist er.«
Er nahm ihn aus einem Kasten und gab ihn Steinbach, welcher ihn mit fieberhafter Hast öffnete und sodann las. Der Inhalt lautete:
»Mein Geliebter!
Ich preise Gott, daß er mir Gelegenheit giebt, Dir diese Zeilen zu senden. Sei barmherzig und forsche nicht weiter nach mir. Dein Forschen macht meinen Vater unglücklich, für den ich Alles, Alles trage und auch ferner tragen will. Ich sage Dir mit blutendem Herzen und sterbender Seele Lebewohl für's ganze Leben. Sei glücklich! Nimm tausend Küsse und die ewigen Gebete Deiner armen
Gökala.«
»Sie ist's, sie ist's!« rief Steinbach. »Wo wohnt sie?«
»Drüben, gegenüber,« antwortete der Lord.
»Führen Sie mich!«
»Wir dürfen nicht.«
»Unsinn? Ich muß hinüber. Ihr begleitet mich Alle; vielleicht brauche ich Eure Hilfe.«
Er stürmte voran, die Treppe hinab, ihm nach die drei Andern, über die zwei Schritte breite Straße hinüber. Die Thür war verschlossen.
Steinbach klopfte. Ein kleines Loch wurde geöffnet, und eine alte Frau ließ ihr Gesicht sehen.
»Was willst Du?«
Laß mich ein! Hier hast Du!
Er schob ihr ein Goldstück durch das Loch hinein.
»Oh Allah!« rief sie aus. »Gold! Tritt herein!«
Sie öffnete.
»Ist Gökala da?« fragte er eilig.
Sie betrachtete ihn forschend und fragte:
»Bist Du Steinbach Effendi?«
»Ja. Hat sie von mir gesprochen?«
»Ja. Ihr Mann kam. Sie mußte schnell zusammenpacken; dann gingen sie fort.«
»Wohin?«
»Ich weiß es nicht. Sie nahmen für immer Abschied. Gökala hat noch Zeit gefunden; mir dies Papier zu geben.«
Sie reichte ihm einen beschriebenen Zettel hin, auf welchem die Zeilen standen:
»Geliebter.
Der Graf kam. Er schäumt vor Wuth. Ich hörte von ihm, daß Du ihn verfolgst. Vielleicht findest Du dieses Haus, dann sind wir fort. Forsche aber ja nicht weiter, wenn Du mich nicht ganz unglücklich machen willst. Gott behüte Dich! Meine Seele bleibt bei Dir. Deine
Gökala.«
»Und dennoch werde ich forschen!« rief er aus. »Du weißt also nicht, wohin sie sind?«
»Sie hatten doch Gepäck. Wer hat das getragen?«
»Der Hammal, welcher stets an der Ecke dieser Straße steht.«
»Den suche ich. Kommen Sie, Wallert. Und Sie, Lord, rüsten sich zur schleunigen Abfahrt. Wir treffen uns auf der Yacht.«
Er eilte mit Wallert fort. An der Straßenecke stand der Hammal. Steinbach kannte den Schlüssel zur Zunge dieser Leute. Er gab ihm ein ansehnliches Geschenk und fragte nach dem Graf und Gökala. Der Packträger sah das Goldstück schmunzelnd an und sagte:
»Ich soll es nicht verrathen; aber der Herr ist mit der Frau nach der Sikket el Hadid (Eisenbahn). Eine Schwarze war dabei. Auf dem Bahnhofe kam noch ein Herr zu ihnen. Sie stiegen ein und nahmen Karten nach Alexandrien. Ich hörte es.«
Steinbach eilte weiter. Unterwegs gab er Wallert die Weisung:
»Gehen Sie in das Hotel und lassen Sie alles Gepäck nach dem Bahnhofe schaffen. Ich muß zum Vicekönig, um Bericht zu erstatten über meine Erfolge bei den Beduinen. Mit seiner Hilfe werde ich leicht einen Verhaftsbefehl betreffs Derer erhalten, welche ich festnehmen lassen will.«
Sie trennten sich.
Als Steinbach nach etwas über einer Stunde in das Hotel zurückkehrte, glänzte auf der Brust seines schmutzigen Anzuges ein Orden. Er trieb die Andern zur Eile und sagte ihnen, daß er auf dem Bahnhofe zu ihnen stoßen werde. Von da begab er sich auf die Polizei, welche nach Vorzeigung der viceköniglichen Verordnung sofort den Telegraphen nach Alexandrien spielen ließ.
Dann eilte er nach der Yacht, deren Esse bereits dampfte. Der Lord war reisefertig an Bord.
»Sie dampfen nilabwärts,« sagte Steinbach, »und zwar mit möglichster Schnelligkeit; den Canal benutzen Sie nach Alexandrien.«
»Wo treffen wir uns da?«
»Am Quai, wo ich Sie erwarte oder erwarten lasse. Aber in Damanhur können Sie einmal aussteigen und auf der Polizei nach mir fragen. Sollte ich Sie ja in irgend einer Beziehung zu benachrichtigen haben, so finden Sie dort meine Weisung.«
Ein kurzer Abschied, und dann eilte er nach dem Bahnhofe. Er wußte nicht, wann die Züge gingen und erfuhr zu seinem Leidwesen, daß er volle sechs Stunden zu warten habe.
Er verlangte nun eine Extramaschine; aber eine solche war leider nicht zu haben, eine Folge der egyptischen Zustände. Es blieb also den Reisenden nichts Andres übrig, als ihre Ungeduld zu beherrschen. Dieser Aufschub aber erlaube doch wenigstens einen ordentlichen Abschied von Hilal, welcher auch auf dem Bahnhofe eingetroffen war.
»Der Khedive will Dich sehen,« sagte ihm Steinbach. »Ich habe Dich angemeldet und Dir den Weg geebnet. Fahre so fort, wie Du begonnen hast, so wirst Du glücklich sein!«
»Effendi, ich habe mein Glück nur Dir zu danken!«
»Nein, Gott und Dir selbst. Grüße die Deinen alle von mir, und sage ihnen, daß ich allezeit in Freundschaft und Liebe an sie denken werde.«
Er reichte ihm die Hand.
»Willst Du mich jetzt schon fortschicken, Effendi?«
»Ja. Das lange Abschiednehmen ist nicht gut. Es ist eine Qual für das Herz.«
»Aber ich möchte Dich bis zum letzten Augenblicke sehen, den Du noch hier verweilst!«
»Du mußt ja zum Khedive!«
»Er mag warten. Du bist mir lieber.«
Der brave Kerl war wirklich nicht fortzubringen. Er wartete die kurze Zeit noch, bis endlich der Zug sich in Bewegung setzte. Da erst gab er Steinbach die Hand und sagte:
»Meine Seele ist betrübt, Effendi. Meine Gedanken werden stets bei Dir sein. Kommst Du wieder einmal in dieses Land, so eile zu uns. Die Söhne und Töchter der Beni Sallah werden Dich hoch willkommen heißen und den Tag festlich begehen, an welchem Du wieder in unsere Mitte trittst. Allah gebe Dir ein langes Leben und nachher das Paradies!«
Die Räder und Achsen kreischten. Der Zug setzte sich in Bewegung, am Palaste Tuschun vorüber, zwischen dem Kanale und dem Nile nach Norden hin, Alexandrien entgegen.
Man kann sich leicht denken, mit welcher Sehnsucht die Reisenden diesem Ziele entgegenblickten. Leider aber erreichten sie es erst zu später Abendstunde. Während die Andern einstweilen auf dem Bahnhofe blieben, eilte Steinbach nach der Polizei. Er erhielt die ganz unerwartete Nachricht, daß Personen, wie sie in der Depesche beschrieben seien, gar nicht in Alexandrien angekommen seien.
»Das heißt, auf der Bahn?«
»Ja.«
»Aber zu Schiffe, auf dem Kanale?«
»Auch nicht.«
»Oder zu Lande durch eins der Thore?«
»Ebenso wenig. Wir haben die sämmtlichen Eingänge zu Lande und zu Wasser besetzen lassen. Wissen Sie genau, daß die betreffenden Personen wirklich nach Alexandrien wollten?«
»Vielleicht können sie unterwegs ihren Plan geändert haben, weil sie sich sagten, daß sie verfolgt und also hier erwartet würden.«
»Das liegt freilich im Bereiche der Möglichkeit.«
»Dann wären sie von Damanhur aus auf die andere Strecke gegangen, welche dort nach Rosette abzweigt. Soll ich einmal dort telegraphisch anfragen, Effendi?«
»Ich bitte sehr darum.«
Der Telegraph spielte, und nach wenigen Minuten bereits kam die Antwort:
»Werden sofort nachforschen.«
»Jetzt hatte Steinbach weit über eine Stunde zu warten. Er ließ während dieser Zeit das Signalement des Grafen und des Pascha nach Damanhur telegraphiren. Nach anderthalber Stunde endlich gab der Telegraph das Glockenzeichen. Der Bescheid lautete:
»Die zwei Beschriebenen sind mit einer verschleierten Frau und einer schwarzen Dienerin hier aus- und in den Zug nach Rosette gestiegen. Müssen bereits dort angekommen sein.«
Sofort ließ Steinbach telegraphiren:
»Lord Eagle-nest wird nach mir fragen. Mag schleunigst nach Rosette dampfen anstatt hierher.«
Dann kehrte er nach dem Bahnhof zurück, von welchem aus er wieder nach Rosette an die dortige Polizei telegraphirte. Das war Alles, was er unter den gegebenen Umständen thun konnte.
Rosette ist mit Alexandrien durch eine Eisenbahn verbunden, welche immer am Meere hinläuft und dabei Abukir mit berührt. Diese Bahn mußte Steinbach benutzen. Der Zug ging erst gegen Morgen, und so kam er mit seiner Begleitung erst am Vormittage dort an.
Auch hier war sein erster Weg nach der Polizei, wo er die vicekönigliche Verordnung vorzeigte und in Folge dessen mit größter Ehrerbietung empfangen und behandelt wurde. Die Nachforschungen der Polizei aber waren vergeblich gewesen. Seine Depesche war erst angekommen, als die Gesuchten sich bereits in Rosette befanden. Man hatte sofort alle öffentlichen Häuser und auch diejenigen Privatwohnungen, in denen Fremde aufgenommen zu werden pflegten, genau durchsucht, aber nichts gefunden. Die Polizei hatte alle Straßen und Plätze beobachtet, ohne nur die geringste Spur der Gesuchten zu entdecken.
»Sie sehen, daß wir unsere Pflicht gethan haben,« sagte der Chef der Polizei. »Mehr konnten wir unmöglich leisten.«
»Haben Sie auch die Schiffe untersucht?«
»Die Schiffe?« fragte der Mann erstaunt.
»Freilich! Das war ja das Erste und Notwendigste.«
»Wieso?«
»Weil Flüchtlinge gewöhnlich so rasch wie möglich an Bord zu gelangen streben.«
»Wer hier an Bord will, hat sich erst bei uns zu melden, und da die Betreffenden sich nicht gemeldet haben, so sind sie also nicht an Bord gegangen.«
»Wie nun, wenn sie ohne Ihre Erlaubniß ein Schiff bestiegen haben?«
»Das wollte ich mir verbitten!«
»Wenn das Schiff bereits fort ist, so ist es wohl dann zu spät, sich eine solche Unterlassungssünde zu verbitten. Ich muß Sie dringendst ersuchen, alle im Hafen liegenden Schiffe durchforschen zu lassen.«
»Böse Arbeit!«
»Die ich Ihnen aber nicht erlassen kann. Welche Schiffe haben seit gestern Abend den Hafen verlassen?«
»Gestern keins. Heut Morgen zwei Segler, nach Damiette und Port Saïd bestimmt, und sodann ein französischer Dampfer, welcher nach Marseille geht und unterwegs Kandia anläuft.«
»Passagierschiff?«
»Nein, sondern Packetfahrer.«
»Der Name?«
»Die ›Bouteuse‹, Capitän Leblanc.«
»Werde mich gleich selbst nach diesem Fahrzeuge erkundigen.«
Er ging. Am Nilhafen angekommen, sah er eben die Yacht des Engländers ans Ufer legen.
»Gefunden?« rief der Lord, welcher auf dem Deck stand und ihn erblickte.
»Nein.«
»Verdammt! Sie können doch nicht durch die Luft davongeflogen sein! Was thue ich?«
»Nehmen Sie schleunigst Kohlen ein und was Sie sonst zur Seefahrt brauchen. Es ist möglich, daß wir bald in See stechen.«
»Well Sir! Soll geschehen.«
Jetzt erkundigte sich Steinbach, an welcher Stelle der französische Dampfer gelegen hatte. Er erfuhr es und begab sich hin. Dort saß eine Frau mit zwei Kindern, diese an der egyptischen Augenblindheit erkrankt waren. Er erkundigte sich bei ihr, ob sie stets hier sitze, und erfuhr, daß dies der Fall sei. Als er nun weiter fragte, antwortete sie:
»Zwei Männer und ein Weib gingen gestern Abend auf das Schiff. Es war eine Negerin dabei. Die Verschleierte schenkte mir Geld. Einer der Männer zankte sie aus, daß sie dabei ein Wenig zurückblieb.«
»Hast Du gehört, wie er sagte?«
»Ja.«
»Nun, wie?«
»Vorwärts, Gökala!«
»Ich danke Dir! Hier hast Du Geld.«
Er gab ihr zwei Goldstücke, so daß sie vor Glück laut aufschrie. Als er sich entfernte, rief sie ihm den tausendfachen Segen Allahs nach.
Was die ganze Polizei seit gestern nicht fertig gebracht hatte, das war ihm in Zeit von einer Viertelstunde gelungen. Er kehrte nach der Polizei zurück, wo der Chef die Untergebenen versammelt hatte und im Begriff stand, ihnen seine Instruction in Betreff der Durchsuchung der Schiffe zu ertheilen. Es war sehr erklärlich, daß Steinbach sich nicht in der besten Laune befand. Abermals waren ihm die Gesuchten entgangen, und zwar jetzt in Folge der Nachlässigkeit des obersten Polizeibeamten. Darum sagte er in einem nicht zu höflichen Tone:
»Das ist nun unnöthig geworden.«
»Warum?«
»Die, welche wir suchen, sind fort, und Sie haben sie entkommen lassen!«
»Wieso?«
»Sie haben sich bereits gestern Abend an Bord der Bouteuse begeben.«
»Allah! Ist es möglich!«
»Ich weiß es ganz gewiß. Was rathen Sie mir nun?«
»Hätten Sie ein schnelles Fahrzeug, so könnten Sie den Dampfer noch einholen. Er ist erst seit kaum einer Stunde fort und ist so schlecht gebaut, daß er nur langsam fortkommt.«
»Glücklicher Weise steht mir eine Schnellyacht zur Verfügung.«
»So eilen Sie? Allah ist groß. Wer eine Yacht braucht, dem giebt er eine. Sein Name sei gepriesen.«
Nach Verlauf von nicht viel über einer Stunde befanden sich Alle an Bord: Der Lord mit seinen Leuten, Steinbach, Normann, Wallert, Tschika mit der Stummen, Nena und der Arabadschi. Die kleine Yacht stieß vom Lande und dampfte den Nilarm vollends hinab, in die See hinaus.
Zunächst ging die Fahrt langsam, weil das Fahrwasser hier sehr gefährlich ist. Dann aber, als offene See vor dem Kiele lag, ließ der Lord vollen Dampf geben. Das kleine Fahrzeug legte sich leicht zur Seite und schoß wie eine Schwalbe durch die Fluth.
Der Steuermann hatte die Seekarte vor sich liegen, auf welcher die Kurse genau verzeichnet waren. Er brauchte sich nur nach ihr zu richten und den Kurs auf Kandia einzuhalten.
Kurz nach Mittag tauchte vor ihnen ein großer Dampfer auf. Als sie sich ihm näherten, sahen sie hinten an seinem Sterne in großen, goldenen Buchstaben den Namen » La bouteuse.«
»Wir haben ihn!« sagte Steinbach erleichtert. »Steuermann, halten Sie Seite an Seite!«
Der Steuermann gehorchte diesem Befehle, und bald dampfte die Yacht hart neben dem Dampfer her. Der Capitän des Letzteren stand auf der Commandobrücke, blickte höhnisch auf die Yacht herab und fragte zu derselben herüber:
»Fahrzeug, ahoi! Woher?«
»Rosette,« antwortete Steinbach.
»Wohin?«
»Zur Bouteuse.«
»Zu mir? Was wollt Ihr?«
»An Bord. Ich bitte, beizudrehen.«
»Was habt Ihr an Bord zu thun?«
»Flüchtlinge suchen.«
»Die sind da.«
»So bitte ich um die Auslieferung derselben.«
»Verrückte Idee! Ihr seid ein Deutscher?«
»Ja.«
»Gut, so kommt nach Sedan oder Metz, da werde ich Euch die Leute ausliefern, eher aber nicht.«
»Ich werde sie noch eher bekommen.«
»Meinetwegen! Aber macht, daß Ihr mir von der Seite kommt, sonst mache ich eine Wendung und dampfe Euch auf den Grund!«
»Verdammter Franzose!« fluchte der Lord. »Was ist zu thun, Master Steinbach?«
»Er braucht uns die Leute allerdings auf offener See nicht auszuliefern; aber wir brauchen ja nur in seinem Fahrwasser zu bleiben. Auf Kandia legt er an; da befindet er sich also in einem Hafen, und dort muß er der Polizei gehorchen.«
»Gut, bleiben wir also in seinem Wasser!«
»Nur nicht zu nahe,« meinte der Steuermann. »Dieser Kerl ist sonst im Stande, Rückdampf zu geben und uns in die Tiefe zu fahren, wie er gedroht hat.«
»Ich glaub gar, da oben auf Deck stehen sie!« meinte der Lord.
Und es war auch so. An dem Schiffsgeländer lehnten der Graf und der Pascha und winkten hohnlachend mit ihren Tüchern herab.
»Recht so!« rief ihnen der Capitän zu. »Jetzt sind die Affen an der Quelle und dürfen doch nicht saufen. Das giebt mir ganz besonders Spaß, weil dieser Steinbach, von welchem Sie mir erzählt haben, so ein verdammter Deutscher ist.«
»Aber Capitän, der Kerl ist kein Dummer! Er ist klug und wird uns auf der Ferse bleiben, bis wir einen Hafen erreichen, und dann sind Sie gezwungen, uns auszuliefern.«
»Pah! Der Kerl denkt, ich fahre nach Kandia, was freilich auch der Fall ist. Aber wenn Sie noch fünfhundert Franken bezahlen, so kommt es mir auf einen Umweg nicht an.«
»Die Fünfhundert sollen Sie haben, natürlich aber erst dann, wenn wir in Sicherheit sind.«
»Versteht sich! Ein Franzose verkauft Niemandem die Katze im Sacke.«
»Wohin werden Sie uns da bringen?«
»Ich warte, bis es dunkel ist und mache dann eine Schwenkung nach Nord, die dieser Deutsche nicht bemerken kann, weil er sich hüten muß, ganz nahe an uns heran zu kommen. Dann bringe ich Sie nach Rhodos, von wo es Ihnen frei steht, sich dahin zu wenden, wohin es Ihnen beliebt. Der Deutsche mag sich dann die Augen aussuchen: ich habe nichts dagegen. Und begegne ich ihm später, so werde ich ihm eine Nase machen, welche länger als mein Bugspriet sein soll.«
Der französische Capitän aber hatte seine Rechnung ohne Steinbach gemacht. Dieser lehnte an der Brüstung der Yacht und behielt das Frachtschiff scharf im Auge; er sagte sich, daß der Franzose es als eine Ehrensache betrachten werde, die Passagiere nicht abzuliefern. Da er nun, falls er in Kandia anlegte, nichts gegen die Ergreifung derselben thun könne, so lag für Steinbach der Gedanke nahe, daß der Franzose lieber gar nicht nach dieser Insel gehen, sondern das Dunkel der Nacht benutzen werde, um dieselben an einem andern, sicherern Orte abzusetzen.
Der Steuermann hielt die Yacht jetzt in ziemlicher Distanz von dem Dampfer und folgte diesem aber in ganz gleicher Schnelligkeit. Jetzt befahl Steinbach einen der Matrosen an die Logleine, um die Schnelligkeit zu messen, in welcher sich die beiden Dampfer fortbewegten. Es stellte sich heraus, daß sie nur zwölf Seemeilen in der Stunde zurücklegten: da nun die Entfernung zwischen Rosette und Kandia ungefähr dreihundert Seemeilen beträgt, so waren seit der Abfahrt fünfundzwanzig Stunden erforderlich, um den letzteren Ort zu erreichen. Behielt man die gegenwärtige Schnelligkeit bei, so war man also ungefähr morgen um die Mittagszeit in Kandia.
Jetzt aber verminderte der Franzose plötzlich seine Schnelligkeit um neun Knoten; das war höchst auffällig. Steinbach ging zum Steuermann, um diesen auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Derselbe meinte kopfschüttelnd:
»Unbegreiflich! Bei dieser Langsamkeit kommt der Franzose erst morgen des Nachts nach Kandia, und das kann er doch nicht beabsichtigen.«
»Nein, das beabsichtigt er jedenfalls nicht. Ich meine vielmehr, er will uns eine Nase ansetzen. Er fährt langsamer, um nicht zu weit nach West zu kommen und seine Passagiere heut während der Nacht an einem östlichen Ort auszuschiffen, vielleicht also in Rhodos oder auch auf Karpathos.«
»Richtig, richtig, so wird es sein! Es giebt gar keinen andern Grund für ihn, seine Schnelligkeit zu vermindern. Aber ich werde ihm ein Schnippchen schlagen.«
»In wiefern?«
»Ich dampfe ihm voraus, damit er denkt, wir gehen schnell nach Kandia, um ihn dort zu erwarten und abzufangen; aber ich entferne mich so weit nur von ihm, daß ich ihn im Auge behalten kann, während er uns nicht mehr sieht, da unsere Yacht zu klein ist. Er wird dann sofort den Kurs ändern, und wir folgen ihm, er mag fahren, wohin er will.«
Dieser Plan hatte natürlich Steinbachs volle Zustimmung, und er zeigte sich auch bald als sehr gut ausgedacht, denn kaum war die kleine Yacht im Westen verschwunden, so ließ der Franzose nach Norden halten, grad auf Rhodos zu. Er ahnte nicht, daß er von Steinbach beobachtet sei und nun von demselben aus sicherer Ferne verfolgt werde.
Nach Rhodos sind von Rosette aus zweihundertundachtzig Seemeilen, und da der Franzose jetzt wieder vollen Dampf gab und nun sechzehn Meilen in der Stunde machte, so ließ sich erwarten, daß er am Anbruch des Morgens die erwähnte Insel erreichen werde.
Diese Berechnung erwies sich als richtig. Als die Nacht vergangen war und der Tag heranbrach, sahen sie vor sich die Bergkuppen von Rhodos auftauchen; links aber lag die lang gestreckte Gestalt von Karpathos.
»Da haben wir unser Ziel,« sagte der Capitän zu dem Russen und dem Pascha, welche bei ihm standen. »Dieser Deutsche soll sich todt ärgern, wem er bemerkt, wie ich ihn überlistet habe!«
Fast grad im Kurse lag ein Fischerboot in See, welches das Segel fallen gelassen hatte und nun sich mit den Netzen von den Wellen treiben ließ. Drei Männer saßen darin. Der Franzose war doch kein Dummkopf. Er dachte daran, daß doch vielleicht irgend ein Schiff im Hafen von Rhodos liegen könne, von welchem Steinbach beim zufälligen Zusammentreffen erfahren werde, wo die von ihm Gesuchten abgesetzt worden seien. Er ließ daher stoppen und fragte die Fischer, was für Schiffe im Hafen seien.
»Nur türkische und griechische Segler,« lautete die Antwort, »außer einer englischen Dampfyacht, die vor anderthalb Stunden hier vorüberkam.«
»Wie hieß sie?«
»Lord Eagle-nest.«
»Donnerwetter!« wendete sich der Capitän zu den beiden Passagieren. »Dieser verdammte Steinbach hat uns durchschaut und ist uns vorausgedampft.«
»Was thun wir da? Wieder umkehren?«
»Nein. Er würde es merken und uns wieder folgen. Er hat uns noch nicht gesehen. Ich fahre nach Karpathos und setze Euch dort ab, wo Ihr in größter Sicherheit eine weitere Gelegenheit abwarten könnt. Dann dampfe ich nach Rhodos und kehre, sobald ich ihn sehe, um, als ob ich fliehen wolle. Er wird schnell hinter mir her sein, und ich beschäftige ihn so lange, bis Ihr in Sicherheit seid. Vor Allem aber müßt Ihr diesen Fischern ein Geschenk geben, damit sie nicht verrathen, daß wir hier gewesen sind.«
Auf einen Zuruf kam einer der Fischer auf dem kleinen Nachen, den sie anhängen hatten, herbei und erhielt seine Instruktion nebst dem Trinkgelde. Dann hielt der Franzose nach Karpathos hinüber, hinter dessen Vorgebirge er verschwand, um erst nach zwei Stunden wieder zu erscheinen und nun auf Rhodos zuzuhalten.
Kaum war der Hafen der Stadt in Sicht und der Franzose im Begriff, in denselben einzulaufen, so erschien die Yacht des Lords, deren Insassen nun ihres Fanges sicher zu sein wähnten. Aber der Franzose wendete sofort um und dampfte wieder zum Hafen hinaus, sich das Ansehen gebend, als ob er vor der Yacht die Flucht ergreife.
»Alle Teufel!« rief der Lord. Er geht uns wieder aus dem Garne! Was ist da zu thun?«
»Unangenehm, höchst unangenehm!« meinte Steinbach.
»Wenn der Hafen nicht so klein wäre, hätten wir uns verstecken können, bis er die Anker niedergelassen hätte! dann konnte er nicht wieder fort. Jetzt bleibt uns nichts Anderes übrig, als ihm abermals zu folgen.«
Also begann die Fahrt in westlicher Richtung von Neuem. Steinbach ahnte nicht, daß Diejenigen, welche er ergreifen wollte, bereits den Franzosen verlassen hatten. Er folgte diesem an Karpathos vorüber auf dem Kurse nach Kandia. Auf offener See war nichts zu thun; man mußte warten, bis der Franzose in einen Hafen lief.
So verging der Vor- und auch fast der ganze Nachmittag. Als der Abend herangekommen war, stoppte der Franzose die Maschine und drehte bei, die Yacht ganz nahe herankommen lassend.
Nach einer kurzen Berathung ließ Steinbach die kleine Jolle aussetzen und sich hinüber nach dem Franzosen rudern. Der Capitän desselben ließ auf Anrufen die Falltreppe nieder und empfing ihn, welcher Normann und Wallert mitgenommen hatte, mit übermäßiger und aber auch ironischer Höflichkeit.
Steinbach erklärte, wen er suche, und erhielt daraufhin die Erlaubniß, alle Räume des Schiffes zu durchforschen und die Gesuchten, falls er sie finde, in Gottes Namen mitzunehmen.
Diese Untersuchung nahm weit über eine Stunde in Anspruch. Nach Verlauf derselben hatte Steinbach die Ueberzeugung, daß die Betreffenden nicht mehr an Bord seien. Sie waren also jedenfalls irgendwo an das Land gesetzt worden.
Zuletzt befand er sich im Kohlenraume. Einer der Maschinisten führte ihn. Dieser hatte sich bisher ganz schweigsam verhalten, jetzt aber sagte er, indem er sich umblickte, um sich zu überzeugen, daß er nicht von Anderen gehört werde.
»Monsieur, Sie sind betrogen worden. Auch ich bin ein Franzose und liebe die Deutschen nicht; aber ich befand mich im Jahre 1871 als Kriegsgefangener in Deutschland und habe da eine so freundliche Behandlung genossen, daß ich aus Dankbarkeit dafür Ihnen mittheilen will, daß die Personen, welche Sie suchen, auf Karpathos ausgestiegen sind. Sie werden sie in dem Dorfe Arkassa finden, welches am südlichen Theile der Westküste dieser Insel liegt. Aber ich bitte Sie dringlichst, mich nicht zu verrathen!«
Steinbach streckte ihm die Hand entgegen und sagte:
»Nehmen Sie meinen Dank, Monsieur! Nachdem ich mich überzeugt habe, daß die Personen nicht mehr an Bord sind, konnte ich auch ohne Ihre Mittheilung mit Sicherheit erwarten, daß sie nur auf Karpathos oder Kases ans Land gesetzt worden seien. Hoffentlich komme ich nicht zu spät dorthin.«
Er verließ mit dem Gefährten das Schiff. Der Franzose lachte laut und höhnisch hinter ihm her; als er aber sah, daß die Yacht sofort wendete und mit Volldampf zurückging, sagte er ärgerlich:
»Verdammte Kerls! Sie behalten die Nase doch fast auf der Fährte! Ich will nicht hoffen, daß sie ihr Wild doch noch erwischen!« – – –
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