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Daß der alte Scheik Hulam gegen die Beiden, die doch seine Feinde waren, den vollständigen Gruß gebrauchte, war eine Hinterlist. Hätten sie ihn erwidert, so wären sie verpflichtet gewesen, als Freunde an ihm zu handeln. Darum antwortete Steinbach einfach mit:
»Sallam!«
Hilal that dasselbe.
»Wer bist Du?«
Diese Frage war nur an Steinbach gerichtet. Den Sohn des Blitzes kannte der Alte schon längst persönlich. Er brauchte also nicht nach ihm zu fragen.
»Ich bin Masr-Effendi. Hast Du bereits von mir gehört?«
»Nein. So wirst Du jetzt von mir hören, und zwar von mir selbst. Ich hoffe, daß Du mich dann kennen wirst.«
»Willst Du nicht absteigen und in mein Zelt treten?«
»Nein. Man tritt nicht in das Zelt eines Feindes.«
»Bist Du mein Feind? Ich kenne Dich ja noch gar nicht.«
»Ich bin ein Gesandter von Taufik Pascha, dem Herrscher von Egypten, dessen Gegner Du bist.«
»Kannst Du mir beweisen, daß er Dich sendet?«
»Mein Beweis ist hier in meiner Hand.«
Er deutete auf sein geladenes Gewehr.
Der alte Scheik war überzeugt, daß seine Leute als Sieger von ihrem Zuge heimkehren würden. Da jetzt aber die Beni Sallah kamen, so war es ihm ein Beweis, daß die Seinen besiegt worden seien. Die sämmtlichen Bewohner des Dorfes waren vom Schreck und von der Angst in ihre Zelte getrieben worden. Hulam wußte den Schreck und die Sorge zu verbergen. Er sagte im Tone des Erstaunens:
»Ich verstehe Dich nicht!«
»So verstehe ich Dich desto besser. Wo sind die Krieger Deines Stammes?«
»Sie sind ausgezogen.«
»Wohin?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du bist der Scheik und solltest es nicht wissen?«
»Mein Auge ist matt und mein Arm ist schwach geworden. Ich bekümmere mich schon längst nicht mehr um Das, was die Starken thun.«
»Du lügst. Selbst wenn Du die Wahrheit sagst, solltest Du Dich besser um die Deinigen bekümmern; dann würden sie vielleicht mit den Nachbarn in frieden leben und nicht auf das Haupt geschlagen werden.«
»Wer soll sie geschlagen haben?«
»Verstelle Dich nicht! Sie sind ausgezogen gegen die Beni Sallam, sechshundert Mann stark. Sie haben im Ferß el Hadschar gelegen und ihre Kundschafter ausgesandt. Wir aber haben Sie empfangen und so auf das Haupt geschlagen, daß wir eher hier einziehen als die Flüchtigen, welche entkommen sind. Du wirst sie schnell zählen können; es sind ihrer nur Wenige.«
»Allah! Ihr habt unschuldiges Blut vergossen. Wer sagt Euch, daß sie gegen Euch kämpfen wollten. Nun wird eine hundertfache Blutrache sein zwischen uns und Euch.«
»Spiele nicht den Heuchler! Ich bin kein Kind. Ich habe Männer zum Freunde, gegen welche Du ein Hund bist, und meine Ahnen sind wie die Löwen gegen die Deinigen, die ich unter die Schakals zähle. Deine Krieger haben mir selbst gesagt, daß sie als Feinde kommen. Ich bin noch so edelmüthig gewesen, sie zu warnen; sie haben aber nicht gehorcht. Nun werden ihre Gebeine von den Geiern und Hyänen gefressen. Deine Blutrache fürchten wir nicht. Wir haben, achthundert Krieger stark, Dein Torf umzingelt. Wir sind keine blutdürstigen Thiere wie Ihr; wir wollen Euer Leben schonen; aber Ihr sollt Euch unterwerfen. Ich gebe Dir eine halbe Stunde Zeit. Besprich Dich mit Deinen Leuten, und komme dann heraus vor das Lager, wo ich Dich erwarten werde, um Deinen Entschluß zu vernehmen. Wir verlangen, daß Ihr Euch uns ergebt mit Allem, was Ihr besitzt. In diesem Falle will ich Euer Leben schonen. Thut Ihr das nicht, so mag Euer Blut über Euch selbst kommen.«
Hulam blickte den Sprecher giftig an.
»Habt Ihr die Meinen wirklich geschlagen?«
»Ja. Gestern früh vor dem ersten Gebete.«
»Wo ist mein Sohn?«
»Er liegt erschlagen vor unseren Zelten.«
»O Allah! Hat Omram ihn nicht beschützt?«
»Wie konnte dieser ihn beschützen? Er ist selbst gefallen von dieser meiner Hand. Siehe hier die Scheide seines Messers!«
Er zeigte sie ihm hin. Man hätte meinen sollen, daß Hulam ganz niedergeschmettert gewesen sei. Mit nichten! Sein Gesicht wechselte den bisherigen Ausdruck nicht im Mindesten. Entweder hatte er gar kein Herz, oder er besaß eine ungeheure Selbstbeherrschung. Er bohrte seinen stechenden Blick in Steinbach's Auge und antwortete:
»Warum redest Du im Namen der Beni Sallah? Sind sie nicht selber hier? Wo ist ihr Scheik? Ist er ein Knabe, daß er eines Anderen bedarf, der für ihn spricht?«
Steinbach lächelte ihn überlegen an und antwortete:
»Du bist ein schlauer Mann! Du weißt, daß der Scheik der Beni Sallah gestorben ist.«
»Ich weiß es.«
»Und daß der Riese Falehd, welcher Euch freundlich gesinnt war, ein Anrecht auf diesen Rang hatte.«
»Auch das weiß ich. Wo ist er?«
»Er ist todt, gestorben von der Hand dieses tapferen Jünglings, der mit ihm auf Leben und Tod gekämpft hat.«
»Allah ist groß. Er giebt sogar den Kindern den Sieg über die Männer!«
Das war wieder eine Beleidigung.
»Ja, aber den Kindern des Blitzes, Tarik, der andere Sohn des Blitzes, ist Scheik geworden. Seine erste That war, daß er die Beni Suef besiegte. Er verfolgt die Wenigen, welche entkommen sind, nach dem Ferß el Hadschar, wo ich Euer Lager und Eure Wasserquellen entdeckt habe. Du siehst, daß ich Dir Deine Fragen beantworte, obgleich ich das gar nicht nöthig habe. Der Sieger soll großmüthig sein. Nun erwarte ich von Dir, daß Du einsichtsvoll und demüthig bist. Bist Du es nicht, so werden wir mit aller Strenge gegen Euch verfahren.«
»Welche Bedingungen stellt Ihr uns?«
»Gar keine. Wir sind die Sieger. Ihr unterwerft Euch uns mit Hab und Gut. In diesem Falle soll Keinem von Euch das Leben genommen werden.«
»Ich werde die Alten zusammen kommen lassen.«
»Thue das. Aber denke nicht, daß wir uns vielleicht überlisten lassen. Ist die halbe Stunde verflossen, so beginnen wir unser Werk.«
Er lenkte um und ritt mit Hilal davon.
»Nun,« sagte der Letztere, »wie gefällt Dir dieser Alte?«
»Gar nicht. Die Grausamkeit und Hinterlist steht ihm auf das Gesicht geschrieben.«
»Vermuthest Du eine Hinterlist?«
»Ja.
»Welche?«
»Es giebt nur eine einzige, zu welcher sie ihre Zuflucht nehmen können, nämlich uns hinzuhalten, um Zeit zu gewinnen, bis die Ihrigen aus der Flucht hierher kommen.«
»So lange warten wir nicht.«
»Nein, keine Minute über eine halbe Stunde.«
»Dann tödten wir sie?«
»Nein, auch dann nicht. Nicht nur die Menschlichkeit, sondern auch die Klugheit gebietet es Euch, sie zu schonen. Sie werden Eure Diener sein, und wer tödtet einen Sclaven, von dem er Nutzen hat? Eure Söhne werden ihre Töchter heirathen, und so wird ihr Stamm mit dem Eurigen verschmolzen werden. Ihr werdet dadurch stark und unüberwindlich sein. Ihr müßt ihnen einen Scheik geben, und dieser Scheik wirst Du sein. Wenn Du klug und muthig mit ihnen verfährst, wird Dein Name weit und breit genannt werden.«
Hilal's Augen leuchteten auf.
»Effendi, Du bist ein Mann, wie es keinen zweiten giebt. Was Du thust, ist Heldenthat, und was Du redest, das klingt, als käme es von den Lippen von hundert Weisen und Aeltesten.«
Sie waren noch nicht lange an ihren Posten zurückgekehrt, so vernahmen sie ein Klagegeschrei, welches sich im Dorfe erhob. Hulam hatte bekannt gemacht, was ihm von Steinbach gesagt worden war. Es gab keine Familie, aus welcher sich nicht wenigstens ein Krieger an dem Zuge gegen die Beni Sallah betheiligt hatte. Jede Familie mußte also erwarten, daß ein Verlust sie betroffen habe. Die Leute waren plötzlich aus ihrer Siegeshoffnung gestürzt worden. Die Weiber rannten mit ihren Kindern im Lager umher und heulten; die Männer, alte so wie junge, hatten sich auf dem Platze um Hulam versammelt. Sie waren still und finster. Sie brüteten Rache und hielten diese doch für unmöglich. Es gab keinen Ausweg, sich der Unterwerfung zu entziehen.
Das sagte einer der angesehensten Aeltesten. Er begründete diese Ansicht durch die Worte:
»Ich habe meine Knechte nach allen vier Seiten ausgesandt; sie kamen mit der Nachricht zurück, daß wir vollständig eingeschlossen sind, so daß keine Maus entkommen kann. Wir sind gezwungen, uns zu ergeben.«
»Nein!« antwortete der Scheik. »Diese Hunde haben unsere Krieger getödtet. Sollen wir sie nicht an ihnen rächen? Sollen wir die Sclaven dieser verdammten Beni Sallah sein?«
»Es giebt keinen Ausweg.«
»Es giebt einen. Warten wir, bis diejenigen unserer Leute, welche übrig geblieben sind, zurückkehren.«
»Werden die Beni Sallah so lange warten?«
»Ja, denn ich werde sie durch List hinhalten.«
»Wenn sie darauf eingehen, was ich nicht glaube. Und wer weiß, ob so Viele wiederkehren, wie nöthig sind, uns zu erretten.«
»Wissen wir denn überhaupt mit Gewißheit, daß wir besiegt worden sind? Vielleicht lügen die Beni Sallah.«
»Sie sagen die Wahrheit. Meine Boten haben bei ihnen viele unserer besten Pferde und Kameele gesehen, welche ihnen als Beute in die Hände gefallen sind.«
»Allah verfluche sie! Aber wenn wir zu schwach sind, so besitzen wir doch List genug, welche oft besser ist als Macht und Tapferkeit. Wenn ich mich auf Euch verlassen kann und Ihr mir beistimmt, so werden wir sie doch besiegen.«
»Auf welche Weise?«
»Wir täuschen sie. Wir ergeben uns scheinbar. Sie werden in unseren Zelten einziehen. Sie werden da essen, trinken, ruhen und schlafen. Haben, wir da nicht unsere Messer?«
»O Allah!«
Dieser Ruf ging von Mund zu Mund. Einige erschraken über die Zumuthung, Mörder zu werden; aber die Ihrigen waren umgekommen; es galt Blutrache: es galt ferner Befreiung von der drohenden Knechtschaft. Da war schließlich jedes Mittel recht, welches Hilfe erwarten ließ. Die zuerst Zaudernden wurden durch die Reden des Scheik's bald gewonnen, und noch war die halbe Stunde nicht verronnen, so hatte man sich geeinigt zu einer Art Pariser Bluthochzeit oder sicilianischer Vesper. Es waren zwar wenige Krieger aber doch genug Alte und ziemlich erwachsene Jünglinge vorhanden, um das blutige, heimtückische Werk auszuführen.
Als die Versammlung aufgehoben wurde, glänzte ein Zug boshafter Befriedigung auf dem Gesicht des Alten. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte. Er konnte den Tod seines Sohnes in fürchterlicher Weise rächen.
Natürlich war während dieser Versammlung so laut gesprochen worden, daß jeder der Anwesenden es hören konnte. Hinter dem Zelte des Scheik's hatte ein Mann gesessen, nur mit einem Hemde bekleidet und in jedem Ohre einen Messerschlitz als Zeichen, daß er Sclave sei. Er war beschäftigt, mittelst einer Handmühle Mais zu verkleinern, achtete aber weit mehr auf die Versammlung, als auf seine Arbeit. Er hörte Alles.
Jetzt nun, da die Leute auseinander gingen und er also nun nichts mehr erfahren konnte, stand er auf und schritt nach einigen Palmen zu, welche in der Nähe standen. Der Scheik bemerkte es.
»Halt! Wohin willst Du?« rief er ihm zu.
»Zu der Heerde, um Milch zu holen.«
»Du bleibst!«
Und als der Sclave eine zögernde Miene machte, zog der Scheik die Pistole aus dem Gürtel, zielte auf ihn und drohte:
»Gehorche, oder ich schieße!«
Und als der Sclave nun langsam zurückkehrte, fuhr der Alte fort:
»Hund, ich durchschaue Dich! Du hast Alles gehört. Du willst zur Heerde? Thut man das, wenn ein Kampf bevorsteht? Du willst uns verrathen. Aber ich werde dafür sorgen, daß Du unschädlich bist. Komme herein in das Zelt!«
Nach einigen Minuten trat der Scheik wieder heraus. Es hatten sich indessen die Aeltesten wieder eingefunden, welche er sich zur Begleitung auserwählt hatte. Durch diese Begleitung wollte er das Vertrauen der Sieger erwecken.
Gerade als die halbe Stunde vorüber war, traten sie den unter allen Umständen sauern Weg an.
Steinbach hatte Hilal und Normann an seiner Seite. Die eine Abtheilung der Beni Sallah hielt bei ihnen. Der Scheik musterte die Thiere und erkannte nun freilich manches Kameel und manches Pferd, welches bisher Eigenthum seines Stammes gewesen war.
»Nun, was habt Ihr beschlossen?« fragte Steinbach.
Der Alte nahm einen demüthigen, aufrichtig klingensollenden Ton an und antwortete:
»Effendi! Wir haben heute in der Nacht die Schems el Leïla bemerkt. Sie kommt aus der Hölle und bringt Unglück und Herzeleid über die Menschen. Wir fürchteten, daß sie den giftigen Samum verkündige, doch ist er nicht erschienen. Dennoch aber hat sie uns Leid gebracht. Unsere Söhne sind todt, und unsere Väter und Brüder liegen erschlagen in der Wüste. Allah hat es gewollt: seine Wege sind unerforschlich. Wir dürfen nicht gegen seinen Willen handeln, denn wir sind Kinder seines Propheten. Wir ergeben uns.«
Steinbach warf einen langen, forschenden Blick in die Triefaugen und fragte dann:
»Ihr ergebt Euch unter der von mir genannten Bedingung?«
»Ja.«
»Ohne Hintergedanken?
»Was sollen wir für Hintergedanken haben? Ihr seid uns um das Zehnfache überlegen.«
»List ist oft erfolgreicher als Stärke. Uebrigens rathe ich Euch, aufrichtig zu sein. Der Verrath würde auf Euch selbst zurück fallen.«
»Du kannst uns Vertrauen schenken!«
Es war ein eigenthümliches, feines Lächeln, welches um Steinbach's Lippen spielte. Aber sein Ton klang ganz vertrauensvoll, als er antwortete:
»Nun wohl, ich will Euch glauben. Ihr seid hier sieben Männer. Wie viele Männer zählt die Versammlung der Aeltesten?«
»Achtundzwanzig.«
»So mag Einer von Euch zurückgehen und die Fehlenden holen. Ich will, ehe wir in das Dorf einreiten, mit ihnen berathen, was wir von Euch fordern können, ohne daß Euer Stamm zu Grunde gerichtet wird.«
Das klang verheißungsvoll. Sie wollten also nicht alles Eigenthum als gute Beute erklären. Der Scheik gab sofort einem seiner Begleiter den Auftrag, die Alten zu holen. Steinbach fügte dann noch hinzu:
»Gieb dazu noch den Befehl, daß alle Knaben und Männer, welche über zehn Jahre alt sind, sich auf dem Platze versammeln sollen. Ich muß sie zählen, um zu wissen, wie viele Waffen wir Euch lassen können. Eure Waffen sind eigentlich nun unser Eigenthum; aber der Sohn der Wüste muß Messer, Pistole und Gewehr haben. Ihr sollt behalten dürfen, was Ihr braucht.«
Der Bote entfernte sich eiligen Schrittes. Dem Scheik war es anzusehen, wie befriedigt er von dem Verhalten Steinbach's war.
»Effendi,« sagte er, »wenn Du die Besiegten mit Güte behandelst, wird Allah Dich segnen und sie werden Euch lieben.«
»Uebertreibt nicht, Alter! Von Eurer Liebe wollen wir gar nicht sprechen. Meinst Du es denn wirklich so aufrichtig?«
»Mein Herz ist ohne Falsch!«
»Aber Dein Gesicht ist voller Tücke. Ich glaube Dir kein Wort.«
»Effendi!« rief der Alte im Tone des Beleidigtseins. »Willst Du mich kränken?«
»Unschädlich machen will ich Dich. Ob Dich das kränken wird, darnach darf ich nicht fragen.«
»Was willst Du thun?«
»Das wirst Du gleich sehen.«
Er drehte sich um und winkte seinen Reitern. Im Nu hatte eine Anzahl derselben den Scheik und die Alten umringt.
»Effendi, willst Du uns ermorden lassen!« rief der Scheik entsetzt.
»Nein, sondern ich will nur verhüten, daß wir ermordet werden.«
»Allah! Welch' ein Gedanke ist das!«
»Jedenfalls der richtige. Allah hat Dein Gesicht gezeichnet. Es steht ganz deutlich darauf geschrieben, was Du in Deinem Herzen denkst.«
»Ich schwöre, daß ich nichts Böses gegen Euch sinne!«
»Schwöre es bei dem Propheten!«
Aller Augen richteten sich auf den Alten. Er zauderte. Steinbach sprach:
»Siehe, wie ich Dich fange!«
»Effendi, mein Wort ist wie ein Schwur!«
»So muß auch der Schwur wie ein Wort sein, welches man ohne Zaudern giebt. Du hast Dir wohl eingebildet, klüger zu sein als wir. Wir sind müde; wir werden schlafen; da sehe ich die gezückten Messer in Euren Händen! O, die Beni Sallah sind keine Schafe, welche man ganz nach Belieben abschlachten kann! Bindet sie, und schafft sie so weit zurück, daß sie uns nicht stören können!«
Kameelsstricke waren genug vorhanden, diesen Befehl auszuführen. Die Männer protestirten zwar energisch gegen diese Behandlung, mußten sich aber natürlich fügen.
Kaum waren sie hinter die Front geschafft worden, so kam der abgesandte Bote mit den übrigen Aeltesten herbei. Sie hatten erfahren, weshalb sie gerufen wurden, und fühlten sich also nicht wenig enttäuscht, als man ihnen ohne Umstände die Hände auf den Rücken band und sie zu den anderen Gefangenen führte.
»Meinst Du denn wirklich, daß diese Aeltesten auf Heimtücke sinnen?« fragte Hilal.
»Ich bin es überzeugt.«
»Wodurch?«
»Das Gesicht des Alten gefällt mir nicht. Auch hat er sich scheinbar viel zu schnell in sein Schicksal gefunden, als daß ich an die Aufrichtigkeit dieser Ergebung glauben sollte. Ich bin überzeugt, daß wir es noch erfahren werden, welchen Plan sich die Versammlung der Aeltesten ausgesonnen hat. Jetzt wollen wir die anderen Abtheilungen benachrichtigen. Wir umschließen das Lager enger, so daß kein einziger Mensch entfliehen kann. Hundert unserer Reiter aber kommen mit uns nach dem Platze, wo die Männer, Greise und Knaben sich versammelt haben. Alles, was männlich ist, wird gefangen genommen und gebunden. Dann nehmen wir alle vorhandenen Waffen, selbst die Messer an uns. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die flüchtigen Beni Suef haben den Weg über den Ferß el Hadschar eingeschlagen, welcher kürzer ist als derjenige, den wir zurückgelegt haben. Sie können an jedem Augenblick hier ankommen.«
In Zeit von wenigen Minuten war das Zeltdorf eng umschlossen. Die Heerden hatte man natürlich außerhalb der Einschließungslinie lassen müssen. Hundert Mann, die geladenen Flinten in der Hand, ritten nach dem Platze, wo die männlichen Angehörigen der Beni Suef standen. Es waren über zweihundert. Alle hatten ihre Messer oder auch andere Waffen im Gürtel stecken. Selbst der unerwachsene Beduinenknabe führt wenigstens ein Messer mit sich. Das war eine Dummheit von ihnen, weil dadurch ihre Entwaffnung außerordentlich erleichtert wurde.
Steinbach richtete einige Worte an sie des Inhaltes, daß sie für ihr Leben nichts zu befürchten hätten und daß auch ihr Lager nicht verwüstet werden solle. In jenen Gegenden pflegt nämlich der Sieger die Heerden der Besiegten fortzuführen, ihre Palmen nieder zu schlagen und ihre Brunnen zu verschütten, so daß sie entweder als Sclaven mit ihm ziehen oder an ihrem Wohnorte elend verschmachten müssen.
Steinbach's Versicherung machte sichtlich einen sehr guten Eindruck, doch wurden die Gesichter ein Wenig länger, als er verlangte, daß jeder Anwesende die Waffen niederlegen solle. Freilich blieb ihnen nichts Anderes übrig, als zu gehorchen. Dann wurden sie Alle aus dem Lager geführt, wo sie sich unter den Palmen niedersetzen mußten. Die gefesselten Aeltesten wurden auch herbei gebracht, und Steinbach bedeutete Allen, daß ein Jeder, welcher einen Fluchtversuch wage, sofort eine Kugel erhalten werde. Zur Beruhigung fügte er hinzu, daß sie sonst für ihr Leben nichts zu fürchten hätten und auch mit Trank und Speise zur Genüge versehen würden.
Man kann sich denken, welchen Eindruck es auf die weiblichen Bewohner des Lagers machte, als sie sahen, daß die männlichen Bewohner gefangen genommen wurden. Sie erhoben ein lautes Klaggeschrei, welches aus allen Zelten ertönte, aber bald wieder verstummte, als sie bemerkten, daß den Gefangenen kein Schaden an Leib und Leben widerfahren sollte, sondern für sie vielmehr in hinreichender Weise für Speise und Trank gesorgt wurde.
Jetzt wurden schnell die Heerden besichtigt, Schafe, Pferde, Kameele, auch Kühe. Es waren Prachtthiere vorhanden, von so hohem Werthe, daß die Beni Suef sich gescheut hatten, sie den Gefahren eines Kriegszuges auszusetzen.
Natürlich wurden alle Zelte nach Waffen ausgesucht. Es wurden derer noch viele und auch ein ansehnlicher Vorrath von Munition gefunden.
Die Frauen und Mädchen der Beni Suef hatten natürlich mit allen Händen zu thun, für die gefangenen Ihrigen und die Sieger Nahrung zu beschaffen. Es wurde gebacken und gebraten, daß die ganze Umgebung des Lagers nach Hammelbraten und gerösteten Maiskuchen duftere.
Als Normann sich gesättigt hatte, wurde er mit einigen gut berittenen Begleitern ausgesandt, die nördlich liegende Gegend zu beobachten, aus welcher die flüchtigen Beni Suef vom Ferß el Hadschar her kommen mußten. Steinbach wählte gerade ihn dazu, weil er sich am Meisten auf ihn verlassen konnte, und weil der Maler mit dem Fernrohre umzugehen wußte, welches er mitnahm.
Nun trat eine Zeit des Wartens ein. Man konnte nicht weitere Dispositionen treffen, bevor die erwarteten Flüchtlinge empfangen worden und gefangen waren.
Steinbach benutzte diese Pause, um sich das Zeltdorf genauer zu besehen, als es bisher geschehen war. Dabei kam er an ein kleines Bauwerk, welches außerhalb des Dorfes lag. Es war aus Steinen aufgeführt, hatte etwas über Manneshöhe und war, was hier auffallen mußte, mit einer hölzernen Thüre versehen. Holz ist in den Oasen der Wüste eine Seltenheit.
Diese Thür hatte einen eigenthümlichen Verschluß. Derselbe bestand aus vier kreuzförmig gegen einander gerichteten Holzriegeln, welche so künstlich in einander griffen, daß nur der Eingeweihte diesen Mechanismus öffnen konnte.
Eben kam eine junge Beduinenfrau vorüber, welche am Brunnen Wasser geholt hatte.
»Was ist das für eine Hütte?« fragte Steinbach.
»Sie dient zum Dörren der Bla halefa,« antwortete die Gefragte.
Unter Bla halefa versteht man die geringste Sorte von Datteln, welche getrocknet und dann als Futter für die Thiere benutzt werden.
»Wem gehört sie?«
»Dem Scheik.«
»Oeffne mir!«
Er wollte sich die innere Einrichtung besehen. Die Frau trat einen Schritt zurück, wurde verlegen und antwortete stockend:
»Ich kann nicht.«
»Verstehest Du nicht, mit den Riegeln umzugehen?«
»Nein.«
»Lüge nicht! Ich sehe es Dir an, daß Du die Unwahrheit sagst! Warum lügst Du?«
Er sagte das in so drohendem Tone, weil er als Menschenkenner aus dem Verhallen des Weibes schloß, daß es sich hier um Etwas handele, was er nicht wissen solle. Sie erschrak sichtlich und stammelte:
»Verzeihe, Effendi! Ich darf nicht öffnen.«
»Warum nicht?«
»Der Scheik hat es verboten.«
»Wann? Seit längerer Zeit oder nur seit unserer Ankunft?«
Sie hatte wohl Lust, das Erstere zu bestätigen; er aber blickte ihr so scharf in die Augen, daß sie nicht zu lügen wagte. Sie antwortete also:
»Seit vorhin erst.«
»Ah! Schön! Und Du kannst öffnen?«
»Ja.«
»So thue es!«
»Der Scheik wird mich bestrafen.«
»Jetzt bin ich hier Scheik und Gebieter. Uebrigens verspreche ich Dir, daß kein Mensch erfahren soll, daß Du mir geöffnet hast. Was befindet sich denn drinnen?«
Sie blickte sich vorsichtig um und als sie sah, daß sie sich ganz allein hier befanden, trat sie einen Schritt näher und antwortete:
»Nena ist drinnen.«
»Der Sclave des Scheiks.«
»Wann wurde er hineingesteckt?«
»Nach der Versammlung der Aeltesten, welche vorhin abgehalten wurde.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht. Er hatte wohl die Reden der Versammlung belauscht.«
»Ah, ich ahne da eine Teufelei. Oeffne also!«
»Aber Du wirst mich nicht verrathen?«
»Nein.«
Jetzt trat sie zur Thüre, schob die Riegel in gewisser Reihenfolge gegen einander, ergriff sodann aber schnell den Wasserkrug und eilte davon. Die Thür war nun offen.
Steinbach mußte sich bücken, um hineinblicken zu können. Er erblickte eine Art Heerd, auf welchem wohl Kameelmist gebrannt wurde. Ueber demselben gab es in regelmäßigen Entfernungen Hervorragungen, auf welche wohl die Hürden zu liegen kamen, welche, zur Aufnahme der Datteln bestimmt waren. Jetzt fehlten diese Hürden; aber auf dem Boden lag eine nur mit einem Hemde bekleidete Gestalt, welche gefesselt war. Um den Kopf derselben hatte man eine Decke gewunden und mit einer Schnur befestigt.
Steinbach zog den Mann an den Beinen heraus und entfernte rasch die Decke. Das Gesicht des armen Teufels war aufgedunsen und hochroth gefärbt, seine Augen verdreht. Er hatte nicht genug athmen können und war dem Tode des Erstickens oder des Schlagflusses nahe gewesen. Jetzt holte er tief und geräuschvoll Athem und stieß, als er Steinbach erblickte, einen Ruf der größten, aufrichtigsten Freude aus.
»Allah sei Dank! Du bist es, Effendi! Ich bin gerettet, gerettet!«
»Ich höre, Du seist Nena, der Sclave des Scheiks?«
»Ja, o Herr.«
»Seit wie lange?«
»Seit einigen Jahren.«
»Dem Name ist nicht arabisch, sondern indisch?«
»Ich bin ein indischer Muhammedaner aus dem Lande des Maharadscha von Nubrida.«
Radscha heißt im Indischen Herr, Fürst, urd Maha ist groß; Maharadscha heißt also so viel wie großer Herr, großer Fürst. Es ist der Titel für viele bekannte, theilweise auch berühmte indische Herrscher.
»Wie kommst Du aus Indien so fern in die Sahara?«
»Das werde ich Dir noch erzählen! Welch ein Glück, daß Du mich zufällig gefunden hast!«
»Warum hat Dein Herr Dich hier versteckt?«
»Weil er fürchtete, von mir verrathen zu werden. Ich wollte Dich warnen.«
»Vor wem?«
»Vor dem Scheik und allen Bewohnern des Dorfes. Nehmt Euch in Acht! Man will Euch tödten!«
»Uns alle?«
»Alle!«
»Ah! Habe es mir gedacht!«
»Seid Ihr bereits im Dorfe eingezogen?«
»Ja.«
»So bitte ich Euch um Allahs Willen, den Beni Suef die Waffen abzunehmen. Sie wollen Euch im Schlafe ermorden.«
»Das habe ich mir gedacht.«
»Es wurde in der Versammlung der Aeltesten beschlossen, sich scheinbar zu unterwerfen, Euch aber zu erstechen, wenn Ihr schlafen würdet. Seid Ihr viele Krieger?«
»Sehr viele.«
»So nehmt lieber die Suef gefangen!«
»Ich bin Dir sehr dankbar für Deine Warnung und freue mich, daß ich das, was Du mir räthst, bereits gethan habe. Alle männlichen Suef sind gefangen und alle Waffen befinden sich in unseren Händen.«
»So seid Ihr Sieger. Werde ich nun Euer Sclave sein müssen, Effendi?«
»Nein, Du bist frei.«
Da liefen dem Manne die Thränen aus den Augen; er faltete die Hände und sagte weinend:
»Allah möge es Dir vergelten. Er hat mich hart bestraft für das, was ich that, ohne zu wissen, welche Folgen es haben werde. Könnte ich es doch wieder gut machen!«
»Wer seine Fehler bereut, der findet bei Gott auch Vergebung. Wie aber kommst Du in die Sahara? Ich fragte Dich bereits.«
»Mein Herr bereiste die Gegenden des Nils. Ich wußte Einiges von ihm, was ihn in Schaden bringen konnte; er wollte mich los werden und verschacherte mich heimlich an einen Stamm der Sudanesen. Als er abreiste, hielten sie mich fest. Ich wurde weiter verkauft und kam durch Kriege und Niederlagen meiner Herren in immer andere Hände bis hierher.«
»Ein sauberer Herr!«
»O, er war ein Europäer!«
»Ist das möglich?«
»Sogar ein Graf.«
»Das ist unglaublich. Du irrst Dich jedenfalls.«
»Ich weiß es ganz gewiß.«
»Er hat sich nur für einen Grafen ausgegeben. Ein Edelmann ist unfähig, eine solche Schurkerei zu begehen.«
»Ich bin meiner Sache sicher. Ich war ja mit ihm auf seinen Gütern in Rußland.«
»Ein russischer Graf? Ah! Wie ist der Name?«
»O, ich bin auch Europäer und kenne alle Namen russischer Edelleute.«
»Es war der Graf Polikeff.«
Steinbach fuhr zurück, als ob Jemand ihm einen Stoß versetzt hätte.
»Polikeff!« rief er aus. »Höre ich recht!«
»Graf Alexei Polikeff!«
»Welch ein Zusammentreffen! Was würdest Du thun, wenn Du ihm begegnetest?«
»Ich würde ihm alle seine Thaten in das Gesicht schleudern. Er ist ein Verbrecher, ein Hallunke!«
»Schön! Du wirst noch heute mit ihm sprechen können.«
»Heut, Effendi?« fragte Nena, indem er gewaltig große Augen machte.
»Ja. Ich bin hier, ihn zu fangen. Er kommt mit den flüchtigen Beni Suef hierher.«
»Allah il Allah! Gott ist allmächtig! Jetzt wird mein heißester Wunsch erfüllt. Kennst Du ihn?«
»Ich kenne ihn als einen der größten Hallunken, die es geben kann. Ich bin ihm von Stambul aus bis hierher nachgereist, um ihn zu fangen.«
»O, so wirst Du mir vielleicht helfen, eine That wieder gut zu machen, welche ich gar nicht beabsichtigt hatte.«
»Welche?«
»Sage mir vorher, ob er ein Weib besitzt.«
»Nein.«
»Allah sei Dank! So hat also Semawa ihm glücklich widerstanden!«
Beinahe hätte Steinbach laut aufgeschrieen. Semawa heißt im Arabischen so viel wie Himmelblau. Im Türkischen heißt ganz dasselbe Wort Gökala. Waren diese Beiden eine und dieselbe Person? Sollte ihm hier, im fernen Winkel der Wüste, die so heiß ersehnte Aufklärung werden, die er in Stambul vergebens gesucht und welche ihm sogar von Gökala selbst verweigert worden war! Er glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Fast ohne Athem vor Aufregung und Erwartung fragte er:
»Wer ist Semawa?«
»Die Tochter des Maharadscha von Nubrida.«
»Herrgott! Kennst Du sie?«
»Ich habe sie oft gesehen, als ich noch Unterthan von Banda, ihrem Vater, war.«
»Wie lange ist das her?«
»Sechs Jahre.«
»Wie alt war sie damals?«
»Vielleicht fünfzehn.«
»Das stimmt; das stimmt ganz sicher. Mein Gott! Sie muß damals so entwickelt gewesen sein, daß sie sich im Wesentlichen seitdem nicht mehr verändert haben kann.«
»Ihre Mutter war eine Deutsche, die Tochter eines Arztes in englischen Diensten. Sie war so schön, daß der Maharadscha sie zur Frau begehrte. Sie willigte ein unter der Bedingung, daß sie die einzige Frau des Herrschers bleibe. Er hat sie sehr geliebt und Wort gehalten. Semawa war ihr einziges Kind.«
»Beschreibe mir diese Tochter!«
»Sie war ein lichtes, entzückendes Gebilde des sonnigen Tages. Sie war blond, mit einem Haar wie flüssiges Gold. Ihre Augen wetteiferten mit dem schönsten Blau des Himmels; es gab in ihnen zuweilen ein Leuchten und Glühen, als ob der Blick Brillanten strahle. Wegen der Farbe dieser herrlichen Augen erhielt sie den Namen Semawa – Himmelsblau.«
»Und sie kam später zu dem Grafen Polikeff?«
»Ja, aber nicht freiwillig. Sie war gleichsam seine Gefangene. Ich werde es Dir erzählen.«
»Sie ist es; sie ist es! Herr, mein Heiland, welch' ein Tag, welch' ein Tag!«
»Du kennst sie also?«
»Ich habe sie in Stambul gesehen mit dem Grafen. Sie ist jetzt in Egypten mit ihm.«
»Hast Du mit ihr gesprochen?«
»Ja.«
Steinbach befand sich wie im Fieber. Er hatte seine Fragen so schnell hinter einander ausgesprochen, daß Nena mit seinen Antworten kaum zu folgen vermochte. Der Indier warf einen forschenden Blick auf ihn und sagte:
»Verzeihe mir die Frage, Effendi! Ich thue sie nicht aus Neugierde: Du liebst sie?«
»Unendlich!« antwortete der Gefragte.
Nur seine Begeisterung war schuld, daß ihm die Antwort entfuhr, die er sonst wohl nicht gegeben hätte, einem so untergeordneten Menschen gegenüber. Aber jetzt war ihm das Alles ganz und gar gleich. Er fuhr vielmehr fort:
»Wenn Du mir Auskunft über ihr Verhältniß zu dem Grafen geben könntest!«
»Das kann ich, viel besser als jeder Andere, vielleicht ebenso gut wie sie oder der Graf selbst.«
»So werde ich Dich belohnen, daß Du mehr, viel mehr als nur zufrieden sein sollst!«
»Du hast mich bereits überreichlich belohnt, indem Du mir die Freiheit versprichst. Gieb mir dazu jetzt noch ein Kleid, so verlange ich weiter nichts.«
Er deutete auf sein armseliges Hemde. Steinbach nickte eilig und zustimmend:
»Jawohl, natürlich! Ich vergesse Dich ganz, indem ich nur an mich denke. Du sollst sofort haben, was Du Dir wünschest. Wir können ja dann auch von Semawa sprechen. Komm, folge mir!«
»Ist auch der Scheik gefangen?«
»Ja; Du brauchst ihn nicht zu fürchten.«
Sie schritten schnell dem Lager zu. Als sie durch die Zeltreihe gingen, sah man die Frauen erschrecken, als sie den Indier erblickten. Sie wußten nun, daß ihre Absicht verrathen sei.
Steinbach führte Nena direct in das Zelt des Scheiks. Die Frau desselben, eine alte Mumie, welche ihres Mannes ganz würdig zu sein schien, fuhr beim Anblick des Sclaven zusammen.
»Kennst Du diesen Mann?« fragte Steinbach.
»Ja, Effendi.«
»Er braucht ein Gewand.«
»Woher soll er es nehmen?«
»Von Dir!«
»Von mir?« fragte sie erstaunt. »Unser Sclave ein Gewand von uns!«
»Ja, und zwar sofort! Oeffne Deine Truhe und hole das beste Festkleid Deines Mannes hervor.«
Die Alte blickte ihn an, als ob sie ihn für nicht zurechnungsfähig halte.
»Na, schnell, schnell! sonst helfe ich!«
Er ergriff einen starken Kameelstrick, welcher an der Querstange des Zeltes hing, legte ihn vierfach zusammen und zog ihr mit demselben einige derbe Jagdhiebe über den Rücken herüber.
»O Allah, Allah! Gleich, sofort!« heulte sie auf.
Jetzt hatte sie es so eilig, das Gewand zu holen und los zu werden, daß Nena in Zeit von zwei Minuten zu seinem großen Vortheil umgewandelt war Er glich ganz einem reichen, ehrwürdigen Araber von guter Abstammung.
»Jetzt komm weiter,« sagte Steinbach.
Er führte ihn aus dem Zeltdorfe hinaus nach der Richtung, in welcher sich die Gefangenen befanden. An der geeigneten Stelle gab er ihm die Weisung:
»Bleib hier hinter dieser Palme stehen. Wenn ich winke, kommst Du zu mir!«
Er begab sich darauf zu den ganz in der Nähe lagernden Beni Suef. Als deren Scheik ihn kommen sah, erhob er laut seine Stimme:
»Effendi, wir verlangen Gerechtigkeit. Wir sind Kriegsgefangene aber keine Verbrecher. Warum hast Du uns binden lassen? Warum lässest Du uns die Fesseln auch jetzt noch nicht abnehmen?«
»Weil Ihr sie verdient habt!«
»Dein Verdacht ist grundlos. Wir haben es mit unserer Unterwerfung ehrlich gemeint.«
»Sagen das auch die Aeltesten?«
»Ja,« erscholl es rund im Kreise.
»Ihr seid Lügner, obgleich Ihr bereits mit dem einen Fuße im Grabe steht.«
Da nahm der Scheik eine stolze, beleidigte Miene an und sagte:
»Effendi, wenn ich nicht Dein Gefangener wäre, würde ich Dich wegen dieser Beleidigung zur Rechenschaft ziehen!«
»Das traue ich Dir zu. Vielleicht würdest Du mich zur Strafe in die Hütte sperren, wo Du Deine Bla halefa zu dörren pflegst.«
Der Scheik erschrak, faßte sich aber sofort wieder und antwortete:
»Nein, sondern ich würde mit Dir kämpfen, wie es sich für einen Krieger schickt und ziemt.«
»Und ich würde Dich mit der Peitsche bedienen statt mit der Waffe, wie es einem feigen Mörder und Verräther nicht anders gehört. Da, siehe Diesen an!«
Er winkte Nena, welcher sogleich langsam und würdevoll herbeikam. Die Beni Suef erkannten ihn in seiner gegenwärtigen Kleidung nicht sofort.
»Wer ist dieser Mann?« fragte der Scheik.
»Siehe ihn Dir genauer an!«
»Ich habe ihn noch nie gesehen.«
»Aber in die Dörrhütte hast Du ihn gesteckt!«
»Allah!«
Erst jetzt wußte er, wen er vor sich hatte.
»Nun, willst Du mir vielleicht sagen, weshalb Du diesen Mann eingesperrt hast?«
Der Scheik nahm ein höchst reservirtes Gesicht an und antwortete:
»Bin ich Dir darüber Rechenschaft schuldig?«
»Ja.«
»Er ist mein Sclave und nicht der Deinige. Ich kann mit ihm machen, was ich will.«
»Du irrst. Dein Sclave ist er gewesen. Jetzt sind wir Sieger und so gehört er nicht mehr Dir, sondern uns. Aus ganz demselben Grunde hast Du mir überhaupt alle meine Fragen zu beantworten, wenn Du nicht willst, daß ich Dich zwingen soll.«
Der Scheik warf einen giftigen Blick auf den Sprecher.
»Womit willst Du mich zwingen?«
»Es giebt verschiedene Mittel, zum Beispiel Schläge.«
Es giebt nichts Beleidigenderes für einen Araber, als wenn man ihm mit Schlägen droht.
»Mich prügeln!« brauste er auf. »Mich, einen Scheik, einen freien Sohn der Wüste!«
»Pah! Du bist nicht mehr Scheik und nicht mehr frei. Du bist besiegt und gefangen. Das merke Dir nur. Also antworte! Was hat dieser Mann gethan, daß Du ihn einsperrtest?«
»Er war ungehorsam.«
»In welcher Weise?«
»Ich befahl ihm, zu arbeiten und er that es nicht.«
»Das ist eine Lüge. Du hast besorgt, er werde uns sagen, welchen Plan Ihr gegen uns verabredet hattet. Du hast ihn so gebunden und vermummt, daß er gestorben wäre, wenn ich ihn nicht durch Zufall gefunden hätte.«
»Er lügt!«
»Er hat keine Veranlassung dazu.«
»Er will uns verderben!«
»Das hat er nicht nöthig, denn Ihr seid verdorben genug. Man wird auf das Allerstrengste mit Euch verfahren. Merkt Euch Folgendes: Ein Jeder von Euch, welcher nur Miene macht, ohne besondere Erlaubniß von der Stelle, auf welcher er jetzt sitzt, aufzustehen, wird augenblicklich erschossen. Diesen Befehl habe ich gegeben und er wird ohne alle Nachsicht gegen Euch erfüllt werden.«
Er hätte vielleicht noch weitere und eindringlichere Bemerkungen gemacht, aber er wurde gestört, denn Normann kam mit seinen Begleitern in das Zeltdorf geritten.
»Sie kommen,« meldete er in deutscher Sprache, die keiner der Anderen verstand.
»Wie viele sind ihrer?«
»Ich konnte sie nicht zählen. Sie reiten in einem dichten Haufen.«
»Und Tarik? Hast Du ihn und seine Truppe nicht auch bemerkt?«
»Nein.«
»Werde einmal selbst nachsehen. Führe mich!«
Er bestieg ein Pferd und ritt mit Normann ein Stück vor die Oase hinaus. Da sah er durch das Fernrohr am nördlichen Horizonte einen dunklen Punkt, welcher sich näherte. Mit dem bloßen Auge konnte man noch nichts erkennen.
»Nicht wahr, sie sind es?«
»Ja. Und noch weiter draußen ist es mir, als ob ich eine dünne Linie sähe. Ich möchte wetten, daß dies Tarik mit seinen Leuten sei. Wenn ich mich nicht verrechne, werden die Beni Suef nach ungefähr Dreiviertelstunden hier sein.«
»Wie empfangen wir sie?«
»So, daß nicht ein Einziger entkommen kann.«
»Natürlich. Dann müßten wir sie wohl einschließen?«
»Freilich. Wir theilen uns in drei Haufen. Wir zählen ungefähr siebenhundertundfünfzig Mann. Zweihundert reiten nach Ost und ebenso Viele nach West. Sie gehen im Galopp fort, um von den heranziehenden Suef nicht gesehen zu werden, bilden zwei Viertelkreise, welche sich im Norden mit Tarik's Schaar berühren und ziehen sich dann immer näher heran und immer enger zusammen. Die übrigen Leute außer den Hundert, welche die Gefangenen in Schach zu halten haben, also über zweihundert an der Zahl, bleiben hier zurück, um die Ankommenden im geeigneten Augenblick draußen vor der Oase zu empfangen. Auf einen Kampf hier zwischen den Zelten dürfen wir es nicht ankommen lassen.«
»Wer soll kommandiren?«
»Ich hier im Lager. Du magst die nach Osten bestimmte Schaar befehligen und Hilal die nach West reitende. Ihr müßt es so einrichten, daß Ihr weder zu früh noch zu spät heran kommt. Wollen eilen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.
Sie kehrten nach den Zelten zurück. Nach wenigen Sekunden ritten Normann und Hilal mit ihren Leuten ab, der Eine rechts und der Andere links zum Lager hinaus.
Das war ganz selbstverständlich in der Weise geschehen, daß die gefangenen Beni Suef nichts davon gemerkt hatten. Diese sollten nicht erfahren, daß ihre Krieger sich näherten, und auch nicht, daß die Besatzung des Lagers durch die Entsendung der Vierhundert so bedeutend geschwächt worden war.
Nun trat eine längere Pause der Erwartung ein. Steinbach zog sich mit seinen zweihundertundfünfzig Reitern bis beinahe unter die letzten Palmen hinaus, doch so, daß er von den nahenden Feinden nicht vorzeitig erkannt werden konnte. Dort wartete er.
Die Suef kamen im Trabe näher; doch war ihre Bewegung keineswegs eine schnelle. Sie selbst und auch ihre Pferde waren müde und erschöpft. Außerdem brachten sie die Kunde ihrer Niederlage, und da ist man nicht so schnell, als wenn man der Ueberbringer einer Siegesbotschaft sein darf.
Steinbach ließ natürlich auch den östlichen und westlichen Horizont nicht aus den Augen. Dort war nur eine fast kaum bemerkbare Linie zu sehen, welche sich schnell noch Norden zu ausdehnte, um diejenige Linie zu erreichen, welche die von Tarik befehligte Schaar bildete. Diese Vereinigung mit derselben kam schnell zu Stande. Sie war vollzogen, noch ehe die Beni Suef sich der Oase so weit genähert hatten, daß man die einzelnen Reiter von einander unterscheiden konnte. Nun brauchten Hilal und Normann nur nach Schluß mit Steinbach zu suchen, so waren die Feinde eingeschlossen.
Diese kamen unterdessen ganz unbesorgt näher. Steinbach bemerkte durch das Fernrohr, daß sie sich sehr oft nach Tariks Schaar umblickten, von denen sie verfolgt wurden. Sie schienen gar nicht begreifen zu können, daß eine so kleine Schaar es wage, sich an ihre Fersen zu heften. Freilich konnten sie sich das in der Weise erklären, daß sich hinter der kleinen Abtheilung, welche nur als Avantgarde diene, die ganze Anzahl der Beni Sallah befinde. Daß diese aber schon vor ihnen halte, in der eigenen Oase, das gehörte für sie natürlich zu den Unmöglichkeiten.
Jetzt sonderten sich Einige, welche sich im Galoppe näherten, von ihnen ab. Sie sollten jedenfalls den Ihrigen in der Oase das Nahen der Krieger verkündigen und sie auf die Kunde von dem Mißlingen des Kriegszuges vorbereiten.
Steinbach zog seine Leute etwas zurück, blieb aber selbst mit einer genügenden Anzahl vorn, etwas seitwärts halten, um die Boten, welche nur ihrer fünf waren, vorüber zu lassen und in die Mitte zu nehmen.
Sie kamen. Je mehr sie sich der Oase näherten, desto mehr schienen sie sich darüber zu wundern, daß auf dieser Seite sich keine Heerden befanden. Man sah, daß sie wiederholt umherblickten. Jetzt erreichten sie die Palmen und trabten an Steinbach vorüber, den sie nicht bemerkten. Sofort schwenkte er hinter sie ein.
»Halt!« rief er ihnen zu.
Sie hielten an und blickten zurück. Es kam ihnen erstaunlich vor, eine Anzahl Reiter hinter sich zu sehen, die sie vorher gar nicht bemerkt hatten.
»Woher kommt Ihr?« fragte Steinbach.
Sie kamen ein Wenig näher, und Einer meinte:
»Das haben wir zu fragen, nicht aber Ihr; Ihr seid hier fremd. Woher kommt Ihr?«
»Aus dem Norden.«
»Das ist nicht wahr.«
»Weißt Du es etwa besser?«
»Ja. Wir müßten Euch gesehen haben.«
»Was kann ich dafür, daß Ihr die Augen nicht besser aufgethan habt!«
»Deine Zunge scheint nicht eine Freundin der Höflichkeit zu sein. Zu welchem Stamme gehört Ihr?«
»Diese Männer sind Beni Sallah.«
»Sallah! Du lügst!«
»Schäme Dich! Ich bin Masr-Effendi, den Du wohl kennen wirst.«
»Masr-Effendi? Der ist im Norden bei den Beni Sallah. Du also kannst er nicht sein.«
»Ich bin es. Ich habe Euch gestern in den Dünen vor dem Kampfe gewarnt, Ihr habt meinem Rathe nicht gefolgt und seid in das Verderben gerannt. Ihr meint vielleicht, uns entkommen zu sein, habt Euch aber geirrt. Wir sind eher da als Ihr. Ich fordere Euch auf, Euch zu ergeben!«
»Bist Du wahnsinnig! Hier in unserm Duar!«
Er zog seinen Wurfspieß aus dem Riemen.
»Laß den Spieß stecken!« sagte Steinbach. »Was willst Du gegen uns ausrichten! Siehe Dich um!«
Der Suef blickte hinter sich, und da sah er allerdings die Feinde, welche jetzt auf einen Wink Steinbachs herbeikamen, um die fünf Reiter zu umzingeln.
»Allah ist groß!« rief der Mann.
Er bemerkte sofort, daß die Beni Sallah auch groß waren, wenigstens in Beziehung auf ihre Anzahl. Er wurde mit seinen vier Begleitern so schnell zusammengedrängt und von den Thieren gerissen, daß ihnen gar kein Gedanke an Gegenwehr beikam, viel weniger aber ihnen die Zeit dazu geboten wurde.
»Entwaffnet sie schnell und schafft sie zu den andern Gefangenen,« befahl Steinbach.
Er sah, daß es für ihn nun Zeit sei, den Beni Suef entgegen zu gehen. Sie befanden sich schon so nahe, daß man beinahe die Gesichter von einander unterscheiden konnte. Er ließ seine Leute eine doppelte Reihe bilden und sprengte mit ihnen dann im Galopp gerade auf die Beni Suef zu.
Diese blieben augenblicklich halten, als sie eine so starke Reiterschaar unter den Palmen heraus sich entgegenkommen sahen. Waren das Freunde? Etwa ihre eigenen alten, kampfunfähigen Leute? Nein, das war nicht möglich. Feinde aber konnten es auch nicht sein, denn woher hätten diese jetzt kommen sollen! Vielleicht waren es die Krieger eines befreundeten Stammes, welche gekommen waren, eine festliche Fantasie mit ihnen abzuhalten.
Da sie sich diese Fragen nicht beantworten konnten, so blieben sie halten, um das Weitere abzuwarten. Steinbach, den Seinen voran, kam ganz nahe herbei, hielt sein Pferd an und sagte:
»Die Krieger der Beni Suef haben schlechte Pferde, daß sie ihre Feinde eher an ihr Zeltdorf kommen lassen.«
»Seit Ihr etwa Feinde?« fragte Einer, welcher den Anführer zu machen schien.
»Ja.«
»Bei Allah, Ihr seid aufrichtig!«
»Wir sind Männer. Nur Weiber pflegen zu leugnen, wer sie sind und was sie wollen.«
»Zu welchem Stamme gehört Ihr?«
»Zu dem, welcher Euch besiegte.«
»Beni Sallah?«
»Ja.«
»Scherze nicht! Wie könnten die Hunde der Beni Sallah bereits vor uns hier angekommen sein!«
»Weil sie bessere Reiter sind als Ihr.«
»Mann, willst Du uns beleidigen? Ich sage Dir, ehe es einem Beni Sallah gelingt, uns – –«
Er wurde unterbrochen, denn einer seiner Krieger, welcher ganz hinten gehalten und in Folge dessen Steinbach nicht deutlich gesehen hatte, war weiter nach vorn gekommen und rief jetzt im Tone des Schreckes:
»Masr-Effendi!«
»Wer? Dieser Mann hier?« fragte der Anführer.
»Ja, er ist es.«
»Hölle und Teufel! Irrst Du nicht?«
»Nein. Ich habe ihn gestern genau gesehen, als er Omram niederschlug.«
Diese Kunde brachte die Wirkung hervor, daß die Beni Suef alle zu den Waffen griffen.
»Laßt die Waffen in Ruhe!« sagte Steinbach. »Es nützt Euch nichts.«
Die Beni Suef zählten wohl ebenso viel wie die Beni Sallah.
»Uns nichts nützen?« fragte der Anführer höhnisch.
»Wir werden Euch gleich zeigen, wem es nützt und wem es schadet, uns oder Euch!«
Er erhob den scharfen, spitzen Dscherid zum Wurfe.
»Halt!« rief Steinbach, indem er gebieterisch den Arm erhob. »Kein unnützes Blutvergießen! Wir haben Euer Dorf besetzt. Alle Eure Einwohner sind unsere Gefangenen. Wenn Blut fließt, so werden von ihnen so Viele büßen müssen, wie Ihr jetzt von den unserigen verwundet!«
»Allah! Gefangen sind sie?«
»Alle, auch der alte Scheik. Uebrigens dürft Ihr nicht meinen, daß wir so schwach sind wie Ihr. Blickt Euch um, rechts und links und auch hinter Euch!«
Sie hatten bisher ihr Augenmerk nur geradeaus gerichtet. Darum war ihnen entgangen, was auf den andern Seiten geschehen war. Die Schaaren Hilals und Normanns hatten sich mit Derjenigen Tariks vereinigt und kamen nun im Galopp heran gesprengt, die Beni Suef von allen Seiten einschließend. Ehe diese sich von ihrem Schrecke erholt hatten, waren sie von allen Seiten umzingelt und die Beni Sallah rückten augenblicklich so eng zusammen, daß sie mit ihren Kugeln in den Haufen der Feinde schießen konnten.
»Seht Ihr nun, daß jeder Widerstand vergeblich ist?« fragte Steinbach. »Ich hoffe, daß Ihr das thut, was zu Eurem Frieden dient! Ihr haltet in der Mitte. Wenn Jeder von uns nur eine Kugel sendet, seid Ihr alle todt.«
Die Beni Suef schoben ihre Pferde enger an einander und beriethen sich. Es war ihren Blicken anzusehen, in welcher Wuth sie sich befanden. Nach einer Weile schienen sie einig geworden zu sein. Derjenige, welcher bisher gesprochen hatte, sagte:
»Du hast das Dorf bereits erobert?«
»Ja.«
»Und alle Bewohner gefangen genommen?«
»Alle.«
»Welche Bedingungen stellst Du uns, wenn mir uns ohne Kampf ergeben?«
»Wir schenken Euch das Leben.«
»Weiter nichts? Was wird mit unserm Eigenthume?«
»Darüber wird noch berathen. Uebrigens wollen wir nicht, daß Ihr verhungern sollt.«
»Diese Bedingung ist hart.«
»Der alte Scheik hat sie auch angenommen. Er hat mit allen seinen Leuten den Tod verdient, denn er hatte den Entschluß gefaßt, Ergebung zu heucheln, uns aber dann im Schlafe zu ermorden. Es wird auf Euer Verhalten ankommen, ob wir uns dafür rächen oder nicht.«
»Ich kann es nicht auf mich nehmen, uns zu ergeben. Ich bin nur einstweilen Anführer. Hole den alten Scheik herbei. Was er uns sagt, das werden wir thun!«
Da gab Hilal Steinbach einen Wink, kam rasch herbei geritten und sagte:
»Willst Du wirklich den Alten holen lassen?«
»Wozu? Warum diese lange Verhandlung? hätten die Suef mit uns verhandelt, wenn sie Sieger geworden wären?«
»Vielleicht doch. Wenigstens können wir das Gegentheil nicht behaupten, da sie uns eben glücklicher Weise nicht besiegt haben.«
»Dennoch brauchen wir nicht so übermäßig langmüthig sein. Soll das, was sie thun, von Einem abhängig sein, der unser Gefangener ist? Sind wir nicht Achthundert gegen kaum mehr als Zweihundert?«
»Aber wenn es zum Kampfe kommt, werden sie sich wehren und Mehrere von uns tödten und Viele verwunden. Warum soll Blut vergossen werden, wenn es nicht unumgänglich nöthig ist!«
»Du magst Recht haben, aber diese Hunde verdienen keine Schonung.«
»Ich schone uns, indem ich sie schone. Reite Du selbst in das Lager, und hole den Alten!«
»Gut! Aber wehe ihm, wenn er es wagt, ein Wort zu sagen, welches mir nicht gefällt. Ich gebe ihm den Dolch in das Fleisch, daß seine Seele in die Hölle fährt!«
Er ritt fort. Die beiden Parteien betrachteten und beobachteten einander sich mit finsteren Blicken.
Es dauerte nicht lange, so kehrte Hilal zurück. Er ritt, der Alte aber mußte neben ihm her laufen. Bei Steinbach angekommen, stieg Hilal ab, ergriff den Alten, welcher natürlich noch gefesselt war, beim Kragen und sagte:
»Also diese tapfern Krieger wollen wissen, ob sie sich ergeben sollen oder nicht. Sage ihnen, was Du für das Beste für Dich hältst!«
Dabei zog er seinen Dolch.
»Willst Du mich erstechen?« fragte der Scheik.
»Wenn sie sich nicht ergeben, bist Du der Erste, welcher in die Hölle wandert.«
Der Alte sah, daß er es mit einer sehr ernst gemeinten Drohung zu thun habe. Er warf einen Blick über seine Leute und dann auf die ihnen viermal überlegenen Beni Sallah und sagte:
»Es ist hier ein jeder Widerstand vergeblich. Beherrscht Eure Tapferkeit, und ergebt Euch!«
»Wie können sie Etwas beherrschen, was sie gar nicht besitzen,« brummte Hilal zornig.
»Sollen wir uns etwa auch entwaffnen lassen?« fragte der Anführer.
»Ja.«
»Scheik, wir sind keine Feiglinge gewesen! Wir haben gekämpft!«
»Und dann seid Ihr tapfer davon gelaufen!« rief Hilal. »Ich habe keine Lust, darauf zu warten, was Ihr nach langer Berathung beschließen werdet. Ergebt Euch sofort, sonst seid nicht nur Ihr verloren, sondern auch alle Eure Leute im Dorfe!«
»Und auch Alle, welche ich noch gefangen habe!« erklang es hinter den Beni Suef.
Dort hielt Tarik mit seiner Verfolgerschaar. Er hatte Steinbach von Weitem grüßend zugenickt, aber noch nicht mit ihm gesprochen. Jetzt, als er diese Worte sagte, deutete er hinter sich. Die sechzig Mann, mit denen er die Verfolgung der Feinde unternommen hatte, bildeten eine Reihe, welche sich jetzt öffnete, damit man sehen könne, wer sich hinter ihnen befand. Dort hielten, auf Pferde und Kameele gebunden, und die Thiere an einander gefesselt, wohl an die fünfzig gefangene Beni Suef, welche auf der Flucht von den Leuten Tariks ergriffen und entwaffnet worden waren. Es war das ein glänzender Beweis dafür, daß Tarik ein guter Anführer sei.
Als die Beni Suef diese Gefangenen sahen, sagte ihr Anführer:
»Wollen wir Schuld an dem Tode so vieler der Unserigen sein? Das willst Du wohl nicht, o Scheik.«
»Nein. Wir haben schon so viele verloren. Seid Ihr etwa die Einzigen, welche zurückkehren?«
»Die Einzigen.«
»O Allah! Wo sind dann die Andern?«
»Wenige sind gefangen; die Andern alle aber liegen erschlagen in der Nähe des Dorfes der Beni Sallah. Diese hatten von unserm Zuge erfahren, und darum gelang es ihnen, uns versteckt zu empfangen und zu besiegen.«
»Allah hat ein großes Herzeleid ausgegossen über unsern Stamm. Unsere Weiber werden heulen; unsere Kinder werden klagen, und unsere Kindeskinder werden weinen. Verflucht sei – «
»Halt!« rief Hilal, ihm die Spitze des Dolches vor die Nase haltend. »Wenn Du etwa schimpfest, Alter, so stirbst Du!«
Natürlich schwieg der Scheik.
»Steigt von den Thieren, und gebt Eure Waffen ab!« gebot der neue Scheik der Beni Sallah, Tarik.
»Was hat Dieser zu sagen?« zürnte der Anführer.
»Er ist der Scheik,« erklärte Steinbach.
Der Mann sagte nichts. Er sprang vom Kameele und gab seine Waffen ab. Steinbach ritt zu ihm hin und erkundigte sich:
»Nicht wahr, es haben sich zwei Freunde bei Euch befunden, welche mit dem ausgestoßenen Falehd zu Euch kamen?«
»Ja, ein Pascha und ein Russe.«
»Wo sind sie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Du mußt es wissen!«
»Bin ich Allah, daß Du mich für allwissend hältst!«
»Sie sind bei Euch gewesen; sie sind auch mit Euch zurückgekehrt um die Beni Sallah zu überfallen. Ihr müßt also wissen, wo sie sind.«
»Habt Ihr sie nicht gefangen?«
»Nein.«
»Oder bei den Todten gefunden?«
»Auch nicht. Waren sie denn bei den Kämpfenden?«
»Da waren sie freilich nicht. Sie wollten unsern Schutz; aber sie waren zu feig, mit uns und für uns zu kämpfen. Sie sind im Lager bei dem Troß zurückgeblieben. Wenn Ihr sie weder gefangen genommen noch getödtet habt, so sind sie entflohen.«
»Wohin sollten sie in der Wüste fliehen!«
»Vielleicht ist Suef mit ihnen, der des Riesen Sclave war. Er kam mit ihnen und blieb bei den Wächtern des Trosses.«
»Ihr habt sie also auf Eurer Flucht nicht getroffen? Ihr könnt das beschwören?«
»Beim Propheten und allen Kalifen. Hätten wir sie getroffen, so hätten wir sie von uns gejagt, sie, welche unsere Gastfreundschaft verlangten und doch nicht mit uns kämpften. Feiglinge brauchen wir nicht.«
Steinbach sah dem Manne an, daß er die Wahrheit sagte. Normann hatte die Unterredung gehört; er meinte enttäuscht:
»Das ist höchst fatal! Eigentlich haben wir nur dieser Beiden wegen den Ritt mitgemacht.«
»Wenn auch nicht ganz nur aus diesem Grunde, aber ich gestehe, daß es mir höchst unangenehm ist, daß sie entkommen sein sollen.«
»Hängt uns etwa dieser Kerl eine Finte auf?«
»Nein, gewiß nicht. Ich bin auch der Ansicht, daß sie das Hasenpanier ergriffen haben, als sie bemerkten, daß wir am Siege waren.«
»Wie aber konnten sie entkommen? Wir mußten doch jeden Reiter sehen. Und wo Einer sich blicken ließ, wurde er verfolgt.«
»Hm! Auch mir ein Räthsel.«
»Ob sie sich zu Fuße fortgeschlichen haben?«
»Das wäre Wahnsinn. Freilich ist es sehr möglich, daß sie es aus Unüberlegtheit gethan haben. In diesem Falle sind sie verloren – ohne Thier, ohne Nahrung und Wasser.«
»Hm! Sie werden, doch nicht auf den Gedanken gekommen sein, sich das Alles, also Raubthiere, Wasser und Datteln bei den Beni Sallah zu nehmen?«
»Mir kam soeben derselbe Gedanke.«
»Es wäre ihnen zuzutrauen.«
»O nein. Im Grunde sind sie feig.«
»Aber ehe man verhungert, verdurstet oder verschmachtet, unternimmt man wohl ein Wagniß.«
»Ich gebe es zu. Dazu ist wahrscheinlich der Suef bei ihnen, der jeden Winkel und alle Verhältnisse des Lagers kennt. Dort wachen die Beni Abbas, welche fremd sind und gestern jedenfalls den Sieg gefeiert haben. Nach so einer Feier schläft man gut und lang.«
»Ich beginne, besorgt zu werden!«
»Ich ebenso. Jedenfalls wird meines Bleibens hier nicht lange sein. Ich hatte mit größter Sicherheit darauf gerechnet, den Grafen und den Pascha hier gefangen zu nehmen. Es wäre wirklich ungeheuer fatal, wenn diese Kerls uns entkämen.«
»Und wir müßten abermals von Neuem beginnen!«
»Machen wir unsere hiesigen Obliegenheiten so schnell wie möglich ab. Es wird mir wirklich ein Wenig warm zu Muthe. Schließlich ist es gar nicht nothwendig, daß wir hier so lange bleiben wie die Beni Sallah, wir können eher gehen. Vielleicht ist es uns da noch möglich, eine Spur der beiden Verschwundenen zu entdecken. Uebrigens befindet sich Einer hier, der den Grafen ebenso sehnlich erwartet hat wie ich.«
»Wer?«
»Ein früherer Diener von ihm, welchen ich von jetzt an in meine Dienste nehmen will. Sie werden noch Weiteres von ihm hören. Ich gehe jetzt in das Dorf zu ihm. Sehen Sie darauf, daß die Gefangenen sicher in das Dorf zu den Anderen gebracht werden!«
Er ritt fort. Um Nena zu sehen, brauchte er gar nicht bis in das Dorf zu kommen. Der Indier war ganz begierig gewesen, den Grafen zu sehen, darum war er nicht bei den Zelten geblieben, sondern den Kriegern nachgefolgt. Er kam jetzt zu Steinbach heran und fragte, an seiner Seite nach dem Dorfe schreitend:
»Ist er da, Effendi?«
»Leider nein! Es ist ihm einstweilen gelungen, zu entkommen.«
»Wie schade! Du warst so überzeugt, daß Du ihn fangen würdest, und darum dachte auch ich, daß er in Deine Hände gerathen wäre.«
»Hoffentlich ergreife ich ihn noch«
»Nun nicht. Die Wüste ist groß und weit.«
»Ader sie hat ihre Spuren und Fährten.«
»Kannst Du diese denn lesen?«
»Ja.«
»So sollten wir eigentlich sofort aufbrechen. Man darf da keine Zeit verlieren.«
»Du willst also mit mir gehen?«
»Bis an das Ende der Welt und auch noch einige Tagereisen darüber hinaus.«
»Ich bin einverstanden. Wir werden den Grafen suchen. Finden wir ihn, so sollst Du gerächt werden.«
»Reiten wir also sofort ab!«
»So schnell geht das nicht. Ich habe doch noch Einiges zu thun, was ich nicht unterlassen darf. Aber sobald das geschehen ist, werde ich keine Minute länger bleiben.«
Die neuen Gefangenen wurden zu den vorigen geschafft und in Bewachung gegeben. Steinbach glaubte, nun Muße zu haben, mit Nena über Gökala reden zu können, aber er kam noch nicht dazu. Tarik suchte ihn auf.
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