Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

33

Er hatte Recht. Bereits nach einer halben Stunde erwachte der Arabadschi wieder und bat um Wasser. Es wurde ihm gegeben und nun schlief er nicht augenblicklich wieder ein. Sein Geist war hell geworden. Er erzählte, wenn auch mit matter aber doch verständlicher Stimme das letzte Erlebniß im Lager der Beni Sallah, bis dahin, wo er sich auf die Fuchsstute geworfen hatte, um die Uebelthäter zu verfolgen.

»Wie kommst Du auf diesen verwegenen Gedanken?« fragte Normann.

»Wie ich auf ihn komme?« klang es im erstauntesten Tone zurück. »Ist nicht Zykyma meine Herrin?«

»Ja, das war sie. Aber glaubst Du denn etwa, sie retten zu können?«

»Ich glaubte gar nichts. Sie war in Gefahr, und ich ritt ihr nach.«

»Das war unvorsichtig aber brav. Du hattest weder Wasser noch Speise,« sagte Steinbach. »Du hast die Räuber eingeholt?«

»Ja.«

»Und sie belauscht?«

»Ich lag ganz nahe bei ihnen.«

»Was sagten sie?«

»Es war ein Sattelgurt gesprungen; darum mußten sie anhalten. Es war noch dunkel. So ließ ich mein Pferd stehen und kroch hinzu. Sie sprachen davon, daß sie zu den Beni Halaf wollten. Weiter hörte ich nichts, denn ich hatte mit Zykyma zu thun.«

»Bemerkte sie Dich?«

»Nicht eher, als bis ich vor ihrem Kameele im Sande lag. Ich gab ihr mein Messer in den Tachterwan und flüsterte ihr zu, daß ich sie am Abende retten werde. Dann aber mußte ich wieder fort, sonst wäre ich entdeckt worden. Ich wollte ihnen nachreiten und die drei Kerls des Abends beim Lagern tödten. Aber die Hitze Samums dorrte mir die Gebeine aus. Mein Pferd konnte nicht weiter. Wir blieben also hier liegen. Ich bin müde.«

Er schloß die Augen und schlummerte wieder. Das Pferd erhielt jetzt noch einmal Wasser und bekam dann Datteln zu fressen. In einigen Stunden war es jedenfalls wieder fähig, geritten zu werden.

Steinbach ließ Saïd schlafen. Er hatte es sich jetzt vorgenommen, die Gefährten zu erwarten. Vielleicht kamen diese am nächsten Morgen, vielleicht noch eher.

Das Letztere war der Fall. Noch lange vor Mitternacht ließ sich das Geräusch nahender Kameele hören. Die vierzig Sallah und Abbas kamen. Sie hatten sich außerordentlich beeilt und freuten sich, Saïd am Leben zu finden. Jetzt ließen sie auch ihren Teufelsspuk fallen.

Es wurde berathen, ob man hier lagern oder gleich weiter ziehen solle. Steinbach stimmte für das Letztere. Es war der erste Tagesmarsch, und folglich gab es bei den Thieren noch keine große Ermattung. Man konnte die Nacht benutzen und dafür lieber morgen im Sonnenbrande eine Ruhepause machen.

Das geschah. Man brach gleich wieder auf. Saïd war zwar noch schwach, konnte sich aber doch im Sattel des Kameels erhalten. Er erholte sich überhaupt von Minute zu Minute immer mehr.

Um die Mittagszeit des nächsten Tages wurde Halt gemacht. Spuren der Verfolgten bemerkte man nicht mehr im Sande, da die Wüstenluft wieder rege geworden war. Doch hatte das nichts zu sagen, da man ja das Ziel jetzt genau kannte. Gegen Abend des dritten Tages befand sich der Zug in der Nähe der Oase der Beni Halaf.

Es war leicht zu denken, daß diese eine Verfolgung vermuthen und also wachsam sein würden; darum hielt es Steinbach für gerathen, die Oase von Weitem zu umreiten, um von der entgegengesetzten Richtung zu kommen. Auch hierin stimmte man ihm zu.

Es wurde im schärfsten Tempo ein Umweg gemacht, bis man sich im Norden der Oase befand, auf welche man vorher von Südwest gekommen war. Von dieser Seite her wurde wohl kein Feind erwartet.

Die Gegend war sehr felsig und zerklüftet. Der Sand hatte aufgehört. Einige Höhenzüge schlossen ihn von der Oase ab. Diese Höhen waren kahl und von Schluchten zerrissen. Durch eine dieser engen Schluchten ritt Steinbach an der Spitze der muthigen Schaar. Als sich dieselbe öffnete, rollte sich ein anmuthiges Bild vor ihnen auf.

Rings von ähnlichen Höhen umgeben, lag ein ziemlich umfangreicher, mit Palmen bestandener und von mehreren Quellen bewässerter Thalkessel. Zelte standen unter den Palmen. Heerden weideten in der Nähe. Droben auf der Höhe nach Südwesten hin lagen mehrere Krieger, um den Weg zu beobachten.

»Sie warten auf uns,« sagte Tank grimmig. »Wir werden sie nicht ungeduldig werden lassen!«

»Dennoch aber wollen wir uns nicht übereilen,« meinte Steinbach. »Blicke dort hinüber!«

Eine Schaar von vielleicht fünfzehn bis zwanzig Mädchen kam unter den Palmen hervor. Sie hielten Kränze in den Händen, und ihr Ziel schien die Höhe zu sein.«

»Was ist es mit ihnen?«

»Blicke nun auch hier hinauf.«

»Warum? Da begraben sie ihre Todten.«

»Meinst Du nicht, daß die Mädchen da hinauf gehen wollen?«

»Ja. Es ist heut der Tag Kadidscha, an welchem die Mädchen die Gräber der Ihrigen bekränzen. Das geschieht nach dem Abendgebete, wenn die Finsterniß hereinbricht. Es wird dann auf jedem Grabe ein Licht angebrannt.«

»Das ist sehr gut. Ziehen wir uns wieder weiter in die Schlucht hinein. Während die Anderen unsere Thiere halten, schleichen sich Zwanzig von hinten her nach dem Begräbnißplatze, um, wenn es dunkel geworden ist, die Jungfrauen zu ergreifen, ein Jeder eine.«

Die Anderen hielten ganz erstaunt ihre Blicke auf ihn gerichtet. Hilal aber sagte:

»Effendi, Dein Gedanke ist der weiseste, den es nur geben kann. Wenn wir die Mädchen der Beni Halaf bekommen, müssen sie uns auch die Drei, welche wir suchen, herausgeben.«

»Natürlich! Wir tauschen um.«

»Wir brauchen also weder zu bitten, noch zu kämpfen. Kein Rath ist besser als der Deinige.«

»So kommt zurück!«

Jetzt waren alle einverstanden. Vierzig, wenn auch tapfere Männer gegen einen ganzen Stamm war doch zu gewagt. List war gerathener.

Hinter der Höhe wurde gehalten. Steinbach stieg mit Zwanzig ab, um die Höhe zu erklimmen. Hinter derselben, unten im Thale, ertönte soeben der Ruf des Mueddin zum Gebete. Die Dämmerung kam rasch hernieder.

Als die Zwanzig die Höhe erstiegen hatten, war es bereits ziemlich dunkel.

Hier oben gab es ein Steingewirr, in welchem man sehr gut Deckung finden konnte. Abwärts lag der Kirchhof, ein nicht sehr großer und nicht hoch eingefriedigter Platz. Man sah die Mädchen, welche sich am Eingange niedergesetzt hatten und mit einander sprachen.

Jetzt ward es schneller dunkel. Noch wenige Minuten, so war es Nacht. Auf dem Begräbnißplatze flimmerte das erste Lichtlein auf.

»Männer dürfen wohl nicht dabei sein?« fragte Steinbach Tarik.

»Nein. Es ist der Tag der Frauen.«

»Desto besser für uns. Sorgen wir vor allen Dingen dafür, daß die Mädchen kein Geschrei erheben. Der Schreck wird sie dem ersten Augenblick verstummen lassen. Da muß dann ein Jeder Eine fassen und ihr gleich die Kehle zuschnüren, aber ohne sie zu tödten. Wir tragen sie über die Höhe diesseits wieder hinab und bringen sie so weit fort, daß wir nicht gefunden werden können. Ich aber begebe mich als Euer Gesandter zu den Beni Halaf, um mit ihnen zu verhandeln.«

»Das ist kühn!«

»Gar nicht kühn. Sie werden mir nichts thun, weil ihre Töchter sich in unserer Gewalt befinden. Also jetzt ist es Zeit, vorwärts!«

Die zwanzig Mann schlichen sich zwischen den Steinen hindurch auf den Begräbnißplatz zu. Auf demselben brannten bereits eine Menge Lichter, welche von den Beduininnen angesteckt worden waren.

An der Mauer angekommen, welche den Männern nur bis an die Brust reichte, so daß man sehr leicht hinüberblicken konnte, sah man die Mädchen jetzt um ein Grabmal stehen, welches das größte von allen war. Vielleicht lag ein berühmter Scheik unter demselben begraben.

»Jetzt stehen sie beisammen,« flüsterte Steinbach seinen Begleitern zu. »Vertheilt Euch schnell rund um, so daß wir von allen Seiten kommen; dann ist ihnen die Flucht unmöglich. Wenn ich ein Zeichen gebe, eilen Alle herbei.«

Einer der Krieger meinte:

»Meinst Du nicht, daß sie leichter zum Schweigen zu bringen sein werden, wenn wir ihnen unsere Messer sehen lassen?«

»Natürlich, das könnt Ihr thun. Jetzt vorwärts!«

Sie vertheilten sich. Nach einer kurzen Pause stieg Steinbach über die Mauer. Sein scharfes Auge bemerkte, daß die auf seiner Seite postirten Gefährten sich auch bereits im Innern des Kirchhofes befanden. Er gab das Zeichen. Da huschten die Gestalten alle auf das erwähnte Grabmal zu, an welchem die Mädchen jetzt einen monotonen Gesang angestimmt hatten. Steinbach war vermöge seiner Gewandtheit der Erste dort. Er ergriff eins der Mädchen mit der linken Hand am Halse, drückte den Letzteren so fest zusammen, daß sie nicht schreien konnte und hob sie auf den anderen Arm empor.

Kaum war das geschehen, so bemächtigten sich die anderen Araber auch der übrigen Mädchen. Einige unterdrückte oder auch nur kurze Schreie erschollen, dann eilten die Männer mit ihren Bürden nach der Mauer zurück, welche hier, da die Gräber hoch lagen, mit einem einzigen Schritte zu ersteigen war. Ein Sprung hinab und dann fort, in das Dunkel hinein. Die That war gelungen.

Natürlich fanden sich nicht Alle zugleich bei der Truppe ein. Einer kam eher und der Andere später. Keiner aber fehlte.

Die Mädchen waren vor Schreck, Angst und Athemnoth halb todt. Erst als sie sich inmitten ihrer Feinde befanden, wurden ihnen die Finger von den Kehlen genommen, so daß sie nun wieder richtig Athem zu holen vermochten. Einige begannen, laut zu jammern.

»Ruhig!« gebot Steinbach. »Welche von Euch Lärm macht, die wird erstochen!«

Sofort trat Stille ein. Jetzt erkundigte Steinbach sich:

»Ist eine Verwandte Eures Scheiks bei Euch?«

»Ich,« lautete eine Antwort. »Ich bin seine jüngste Tochter.«

»Wie heißest Du?«

»Warda.«

Dieses Wort bedeutet »Rose«. Jetzt in der Dunkelheit konnte man es nicht erkennen; später jedoch zeigte es sich, daß sie ein schönes Mädchen war und diesen Namen voll verdiente.

»Wie heißt Dein Vater?«

»Amulak Ben Musa.«

»Weshalb halten Krieger im Süden vor Eurer Oase Wache?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du wirst es sofort wissen, wenn ich Dir sage, daß wir Dich als Sclavin verkaufen werden, wenn Du meine Fragen nicht beantwortest.«

»O Allah!« seufzte sie erschrocken.

»Also rede!«

Sie zögerte noch. Da redeten ihr die Gefährtinnen zu, die Wahrheit zu sagen.

»Thue, was sie Dir rathen, denn wir werden auch sie mit uns nehmen, wenn Du Dich weigerst eine Auskunft zu geben. Wozu also die Wächter?«

»Wir erwarten einen Ueberfall der Krieger vom Stamme der Beni Sallah.«

»Warum?«

»Es sind einige Freunde zu uns gekommen, die von ihnen verfolgt werden.«

»Wo befinden sich diese Leute?«

»In dem großen Gastzelte gerade gegenüber demjenigen meines Vaters.«

»Haben sie Frauen mit?«

»Ja, drei.«

»Wo sind diese?«

»Im Frauenzelte neben der Wohnung des Scheiks, wo sie bewacht werden.«

»Sind sie da allein?«

»Ja. Der Wächter sitzt vor der Thür.«

»Ich bin mit Deinen Antworten zufrieden. Wenn Ihr Euch wohl verhaltet, wird Euch nichts geschehen und Ihr werdet sehr bald wieder bei den Eurigen sein.«

Jetzt rieth er Tarik, sich mit der Truppe ganz aus der Schlucht hinaus in das Freie zu ziehen, eine Maßregel, durch welche ein unvorhergesehener Ueberfall verhindert wurde, zumal wenn man die Vorsicht gebrauchte, einige Vorposten auszustellen. Dann wollte er sich auf den Weg machen. Es wurde ihm von mehreren Seiten abgerathen. Er gab nur so weit nach, daß er sich eine gewisse Strecke weit begleiten lassen wollte, und suchte sich zu diesem Zwecke fünf bis sechs Männer aus, unter denen sich auch der Indier Nena befand. Mit diesen brach er auf, natürlich zu Fuße und nicht zu Pferde.

Sie gingen wieder nach dem Kirchhofe zurück, wo die Lichtchen meist noch brannten. Nur einige waren bereits verlöscht. Tiefe Ruhe lag unten in der Oase, wo man also noch keine Ahnung davon hatte, daß die Mädchen entführt worden seien. Jetzt lenkte Steinbach seitwärts ein.

»Warum das?« fragte Einer. »Warum gehst Du nicht gerade auf das Lager zu?«

»Weil ich Euch zurücklassen muß.«

»Das kannst Du auch auf dem geraden Wege.«

»Nein, denn dadurch würde ich Euch in Gefahr bringen. Es ist doch möglich, daß sich die Beni Halaf über das lange Ausbleiben ihrer Töchter beunruhigen, noch ehe ich mit ihnen sprechen kann. In diesem Falle würden sie nach dem Friedhof eilen und auf Euch stoßen. Ein Kampf wäre da unvermeidlich, und er würde zu Euren Ungunsten ausfallen. Also kommt!«

Er war ihnen eben in Allem überlegen, besonders auch in Beziehung auf die Vorsicht und Ueberlegung, mit welcher er selbst das Kleinste auszuführen gewöhnt war.

Sie erreichten nach kurzer Zeit die ersten Palmen der Oase. Hier ließ Steinbach seine Begleiter mit der Weisung zurück, sich vollständig ruhig zu verhalten, auf seinen Ruf, den sie bei der nächtlichen Stille leicht hören konnten, zu ihm in das Lager zu kommen. Dann ging er allein weiter.

Er hatte die Lagerfeuer leuchten sehen und wußte also auch hier, wo die Palmen den Feuerschein nicht erkennen ließen, in welcher Richtung er sich zu halten habe.

Bereits nach einiger Zeit konnte er den Schein wieder sehen. Jedes einzelne Zelt war genau zu unterscheiden. Die Beni Halaf schienen ihre ganze Aufmerksamkeit nach der Südseite gerichtet zu haben, denn hier im Norden gab es keinen einzigen Wächter. Aus diesem Grunde gelang es Steinbach ohne alle Mühe, bis an die ersten Zelte zu kommen.

Von der Mitte des Lagers her erschollen laute Stimmen. Man schien dort eine Versammlung abzuhalten, oder die Bewohner hatten sich zufällig dort zusammengefunden, um über die Ereignisse des Tages und die nun zu erwartenden Begebenheiten zu sprechen.

War dies wirklich der Fall, so gab es für Steinbach die Möglichkeit, einen kühnen Coup auszuführen. Er legte sich auf den Boden nieder und kroch hart an das erste Zelt heran, um den unteren Saum desselben so weit aufzuheben, wie es die Zeltbefestigung erlaubte, und in das Innere desselben zu blicken. Es war ganz still und dunkel darin; es war leer.

So fand er auch die nächsten Zelte, zwischen denen er sich wie eine Schlange hindurchwand. Auf diese Weise gelangte er immer weiter nach der belebten Mitte des Lagers. Bereits konnte er zwischen den letzten, den Versammlungsplatz begrenzenden Zelten hindurch bemerken, daß wirklich alle Beni Halaf dort zugegen waren. Männer und Frauen getrennt.

Das Zelt des Scheikes zeichnete sich durch die Lanzen aus, welche vor demselben in die Erde gesteckt waren. Daneben stand ein kleineres ein wenig mehr zurück, so daß der hintere Theil desselben im Schatten des Ersteren lag. Das war vermuthlich das Frauenzelt.

Er kroch hinzu, immer im Schatten und stets bereit, aufzustehen und sich zu zeigen, falls er gesehen werde. Aber kein Mensch hielt es für nöthig, den Blick hierher zu werfen.

Das Zelt bestand aus starker Leinwand, deren unterer Rand an Pflöcken in die Erde befestigt war. Steinbach zog zwei dieser Pflöcke heraus, hob den Saum der Leinwand ein wenig empor und blickte hinein. Es war still im Innern; aber er erkannte deutlich drei Frauengestalten, welche am Boden saßen. Die Lagerfeuer erleuchteten die vordere Zeltwand, so daß die Köpfe der Drei dunkel von derselben abstachen.

»Zykyma!« flüsterte er.

»Allah!« erklang es erschrocken.

»Still! Ganz leise!«

»Saïd, bist Du es?«

»Nein, ich bin es, Masr-Effendi.«

»Allah sei Dank! Wir sind gerettet, da Du hier bist. Wir haben auf Dich gehofft.«

»Ihr werdet bewacht?«

»Von einem einzigen Krieger, welcher draußen vor der Thür sitzt.«

»Kam Euch nicht der Gedanke an die Flucht?«

»Er kam uns; aber wir können ja hier nicht sehen, wie es draußen steht.«

»Ist Hilal mit hier?« flüsterte Hiluja.

»Und Tarik?« fragte Badija.

»Beide. Ihr werdet sie sehen, wenn Ihr mir jetzt folgen wollt.«

»Können wir denn das?«

»Ja. Legt Euch platt auf den Boden und kriecht mir nach. Ich öffne die Leinwand.«

Er zog sein Messer und machte einen Schnitt in das Zelt, welcher das Durchschlüpfen gestattete. Die drei Mädchen kamen heraus und krochen hinter ihm her, bis er sich von der Erde erhob.

»Steht auf!« sagte er. »Hier kann man uns nicht mehr sehen. Ihr seid frei.«

Da ergriffen sie seine Hände, um ihm zu danken; er aber zog sie eiligst mit sich fort bis hin zu den sechs wartenden Kriegern. Er forderte einen derselben auf, die Geretteten sofort zu den Ihrigen zu bringen, und kehrte dann zurück, dieses Mal aber nicht allein, sondern er nahm Nena, den Indier, mit.

Auf demselben Wege und ganz in derselben Weise gelangte er mit ihm an das Frauenzelt, in welches die Beiden krochen. Als sie sich in dem Inneren befanden, zog Steinbach die Schnuren so straff an, daß sich der Schnitt, welchen er in die Leinwand gemacht hatte, schloß und nicht mehr zu sehen war. Dann schlüpfte er vor an die Thür, welche aus einer Matte bestand. Er schob sie ein Wenig zur Seite und blickte durch die Lücke hinaus. Er sah sofort den Suef mit dem Russen und dem Türken am Feuer sitzen, wo es jetzt sehr lebhaft herging.

»Komm her!« flüsterte er Nena zu. »Luge einmal hier hinaus, und sage mir, ob Du Deinen früheren Herrn erkennst!«

Nena gehorchte. Er musterte die Gesichter und sagte dann in bestimmtem Tone:

»Er ist da, Herr. Er trägt blaue Hosen und ein rothes Wamms mit zwei Pistolen im Gürtel.«

»Ganz richtig! Jetzt sehe ich ein, daß wir ihn fest haben und daß er uns nicht wieder entkommen wird.«

»Er erhebt sich. Er kommt herbei.«

»Schön.«

Auch Steinbach bog sich zu der Lücke, um den Grafen zu beobachten.

Dieser kam langsam näher und fragte, als er das Zelt erreicht hatte, den Wächter:

»Schlafen die Frauen bereits?«

»Ich weiß es nicht, Herr.«

»Laß sehen.«

Er schob den Wächter zur Seite, bückte sich nieder, hob die Matte empor und steckte den Kopf herein.

»Zykyma!«

Keine Antwort.

Er schob darum den Kopf noch weiter herein.

»Zykyma!«

Da gab Steinbach ihm aus allen Kräften eine Ohrfeige, daß es klatschte. Im Nu war der Kopf verschwunden. Draußen hustete und pustete, ächzte und stöhnte es, und sodann rief der Geohrfeigte:

»Ibrahim! Komm schnell her!«

»Warum?« fragte der Pascha, dem es auf seinem Platz gefiel.

»Die Frauen revoltiren.«

»Das wollen wir uns verbitten.«

Er stand auf, kam herbei und erkundigte sich dann:

»Welche denn?«

»Die Deinige ist die Anführerin.«

»Was thut sie denn?«

»Sie will die beiden Anderen zur Flucht verführen.«

Das war nicht wahr. Aber der Russe wollte haben, daß der Türke nun auch seinen Kopf einmal in das Zelt stecke. Wenn er es that, mußte es sich ja finden, welches von den drei zarten Wesen eine so überaus kräftige Hand besaß, und aus welchem Grunde überhaupt dieser Schlag geführt worden war.

»Du blutest ja!« sagte der Türke.

»Wo?«

»An der Nase.«

»Ich habe mich gestoßen.«

»Hat Allah Dir die Nase gegeben, damit Du mit ihr überall anrennst? Ich werde sogleich mit den Ungehorsamen sprechen.«

Auch er bückte sich nieder und hob die Matte empor. Der Russe wischte sich das Gesicht und hielt dabei den Blick voller Spannung auf den Türken gerichtet. Dieser rief in das Zelt hinein:

»Was fällt Euch denn ein, Ihr Hündinnen, Ihr Weiber, Ihr Ungehorsamen. Warum wollt Ihr uns entfliehen?«

Es erfolgte keine Antwort.

»Ich frage Euch, was Ihr gethan habt! Antwortet!«

Es blieb auch jetzt ruhig.

»Zykyma, antworte Du!«

Die Aufforderung war erfolglos.

Er hatte den Kopf freilich noch halb unter dem Eingange. Jetzt aber schob er ihn ganz hinein. Der Russe beugte sich erwartungsvoll vor, was nun erfolgen werde.

»Zykyma! Hörst Du? Wenn Du nicht redest, werde ich Dich bestrafen!«

Da gab es im Innern des Zeltes einen lauten Klatsch und gleich darauf noch einen. Der Türke brüllte auf wie ein Stier und fuhr mit solcher Vehemenz aus dem Zelte zurück, daß er in den Sand schoß. Er sprang jedoch sofort wieder auf, hielt sich die Hände an die Backen und schrie:

»O Allah, o Teufel, o Hölle! Sie hauen zu!«

»Jawohl!« meinte der Russe, nun seinerseits sehr befriedigt, daß der Andere zwei Ohrfeigen erhalten hatte anstatt einer.

»Wie? Hast Du es gewußt?«

»Freilich.«

»Woher?«

»Weil ich auch eine erhalten habe. Dieses Blut fließt wegen einer Ohrfeige, nicht aber wegen eines Stoßes aus meiner Nase.«

»Und Du hast mich belogen, hast mich nicht gewarnt!«

»Ich wußte selbst noch nicht, woran ich war. Ich steckte den Kopf hinein und erhielt den Schlag; da war es unsicher, ob ich eine Ohrfeige erhalten oder mich an den Pfahl gestoßen hatte. Jetzt nun aber weiß ich es genau. Auch Du blutest!«

»Das werde ich rächen! Welche mag es wohl gewesen sein?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich weiß so viel, daß Zykyma keine solche Hand hat.«

»So ist es eine der Schwestern gewesen. Gucke noch einmal hinein!«

»Sollte mir einfallen! Ich mag nicht wieder geschlagen sein. Ich werde ein Licht holen und einmal hineinleuchten.«

Er ging nach dem Feuer, um einen Brand zu holen. Als die Araber sahen, daß er blutete, fragten sie nach der Ursache. Er erzählte es und wurde ausgelacht. Dennoch standen Mehrere auf, um ihm zu folgen und zu erfahren, wie dieser Kampf zwischen Männern und Frauen enden werde.

Er kniete nieder, hob mit der einen Hand die Matte empor und leuchtete mit der anderen vermittelst des Feuerbrandes hinein. Man konnte aber nichts sehen, weil die Helle des Brandes die Augen blendete.

»Weiter hinein!« sagte Einer.

Er wollte es thun, fuhr aber erschrocken zurück, denn der Lauf einer Doppelpistole wurde von innen heraus sichtbar.

»Allah il Allah! Sie schießen!«

»Haben sie denn Waffen?«

»Hast Du nicht die Pistole gesehen?«

»Freilich! Wer hat sie ihnen gegeben? Wir können nicht hinein, aber wir können das Zelttuch abnehmen, da sitzen sie im Freien und können nichts Hinterlistiges unternehmen.«

Sofort waren mehrere Beduinen bereit, die Leinwand zu entfernen. Die Pflöcke wurden herausgezogen und die Leinwand von vorn nach hinten zurückgeworfen. Aller Augen richteten sich nach den Frauen.

»Donnerwetter!« rief der Russe, erschrocken zurückfahrend.

»Allah ist groß!« schrie der Türke, indem er einen gewaltigen Seitensprung that.

Die Araber brachten kein Wort hervor. Sie, die außerordentlich Abergläubigen, hielten es für Hexerei, daß anstatt der drei Frauenzimmer ein hoher, stolzer Mann unter den Zeltstangen stand und ein zweiter neben ihm saß.

»Steinbach!« knirschte der Russe.

»Ja, Steinbach, der Hund!« rief der Pascha. »Wo sind die Frauen, wo?«

»Verschwunden, wie Du siehst,« antwortete Steinbach. »An ihrer Stelle bin ich hier, um mich von Dir entführen zu lassen. Erkläre Dich deutlich, wohin Du mich schaffen willst!«

Der Scheik war herbeigekommen. Ein Kreis von Leuten bildete sich um ihn und um das Zelt. Er blickte ganz erstaunt von Steinbach zu Nena hernieder und fragte den Pascha:

»Wer ist dieser Fremdling?«

»Masr-Effendi, von dem ich Dir erzählt habe.«

»Wie kommt er in unser Lager und in dieses Zelt?«

»Frage ihn! Ich weiß es nicht. Unsere Frauen sind fort. Euch haben wir sie zur Bewachung anvertraut. Ihr müßt sie uns wiederschaffen!«

Der Scheik war rathlos. Er glaubte nun zwar nicht an Zauberei, wußte aber nicht, wie er sich zu Steinbach verhalten solle, dessen stolze Männlichkeit einen außerordentlichen Eindruck auf ihn machte. Er fragte endlich:

»Bist Du wirklich Masr-Effendi?«

»Ja.«

»Wo sind die Frauen?«

»In Sicherheit. Ich habe sie befreit.«

»Wohin hast Du sie gebracht?«

»Zu den Beni Sallah, welche an Eurem Lager stehen und bereit sind, über Euch herzufallen.«

»Das ist nicht wahr.«

»Ich lüge nie!«

»Wie können die Beni Sallah hier sein! Wir haben Kundschafter ausgesandt und Posten gestellt.«

»Bin ich nicht hier, mitten unter Euch? Und ich bin mit den Beni Sallah gekommen.«

»Du bist allein gekommen und hast die Frauen durch List befreit. Hier sehe ich es. Da ist die zerschnittene Leinwand, durch welche Ihr Beide eingedrungen seid. Ihr habt die Frauen vorangehen lassen und seid gestört worden, ihnen zu folgen. Wir werden sie suchen und finden. Ihr Beide aber seid unsere Gefangenen.«

»Ja, so ist es!« stimmte der Pascha bei. »Er war es, welcher uns schlug. Er soll die Bastonnade bekommen, daß ihm die Fußsohlen bis auf den Knochen aufspringen. Bindet ihn!«

Sogleich eilten Einige fort, um Stricke zu holen. Zwei Männer hier mitten im Lager zu überwältigen, das war ja ein Kinderspiel. Es sollte aber nicht so schnell gehen, wie sie gedacht hatten. Steinbach that einen schnellen Schritt auf den Pascha zu, versetzte ihm einen Fausthieb in das Gesicht, daß der Getroffene zu Boden stürzte, und sagte:

»Sprich noch einmal von der Bastonnade, Hund, so bekommst Du sie selbst!«

»Halt!« donnerte da der Scheik. »Wie kannst Du, unser Gefangener, es wagen, unsere Gäste zu schlagen! Du bist ein Freund der Beni Sallah, also unser Feind. Du hast Dein Leben verwirkt. Gieb Deine Hände her und laß Dich binden!«

»Hier sind sie. Bindet sie!«

Er hielt ihnen in jeder Hand einen Revolver entgegen. Sie fuhren zurück. Nur der Russe und der Türke zeigten in ihrer Wuth keine Furcht vor den kleinen und doch so gefährlichen Waffen. Freilich wagten sie es nicht, Steinbach anzufassen, doch blieben sie ganz in der Nähe stehen, um ihm die Flucht abzuschneiden. Dabei gebot der Pascha:

»Scheik, sende Leute aus, unsere entflohenen Frauen zu suchen.«

»Ihr werdet sie wirklich nicht finden,« versicherte Steinbach. »Sie sind zurückgekehrt in den Schutz Hilal's und Tarik's, deren Bräute sie sind. Und mich braucht Ihr nicht zu bewachen. Ich entfliehe Euch nicht. Es ist vielmehr meine Aufgabe, Euch Beide an der Flucht zu verhindern. Scheik Amulak Ben Musa, ich bin gekommen, diese beiden Männer von Dir zu fordern, und Du wirst sie an uns ausliefern.«

»Bist Du toll oder ein Giaur!«

»Er ist ein Giaur, ein ungläubiger Hund!« fiel der Pascha schnell ein. »Hört nicht auf ihn!«

»Ihr werdet auf mich hören! Ich bin nicht gewöhnt, meine Worte in den Wind zu reden!«

Der Scheik griff nach seinem Messer.

»Mensch, soll ich Dich erstechen! Du befindest Dich in unserer Gewalt und wagst es, solche Worte zu uns zu reden!«

»Ich bin mit nichten in Eurer Gewalt, sondern ich bin so frei, wie Ihr frei seid. Diese Männer sind uns entwichen. Wir verlangen sie von Euch zurück.«

»Selbst wenn Du nicht wahnsinnig wärst, könnte es nicht geschehen. Sie sind unsere Gäste und wir haben ihnen unser Wort gegeben, sie zu schützen. Du aber schweig von jetzt an und ergieb Dich uns, sonst fallen wir über Dich her, wie die Heuschrecken über den Halm, welcher in einem Nu verzehrt wird. Hier sind die Stricke, Euch zu binden. Ergebt Euch!«

»Greift uns an, wenn Ihr es wagt!«

»Wir werden Euch nicht anrühren, sondern Euch von Weitem erschießen. Da könnt Ihr Euch nicht wehren.«

»Ich rathe Euch, dies nicht zu thun, denn wenn uns von Euch nur ein Haar gekrümmt würde, so müßte sich morgen ein großes Trauergeschrei bei Euch erheben und Euer Friedhof würde sich den Leichen Eurer Töchter öffnen.«

»Unserer Töchter? Was ist mit ihnen?«

»Blicke empor zum Friedhofe, ob die Lichter noch brennen!«

Man konnte von diesem Platze aus den Friedhof sehen, natürlich bei Tage. Auch jetzt bei Nacht hätte man die Lichter sehen müssen.

»Sie sind erloschen!« sagte der Scheik erschrocken.

»Und warum sind sie erloschen? Weil sie nicht gepflegt und erneut worden sind. Die Töchter der Beni Halaf befinden sich nicht mehr dort auf dem Friedhofe.«

»Wo denn?«

»Sie sind in die Hände der Beni Sallah gefallen.«

»O Allah! Sagst Du die Wahrheit?«

»Ja. Ich selbst habe den Ueberfall geleitet.«

»Allah verderbe Dich und der Prophet verfluche Dich dafür!«

»Das könnte doch Euch keinen Nutzen bringen. Ich führte die Beni Sallah hierher. Wir wußten, daß Ihr uns erwartet und also Posten ausstellen würdet. Darum machten wir einen Umweg, um von der unbewachten Seite zu kommen. Wir sahen zwanzig Eurer Töchter nach dem Friedhofe gehen und warteten, bis es dunkel war, sie zu überfallen. Es gelang. Jetzt sind sie unsere Gefangenen.«

»Sie werden sehr bald frei sein, denn wir werden Dich tödten, wenn sie nicht in einer Stunde sich wieder bei uns befinden.«

»Ihr werdet sie nicht lebendig wiedersehen, denn wenn ich nicht in einer halben Stunde wieder bei den Beni Sallah bin, werden Eure Töchter alle erschossen.«

»Ihr seid Hunde! Kein Mann tödtet ein Weib!«

»Und kein braver Krieger schützt die Peiniger dreier Frauen, wie Ihr es thut!«

»Vielleicht sagst Du uns eine Unwahrheit, um uns zu übervortheilen. Ich werde Boten nach dem Kirchhofe senden, um nach unseren Töchtern zu suchen.«

»Thue es! Unterdessen vergeht die halbe Stunde und sie werden getödtet!«

»O Allah, Allah!«

Er fühlte sich ganz rathlos. Um ihn noch mehr einzuschüchtern, sagte Steinbach:

»Auch habe ich mit Warda, Deiner jüngsten Tochter, gesprochen. Sie sehnt sich nach Dir.«

»Meine Tochter, meine Tochter!«

Er raufte sich die Haare seines Bartes aus. Die Angehörigen der anderen Mädchen erfuhren auch, daß ihre Töchter von den Beni Sallah gefangen genommen worden seien. Darüber erhob sich ein großes Wehklagen im Lager. Der Beduine ist nicht gewöhnt, sein Leid allein und still zu tragen. Es müssen so Viele wie möglich davon hören. Daher das überlaute Jammern und Heulen bei Unglücksfällen.

Es bildeten sich zwei Parteien. Die eine war dafür, Rache an der Person Steinbach's zu nehmen, die andere stritt dagegen, da in diesem Falle der Tod der Mädchen unvermeidlich sei. Es wurde schnell die Versammlung der Aeltesten einberufen, deren Berathung kein anderer Mensch zuhören durfte.

Es galt, zwei sich ganz und gar widerstreitende Punkte in Einklang zu bringen: Steinbach verlangte den Russen und den Türken ausgeliefert; diese beiden Gäste durften aber nicht ausgeliefert werden, wenn der Stamm nicht für ewige Zeiten sein Ansehen und seine Ehre verlieren wollte. Wie war da ein Ausweg zu finden? Die schlauen Araber fanden ihn sehr bald.

Der Scheik ließ den Türken und den Russen zu sich kommen in sein Zelt, wo sie unbelauscht waren, und sagte:

»Ihr habt großes Herzeleid über uns gebracht, dennoch wollen wir Euch nicht ausliefern, weil Ihr unsere Gäste seid.«

»Wir haben Dir nichts gethan,« sagte der Pascha.

»Nein; darum will ich Euch beschützen. Ich werde mit diesem Masr-Effendi einen Vertrag abschließen, daß ich Euch hier bei mir gefangen halte, bis der Morgen anbricht. Dann reitet Ihr ab.«

»Und Masr-Effendi folgt uns?«

»Ja.«

»So sind wir verloren.«

»Nein. Ihr sollt nicht bis zum Morgen hier bleiben, ich lasse Euch eher fort.«

»Das geht nicht. Masr-Effendi wird uns sehr streng bewachen. Wir sind ihm bereits einmal auf die Weise der List entkommen.«

»Ich werde die Wache an dem Zelte selbst übernehmen.«

»Dagegen wird er nichts einwenden, aber er wird das ganze Lager von seinen Kriegern umzingeln lassen, dann können wir nicht fort.«

»Ist er so klug und vorsichtig?«

»Klüger als Hunderte!«

»Ich werde ihn dennoch überlisten. Ihr tretet, sobald Ihr hier in das Zelt gegangen seid, sogleich hinten wieder aus demselben und eilt zu den Kameelen, welche Euch der Suef gesattelt haben wird. Er reitet als Euer Wegweiser mit Euch.«

»Der Suef wird nicht satteln dürfen, denn Masr-Effendi verlangt jedenfalls, daß er auch gefangen genommen werde.«

»So wird einer von meinen Leuten satteln.«

»Hat dieses Zelt einen Ausgang von hinten?«

»Nein. Ihr kriecht unter der Leinwand hinaus, aber nicht eher, als bis ich hereinkomme und Euch sage, daß es Zeit ist. Ich werde für Euch aufpassen.«

»Wie nun, wenn Masr-Effendi hereintritt, um nach uns zu sehen, und uns nicht findet?«

»Das schadet nicht. Ihr seid dann fort.«

»Er wird uns verfolgen.«

»Des Nachts?«

»Ja.«

»Er kann ja keine Fährte sehen!«

»Da kennst Du diesen Teufel nicht. Sind wir nicht auch des Nachts von den Beni Sallah fortgeritten? Er hat dennoch unsere Fährte gefunden, obgleich er weit entfernt bei den Beni Suef war. Er hat den Teufel und dieser macht seine Augen scharf. Wenn wir keinen bedeutenden Vorsprung erhalten, so holt er uns ein. Er darf also erst morgen bemerken, daß wir längst fort sind.«

»Gut, so werde ich drei meiner Leute heimlich hier in mein Zelt schaffen, welche ähnlich gekleidet sind wie Ihr. Seid Ihr fort und er kommt herein, so stellen sie sich schlafend und er hält sie für Euch.«

»Das mag gehen.«

»Ich werde jetzt mit ihm sprechen. Die Aeltesten sind einverstanden mit dem, was ich mit Euch verhandelt habe.«

Er ging.

»Dieser Steinbach ist wirklich ein Teufel!« knirschte der Russe. »Schleicht sich der Kerl in das Lager und befreit die Mädchen, deren wir uns unter solchen Gefahren bemächtigt haben!«

»Die Hölle verschlinge ihn! Nun ist Zykyma für mich verloren!«

»Laß sie fahren! Sie liebte Dich nicht und war stets ein widerstrebendes Frauenzimmer.«

»Aber schön, außerordentlich schön!«

»Es giebt tausend Andere, welche noch schöner sind. Gehen wir fort, um zu sehen, wo unser Suef steckt. Wir müssen ihn instruiren.«

Der Scheik hatte sich wieder zu Steinbach begeben, welcher so ruhig unter dem halb abgedeckten Zelte sitzen geblieben war, als ob er sich daheim auf seinem Sopha und nicht inmitten eines ihm feindlich gesinnten Beduinenstammes befinde.

»Die Versammlung hat beschlossen,« meldete ihm der Scheik, »Dir die beiden Gefangenen zu übergeben.«

»Die drei Gefangenen, meinst Du wohl.«

»Auch den Suef mit? Gut.«

»So bringt sie mir her!«

»Du irrst, wenn Du meinst, daß es jetzt geschehen soll. Sie sind unsere Gäste und während der Dauer dieses Tages dürfen wir ihnen das Obdach nicht versagen. Aber bei Anbruch des Tages werden sie unsere Oase verlassen und Ihr mögt Ihnen dann folgen, um zu thun, was Euch beliebt.«

»Wirst Du Wort halten?«

»Sie uns pünktlich bei Anbruch des Tages übergeben?«

»Ja.«

»Was geschieht bis dahin mit ihnen. Sie werden ganz natürlich auf den naheliegenden Gedanken kommen, bereits diese Nacht heimlich fortzureiten, um einen Vorsprung vor uns zu gewinnen.«

»Ich sperre sie in mein Zelt und lasse sie bewachen.«

»Sehr gut. Darf auch ich sie mit bewachen lassen?«

»Ja, wenn Du meinst, daß sie Dir da sicherer sind.«

»Das meine ich allerdings. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß meine Augen mich stets am wenigsten täuschen.«

»Du bist also zufrieden mit dem Beschlüsse der Versammlung unserer Aeltesten?«

»Ja.«

»Und wirst uns unsere Töchter wiedergeben?«

»Ja.«

»So sende zu den Deinen, daß diese sie uns nun zurückbringen.«

Steinbach nickte ihm freundlich lächelnd zu und sagte:

»Hast Du schon einmal Etwas gekauft?«

»Sehr oft.«

»Pflegtest Du heute zu bezahlen, wenn Du morgen erst den Gegenstand des Preises bekommst?«

»Nein. Geld gegen Waare oder Waare gegen Waare, so ist der richtige Handel.«

»So ist es recht, so liebe ich es auch, und so wollen auch wir es machen.«

»Wie meinst Du das?«

Er hatte gar nicht bemerkt, daß er gegen sich selbst entschieden hatte.

»Wir tauschen doch auch!«

»Ja, die drei Männer gegen unsere Töchter.«

»Ganz richtig! Und da wollen wir es bei Deinem eigenen Grundsatze lassen: Waare gegen Waare.«

»Allah! Du willst uns die Töchter nicht heute zurückbringen?«

»Nein.«

»Warum?«

»Weil Du uns auch nicht heute die drei Männer auslieferst.«

»Ich habe Dir doch mein Wort gegeben, daß ich sie bei Tagesanbruch fortsende!«

»Schön! Da gebe ich Dir auch mein Wort, daß ich Euch um dieselbe Zeit die Mädchen sende.«

»Wie!«

»Waare gegen Waare und Wort gegen Wort! Nicht aber Waare gegen Wort oder Wort gegen Waare. Du bist ein vorsichtiger Mann, ich bin es auch.«

»Aber wir haben Sehnsucht nach unseren Töchtern!«

»Und wir sehnen uns nach unseren Feinden.«

Der Scheik sah ein, daß er mit seiner List an den unrechten Mann gekommen sei. Er zeigte sich sehr verstimmt und sagte:

»So muß ich noch einmal mit den Aeltesten sprechen. Erlaubst Du es mir?«

»Ja, doch darf es nicht zu lange dauern, sonst bringst Du das Leben der Mädchen in Gefahr.«

Der Scheik ging. Unterwegs traf er auf den Russen und den Pascha. Er theilte ihnen mit, daß seine List ohne Erfolg gewesen sei und daß er darum noch einmal mit den Aeltesten berathen müsse. Dann eilte er weiter.

»Unsere Angelegenheit steht sehr schlecht,« meinte der Pascha. »Wäre es nicht am Allerbesten, diesen Steinbach niederzuschießen?«

»Das geht nicht. Wir würden uns da die ganzen Beni Halaf zu Feinden machen, da in diesem Falle das Leben ihrer Kinder in Gefahr käme.«

»Giebt es denn kein anderes Mittel?«

»Es giebt eins.«

»Nun, welches?«

»Das Duell.«

»Allah!«

»Ja, wir fordern ihn. Er darf und wird sich dem Verdachte der Feigheit nicht aussetzen und muß sich also mit uns schießen. Hast Du Muth?«

»Dummheit, daran zu zweifeln. Man schießt eine Secunde früher als er und ihn trifft die Kugel.«

»Ganz recht. Und wir losen, wer von uns Beiden sich zuerst mit ihm schießt!«

»Einverstanden!«

»So komm! Machen wir der Sache auf diesem Wege ein Ende.«

Es hatte wohl keiner von diesen Beiden den rechten Muth, sich mit Steinbach zu schießen, aber da ein Jeder die Hoffnung hegte, der Zweite zu werden, so wagten sie das Unternehmen. Sie schritten entschlossen dem Zelte zu, unter welchem er noch immer saß, auf die abermalige Rückkehr des Scheiks wartend. Er sah sie kommen und zog schnell seinen Revolver heraus, um ihn für alle Fälle bei der Hand zu haben.

Sie blieben vor ihm stehen und betrachteten ihn mit herausfordernden Blicken.

»Effendi,« begann endlich der Pascha. »Was haben wir mit Dir zu schaffen! Warum läßt Du uns nicht in Frieden unseres Weges ziehen?«

»Weil Ihr mir dabei stets den meinigen kreuzet.«

»Ist mir nicht eingefallen!«

»Mir auch nicht,« stimmte der Russe bei. »Ich habe es satt, mich von Dir verfolgen zu lassen. Ich sehe keinen einzigen Grund für Dich, mich zu beunruhigen.«

»Mein Hauptgrund heißt zunächst Gökala.«

»Was geht sie Dich an! Sie ist meine Frau.«

»Das ist eine Lüge!«

»Beleidige mich nicht!« donnerte er.

»Pah! Wirf Dich nicht in dieser Weise in das Zeug. Du machst Dich doch nur lächerlich! Wie könnte Semawa jemals auf den Gedanken gekommen sein, Dein Weib zu werden!«

Der Russe fuhr zur Seite, als ob er einen Stoß erhalten habe.

»Semawa! Wer ist das?« stotterte er.

»Die Du dann Gökala genannt hast.«

»Unsinn!«

»Die Tochter des Maharadscha von Nubrida.«

»Donnerwetter! Du phantasirst wohl? Es ist mir ja noch niemals so ein Ding wie ein Maharadscha zu Gesicht gekommen!«

»Aber aus dem Gesichte kam er Dir – nämlich als Verbannter nach Sibirien hinein.«

Der Graf wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort hervor. Er stand mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen da und starrte den Mann an, der dieses Heiligste seiner Geheimnisse so genau kannte.«

»Nicht wahr. Du erschrickst, Graf Alexoi Polikeff!«

»Nein! Ich weiß nicht, was Du willst.«

»So weiß Der es, der hier neben mir sitzt. Habe die Güte, Dir ihn einmal anzusehen!«

Nena stand auf und stellte sich haßblitzenden Auges vor ihn hin. Der Graf betrachtete ihn sehr gleichgiltig. Nena hatte sehr gealtert und sich während seines Sclavenlebens sehr verändert.

»Diesen Menschen kenne ich nicht!«

»Denke nach! Du verkauftest ihn am Nile!«

»Teufel!«

»Jetzt kennst Du ihn?«

»Nena!« entfuhr es unvorsichtiger Weise dem Russen.

»Ah, richtig! Sein Name ist Dir noch ganz geläufig. Hoffentlich weißt Du nun auch, was Alles wir von Dir wollen und wunderst Dich nicht mehr darüber, daß ich Dir auf den Fersen bleibe.«

»Effendi,« sagte Nena, »soll ich ihn erdolchen?«

»Nein. Ich brauche ihn lebendig, und zwar vor dem Richter. Wenn das nicht wäre, so hätte ich ihm längst den Schädel zerschmettert.«

Das war dem Grafen doch zu viel. Das wollte er sich angesichts seines Verbündeten doch nicht gefallen lassen. Er brauste also auf:

»Verleumder! Warte, bis ich Dich vor den Richter lade!«

»Sei still, Schurke!«

»Was? Schurke? Das dulde ich nicht! Das erfordert Satisfaction. Das muß mit Blut abgewaschen werden. Ich fordere Dich!«

»Ich auch!« rief der Pascha.

»Macht Euch nicht lächerlich!« meinte Steinbach, indem er sich von seinem Sitze erhob. »Mit solchen Schuften duellirt man sich nicht.«

»So bist Du feig, niederträchtig feig!«

Da klatschte und krachte es schnell zweimal nach einander. Sowohl der Russe, wie auch der Pascha hatten Jeder eine solche Ohrfeige erhalten, daß sie Beide weit fort und gegen das Zelt des Scheiks flogen, welches in seinen Grundvesten krachte. Der Pascha sprang auf, riß sein Pistol heraus und wollte auf Steinbach schießen, wurde aber von dem Russen gepackt und daran verhindert.

»Was fällt Dir ein! Willst Du mit Gewalt in Dein Unglück oder gar in den Tod rennen! Siehst Du nicht, daß er den Revolver bereits in der Hand hält!«

»Rache, Rache! O Allah, l'Allah!« keuchte der Türke vor Wuth.

»Natürlich! Aber später! Je später, desto sicherer. Jetzt schnell zu dem Suef!«

»Warum?«

»Wir müssen augenblicklich fort.«

»Ohne Wissen der Beni Halaf?«

»Selbst ohne deren Wissen. Ich weiß nun, daß dieser Mensch die Oberhand behält. Er wird sich nicht überlisten lassen und wir entkommen ihm nicht, wenn wir nicht augenblicklich fliehen. Wir müssen auf alle Fälle vor ihm in Kairo ankommen. Unsere Reise war eine vollständig verfehlte. Wir müssen das auf andere Weise einholen. Vor allen Dingen aber dann Rache!«

»Ja, Rache, Rache!«

Sie verschwanden mit einander im Dunkel der Nacht, nach der Gegend hin, wo der Suef sich bei den weidenden Kameelen befand.

Steinbach ahnte, daß sie ihre Rettung in einer schleunigen Flucht suchen würden. Er mußte dem vorbeugen. Da sie Gäste der Beni Halaf waren, durfte er nicht zu Eigenmächtigkeiten schreiten, aber er konnte ihnen wenigstens den Weg verlegen lassen. Darum sandte er Nena an die fünf Beni Sallah, welche unter den Palmen warteten, und ließ ihnen bedeuten, schleunigst den Weg zu verlegen, welcher nach Ost aus der Oase gegen Egypten führte. Sollten die drei Flüchtlinge da atrappirt werden, so seien sie anzuhalten und zurückzubringen, nöthigenfalls mit Anwendung der Waffen. Nachdem er in dieser Weise dafür gesorgt zu haben glaubte, daß den Genannten die Flucht nicht gelingen werde, begab er sich nun direct zu dem Scheik in die Versammlung der Aeltesten. Dort war die Berathung noch nicht beendet. Sie sahen ihn ungern kommen, da sie ja darüber beriethen, wie sie ihre Mädchen wiederbekommen könnten, ohne ihre Verpflichtung gegen ihn erfüllen zu müssen. Er fragte:

»Seid Ihr nun fertig?«

»Noch nicht,« antwortete der Scheik.

»So verlange ich, daß Ihr wenigstens die drei Männer, welche ich haben will, so bewacht, daß sie nicht die Flucht ergreifen können.«

»Sie werden sich hüten, zu fliehen!«

»Nein, sie werden fliehen. Ich weiß es ganz gewiß.«

»Haben sie es Dir gesagt?«

»Sie werden nicht so dumm sein, es mir zu sagen. Ich vermuthe es; aber diese Vermuthung hat so gute Gründe, daß es eben so gut ist, als ob sie es mir gesagt hätten.«

»Soll ich sie etwa wie Gefangene bewachen lassen?«

»Gerade dies ist es, was ich von Dir verlangen muß.«

»Und ich kann es unmöglich thun.«

»Warum nicht?«

»Weil sie nicht meine Gefangenen sind.«

»Vergiß nicht, daß Eure Töchter bei uns gefangen gehalten werden! Ich habe Dir bereits alles Nöthige mehr als reichlich erklärt und bin nicht willens, weitere unnütze Worte zu machen. Ich stehe Euch gerade ebenso und noch zwingender gegenüber wie Diejenigen, welche Ihr gegen mich in Schutz nehmt. Sie sollen mir nicht entgehen, und wenn Ihr sie mit Absicht entkommen laßt, so mögen die Folgen Euch treffen. Ich verlange von Euch die Garantie, daß die Männer nicht eher als bis zum Anbruch des Morgens aufbrechen können; wollt Ihr nicht darauf eingehen, so könnt Ihr sehen, ob Ihr Eure Töchter jemals im Leben wieder erblickt.«

Da stand der Scheik von seinem Sitze auf und sagte in gewichtigem Tone:

»Du vergissest, daß Du Dich auch in unserer Gewalt befindest. Ein Wink von mir und Du bist verloren!«

»Nein! Ein Wink von Dir und ich jage Dir eine Kugel durch den Kopf. Verstanden!«

Steinbach zog den Revolver und trat drohend zu dem Scheik heran. Dieser wich zurück und meinte ängstlich:

»Effendi, Du wirst doch nicht schießen!«

»Sage noch ein einziges Wort, welches mir nicht gefällt, und ich drücke ab! Ich habe Dir eine Zeit gestellt, diese ist nun verflossen. Was gedenkt Ihr zu thun? Ich verlange eine kurze, bestimmte Antwort!«

Da meinte einer der Aeltesten zum Scheik:

»Was besinnst Du Dich noch? Meine Enkeltochter befindet sich mit den Anderen in der Gewalt der Beni Sallah. Soll ich sie nie wiedersehen? Dieser Effendi verlangt nichts, als daß wir seine Feinde nicht eher als bis am Anbruch des Morgens fortlassen. Diesen Willen können wir ihm thun. Laß Dir von den drei Personen ihr Wort geben, daß sie so lange hier bleiben, so ist es gut.«

»Nein, so ist es nicht gut,« sagte Steinbach. »Das Wort dieser Männer genügt mir nicht? sie haben ihr Ehrenwort bereits einmal gebrochen. Ich verlange nicht ihr Wort, sondern das Eurige. Und nun stellt meine Geduld nicht auf eine längere Probe! Ich will einen festen, sicheren Bescheid, nach welchem ich mich zu richten vermag.«

Die Versammelten erhoben sich von ihren Sitzen, nahmen den Scheik in ihre Mitte und sprachen eine Weile leise auf ihn ein. Dann wandte sich der Letztere an Steinbach:

»Gut, Effendi! Wir haben beschlossen, den Fremden, welche Du ergreifen willst, ein Zelt anzuweisen und sie da bewachen zu lassen –«

»Ich werde sie selbst bewachen lassen.«

»Durch wen?«

»Durch einige Beni Sallah, welche ich herbeirufe.«

»Auch das sei Dir erlaubt. Aber wir setzen voraus, daß Du uns unsere Töchter wiedergiebst!«

»Sobald wir aufbrechen, werden sie zu Euch zurückkehren.«

»Und es wird ihnen bis dahin weder Gewalt noch Unrecht geschehen? Versprichst Du uns das?«

»Ich verspreche es.«

»So werde ich jetzt selbst die drei Männer holen, um sie in ihr Zelt zu bringen. Warte ein Wenig!«

Er ging und Steinbach kehrte zu dem Indier zurück. Dort hatte er sehr lange zu warten. Es verging eine geraume Zeit, ohne daß der Scheik sich wieder sehen ließ. Dabei bemerkte der Deutsche, daß es im Lager eine Unruhe gab, welche endlich auch ihn besorgt machte. Es war ja sehr leicht möglich, daß die Beni Halaf irgend einen Streich gegen ihn und seine Begleiter, vielleicht gar einen schnellen, heimlichen Ueberfall, im Schilde führten. Darum ging er, den Scheik zu suchen.

Es wurde ihm dabei kein Hinderniß in den Weg gelegt. Er fand ihn draußen am Ostende des Lagers, da, wo sich die Kameele befanden. Man hatte einige Fackeln angebrannt, welche die Umgebung mit rothem Lichte beleuchteten.

»Nun?« fragte er. »Du kehrst nicht zurück! Wo sind die Leute, welche Du suchst?«

Der Anführer des Stammes machte ein höchst verlegenes Gesicht. Er antwortete stockend:

»Sie sind fort.«

»Wohin?«

»Weiß ich es, Effendi!«

»Höre, Du willst mich betrügen! Du hast sie versteckt, damit sie uns entkommen sollen!«

»Bei Allah, Du irrst! Ich habe keine Ahnung von dem Orte, an welchem sie sich befinden.«

»Wo sind ihre Thiere?«

»Die stehen dort am letzten Zelte angebunden; aber uns fehlen die vier besten Reitkameele, welche wir besitzen.«

»So sind sie entflohen.«

»Meinst Du?«

»Natürlich! Und Euch haben sie zum Dank für Eure Gastfreundschaft Eure besten Thiere gestohlen.«

»So haben wir die ihrigen dafür, welche ganz ebenso werthvoll sind.«

»Tröstest Du Dich damit?« fragte Steinbach zornig. »Diesen Trost laß ja fallen. Die Thiere sind den Beni Sallah gestohlen worden und wir werden sie also wieder zu uns nehmen.«

»Oho!«

»Oho! Willst Du die Herausgabe etwa verweigern? Daran denke ja nicht etwa! Es würde Dir das sehr schlecht bekommen. Bedenke vorher, daß Du an dem Entweichen der Flüchtlinge schuld bist! Hättest Du nicht so endlos gezaudert, so wäre ihnen die Flucht unmöglich geworden. Ich wollte Dir Eure Töchter gegen sie umtauschen. Nun sind sie fort und Ihr werdet Eure Nachlässigkeit und Hinterlist zu bereuen haben.«

»Meinst Du etwa, daß Du uns die Mädchen nun nicht ausantworten willst?«

»Ja, das meine ich!«

»Effendi, sie gehören uns aber doch!«

»Jetzt gehören sie uns! Sie befinden sich in unserer Gewalt. Gieb mir die Fackel und komm mit! Auch einige Deiner Leute mögen uns folgen. Ich will sehen, ob ich die Spur der Flüchtigen finde.«

Er ging mit den ihn Begleitenden eine Strecke vom Lager ab und schlug dann einen Bogen um dasselbe. Er brauchte gar nicht lange zu suchen, so fand er die Fährte der vier Kameele. Es war den frischen Spuren ganz deutlich anzusehen, daß die drei Entkommenen sehr schnell geritten waren.

»Hier sind sie aus dem Lager gekommen,« sagte Steinbach. »Sie reiten nach Nordost.«

»Nach dem Dar Gus Abu Seïd,« erklärte der Scheik, der sich in großer Verlegenheit befand.

»Vielleicht weichen sie zur Rechten oder Linken ab!«

»Nein, das geht nicht, denn da würden sie in die pfadlose Wüste kommen, wo sie verderben müßten. Der Beni Suef kommt den Weg ebenso wie wir.«

»So werde ich ihnen augenblicklich nachjagen.«

»Thue es, Effendi!«

Bei diesen Worten stieß er einen leisen Seufzer der Erleichterung aus. Steinbach hörte dies und sagte:

»Das würde Dir wohl sehr lieb sein?«

»Warum?«

»So wärst Du mich los.«

Der Scheik fühlte sich getroffen und antwortete:

»Was denkst Du von mir! Es kann mir doch nicht lieb sein, daß Du fortgehst, bevor Du uns unsere Töchter wiedergegeben hast.«

»Da hast Du sehr Recht.«

»Auch kannst Du den Entflohenen bei Nacht gar nicht nachjagen. Du würdest ihre Fährten nicht erkennen.«

»Die brauche ich nicht zu erkennen. Ich reite eben nach dem Dar Gus und werde sie dort finden. Aber es ist sehr richtig, daß ich nicht eher gehen werde, als bis ich mit Dir in Ordnung bin. Komm wieder zur Versammlung der Aeltesten. Dort wollen wir weiter über diesen Gegenstand sprechen.«

Sie kehrten zurück in das Lager, wo sich indessen die Kunde von der Flucht der drei Betreffenden verbreitet hatte. Es herrschte infolge dessen eine ziemliche Aufregung. Den Einen war es lieb, daß die Erwähnten entkommen waren, den Anderen hingegen war es unlieb; dies waren Diejenigen, deren Töchter von den Beni Sallah ergriffen worden waren.

So spaltete sich das Lager in die Anhänger von zwei verschiedenen Meinungen und als sich die Aeltesten jetzt wieder versammelten, kamen auch alle Anderen herbei, welche gar nicht zu den Aeltesten gehörten, aber doch bei einer so wichtigen Berathung zugegen sein wollten.

Es bildete sich in Folge dessen ein großer Kreis, in dessen Mitte das Feuer brannte. Steinbach trat in diese Mitte und sagte mit lauter Stimme, so daß ein Jeder ihn hören konnte:

»Ihr Krieger der Beni Halaf, ich habe Euch einige kurze Worte zu sagen. Ich kam, um den Russen, den Türken und den Suef von Euch zu fordern und Euch an deren Stelle Eure Töchter und Schwestern anzubieten. Ihr habt die drei Männer entkommen lassen, obgleich ich Euch warnte. Darüber will ich nicht mit Euch rechten, obgleich ich es könnte. Eure Strafe wird ganz von selbst kommen; aber ich muß Euch fragen, was nun mit den gefangenen Mädchen geschehen wird. Was meint Ihr wohl?«

»Du wirst sie uns aushändigen,« sagte der Scheik.

»Denkst Du?«

»Ja.«

»Warum denkst Du das?«

»Weil wir ja nicht schuld sind, daß diese Drei entflohen sind.«

»Ihr seid daran schuld.«

»Nein.«

»Lüge nicht! Meinst Du etwa, ich wußte nicht, daß Ihr sie habt retten wollen? Nein, mich täuschet Ihr nicht. Eure Töchter werden mit in die Gefangenschaft gehen.«

»Effendi, das wirst Du uns nicht anthun!«

»Warum nicht? Du hast es mir doch auch angethan, daß Ihr Euch so verhieltet, daß die Drei Zeit gewannen, zu entkommen. Aber ich will nicht hart gegen Euch sein. Ich könnte die Mädchen mitnehmen und sie als Sclavinnen verkaufen lassen. Ich will es nicht thun, sondern sie Euch unter einer annehmbaren Bedingung aushändigen.«

»Welche ist es?«

»Der Blutpreis.«

»Effendi!« rief der Scheik erschrocken aus.

»Entsetzt Dich das so?«

»Es hat ja gar keinen Mord gegeben!«

»Nein, aber ich rechne dennoch sehr richtig. Wenn ein Mann erschlagen wird, so hat der Mörder, wenn er sein Leben retten will, den Blutpreis zu bezahlen. Wie hoch ist er bei Euch?«

»Es kommt darauf an, in was er bezahlt wird.«

»Ich meine in Thieren, in Pferden nämlich oder in Reitkameelen.«

»So ist der Blutpreis bei uns vier Pferde oder acht Kameele für einen Mann.«

»Und ich rechne, daß man für ein junges Mädchen wenigstens die Hälfte bezahlen muß.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Du verstehst mich schon. Zum Ueberfluß aber will ich es Dir noch deutlicher sagen. Wir haben zwanzig Eurer Töchter gefangen. Wenn Ihr sie wiederhaben wollt, zahlt Ihr uns für eine Jede zwei Pferde oder vier Reitkameele.«

»Allah! Willst Du uns unglücklich machen!«

»Nein. Ihr erntet nur das, was Ihr vorhin gesäet habt, als Ihr mich so lange warten ließet, bis die Drei entflohen waren.«

»Was denkst Du von uns! Wir sind arm.«

»Ihr habt Thiere genug.«

»Wie viel ist es in Summa, was Du verlangst?«

»Vierzig Pferde oder achtzig Kameele.«

»Allah l'Allah! So reich sind wir nicht.«

»Das geht mich nichts an. Hättet Ihr vorher an die Folgen Eurer Thorheit gedacht!«

»Thorheit? Effendi, willst Du uns beleidigen?«

»Das brauchst Du nicht zu fragen. Ich sage, was ich denke. Ihr verdient keine Nachsicht. Ihr habt mich behandelt wie einen Menschen, dem Allah nur den halben Verstand gegeben hat. Jetzt will ich Euch zeigen, daß Ihr weniger Verstand habt als ich, und Das, was Euch am Verstande fehlt, werdet Ihr mit Pferden und Kameelen bezahlen müssen.«

»Du sprichst Worte, welche wir nicht dulden dürfen.«

»Du mußt sie dulden, wenn Du nicht Deine Töchter verlieren willst.«

»Ich werde mich rächen!«

»An wem?«

»An Dir.«

»Pah! Wie könntest Du das fertig bringen!«

»Das fragst Du noch? Befindest Du Dich nicht ebenso in unserer Gewalt, wie unsere Töchter sich in der Eurigen befinden?«

»Nein.«

Der Scheik blickte ihn erstaunt an. Steinbach zuckte verächtlich die Achseln und meinte:

»Du wunderst Dich über meine Antwort. Wenn Du wüßtest, aus welchem Lande ich bin, so würdest Du über meine Antwort nicht so erstaunt sein.«

»Nun, aus welchem Lande bist Du und wie heißt der Stamm, zu welchem Du gehörst?«

»Ich bin aus Deutschland und –«

»Dieses Land kenne ich nicht.«

»Das ist nur ein Zeichen, daß Dein Blick kurz ist und daß Dein Auge nicht über die Grenzen Deines Stammes hinausgedrungen ist. Hast Du noch nicht von dem großen Krieger Moltke gehört?«

»Von Mol-ke, dem großen Helden, habe ich gehört. Alle Welt erzählt von ihm. Er hat die größten Völker des Abendlandes besiegt.«

»Und von Bismarck, dem berühmten Manne?«

»Von Bis-ma? Den kenne ich. Er ist der Großvessir des Sultans im Abendlande, welcher Wil-hel heißt, und hat alle Fürsten und Könige bezwungen, welche seine Feinde waren.«

»Nun, ich gehöre zu dem Stamme dieser beiden großen Helden, ich bin ein Krieger ihres Heeres. Ein einziger Krieger bei uns nimmt es mit zwanzig Eurer Leute auf. Meinst Du, daß ich mich vor Euch fürchte? Meinst Du wirklich, daß ich mich in Eurer Gewalt befinde? Wenn es mir gefällt, so ist es mir leicht. Euch zu beweisen, daß Ihr mir nichts zu thun vermögt.«

Diese Rede machte sichtlich einen ganz bedeutenden Eindruck. Die Araber blickten einander verlegen an und der Scheik wußte nicht, was er sagen solle. Endlich meinte er kleinlaut:

»Aber ich sage Dir, daß wir nicht so viel bezahlen können. Eine solche Anzahl von Thieren würde uns arm machen. Bedenke, daß nur Diejenigen sie geben müßten, deren Töchter sich bei Euch befinden!«

»Das weiß ich, aber eben deshalb werden auch nur sie den Schaden haben, die Anderen tragen keinen Verlust, und darum kann der Stamm nicht arm werden. Warum aber sollen nur sie bezahlen? Sind nicht die Anderen auch mit schuld, daß die Flüchtlinge entkommen sind? Sind sie da nicht auch mit verpflichtet, die Folgen ihrer Unvorsichtigkeit zu tragen? In diesem Falle käme auf einen Jeden nur ein geringer Verlust.«

»Darüber müßten wir berathen.«

»Wieder berathen! Unterdessen bekommen die Ausreißer einen Vorsprung, den ich nicht wieder einbringen kann, und gerade das scheint Ihr zu beabsichtigen!«

»Nein. Nun sie fort sind und wir sie nicht mehr zu beschützen haben, tragen wir auch keine Verantwortung mehr. Mag mit ihnen geschehen, was da wolle, uns geht es nichts mehr an.«

»Schau, jetzt giebst Du ganz unabsichtlich zu, daß Du sie gegen mich beschützt hast, so lange sie sich bei Euch befanden. Nun brauchst Du kein Wort weiter zu sagen. Ich verlange Dreierlei: den halben Blutpreis, die Kameele, welche die Fremden den Beni Sallam gestohlen und dann hier bei Euch zurückgelassen haben, und endlich einen Friedensbund zwischen Euch und den Beni Sallah.«

»Das ist zu viel!«

»Ich weiche nicht von diesen Bedingungen!«

»So gieb uns eine Zeit zur Berathung!«

»Ihr müßt jetzt bereits wissen, ob Ihr Ja oder Nein sagen wollt. Aber ich will Euch zeigen, daß ich dennoch langmüthig sein kann. Ich gebe Euch noch den zehnten Theil einer Stunde Zeit, also sechs Minuten. Sind diese erfolglos abgelaufen, so kenne ich keine Nachsicht mehr.«

»So geh und laß uns allein!«

*


 << zurück weiter >>