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15

Jetzt wurde der Draht an der Mauer emporgezogen, mit einigen Nadeln in die Ritzen befestigt, und dann stiegen sie empor, um ihn drüben herabzulassen und abermals anzustecken. Er war so dünn, daß er allerdings nicht leicht bemerkt werden konnte, selbst am Tage nicht. Hinauf und drüben hinab kamen sie natürlich auf dieselbe Weise, wie sie vorher in den Garten gelangt waren. Die Tasche bekam der Engländer jetzt nicht mehr in die Hand.

»So!« meinte der Derwisch, als sie fertig waren. »Jetzt haben wir unsere Vorbereitungen getroffen und können gehen. Morgen kommen wir wieder.«

Der Lord folgte einer augenblicklichen Eingebung. Er zog sein Klappmesser aus der Tasche, machte es auf und steckte es mit der Klinge in eine Mauerspalte, um die Stelle sicher finden zu können. Er nahm sich vor, nach dem italienischen Hause zu gehen und Normann und Wallert herzuführen. Das Messer sollte dann in der Finsternis; als Zeichen dienen, daß sie sich an der richtigen Stelle befanden. Während er dem jetzt fortschreitenden Derwisch folgte, fragte er im Anschlusse an dessen letzte Worte:

»Wo aber treffen wir uns?«

»Nicht hier hinten. Wenn Einer auf den Andern da wartet, kann man leicht merken, daß da Etwas geschehen soll. Ich werde Ihnen die Stelle zeigen. Kommen Sie.«

Sie kamen um die Ecke und kehrten an der Mauer entlang in der Richtung nach der Straße zu zurück, dort angekommen, erkundigte sich der Derwisch:

»Setzen Sie nun Ihren phantastischen Spaziergang fort, oder gehen Sie nach Hause?«

»Das Letztere.«

»Also gehen Sie nach rechts, der Stadt zu. Da haben wir den gleichen Weg und können noch einige Augenblicke zusammen bleiben. Folgen Sie mir! Natürlich werden Sie zu Niemand Etwas von unserm Abenteuer sagen!«

»Keinem Menschen!«

»Das erwarte ich ganz bestimmt. Es wird Sie freuen, morgen Abend ein schönes Mädchen aus dem Harem in Ihren Armen halten zu können. Dabei wiederhole ich, daß es für unsere eigene Sicherheit und auch in jeder andern Beziehung am Allerbesten ist, daß wir uns gar nicht kennen. Darum habe ich Ihnen meinen Namen und meine Wohnung nicht genannt und frage auch Sie nicht nach den Ihrigen. Es genügt, daß wir einen Ort bestimmen, an welchem wir uns kurz vor Mitternacht treffen.«

Sie waren indessen schnell vorwärts gegangen. Sie kamen an dem Hause vorüber, welches Ibrahim Pascha gemiethet hatte und in welchem auch der Derwisch wohnte. Das wollte dieser aber nicht merken lassen. Darum führte er seinen Begleiter schweigend weiter bis zu der Wasserleitung, die selbst in ihren Resten noch Zeugniß giebt von der Großartigkeit der Unternehmungen früherer Jahrhunderte. Da blieb er stehen und sagte:

»Jetzt wollen wir uns trennen. Hier unter diesem Mauerbogen, unter welchem wir stehen, wollen wir uns treffen. Ist es Ihnen so recht?«

»Natürlich,« antwortete der Lord, welcher sehr wohl wußte, daß er ihn hier vergebens erwarten würde.

»So sollen Sie jetzt die verabredete Bezahlung erhalten.«

Er griff in die Tasche. Während er nach dem passenden Gelde suchte, war es, da keiner von Beiden sprach, still, und daher kam es, daß sie ein Geräusch hörten, welches sich ihnen aus der Richtung des erwähnten Hauses näherte. Es waren die Schritte zweier Personen.

»Es kommen Leute!« flüsterte der Derwisch. »Man braucht uns nicht zu sehen. Verhalten Sie sich ruhig und drücken Sie sich an die Mauer, bis sie vorüber sind!«

»Ducken wir uns lieber ganz nieder. Das ist besser.«

Sie kauerten sich nieder. Die beiden Männer kamen, sich halblaut unterhaltend, und zwar, wie der Lord zu seinem Erstaunen hörte, in deutscher Sprache. Auch die Stimmen kamen ihm bekannt vor. Er horchte gespannt auf.

»Jetzt kann man sich wieder eine Cigarre anbrennen,« sagte der Eine. »Hast Du Feuer?«

»Ich, gleich – da!«

Ein Wachshölzchen blitzte auf und beleuchtete die Gesichter der Beiden, welche kaum zehn Schritte entfernt von den zwei Verborgenen stehen geblieben waren. Was der Lord bei dem Klange ihrer Stimmen vermuthet hatte, wurde jetzt zur Gewißheit; er erkannte Normann und Wallert. Von ihnen hatte er nichts zu befürchten, doch um des Derwisches willen blieb er ruhig. Dieser war bei dem Anblicke der Gesichter zusammengezuckt.

»Allah, Allah!« entfuhr es ihm. »Diese Kerls, diese –«

Er hatte es zwar nicht laut gesagt, aber Normann drehte sich doch um und fragte:

»Hörtest Du?«

»Was?«

»Mir war es, als ob hier Jemand gesprochen hätte.«

»Pah! Die Luft streicht durch den Mauerbogen. Komm, gehen wir!«

Sie entfernten sich langsam nach der Stadt zu. Jetzt fuhr der Derwisch aus seiner kauernden Stellung aus und sagte:

»Ist das wahr? Kann das wahr sein?«

»Was?«

»Ich meine diese beiden Männer.«

»Kennst Du sie?«

»Ja. O, nur zu gut.«

»Es sind Europäer.«

»Ja, Europäer und die größten Hallunken, welche es giebt. Sie sind hier in Tunis! Sie waren hier bei – – ah, was thun sie grad hier an dieser Stelle? Ich muß das wissen. Ich muß wissen, wohin sie gehen, wo sie wohnen. Ich muß ihnen nach, gleich, sofort!«

Er befand sich in einer solchen Aufregung, daß er dem Lord gegenüber gar nicht daran dachte, daß er ja vorsichtig sein müsse. Er that zwei, drei rasche Schritte vorwärts, blieb aber wieder stehen und sagte:

»Aber sie waren da, sie waren hier! Was haben sie gewollt? Wie haben sie es erfahren? Ist etwa gar Etwas geschehen? Ich muß das wissen, das ist noch viel nothwendiger. Hölle und Teufel! Was mache ich? Ich muß ihnen nach und muß doch auch – – in das Haus!«

Er stieß das in fliegender Eile hervor. Da kam ihm ein Gedanke. Er fragte:

»Zwei Francs haben Sie sich bereits verdient. Wollen Sie sich noch zehn weitere verdienen?«

»Wenn ich kann, ja. Zehn Francs! Das ist ja ein richtiger Reichthum für mich!«

»Gut. Folgen Sie diesen beiden Männern heimlich nach. Ich muß nämlich wissen, wo sie wohnen.«

»Das werde ich gern thun. Soll ich sie fragen?«

»Dummheit! Mensch, Sie sind doch noch viel dümmer als ich dachte! Die Zwei dürfen gar nicht ahnen, daß Sie hinter ihnen sind.«

»Schön! Wann soll ich Ihnen Bericht erstatten? Wohl morgen Abend, wenn wir uns hier treffen?«

»Nein, ich muß es gleich wissen, gleich!«

»So werden Sie mir doch Ihre Wohnung sagen müssen.«

»Das ist nicht nöthig, Sie kommen hierher. Ich erwarte Sie hier. Bin ich noch nicht da, so warten Sie, bis ich komme. Aber lassen Sie es Ihnen nicht merken!«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»So laufen Sie; laufen Sie! Fort, fort!«

Er schob den Lord vorwärts. Dieser ging, aber als er sich so weit entfernt hatte, daß er von ihm nicht bemerkt werden konnte, blieb er stehen und brummte.

»Verteufelt, verteufelt! Was thue ich? Ich wollte doch dem Kerl nachschleichen, um zu erfahren, wo er sich aufhält. Und nun jagt er mich fort. Was thue ich. Diese Zwei finde ich ja sicher, aber ihn – – Donnerwetter! Ich bin wirklich so dumm, wie er sagte! Er will ja in das Haus. In welches, das weiß ich nicht. Aber er hatte es so eilig und steht ganz gewiß nicht mehr dort unter dem Bogen, um sich von mir belauschen zu lassen. Es ist also doch am Besten, ich laufe den Beiden nach.«

Das that er. Als er sie erreichte, traten Sie zur Seite. Sie hatten seine eiligen Schritte gehört und wollten ihn vorüber lassen. Er aber blieb stehen und sagte lachend:

»Halt, Kerls! Heraus mit dem, was Ihr habt! Das Geld oder das Leben!«

»Was der Teufel!« antwortete Normann. »Der Lord!«

»Wirklich! Der Lord!« fiel Wallert ein. »Wo um aller Welt willen kommen Sie denn her?«

»Wenn ich es Ihnen sage, werden Sie staunen.«

»Wohl von der berühmten Entführung der drei Mädchen?«

»Nein. Die ist leider verunglückt, dafür aber ist mir etwas Anderes desto besser gelungen. Rathen Sie, wen ich getroffen habe!«

»Das wäre Zeitverschwendung. Sagen Sie es selbst!«

»Den Derwisch.«

»Den? So!«

Das klang gar nicht etwa sehr überrascht; darum zürnte der Lord:

»Den? So? Das ist Ihre ganze Antwort?«

»Was sollen wir denn sagen?«

»Die Hände über den Kopf zusammenschlagen sollen Sie vor Verwunderung!«

»Fällt uns nicht ein.«

»Nicht! Sapperment! Ich finde den Kerl, den wir so eifrig suchen, und das ist Ihnen so gleichgiltig!«

»Was ist das weiter! Wir haben noch weit mehr gefunden.«

»So? Was denn?«

»Das ganze Nest, den Pascha mit den Mädchen.«

»Alle Teufel! Wo denn?«

»In dem Hause da hinter der Wasserleitung.«

»Sapperment! Da, also da wohnt er! Also darum sagte er, daß er in das Haus müsse!«

»Wer?«

»Der Derwisch. Er hat Sie gesehen.«

»Doch nicht!«

»Ja. Ich stand dabei. Er wollte Ihnen nach, besann sich aber anders und schickte mich Ihnen nach. Ich soll zehn Francs erhalten, wenn ich ihm sage, wo Sie wohnen.«

»Sie schickt er uns nach, Sie?«

»Ja; ich sage es doch!«

»Das ist freilich wunderbar! Er kennt Sie doch!«

Er hat mich nicht erkannt; es war zu dunkel dazu, und ich trage ja türkisches Habit. Ach, ich habe ein Abenteuer erlebt; ich habe mich so klug verhalten! Sie werden staunen, im höchsten Grade staunen!«

»So kommen Sie und erzählen Sie.«

»Gern. Aber vorher sagen Sie mir, was Sie hier vor der Stadt wollen, so spät in der Nacht.«

»Wir sind eben im Garten des Pascha gewesen.«

»Wie, im Garten des Pascha!? Haben Sie Jemand gesehen?«

»Nicht nur gesehen, sondern sogar gesprochen.«

»Die Damen etwa? Tschita und Zykyma?«

»Ja.«

»Das müssen Sie mir erzählen! Rasch, schnell.«

»Sie sollen es natürlich hören. Vielleicht aber ist es nothwendig, daß Sie uns vorher Ihr Erlebniß erzählen. Also kommen Sie, und berichten Sie es uns, indem wir nach der Stadt gehen.«

»Nach der Stadt gehen wir nicht. Wir müssen anderswo hin. Aber hier auf der Straße dürfen wir nicht bleiben, sonst könnte dieser Hallunke es merken. Gehen wir also hier links ab. Ich werde Ihnen gleich erklären, warum dies nothwendig ist. –«

Die beiden Freunde hatten nur die Absicht gehabt, sich über die Lage des Hauses zu unterrichten, in dem die beiden Mädchen abgeschlossen gehalten wurden. Aber als sie es erreicht hatten, war es ihnen doch nicht möglich gewesen, sogleich wieder umzukehren.

»Gehen wir einmal rund herum?« fragte Wallert.

»Ja, meinetwegen. Aber ganz leise, damit der Wächter uns nicht hören kann.«

Das Haus lag mitten in einem Garten und zwar Etwas von der Straße ab. Außerhalb des hohen, dichten Heckenzaunes, der den Garten umschloß, gab es weiches, unbebautes, mit Gras bewachsenes Land. Die Grasnarbe machte die Schritte der Beiden unhörbar.

Indem sie um das Grundstück herumgingen, konnten sie zwar über den Zaun hinüberblicken, aber, da dieser sehr hoch war, nur das Dach des Hauses sehen. Der Heckenzaun war zweimal unterbrochen, vorn am Eingange durch ein hohes und starkes, hölzernes Thor, und auf der hintern Seite durch ein schmales Lattenpförtchen. Als sie dieses Letztere erreichten, untersuchte Normann die Festigkeit desselben.

»Man könnte diese Latten mit geringer Kraftanwendung losreißen,« sagte er; »aber leider würde das Lärm verursachen.«

»Willst Du denn hinein?«

»Hm, wenn es möglich wäre, ohne bemerkt zu werden, dann ja. Denke Dir, dort steckt Tschita, und hier stehe ich! Giebt es da Etwas zu erklären?«

»Freilich nicht. Mir geht es ja ganz ebenso. Aber der Wächter! Vielleicht befindet er sich grad hier in der Nähe.«

»Das ist nicht zu erwarten. Der Harem liegt, wie wir gehört haben, dort an der Giebelseite, die nach der Stadt gekehrt ist. Dort also wird er sich aufhalten.«

»Dann könnte man vielleicht Etwas wagen.«

»Ja, wenn nur diese Latten – na, man könnte ja darüber klettern; aber es kracht, und da – Ah!«

»Was giebt es?«

»Da fühle ich den Verschluß. Es ist kein Schloß.«

»Nicht? Was denn?«

»Ein ganz einfacher Holzriegel.«

»Herrlich! Da gehen wir natürlich hinein!«

»Versteht sich. Wollen aber versuchen, wie es mit den Angeln steht. Vielleicht kreischen sie.«

Er griff zwischen den Latten hinein und entfernte den Riegel; dies gelang ohne alles Geräusch. Aber als er dann die Thür versuchsweise leicht bewegte, da knarrte sie laut.

»O weh!« klagte Normann. »Das ist fatal!«

»Ach was, fatal. Was kümmern wir uns um den Wächter. Wenn er kommt, nun, so werden wir uns schon zu helfen wissen.« Wallert machte dabei eine handgreifliche Bezeichnung.

»Das werden wir hübsch bleiben lassen. Ja, wenn wir die Damen fortholen und es träte uns da der Wächter entgegen, dann bin ich auch Deiner Ansicht; so weit aber sind wir ja nicht.«

»Wir können aber leicht so weit kommen. Ich habe große Lust, sie sofort herauszuholen. Was sagst Du dazu?«

»Ich habe nicht weniger Lust dazu als Du. Wir könnten sie ja sofort nach der Yacht schaffen. Aber das ist leichter gesagt als gethan. Recognosciren wir einmal. Wir dürfen die Thür nur höchst langsam öffnen, ein halber Zoll nach dem Andern; dann ist das Geräusch nicht so bedeutend.«

»Das dauert aber zu lange. Ich habe zuweilen versucht, kreischende Thüren geräuschlos zu öffnen, und es ist mir damit gelungen, daß ich mit einem einzigen, plötzlichen Rucke aufmachte, also so!«

Er ergriff die Thür. Er wollte es nur erklären, aber in dem Verlangen, hinein zu kommen, that er es auch; er schob die Thür rasch und kräftig auf. Es gab zwischen den Angeln einen schrillen, pfeifenden, weithin dringenden Laut. Beide erschraken und Wallert klagte:

»Das ist dumm! Nun ist's aus; wir müssen fort!«

»Nein, grad nicht. Schnell hinein!«

Er schob den Freund in den Garten, machte die Thür unter ganz demselben Geräusch zu, schob den Riegel vor und zog dann Wallert schnell eine ganze Strecke mit sich fort, längs des Zaunes hin.

»So!« flüsterte er. »Jetzt nun wieder in das Gras und so eng in den Zaun hineingeschmiegt, wie es möglich ist!«

Sie hatten sich kaum niedergelegt, so nahten Schritte.

»O weh! Er kommt!« flüsterte Wallert.

»Ich dachte es mir. Jetzt nun vor allen Dingen Glück.«

Der Wächter ging an ihnen vorüber und zwar so nahe, daß sie ihn hätten bei den Beinen fassen können. Er begab sich nach der Thür, um sie zu untersuchen. Sie hörten ihn brummen. Er fand sie verriegelt; er konnte sich die Sache nicht recht erklären, und es dauerte lange, ehe er sich beruhigte und dann langsam nach der Giebelseite des Hauses zurückkehrte.

»Gott sei Dank,« meinte Wallert. »Das war gewagt!«

»Aber das Beste und Richtigste, was wir nur thun konnten, da Du die Thür einmal geöffnet hattest. Ausreißen und die Thür offen lassen, das ging ja nicht. Der Wächter hätte bemerkt, daß Jemand da gewesen sei.

»Ja, das durften wir unmöglich. Zugemacht mußte die Thür wieder werden.«

»Gewiß, und da war es ja besser, wir befanden uns nach dem unvermeidlichen Geräusch im Garten als außerhalb desselben. Jetzt ist's gelungen, und nun wollen wir sehen, was sich weiter thun läßt.«

»Wir müssen uns natürlich nach der Seite schleichen, wo die Mädchen wohnen.«

»Aber am Boden liegend. Komm! Ich krieche voran!«

Sie bewegten sich langsam auf den Händen und Beinen vorwärts, längs des Zaunes hin. Der Abstand von dem Zaune bis zum Hause hin betrug bei allen vier Seiten dasselbe, ungefähr zwanzig Ellen. Dieser Raum war nicht überall offen. Es standen Bäume da und es gab auch einige Sträucher.

Als sie die betreffende Seite des Zaunes erreicht hatten, konnten sie den Giebel des Hauses erblicken, aber wegen der Entfernung und der nächtlichen Finsterniß nur in dunklen Umrissen.

»Bleibe hier!« flüsterte Normann. »Ich werde mich einmal näher wagen!«

»Wenn er Dich bemerkt.«

»Ich nehme mich in Acht!«

»Und trotzdem kannst Du auf ihn treffen.«

»Dann bin ich allein Manns genug für ihn.«

»Er hatte eine Flinte in der Hand.«

»Er würde gar nicht zur Vertheidigung kommen, zum Angriffe noch weniger. Also verhalte Dich ganz ruhig, bis ich zu Dir zurückkehre!«

Er kroch dem Gebäude entgegen. In Folge seines dunklen Anzuges war er nicht von dem Grase zu unterscheiden. Es dauerte nicht lange, so vernahm er ein Räuspern, welches ihm sagte, wo der Wächter sich befand. Er hielt es für das Klügste, sich grad nach dieser gefährlichen Richtung zu wenden.

Da wo die Grasnarbe von dem rings um das Haus führenden Sandwege begrenzt wurde, saß der Wächter auf einer steinernen Bank. Das war höchst fatal! Normann bewegte sich bis fast an diese Bank. Es war ihm jetzt möglich, die Einzelnheiten des Hausgiebels zu unterscheiden.

Er bemerkte eine Art Verandah, welche auf zwei hölzernen Säulen ruhte. Ueber ihr gab es zwei Läden, von denen der eine verschlossen der andere aber offen zu sein schien, was er aus dem verschiedenen Dunkel der beiden viereckigen Stellen schloß. Die Körperhaltung des Wächters ließ erwarten, daß er keine Lust habe, seinen jetzigen Platz ohne Veranlassung aufzugeben.

Jetzt kehrte Normann zu dem Gefährten zurück, welcher fast ungeduldig geworden war, da die Abwesenheit länger gedauert hatte als bei anderen Verhältnissen nöthig gewesen wäre.

»Endlich! Hast Du Günstiges gesehen?«

»Beides, Günstiges und Ungünstiges. Es giebt dort eine Verandah, welche nicht schwer zu erklettern ist. Oben habe ich einen offenen Laden bemerkt.«

»Ah! Wir können also hinauf und hinein!«

»Nicht so hitzig! Der Wächter sitzt grad dort auf einer Bank.«

»Das ist dumm!«

»Das ist im Gegentheil sehr gescheidt von ihm, für uns aber leider unbequem. Wenn man nur gewiß wüßte, daß sie da oben auf dieser Seite wohnen.«

»Nun, der Arabadschi hat es ja gesagt, und der muß es doch wohl wissen.«

»Das denke ich auch. Hm!«

»Wenn der Wächter da fortzubringen wäre!«

»Für unmöglich halte ich es nicht.«

»Dann schnell hinauf!«

»Alle Beide aber nicht.«

»Warum nicht?«

»Geschieht Etwas, so stecken wir dann Beide in der Falle. Einer muß unten bleiben. Uebrigens ist es ja nur auf diese Weise möglich, den Kerl von seiner Bank fortzulocken.«

»Ah, diese Absicht hast Du also!«

»Erräthst Du es?«

»Ja. Der Eine muß die Aufmerksamkeit des Wächters auf sich ziehen, indessen klettert der Andere hinauf.«

»Ja, so meine ich es. Wollen wir?«

»Gewiß, wir sind einmal da. Ich wage Alles!«

»Das Wagniß ist nicht gar zu groß. Wir haben unsere Revolver; da nehmen wir es mit Mehreren auf anstatt nur mit Einem. Das einzig Bedenkliche ist, daß wir auf die Mädchen Rücksicht nehmen. Werden wir erwischt, so verschlimmert sich ihre Lage. Also alle Vorsicht. Jetzt nun frägt es sich, wer unten bleibt, und wer hinauf klettern soll.«

Wallert schwieg ein Weilchen. Er kämpfte mit sich selbst. Er wäre gar zu gern hinauf. Endlich fragte er:

»Welches von Beiden hältst Du für das Gefährliche?«

»Es ist wohl Beides gleich. Oben giebt es Gefahr. Ein einziger Laut der Ueberraschung von Seiten der Damen kann Unheil bringen. Unten aber ist es ebenso, da der hier Bleibende eben die Aufmerksamkeit des Wächters auf sich ziehen muß. Wähle Du!«

»Was soll ich wählen! Natürlich möchtest Du gern hinauf?«

»Es wäre Unsinn, es nicht einzugestehen.«

»Nun, so gehe Du!«

»Aber Dir thut es leid!«

»Du hast Tschita oben, während Zykyma meine Geliebte nicht ist. Das giebt den Ausschlag.«

»Gut, ich nehme diese Entscheidung an. Dabei fällt mir ein, daß es grad nicht nothwendig ist, Dich in Gefahr zu begeben.«

»Ich werde vorsichtig sein. Ich schleiche mich nach der anderen Seite und mache dort einiges Geräusch. Kommt er, so verstecke ich mich schnell. Unterdessen bist Du oben.«

»Auf diese Weise aber ist es möglich, daß er Dich sieht.«

»Ich muß es eben darauf ankommen lassen.«

»Nein; das ist nicht nothwendig. Du mußt nämlich werfen. Ich habe hier auf dem Rasen Steine genug gefühlt. Je weiter Du wirfst, desto weiter entfernt bist Du von dem Orte, an welchem das Geräusch entsteht, desto größer also ist auch Deine Sicherheit.«

»Das ist sehr richtig. Du mußt ihn, wenn er einmal die Bank verlassen hat, wenigstens fünf Minuten lang beschäftigen. So viel Zeit brauche ich.«

»Wie aber weiß ich es, wenn Du wieder herab willst?«

»Ich werde – hm, das ist bedenklich. Ein Zeichen muß ich geben, welches ihm nicht auffällt. Ah, da fällt mir ein: ich kann das Zirpen des Heimchens sehr täuschend nachahmen. Ich habe das als Knabe sehr oft gethan.«

»Gut, dieses Zirpen wird seinen Verdacht nicht erwecken. Also, beginnen wir! Es ist bereits weit nach Mitternacht und wir müssen die Dunkelheit benutzen.«

»Ich begebe mich natürlich wieder hin zu ihm. Das wird eine Minute in Anspruch nehmen. Dann wirfst Du.«

Er kroch wieder nach der Bank hin. Er glaubte, in der nächsten Nähe derselben am allersichersten zu sein; darum streckte er sich unmittelbar hinter ihr in das Gras. Nun brauchte er nicht lange zu warten, so schien sich auf der anderen Seite des Hauses Etwas durch die Büsche zu bewegen. Wallert hatte einen Stein hineingeworfen. Der Wächter sprang auf und horchte. Es erfolgte ein zweiter Wurf und infolge dessen ein abermaliges Rascheln in den Zweigen. Der Wächter brummte leise etwas in den Bart und entfernte sich.

Normann sah ihn um die Ecke des Hauses verschwinden. Im Nu sprang er nach der einen Säule. Er war ein gewandter Kletterer. Drei, vier hastige Griffe seiner Arme und er war oben, legte sich aber sofort platt auf die Deckung nieder, da es ohne Geräusch nicht abgegangen war.

Das war sehr gut, denn der Wächter kehrte sehr eilig zurück, blieb lauschend stehen, blickte herauf, ging dann hin und her, und brummte so vernehmlich, daß Normann es oben hörte.

In diesem kritischen Augenblicke warf Wallert von Neuem; der Wächter begab sich sogleich abermals nach der anderen Seite. Da richtete sich Normann auf. Er hatte von unten richtig gesehen. Es gab hier oben zwei Läden, einen geöffneten und einen verschlossenen. An dem Ersteren erschien in diesem Augenblick etwas Weißes.

»Ist Jemand da?« fragte eine unterdrückte Frauenstimme in türkischer Sprache.

»Ja«, antwortete er. »Die Rettung ist da. Wer bist Du?«

»Zykyma,« erklang es leise.

»Tritt zurück!«

Sie verschwand von der Oeffnung, und einige Augenblicke später war er eingestiegen, blieb aber am Fenster stehen und blickte herab. Grad jetzt kam der Wächter zurück und patrouillirte unten auf und ab.

Jetzt erst wendete er sich nach dem Innern des Raumes. Zykyma stand nahe bei ihm. Sie flüsterte:

»Normann Effendi! Allah sei gepriesen in alle Ewigkeit. Wo ist Wallert Effendi?«

»Unten im Garten. Er hat dafür zu sorgen, daß Euer Wächter mir Zeit zum Klettern giebt. Wo ist Tschita?«

»Im Nebenraume. Sie schläft.«

»Und Du nicht!«

»Wir hatten bis spät gewacht, denn wir hatten die frohe Botschaft vernommen, daß Ihr in Tunis seid.«

»Wohl von Saïd?«

»Ja. Dann legten wir uns zur Ruhe. Tschita schlief bald ein. Sie hatte so lange nicht geschlafen, nur stets gewacht, um zu weinen. Auch mich wollte der Schlaf ergreifen; da hörte ich das Klingen der Gartenpforte. Ich ahnte, daß Ihr es sein würdet. Ich hatte mir gedacht, daß Ihr keine Ruhe haben würdet. Ich stand wieder auf, ohne aber Tschita zu wecken, und beobachtete den Wächter. Er war fort. Er kam wieder und setzte sich. Dann stand er wieder auf und ging; darauf kam Jemand heraufgeklettert. Du bist es! O Ihr Heiligen; nun dürfen wir wieder Hoffnung haben!«

»Nicht nur Hoffnung, sondern Gewißheit. Aber darf ich nicht mit Tschita sprechen.«

»O wie gern; aber ich muß erst zu ihr. Sie würde vor Glück laut aufschreien und Dich verrathen. Hier ist mein Zimmer und drüben das ihrige. Warte hier.«

Sie trat in die Nebenstube. Er blieb stehen. Sein lauschendes Ohr vernahm heimliche Stimmen, dann einen unterdrückten Laut, und dann huschte es zu ihm herein. Zwei weiche, warme Arme legten sich um ihn, ein Köpfchen drängte sich an seine Brust, doch ohne einen Laut, ein Wort hören zu lassen.

Er schlang die Arme um sie und flüsterte:

»Tschita! Meine Blume, meine Wonne, meine Seligkeit! Endlich, endlich habe ich Dich wieder. O, nun ist Alles, Alles gut. Was mußt Du gelitten haben!«

Sie antwortete nicht, aber ihr Körper erbebte an dem Seinen unter dem Schluchzen, welches sie kaum zu unterdrücken vermochte.

»Sprich ein Wort, ein einziges!« bat er.

Sie schmiegte sich fester an ihn, aber antworten konnte sie nicht. Er wartete, bis diese erste Aufregung vorüber war. Dann sagte er:

»Jetzt soll uns nichts wieder scheiden. Gehst Du mit mir?«

»Ja,« flüsterte sie.

»Heut? Gleich?«

»Gleich jetzt?«

»Ja.«

»Nein; das ist unmöglich.«

»Warum nicht?«

»Ich könnte die Mutter nicht mitnehmen. Sie ist nicht hier bei uns. Sie ist krank und liegt unten.«

»Was fehlt ihr?«

»Sie glitt heute aus und fiel die Stiege hinab. Darauf konnte sie nicht stehen und nicht gehen. Es wurde der Arzt geholt, er hat sie verbunden und es verboten, daß sie heraufgeschafft werde.«

»O weh, o weh! Hat er nicht gesagt, wann sie geheilt sein wird?«

»Nein. Ich wollte bei ihr bleiben, aber – –«

Sie stockte.

»Du durftest wohl nicht?«

»O, ich hätte gedurft, aber ich kann nicht.«

»Warum nicht?« fragte er zudringlicher als ihr lieb war.

»Zykyma ist doch oben und des Nachts muß ich bei ihr sein, da sie den Dolch hat.«

Jetzt wußte er, was sie meinte. Der Dolch war ja die einzige Waffe gegen die Zudringlichkeit, gegen die Leidenschaft Ibrahim Paschas.

»Meine arme, arme Tschita! Wie fürchterlich muß es sein, die Sclavin eines solchen Menschen zu sein! Wie bin ich erschrocken, als ich zu Barischa kam und da hörte, daß Du verkauft seist!«

»Ich wäre nicht mit fortgegangen; ich hätte mich gewehrt; aber der Alte sagte, daß es nur ein Spaziergang in das Thal der süßen Wasser sei.«

»Dann waren wir bei Euch im Garten. Ich erfuhr, daß Du bei Zykyma seist! Wie war ich froh! Aber Ihr wart auf einmal wieder fort!«

»Der Gräßliche hatte uns das Bewußtsein geraubt. Als wir erwachten, befanden wir uns auf dem Schiffe.«

Nun gab es ein Erzählen, ein Klagen und Trösten. Die Herzen der Beiden flossen über, flossen in einander.

Zykyma war drüben geblieben. Jetzt lehnte sie am Eingange, doch ohne ein Wort zu sagen. Sie gönnte der Liebe ihre Rechte. Erst als die Beiden ruhiger geworden waren, nahm sie Theil am Gespräch.

Normann erfuhr, daß draußen vor den beiden Giebelstuben ein Wächter liege. Dennoch hielt er es für nicht gar zu schwer, fortzukommen und bedauerte nur, daß die Mutter krank geworden sei. Für den Augenblick war leider nichts zu thun. Es wurde ausgemacht, daß Saïd am Morgen Nachricht nach dem italienischen Hause bringen solle. Nach dieser Nachricht wollten die Freunde dann bestimmen, was zu thun sei.

Wie gern wäre er noch da geblieben, aber während des leise geflüsterten Gesprächs hatte man sich so viel zu fragen, und zu antworten gehabt, daß eine bedeutende Zeit vergangen war. Als Normann jetzt einen Blick hinauswarf, sah er am östlichen Himmel die ersten grauen Streifen des Tages erscheinen. Er mußte fort, denn die Gefahr, in welcher er sich befand, verzehnfachte sich mit jeder Sekunde, welche er länger blieb.

Er trat an den Laden, hielt die Hand an den Mund und ahmte das verabredete Zeichen nach. Es dauerte gar nicht lange, so stand der Wächter unten von seiner Bank auf und verschwand hinter der Ecke des Hauses.

»Jetzt, jetzt muß ich fort,« sagte er, die Geliebte an sich drückend. »Leb wohl!«

»O Allah, Allah!« jammerte sie leise. »Du wirst doch wiederkommen?«

»Gewiß, gewiß! Jetzt sollst Du mir nicht wieder entrissen werden. Aber ich darf nicht länger warten! Lebt wohl!«

Ein Kuß, ein Händedruck dann für Zykyma, und er stieg hinaus. Er hatte kaum Zeit, sich auf die Deckung niederzulegen, so erschien der Wächter wieder, doch um nach wenigen Augenblicken wieder zu verschwinden.

»Komm wieder, Paul,« flüsterte Tschita durch das Fenster.

»Grüße mir ja Wallert Effendi,« fügte Zykyma hinzu. »Saïd wird kommen!«

Dann schwang er sich hinab und sprang in weiten Sätzen über den Kiesweg hinüber in das Gras, wo er sich sofort niederwarf, da in demselben Augenblicke der Wächter wieder erschien. Von hier aus kroch er nach dem Zaune. Wallert war nicht da, kam aber bald herbei.

»Gott sei Dank!« sagte er. »Mir war Angst um Dich. Das dauerte ja eine Ewigkeit.«

»Ich denke, daß es nur eine Minute gewesen ist.«

»Nun, wie steht es?«

»Du erfährst es, aber zunächst fort von hier.«

»Ohne sie mitzunehmen?«

»Ja, leider. Komm nur nach der Pforte.«

Jetzt, wo sie wußten, an welchem Punkte der Wächter sich befand, konnten sie sich freier bewegen. Sie krochen nicht mehr, sondern sie schritten nach der Pforte, deren Kreischen ihnen jetzt keinen Schaden mehr bringen konnte. Mochte der Wächter noch so rasch herbeieilen, sie waren doch bereits um die nächste Gartenecke.

Dort aber blieb Wallert stehen; er konnte seine Ungeduld nicht länger zügeln, und der Freund mußte ihm wenigstens in kurzen Worten Bericht erstatten. Erst dann entfernten sie sich aus der Nähe des Hauses.

Unter dem Bogen der Wasserleitung wurden sie von dem Derwisch erkannt. Dann kam ihnen der Engländer nach, um sie zu ihrem Erstaunen hinter den Garten des Bardo zu führen. Als sie aber hörten, weshalb er dies thue, stimmten sie ihm vollständig bei.

Als sie längs der Mauer hingingen, strich der Lord, welcher voranging, mit der Hand an derselben hin, bis er das Messer fühlte, welches er hineingesteckt hatte.

»Hier war es,« sagte er. »Da ist mein Zeichen.«

»Und wo ist der Draht?«

»Suchen wir ihn einmal.«

Er tastete hin und her. Normann aber zog ein Wachshölzchen hervor, brannte es an und hatte bei dem Scheine desselben den Draht bald gefunden.

»Ja, da ist er. Es ist wirklich wahr,« sagte er. »Was mag dieser Mensch vorhaben?«

»Etwas Gutes sicherlich nicht. Was thun wir?«

»Wir müssen Anzeige erstatten. Es fragt sich nur, an welche Adresse, und ob wir uns nicht vorher das Gartenhaus erst genau ansehen.«

»Das müssen wir thun,« meinte Wallert. »Wir können nicht wissen, ob sich diese so gefährlich und abenteuerlich erscheinende Sache auf ganz natürliche und unbedenkliche Weise erklären und auflösen läßt. Steigen wir hinein!«

»Aber wie?«

»Ganz so, wie ich es mit dem Derwisch gethan habe,« antwortete der Lord. »Ich mache die Leiter.«

»Aber wie kommen dann Sie hinauf?«

»Sapperment, das ist wahr! Wir haben keinen Strick.«

»Vielleicht brauchen wir keinen. Wir können Sie ja hinaufziehen, wenn wir Beide oben sind. Für einen Einzelnen wäre diese Anstrengung zu groß. Zweien aber wird es gelingen. Versuchen wir es.«

»Am Ende wäre es doch wohl das Klügste, gleich drinnen im Bardo bei der Wache Anzeige zu machen. Da brauchten wir hier nicht so beschwerliche Turnübungen vorzunehmen.«

»Nein,« antwortete Normann. »Ehe ich Anzeige mache, muß ich wissen, woran ich bin. Steigen wir auf!«

Der Lord machte, wie er sich ausgedrückt hatte, die Leiter. Als die Beiden sich oben befanden, warf er ihnen den Gürtel zu, welchen er trug. Er hielt sich an dem einen Ende desselben fest; sie zogen Beide an dem andern, und so kam auch er hinauf. Dann sprangen sie hinunter in den Garten.

Nachdem sie sich durch ein kurzes Lauschen überzeugt hatten, daß sich wohl Niemand in der Nähe befinde, führte der Engländer sie nach der Stelle des Kiosk, in welche der Derwisch das Loch gebohrt hatte. Sie überzeugten sich mit den Spitzen ihrer Finger, daß der Draht hier nach innen ging, und begaben sich sodann in das Innere des Kiosk.

Die Thür desselben war zwar zugemacht, aber doch nicht verschlossen. Sie traten ein und zogen sie hinter sich wieder zu. Dann wurde wieder ein Wachsholz angebrannt.

Bei dem Scheine desselben sahen sie sich in einem vollständig fensterlosen Raume. Es gab keine Oeffnung als nur diejenige der Thür. In der einen Wand befand sich eine Nische, und vor derselben stand eine hölzerne Erhöhung, auf welcher ein Kissen lag. Sonst war nichts, weiter gar nichts vorhanden, als der Teppich, welcher den ganzen Fußboden bedeckte.

»Das scheint kein Lusthaus zu sein, kein gewöhnliches Gartenhaus,« meinte der Lord.

»Nein,« antwortete Normann. »Das ist vielmehr ein Bethaus. Die Nische giebt die Kiblah an, die Richtung nach Mekka, in welche jeder Betende das Gesicht zu wenden hat. Auf dieser Erhöhung scheint der Beter zu knieen. Da nur eine einzige sich hier befindet, so möchte ich fast behaupten, daß dieses Bethaus auch nur von einem Einzigen benutzt wird. Und der wäre natürlich – –?«

»Der Bey,« antwortete Wallert.

»Ganz gewiß. Gegen ihn also würde der Anschlag gerichtet sein, wenn überhaupt ein solcher geplant wird. Sehen wir einmal, wie hier der Draht verläuft!«

Mit Hilfe immer neu angebrannter Zündhölzer fanden sie die Stelle, an welcher der Draht in das Innere trat; er führte unter dem Teppiche nach der Erhöhung hin. Diese befand sich nur eine Viertelelle über dem Boden und war, wie bereits erwähnt, mit einem Kissen belegt. Unter ihr endete die Drahtleitung, und zwar, wie sie vermuthet hatten, in der Blechkapsel, welche so lag, daß sie von keinem Menschen bemerkt werden konnte.

»Na, was sagen Sie nun?« fragte der Lord.

»Ein Mordanschlag,« meinte Normann, »ganz sicher ein Mordanschlag, und zwar gegen den Bey gerichtet.«

»Gott sei Dank, daß ich den Hallunken getroffen habe! Nun müssen wir unbedingt Anzeige machen.«

»Ja, und zwar sofort. Man kann nicht wissen, für wann die That beabsichtigt ist. Wir dürfen nicht zu spät kommen.«

»Aber bei wem machen wir die Meldung?«

»Das wird sich finden, nachdem wir uns vorher erkundigt haben, wer hier noch wach ist. Kommt!«

Sie gingen und machten die Thür wieder zu. Normann schritt nach dem Innern des Gartens voran.

»Halt, wohin wollen Sie?« fragte der Lord.

»Nun, nach dem Bardo, nach dem Schlosse.«

»Unser Weg dorthin ist doch ein anderer. Wir steigen wieder über die Mauer und halten unseren Einzug durch den offiziellen Eingang.«

»Nein, unser Weg ist der kürzere. Ich klettere nicht.«

»Man wird uns fragen, wie wir hereingekommen sind.«

»So sagen wir es.«

»Dann kommt man vielleicht gar auf den Gedanken, daß wir es sind, die den Draht gelegt haben.«

»Fällt keinem Menschen ein! Wir gehen direkt nach dem Schlosse, hier grad aus. Da, wo wir ein brennendes Licht bemerken, machen wir unsere Meldung.«

Sie sahen ein, daß er doch Recht habe, und folgten ihm. Der Garten war sehr groß und prächtig, wie sie trotz der Dunkelheit, welche noch immer herrschte, bemerkten. Sie hatten eine ziemliche Weile zu gehen, ehe sie an der hinteren Front eines der zum Schlosse gehörigen Gebäude anlangten. Die wenigen Fenster, welche es da gab, waren ohne alle Ordnung vertheilt, doch bemerkten sie, daß eins derselben erleuchtet sei. Es lag zu ebener Erde und war durch eng an einander gereihte Holzstäbe geschlossen, durch welche man kaum in das Innere zu blicken vermochte.

Der Lord war der Erste, welcher hineinblickte. Er fuhr erstaunt zurück.

»Alle Wetter! Wen erblicke ich da!« sagte er.

»Wen?«

»Gucken Sie nur hinein!«

Die Beiden folgten seiner Aufforderung.

»Ah, Steinbach! Ist das möglich?« fragte Wallert erstaunt.

»Ja, wie ist das möglich!«

»Das wird er uns erklären. Gut, daß er es ist. Wunderbar! Er spielte in Stambul eine bedeutende Rolle und hier wohnt er bei dem Bey! Klopfen wir an!«

»Halt! Lassen Sie mir das!« bat der Lord. »Er sitzt am Tisch und schreibt. Ich werde ihn stören.«

Er klopfte an die Stäbe. Steinbach stand auf, öffnete den Fensterflügel – denn hier im Palaste gab es Glasfenster – und erkundigte sich:

»Wer ist draußen?«

Der Lord verstand die türkisch gesprochenen Worte nicht, ließ sie sich leise erklären und antwortete:

»Drei arme, deutsche reisende Handwerksburschen.«

Auf diese Antwort hin ward die Jalousie ein Stück aufgezogen. Der Deutsche näherte seinen Kopf der Oeffnung und fuhr fast mit dem Gesichte des Lords zusammen, welches er nicht sofort gesehen hatte.

»Sapperment!« meinte er. »Wer ist – – ah, ist das möglich! Mein Retter aus dem Wasser des goldenen Horns! Lord Eagle-nest?«

»Ja, der bin ich, Master Steinbach.«

»Hier im Bardo?«

»Wie Sie sehen.«

»Wie kommen Sie zu dieser Zeit in das Schloß?«

»Ueber die Mauer gestiegen.«

»Nicht doch!«

»Warum nicht? Meinen Sie etwa, daß wir darüber geflogen seien?«

»Nein. Eine Schwalbe sind Sie nicht.«

»Aber ein Staar zuweilen, nicht? Na, wir haben Ihnen etwas Hochwichtiges zu sagen. Lassen Sie uns ein!«

»Wie? Wer ist noch draußen?«

»Meine beiden jungen Freunde, welche mir bei Ihrer Rettung mit halfen.«

»Normann und Wallert? Schön! Ich komme gleich. Bitte, gehen Sie bis zur nächsten Thür an der Mauer hin.«

Sie thaten das. Er kam, um zu öffnen und führte sie in sein Zimmer.

»Hier wohne ich als Gast des Bey. Seien Sie mir willkommen und erklären Sie mir, wie es möglich ist, Sie hier zu sehen.«

»Wie es Ihnen möglich ist?« fragte der Lord. »Nun, Sie brauchen ja nur die Augen aufzumachen.«

»Richtig!« lachte Steinbach. »Aber Sie dürfen meine Frage nicht so streng wörtlich nehmen. Das Sie über die Mauer gestiegen sind, war doch nur ein Scherz.«

»Nein, es ist die Wahrheit. Wir kommen, um den Bey vor einem Mordanschlage zu warnen.«

»Sind Sie des Teufels?«

»Schwerlich. Es handelt sich wirklich um einen Mordanschlag. Der Bey soll in die Luft gesprengt werden.«

»Unglaublich!«

»Es ist wahr!«

»Wann soll es geschehen?«

»Während des Gebetes.«

»Wo?«

»Im Garten.«

»Von wem?«

»Von dem Derwisch Osman.«

»Sie meinen doch den, welchen wir in Konstantinopel gemeinschaftlich kannten?«

»Ja. Er ist mit Ibrahim Pascha hier.«

»Ich weiß es. Aber bitte, erklären Sie, sonst denke ich wirklich, daß ich mich im Traume befinde.«

Der Lord erzählte. Sein Bericht brachte einen bedeutenden Eindruck hervor. Steinbach erging sich zwar noch in einigen Interjectionen, meinte aber dann:

»Das ist ihm zuzutrauen, nicht nur ihm allein, sondern auch dem Pascha. Ah, wenn es so ist, wie Sie sagen, Mylord, so haben Sie dem Bey das Leben gerettet, und werden auch mir einen außerordentlichen Dienst erwiesen haben. Also im Kiosk es Sallah ist es!«

»Was heißt dieses Wort?«

»Kiosk des Gebets. Der Mord ist für Nachmittag drei Uhr geplant, anders nicht.«

»Wie können Sie das wissen?«

»Es ist allbekannt, daß der Bey nur das Dreiuhrgebet in dem Kiosk verrichtet. Sobald der Muezzin von dem Minaret zum Gebete ruft, betritt der Bey den Kiosk und befindet sich eine volle Viertelstunde daselbst. Die Mörder haben also volle fünfzehn Minuten Zeit zur Vollbringung ihrer schwarzen That.

»Ah, wie gut ausgedacht. Der Anschlag könnte also gar nicht mißlingen.«

»Ja, und der Mörder würde nie entdeckt. Wir brauchen uns also eigentlich nicht zu beeilen, aber ich werde trotzdem den Bey sofort kommen lassen.«

»Wie, Sie wollen ihn wecken?«

»Ja.«

»Dürfen Sie das?«

»Unter diesen Umständen werde ich es wagen.«

»Und er soll hierherkommen?«

»Gewiß. Gehe ich zu ihm, so errege ich Aufsehen. Wir müssen aber die Sache in aller Heimlichkeit untersuchen, sonst ist es möglich, daß der Mörder erfährt, daß er verrathen ist. Erlauben Sie!«

Er warf einige Zeilen auf ein Stück Papier, couvertirte und versiegelte es und klatschte dann in die Hände. Ein Schwarzer erschien und verbeugte sich demüthig. Er erhielt das Schreiben und einen leisen Befehl und entfernte sich wieder.

Das war besorgt, und nun brachte Steinbach das Gespräch auf die privaten Angelegenheiten der Anwesenden. Er erfuhr dabei, was sie erlebt hatten, nachdem er an jenem Abende im Hafen von Constantinopel von ihnen gegangen war. Noch hatten sie dieses Thema nicht beendet, so klopfte es an eine Thür, welche nach einer Nebenstube führte. Steinbach brannte ein Licht an und begab sich hinaus. Dort stand im Dunkel der Bey Mohammed es Sadak Pascha, in ganz gewöhnlicher Kleidung. Er hatte sich heimlich herbeigeschlichen.

»Hier ist Dein Brief,« sagte er, die Zeilen zurückgebend. »Warum lassest Du mich mitten in der Nacht wecken und auf Umwegen zu Dir kommen?«

Er sah bei diesen Worten nicht gut gelaunt aus. Selbst sein bevorzugtester Günstling hatte nie gewagt, ein solches Ansinnen an ihn zu stellen. Steinbach antwortete ruhig:

»Es gilt Dein Leben, o Herrscher! Und wenn Du nicht heimlich kämst, würden wir den Mörder vielleicht nicht ergreifen.«

»Mein Leben? Den Mörder? Höre ich recht?«

»Du hörst recht. Ich habe Dir gesagt, das jener Ibrahim Pascha unter fremdem Namen hier ist, um Dich und Deine Absichten auszuforschen. Du hast gemeint, ihn nicht fürchten zu müssen. Du hast gezaudert, die Wege zu gehen, die ich Dir zu Deinem Heile und zum Heile Deines Volkes empfehlen mußte. Nun wirst Du heute erkennen, daß ich Recht gehabt habe. Ibrahim Pascha will Dich ermorden, mitten im Gebete.«

»Beweise es.«

»Du sollst Dich mit eigenen Augen überzeugen.«

Er berichtete, was er von dem Lord und dessen Begleitern gehört hatte. Der Bey nahm diesen Bericht in aller Ruhe entgegen und sagte dann:

»Laß uns nach dem Kiosk gehen, wir Beide allein!«

Die Drei warteten. Sie hatten gemeint, daß der Bey zu ihnen kommen werde, um sie zu befragen, aber sie irrten sich. Sie saßen wohl eine Stunde lang in dem Zimmer. Der Tag war angebrochen. Endlich kehrte Steinbach zurück.

»Schön, daß Sie kommen!« sagte der Lord. »Ich dachte bereits, wir sollten hier sitzen bleiben, bis wir fest angewachsen seien. Leute, welche solche Nachrichten bringen, pflegt man mit mehr Aufmerksamkeit zu behandeln.«

»Je nach den Umständen. Der Herrscher ist nicht unaufmerksam gegen Sie. Er hat mich beauftragt, Sie zu grüßen.«

»Zu grüßen? Ist das Alles?«

»Einstweilen, ja.«

»Nun, dann grüßen Sie ihn von mir wieder, und sagen Sie ihm, daß ich mit ihm fertig bin!«

»Schön, das werde ich thun.«

»Und ich verabschiede mich.«

»So schnell? Ich hoffte doch, daß Sie den Kaffee mit mir trinken würden!«

»Trinken Sie ihn, mit wem Sie wollen! In Zukunft soll es mir sehr gleichgiltig sein, ob man irgend Einen in die Luft sprengen lassen will oder nicht.«

Sein Aerger machte einen so komischen Eindruck, daß Steinbach darüber lachen mußte.

»Was, Sie lachen auch noch?« rief der Beleidigte. »Das ist mir denn doch zu viel! Ich meine es gut und muß mich dafür verlachen lasten! Adieu! Wir sehen uns wohl nie wieder, Master Steinbach!«

»O doch! Am Vormittage noch!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Wie? Wollten Sie sich etwa nicht bei diesem interessanten Verhöre einfinden?«

»Bei welchem Verhöre?«

»Sie wissen wohl, daß der Bey ein strenger und gerechter, auch außerordentlich schneller Richter ist. Er überläßt die Rechtsprechung nicht gern Andern. So wird er auch heute über die Ereignisse dieser Nacht bereits am Vormittage aburtheilen.«

»Was für Ereignisse?«

»Nun, es hat Einer drei Haremsdamen entführt!«

»Donnerwetter!«

Er entfärbte sich.

»Und auf das Schiff schaffen wollen.«

»Hol's der Teufel!«

»Ah, Mylord, das sind Sie!« lachte Normann.

»Laßt mich mit dieser Geschichte in Ruhe! Sie ist vorüber. Ich hätte dabei den Hals brechen können, habe ihn aber nicht gebrochen, damit könnt Ihr Euch gerade so zufrieden geben, wie ich!«

»Was Sie betrifft, ja; aber was diesen Juden und seinen Helfershelfer anbelangt, so wird ihnen kurzer Prozeß gemacht werden. Dazu aber müssen doch auch Sie verhört werden.«

»Unsinn! Ich will gar nicht verhört werden! Wer etwas erfahren will, mag die Schurken selber fragen!«

»Bitte, überlegen Sie! Sie sind nach den Gesetzen aller Länder und Völker gezwungen, Auskunft zu ertheilen. Nicht etwa?«

»Geht mir mit diesen Ländern, und bleibt mir auch mit diesen Völkern vom Leibe. Das Verhör ist öffentlich. Niemand braucht zu wissen, in welcher Weise ich mir einen Spaß gemacht habe.«

»Es ist allerdings Einiges dabei, was am Besten verschwiegen werden möchte. Aber gerade darum sollen Sie den Kaffee hier bei mir trinken.«

»Was hat der Kaffee mit dieser Angelegenheit zu thun?«

»Und nach dem Kaffee wird der Bey erfreut sein, Sie bei sich zu empfangen, um sich die betreffenden Erlebnisse von Ihnen selbst erzählen zu lassen.«

Das brachte sofort die gewünschte Wirkung hervor.

»Ah! So pfeift der Spatz?« meinte der Lord.

»Ist das etwa falsch gepfiffen?«

»O, im Gegentheile sehr richtig, sehr richtig! Wer wird bei dieser Audienz noch zugegen sein?«

»Kein Mensch. Der Bey will nur Sie hören, und nach Ihrer Darstellung wird er sein Urtheil abwägen.«

»Ist kein übler Kerl, dieser Bey von Tunis, kein übler Kerl, wahrhaftig! Na gut, trinken wir also den Kaffee hier im Bardo. Aber wie steht es denn mit dein Kiosk des Gebetes? Wir müssen uns doch überzeugen, daß in dieser Angelegenheit – «

»Bitte, bitte,« fiel Steinbach ihm in's Wort. »Das ist besorgt. Der Bey hat sich mit eigenen Augen überzeugt, daß er Ihnen wahrscheinlich sein Leben zu verdanken haben wird. Er wird Sie wahrscheinlich selbst ersuchen, für heute in dieser Sache Stillschweigen zu üben. Jetzt aber wollen wir sehen, ob der Kaffee fertig ist.«

Er klatschte abermals in die Hände und augenblicklich wurde der braune Trank von Mokka gebracht, und zwar von wem? Von Hiluja vom Stamme der Beni Abbas.

Da sie keinen verhüllenden Mantel trug, waren ihre Schönheiten bis in's Einzelnste zu erkennen.

»Tausend Donner!« entfuhr es dem Engländer.

Er sagte jetzt zwar nichts mehr, aber seine Augen drohten die Araberin zu verschlingen. Er folgte ihren anmuthigen Bewegungen mit unverwandten Blicken, und dann, als sie wieder fort war, holte er tief, tief Athem und fragte:

»Himmelelement! Gehört die dem Bey?«

»Nein.«

»Wem denn?«

»Niemand.«

»So ist sie frei?«

»Vollständig!«

»Darf ich fragen, wer ihr Vater ist und wo ihre Verwandten sich befinden?«

»Viele Tagereisen tief in der Wüste.«

»Ah! Ich hoffe doch, daß sie noch einmal hereinkommt!«

»Ja, wenn sie die Tassen holt.«

»Dann werde ich sie fragen, ob sie mit mir nach London abdampfen will – «

»Gefällt sie Ihnen?«

»Welche Frage! Das ist ja die reine Göttin! Ich bin weder ein junger Bursche, noch ein alter Weibernarr; aber für einen Kuß von Der gäbe ich – «

»Nun, wie viel?«

»Mich selber!«

»Da werden Sie sich wohl behalten müssen.«

»Wieso?«

»Sie verschenkt oder verhandelt weder ihre Küsse, noch wird sie mit nach London fahren.«

»Wissen Sie das so genau?«

»Ja.«

»Sapperment! Ich bin Lord Eagle-nest, verstanden? Und ich habe mir heute Nacht vorgenommen, mich zu verheirathen.«

»Mit einer Araberin?«

»Sogar mit einer Hottentottin, wenn sie mir gefällt.«

»Ich kann Ihnen dennoch keine Hoffnungen machen. Dieses Beduinenmädchen fährt mit mir nach Egypten.«

»Oho! Mit Ihnen?«

»Ja.«

»Ah, ich verstehe! Sie geben sie natürlich nicht her!«

»Sie verstehen mich falsch. Sie wurde in der Wüste gefangen, während sie zu einer Schwester nach Egypten wollte; ich befreite sie und werde sie, da ich ja nach Egypten muß, zu dieser Schwester bringen. Das ist aber auch Alles. Sie steht unter meinem Schutze.«

»So, so! Na, vielleicht muß ich auch nach Egypten. Wer kann wissen, was passirt. Versteht sie französisch oder englisch?«

»Nein, kein Wort, sondern nur arabisch.«

»O wehe! Und von dem Arabisch verstehe wieder ich kein Wort. Das ist fatal, höchst fatal!«

Steinbach erzählte nun ausführlicher, in welcher Weise er die Bekanntschaft Hiluja's gemacht hatte. Er war noch nicht fertig, so erschien ein Bote des Bey, um den Engländer abzuholen. Dieser folgte ihm mit einer Art Grauen vor dieser Unterredung, welche eigentlich etwas von reumüthiger Privatbeichte an sich hatte.

Aber als er dann später wiederkehrte, strahlte sein Gesicht vor Freude. Er erzählte zwar nicht, welche Discretionen ihm der Bey versprochen hatte, aber er lobte ihn aus dem Grunde seines Herzens. Er hatte die Versicherung erhalten, daß gewisse Seiten seines gestrigen Erlebnisses gar nicht in Erwähnung gebracht werden sollten. Um seine Güte voll zu machen, hatte der Bey seine über hundert Jahre alte Staatskarosse anspannen lassen, um ihn und die beiden Deutschen nach dem italienischen Hause fahren zu lassen.

Als sie dort ankamen, fanden sie Saïd, den Arabadschi vor, welcher bereits seit längerer Zeit auf sie gewartet hatte. Er brachte von Tschita und Zykyma die Botschaft, daß sie um Mitternacht kommen sollten, um die beiden Freundinnen abzuholen, da diese ihre Vorbereitungen darnach treffen würden.

»Und Tschita's Mutter?« fragte Normann. »Ist sie denn so schnell hergestellt?«

»Gesund ist sie nicht. Der Arzt sagt, sie habe sich die Hüfte verstaucht und es sei da vielleicht eine Blutung eingetreten.«

»Die Hüfte verstaucht, die Hüfte? Hm, ich bin nicht Arzt und weiß also nicht, ob man sich das Hüftgelenk verstauchen kann, das aber weiß ich, daß diesen orientalischen Aerzten nicht viel zugetraut werden kann. Eine Verstauchung mit darauf folgender Blutung, bei welcher also mehr oder weniger eine Zerreißung stattgefunden hat, scheint mir eine höchst schmerzhafte und ebenso langwierige Krankheit zu sein. Da also steht es mit der Frage schlecht, ob die Patientin bereits heute schon mit uns gehen kann.«

»Der Pascha hat gesagt, daß sie heute Abend herauf zu ihrer Tochter geschafft werden soll, um in die Pflege derselben zu kommen. Vorher will er mit Tschita und Zykyma einen Spazierritt unternehmen.«

»Wohin?«

»Zufälliger Weise weiß ich das, da ich sie begleiten soll. Es soll hinaus nach dem Bade l'Enf gehen.«

»Das ist Seebad. Was will er da mit ihnen?«

»Ich weiß es nicht. Er verfolgt wohl den einzigen Zweck eines Spazierrittes: er will ihnen eine Freude machen, so daß sie gute Laune bekommen und freundlicher gegen ihn sind, als bisher. Denn er hat noch nicht ein einziges Lächeln auf ihren Lippen zu sehen, oder ein freundliches Wort aus ihrem Munde zu hören bekommen.«

»Das mag sein. Hat er vielleicht gesagt, wenn er wieder zurückkehren werde?«

»Nein. Aber es läßt sich denken, daß er bereits vor Nacht wieder da sein wird.«

Diese Voraussetzung war allerdings sehr falsch.

Daß Saïd das nicht wußte, lag daran, daß er nicht der Vertraute des Pascha's war. Der Derwisch war da viel besser unterrichtet, als der kleine, brave Arabadschi.

Als der Derwisch gestern Normann und Wallert gesehen hatte und nach dem Hause gegangen war, um zunächst zu erfahren, ob etwas Regelwidriges geschehen sei, hatte er zunächst den Wächter des Gartens befragt. Die Antwort desselben hatte ihm zu denken gegeben, da er sagte, daß er öfters ein höchst verdächtiges Rascheln gehört habe, welches wohl von keinem Thiere, sondern vielmehr von einem oder mehreren Menschen verursacht worden sei; doch habe er trotz aller Mühe und Aufmerksamkeit keinen einzigen Menschen erblicken können.

Der Derwisch ließ eine Papierlaterne anbrennen und, unter Vermeidung allen Aufsehens, den Garten untersuchen.

Dabei wurden denn auch die Spuren der beiden Freunde entdeckt. Sie waren, von der Pforte aus längs des Zaunes hingekrochen und hatten dabei das Gras niedergedrückt. Von da führte die eine Fährte nach der Ecke, wo Wallert geworfen hatte, und die andere hinter die Bank, dem Lauscherposten Normann's. Beide Spuren vereinigten sich sodann und führten nach der Pforte zurück.

»Sie sind hier gewesen, hier im Garten!« sagte der Derwisch.

»Wer?«

»Zwei Männer, welche Du zwar gehört, aber nicht ergriffen hast, weil Du ein Esel bist. Es scheint, daß der Eine von ihnen hier an der Veranda gewesen ist. Laß sehen!«

Er leuchtete hin und bemerkte die Spuren von Normann's Stiefel. Doch gab er sich dabei solche Mühe, daß er von den beiden Mädchen oben gar nicht bemerkt wurde.

»Eigentlich hast Du eine strenge Strafe verdient,« sagte er zu dem Wächter. »Ich hoffe, daß Du jetzt doppelt aufmerksam bist. Es ist möglich, daß sie wiederkommen. Du hast jeden Fremden, welcher den Garten betritt, niederzuschießen. Zunächst aber sagst Du keinem Menschen, was wir hier gesehen haben. Man darf nicht einem Jeden trauen.«

Jetzt begab er sich zu dem Pascha, welcher noch nicht zu Ruhe gegangen war, da er soeben erst den Bericht Saïds entgegengenommen und diesen dann verabschiedet hatte. Er wunderte sich nicht wenig, den Derwisch noch so spät bei sich zu sehen. Seine Verwunderung aber wurde zur Bestürzung, als er hörte, wen dieser gesehen habe.

»Wallert! Der Bruder Tschita's!« stieß er hervor. »Das ist nicht möglich!«

»Soll ich etwa meinen Augen nicht trauen?«

»Dennoch irrst Du Dich!«

»Oder auch meinen Ohren nicht? Ich hörte sie sprechen.«

»So müssen sie gleich nach uns Constantinopel verlassen haben. Sollten sie etwa gar auf der Yacht ihres Freundes, des Engländers, hier angekommen sein?«

»Das ist möglich.«

»Man muß sich davon überzeugen. Ich werde sogleich ein Pferd nehmen und nach dem Hafen reiten, um zu forschen, ob diese Yacht etwa vor Anker liegt.«

»Du wirst sehr vorsichtig sein müssen.«

»Ich berühre die Stadt gar nicht, sondern ich reite um sie herum.«

»Wäre es nicht besser, vorher die Rückkehr meines Gefährten abzuwarten, damit wir erfahren, wo diese beiden Menschen ihre Wohnung aufgeschlagen haben?«

»Ja, das wollen wir.«

»Die Wächter werden während unserer Abwesenheit doppelt aufpassen müssen.«

»Das ist nicht nöthig. Der Tag ist nahe, diese beiden Hallunken werden jetzt nicht zurückkehren, und wir dürfen den Mädchen auch nicht durch eine so verschärfte Wachsamkeit verrathen, daß wir Alles wissen. Also Du meinst, daß einer von ihnen oben gewesen ist?«

»Ganz gewiß. Ich erkannte seine Tapsen im Sande. Und oben stand der eine Laden offen.«

»Tausend Teufel! So ist wohl gar die Flucht verabredet worden! Was meinst Du?«

»Was sonst? Vielleicht wissen sie jetzt gar, daß sie Geschwister sind. Ein Glück, daß die Stumme nicht auch mit oben war. Da wäre wohl die Flucht gar schon bewerkstelligt worden.«

»Jetzt möchte ich auch glauben, daß diese beiden Schurken in Constantinopel bei mir im Garten gewesen sind.«

»Das läßt sich sehr vermuthen.«

»Vielleicht haben die Mädchen schon dort entführt werden sollen; wir aber sind noch im letzten Augenblicke dazwischen gekommen. Wie aber war es ihnen nur möglich, über das Wasser und die hohen Mauern in den Garten zu gelangen.«

»Wer weiß es! Vielleicht haben sie einen Helfershelfer.«

»Hölle und Tod! Wohl etwa hier auch!«

»Ich möchte es vermuthen. Wie wäre es ihnen sonst so schnell gelungen, unseren Aufenthalt zu entdecken?«

»Wer sollte es sein?«

»Ich nicht!«

»Ich natürlich auch nicht. Von den beiden Wächtern ist es auch keiner, denn ihnen sind sie ganz unbekannt. So blieb also nur Saïd, der Arabadschi übrig.«

»Ich wüßte keinen Andern.«

»Aber gerade ihm möchte ich nicht mißtrauen. Sollte hinter seinem offenen, ehrlichen Gesichte die Lüge und der Verrath stecken. Das ist unmöglich!«

»So begreife ich Dich nicht. Gerade solchen freundlichen, glatten Gesichtern ist am Allerwenigsten zu trauen. Du gewährtest ihm zu viel Raum und Freiheit; Du läßt ihm Dinge wissen, von denen er eigentlich keine Ahnung haben sollte.«

»Ah! Ich werde ihn prüfen; ich werde ihn auf die Probe stellen, und wehe ihm, wenn er die Probe nicht besteht! Er darf nichts von Dem ahnen, was wir erfahren haben. Hast Du heute auf Deinem Wachtposten vielleicht noch etwas Wichtiges erfahren?«

»Erfahren nicht, aber gethan habe ich etwas, was wohl viel wichtiger ist, als Alles, was wir bisher erfahren haben.«

»Was?«

»Das kann ich Dir auch dann sagen. Jetzt möchten wir gehen. Mein Bote könnte zurückkehren und nicht warten wollen, wenn er mich nicht unter dem Mauerbogen findet.«

Sie gingen. Vorher aber überzeugte sich der Pascha, daß Saïd, der Aribadschi, sich zur Ruhe begeben habe, und befahl den beiden Wächtern die verschärfteste Vorsicht an.

Als sie den Bogen der Wasserleitung erreichten, befand sich der Bote, nämlich der Lord, natürlich noch nicht da. Er hatte ja gar nicht die Absicht, wiederzukommen.

»Vielleicht hat er die Beiden sehr weit begleiten müssen,« meinte der Derwisch, »wohl gar bis an das andere Ende der Stadt; da kann er freilich noch nicht hier sein.«

»So warten wir. Ich muß unbedingt wissen, wo diese beiden Menschen wohnen. Unterdessen kannst Du mir sagen, was Du so sehr Wichtiges gethan hast. Bezieht es sich auf unsere hiesigen Absichten?«

»Natürlich. Ich dachte daran, daß Du bereits zweimal bei dem Bey gewesen bist –«

»Leider umsonst!«

»Und daß er wohl auch seine Gesinnung nicht ändern wird. Es giebt Hier einen uns feindlichen Einfluß, welcher uns um so schädlicher ist, als wir ihn nicht kennen. Wir haben auch keine Zeit, lange Nachforschungen anzustellen, da es mit unseren Erfolgen so große Eile hat.«

»Der Thronfolger ist unserer Angelegenheit günstiger gesinnt, als der Bey.«

»Hast Du mit ihm gesprochen?«

»Ja, heute am Tage.«

»Ahnt er, wer und was Du bist?«

»Vielleicht. Ich mußte ihm doch errathen lassen, daß ich nicht ein gewöhnlicher Handelsmann bin. Er hat mich mit großer Freundlichkeit behandelt und mich für sehr bald wieder bestellt. Er scheint den Bey nicht zu lieben. Stände er am Ruder, so kostete es mich ein Wort, und meine Sendung würde glücken.«

»So stelle ihn doch an das Ruder!«

»Ich?« fragte der Pascha erstaunt.

*


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