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»Wie soll ich das thun?«
»Indem Du dem jetzigen Herrscher das Ruder nimmst.«
»Bist Du toll! Das könnte nur mit Hilfe einer Palastrevolution geschehen, und dazu besitze ich weder die Zeit, noch den nöthigen Einfluß.«
»Palastrevolution! O Allah!«
Diese Worte waren in einem sehr verächtlichen Tone gesprochen. Darum fragte der Pascha fast zornig:
»Welchen Ton erlaubst Du Dir! Weißt Du vielleicht ein anderes, besseres und leichteres Mittel?«
»Ja, ein Mittel, welches augenblicklich und sicher wirkt.«
»So sage es!«
»Der – Tod!«
»Teufel! Der Herrscher hat keine Lust, zu sterben.«
»Stirbt der Mensch etwa nur dann, wenn er Lust dazu hat?«
»Nein; aber er ist kräftig, gesund!«
»Stirbt man nur an einer Krankheit?«
»Meinst Du vielleicht – Mord?«
»Fürchtest Du Dich vor diesem Worte?«
»Nein; das habe ich genugsam bewiesen!«
»Ja, Du stammst aus einer guten, harten Wurzel; Dein Vater war ja in Kurdistan geboren, wo ein Eimer Menschenblutes keinen Piaster werth ist. Doch jetzt bist Du nicht mehr in den thatkräftigen Jahren der Jugend. Jetzt ist Dir der Geruch des Blutes zuwider.«
»Oho! Wenn ich erreichen kann, was ich erreichen will, so ist mir jedes Mittel recht.«
»Nun, was zauderst Du?«
»Ich müßte wissen, daß es durch kein anderes Mittel zu erreichen ist.«
»So suche nach anderen Mitteln!«
»Und sodann darf ich nichts thun, was gegen den Willen Dessen ist, der mich gesandt hat.«
»Willst Du da erst lange fragen! Du erreichst, was Du erreichen willst. Wer kann Dir die That nachweisen?«
»Wie soll sie geschehen?«
»Es giebt verschiedene Arten, zu sterben.«
Der Pascha schwieg. Die Stimme des Versuchers hatte den richtigen Punkt getroffen. Er überlegte. Erst nach einer längeren Pause sagte er:
»Du bist ein Teufel, aber auch so klug und listig wie der Gebieter der Hölle.«
»Es bedarf keiner außerordentlichen List, um zu wissen, daß man die Erbschaft eines Menschen desto früher macht, je eher er stirbt.«
»Aber es ist ein Mord!«
»Wo denkst Du hin! Es giebt keinen Mord!«
»Wieso?«
»Die Schicksale und das Ende des Menschen sind im Buche des Lebens verzeichnet seit Anbeginn. Da giebt es keine Aenderung. Wenn Allah seit Ewigkeit bestimmt hat, daß Mohammed es Sadak Bey von meiner Hand sterben soll, so bin ich kein Mörder, wenn ich ihn tödte, sondern ich erfülle nur den Willen des Allmächtigen.«
»Du sprichst von Dir. Willst etwa Du den Streich führen?«
»Warum nicht! Aber was habe ich davon?«
»Viel, sehr viel!«
»Was bietest Du?«
»Was wirst Du fordern?«
»Einen Theil der Gewalt, welche Dir zufällt.«
»Meine Gnade würde Dich beleuchten.«
»Bedenke, wenn Du Deine jetzige Aufgabe so schnell erledigst, so stehen Dir alle Würden offen. Der Vezier hat nie eigentlich die Gunst des Großherrn besessen; wenn der Herrscher von Tunis jetzt stirbt, so fällt der Großvezier und sämmtliche Minister und Beamte der hohen Pforte mit ihm. Neue steigen empor und unter diesen Neuen wirst Du einer der Ersten sein.«
»Das ist sicher; das weiß ich ebenso gut, wie Du es mir sagst.«
»Werde ich Dein erster Schreiber sein. Dein Secretär, wenn Du Minister wirst?«
»Ja.«
»Wenn Du mir dies für gewiß versprichst, so werde ich noch heute handeln.«
»Ich verspreche es Dir.«
»Schwöre es!«
»Das habe ich eigentlich nicht nöthig, denn ich habe Dir noch niemals mein Wort gebrochen; aber ich will Dir dennoch den Schwur bei dem Barte des Propheten geben.«
»Gut! Paß auf, was heute geschieht!«
»Darf ich es nicht vorher wissen?«
»Du darfst es wissen, wenn Du mir versprichst, mich nicht dabei zu stören und mir auch nicht abzureden.«
»Ich gebe Dir dieses Versprechen unbedenklich, da ich weiß, daß Deine That nur ganz dasselbe bezweckt, was auch ich will. Also sprich!«
»Hast Du einmal von den »Freunden der Patrone« gehört?«
Der Pascha erschrak; das war ihm trotz des noch herrschenden Dunkels anzusehen.
»Nun, antworte!« sagte der Derwisch.
»Ich habe von ihnen gehört«
»Nun, was?«
»Es giebt mehrere heimliche Verbindungen, zu denen besonders Derwische und Sosta's (Studenten) gehören. Eine dieser Verbindungen nennt ihre Glieder »Freunde des Giftes«, die andere giebt den Ihrigem den Namen »Freunde der Patrone«. Die eine Verbindung schafft ihre Feinde durch Gift bei Seite, während die andere Jeden, der ihr im Wege steht, in die Luft sprengt.«
»So ist es. Welches Mittel ist wohl besser, das Gift oder die Patrone?«
»Ich habe da keine Erfahrung.«
»Die Patrone ist besser, denn sie wirkt sicher, schneller und radical; sie läßt keine Spur zurück.«
»Und Du? Bist Du etwa Mitglied?«
»Ich bin ein Freund der Patrone.«
»Warum erschrickst Du, oder was wunderst Du Dich?«
»Ich habe keine Ahnung gehabt, daß Du zu dieser Verbindung gehörst.«
»Wir halten unser Geheimniß fest und sprechen nur dann von demselben. Wenn es unumgänglich nöthig ist. Und das ist jetzt der Fall.«
»Würdest Du etwa auch mich auf diese Weise tödten?«
»Ja, wenn Du ein Feind meiner Verbindung würdest.«
»Ah, das ist sehr aufrichtig!«
»Daraus magst Du erkennen, daß ich Dein Freund bin.«
»Ich könnte aber auch die Erkenntnis; daraus ziehen, daß es sehr notwendig ist. Dich zu meiden.«
»Das würde Dir gar nichts helfen. Du bist uns bekannt, und was ich nicht thun könnte, würde ein Anderer thun.«
»Ich danke Dir! Was aber hat diese Verbindung mit unserer Aufgabe zu schaffen?«
»Das ahnst Du nicht?«
»Soll etwa der Bey von Tunis in die Luft gesprengt werden?«
»Warum nicht?«
»Von Dir?«
»Du hast mir ja bereits eine Belohnung zugesichert.«
»Ja.«
»Wo nimmst Du die Patrone her?«
»Jedes Mitglied der Verbindung hat eine Waffe bei sich, ich meine eine Patrone.«
»Und wo soll es geschehen?«
»Im Bardo.«
»Wann?«
»Heute, während des Nachmittaggebetes.«
»O Allah! So schnell!«
»Wenn ich etwas thue, so thue ich es schnell und ohne lange zu zögern.«
»Aber die Patrone müßte doch vorher gelegt werden.«
»Sie liegt bereits an ihrer Stelle. Ich habe sie heute in der Nacht in das Gartenhaus des Gebieters gebracht.«
Er erzählte ihm so viel von dem Ereignisse, wie er für nöthig hielt.«
»Wie aber willst Du sie entzünden?« fragte dann der Pascha.
»Das ist sehr leicht. Es bedarf nur eines kleinen electrischen Funkens. Verstehst Du etwas von Electricität?«
»Nicht viel. Ich bin in diesen abendländischen Wissenschaften nicht erfahren. Ich verachte sie.«
»Auch die Mitglieder meiner Verbindung wissen nur sehr wenig davon; aber dieses Wenige ist vollständig genug. Hier im Inneren meines Turbans habe ich ein kleines Fell. Hier die Scheide meines Messers ist von Glas; sie ist mit einem Stoffe überzogen, den ich nicht kenne; vielleicht ist es Pech oder Harz. Will ich die Patrone entzünden, so reibe ich die Messerscheide recht kräftig mit dem Felle und halte sie dann an den Draht, welcher zur Patrone führt. Der Funke springt über und sie zerplatzt in demselben Augenblicke.«
»Das giebt eine Explosion, welche auch Dich vernichten kann.«
»Da brauchst Du gar keine Sorge zu haben. Die Patrone wirkt nur auf ganz kurze Entfernung, aber um so kräftiger. Uebrigens befindet sich ja die Gartenmauer zwischen mir und meinem Opfer.«
»Aber der Knall wird Dich verrathen!«
»Wieso?«
»Man wird herbeieilen, sobald man ihn hört, und Dich ergreifen.«
»Wird man denn wissen, daß ich die Ursache bin. Ich gehe spazieren. Wenn der Muezzin von dem Minaret herabruft: »Auf Ihr Gläubigen, rüstet Euch zum Gebete«, tritt der Bey in sein Gartenhaus und knieet auf das Kissen nieder. Ich lustwandele langsam an der Mauer hin und habe die Messerscheide in der Hand, welche ich bereits vorher mit dem Felle electrisch gemacht habe. Im Vorübergehen berühre ich den Draht und darin stirbt der Bey. Wer will mir etwas nachweisen? Wer will so schnell herbeieilen und auch so schnell die Drahtleitung entdecken, daß er sagen könnte, ich sei der Thäter? Und selbst dann, wenn man mich angreift, wird man nichts bei mir finden, womit man beweisen könnte, daß ich den Funken erzeugt habe.«
»Das Messer?«
»Das ist eben ein Messer. Niemand sieht es ihm an, daß es electrisch gemacht werden kann.«
»Das Pelzstück?«
»Das erscheint ganz unschuldig. Ich habe es im Turban, weil es die Sonnengluth vom Scheitel abhält. Ueberhaupt wird es keinem Menschen einfallen, diese beiden Gegenstände mit einem Verdachte zu belegen.«
»Du magst Recht haben. Diese Sache ist sehr schlau gedacht und dabei doch so ganz außerordentlich einfach. Der Erfinder muß ein sehr kluger Mann sein.«
»Das ist er ganz gewiß.«
»Hast Du mehrere Patronen?«
»Nein. Ich packte nur diese eine ein, als Du mir sagtest, daß ich mit nach Tunis gehe. Aber unsere Verbindung erstreckt sich sehr weit. Und wo ich ein Mitglied finde, kann ich eine Patrone bekommen.«
»Kennt Ihr Euch denn?«
»Wir erkennen uns an gewissen Worten und Zeichen, die ich Dir aber nicht mittheilen darf. Doch jetzt genug hiervon! Sage mir kurz und bündig, ob Du mit meinem Vorhaben einverstanden bist oder nicht.«
»Ich bin einverstanden, sobald ich die Sicherheit habe, daß ich bei dem Bey meine Absicht nicht erreiche.«
»Soll ich etwa warten, bis man die Patrone entdeckt?«
»Nein. Ich werde noch während des Vormittags zu ihm gehen; daß ist das dritte Mal. Giebt er mir da keine günstige Antwort, so magst Du Dein Werk thun.«
»Gut, so soll es sein. Aber der Tag ist bereits angebrochen und mein Bote kommt nicht zurück.«
»Vielleicht verräth er Dich?«
»Der? Ihm hatte Allah kein Gehirn gegeben. Ein Dummkopf ist niemals ein Verräther. Er hat das Geschick nicht gehabt, die beiden Männer im Auge zu behalten und sie also verloren. Nun getraut er sich natürlich nicht zurück zu mir.«
»Wie aber, wenn er Dich durchschaut hat und das mit der Drahtleitung zur Anzeige bringt!«
»Das fällt ihm nicht ein. Ich habe ihm eine Haremsfrau versprochen und er glaubt an sie, wie an seine Seligkeit.«
»Aber nach der Explosion wird sich die Kunde davon verbreiten und er weiß sodann, woran er ist.«
»Er kennt mich aber doch nicht. Uebrigens ist er ein Christ, ein Ungläubiger. Sollte er ja etwas sagen, so wäre es ja zu seinem eigenen Verderben. Man würde ihn festnehmen und denken, daß er den Draht gelegt hat. Horch! Man spricht bereits das Morgengebet. Jetzt kannst Du bereits ein Thier bekommen, um nach dem Hafen zu reiten und nach der Yacht zu sehen.«
»Und was thust Du?«
»Ich bleibe noch eine Weile hier, um zu sehen, ob der Mann nicht vielleicht doch noch kommt.«
Der Pascha schüttelte den Kopf und sagte:
»Und Du nennst diesen Christen einen dummen Menschen?«
»Was willst Du sagen?«
»Du meinst, Allah habe ihm kein Gehirn gegeben? Nein, Dir fehlt es. Dir selbst.«
»Herr, ich begreife Dich nicht!«
»Er soll und darf Dich nicht kennen, und doch willst Du hier stehen bleiben, um ihn zu erwarten, jetzt, da es heller Tag geworden ist?«
Da schlug der Derwisch sich mit der Hand an den Kopf und sagte unter einem verlegenen Lachen:
»Du hast Recht. So sieht man die Sonne bei offenem Auge nicht, und so will man in das Wasser springen, ohne naß zu werden. Ich gehe nach Hause, um die Schönheiten Deines Harems bis zu Deiner Rückkehr zu bewachen.«
Er ging zurück. Der Pascha aber schritt der Stadt entgegen, in welcher sich bereits das Leben zu regen begann. Ein Eselsjunge hielt schon am alten Thore. Der Pascha stieg auf und ritt nach dem Hafen.
Richtig, da lag die Yacht, die er ja kannte!
Anstatt direct zurück zu kehren, ritt er nach Norden zu. Erst zwischen den beiden Vorgebirgen Busaid und Chamart hielt er an. Wunderbarer Weise lag dort ein Langboot, wie man sie auf Dampfern hat, am Lande und dabei saßen zwei türkische Matrosen, ihre Pfeifen rauchend. Sie schienen ihn zu kennen, denn bei seinem Erscheinen sprangen sie schnell auf und verbeugten sich tief.
»Wo ist der Steuermann?« fragte er.
»Dort hinter dem Felsen schläft er.«
»Soll ich etwa selbst gehen, um ihn zu wecken?«
Der Eine sprang eilig fort und kehrte bald darauf mit dem Genannten zurück, dessen Gesicht, trotzdem es jetzt verschlafen aussah, einen ungemein pfiffigen Ausdruck besaß.
»Was befiehlst Du, o Pascha?« fragte er.
»Habt Ihr stets hier gelegen?«
»Ja. Du hattest es ja befohlen.«
»Das ist recht. Melde dem Capitän, daß er die Anker lichten und um die Halbinsel Dakhul fahren soll. Wahrscheinlich muß ich Tunis heimlich verlassen. In diesem Falle reite ich per Kameel nach der anderen Seite, wo Ihr mich nördlich von dem Orte Klibiah am Vorgebirge al Melhr beim Aufgange der Sonne auf Euch warten sehen werdet. Ihr nehmt mich im großen Boote auf, denn ich werde wahrscheinlich Personen bei mir haben, welche sich weigern werden, mit an Bord zu gehen.«
»Und wenn Du nicht da bist, Herr?«
»So bin ich in Tunis geblieben und Ihr kehrt dorthin zurück und haltet hier Wache wie bisher.«
Jetzt kehrte er befriedigt nach Hause zurück. Er hatte dafür gesorgt, daß er, im Falle der Anschlag mit der Patrone mißlingen sollte, Gelegenheit zur schleunigen Flucht behielt. Das war die Hauptsache.
Zu Hause angekommen, fand er Saïd, den Arabadschi, bereits wieder munter. Er sagte ihm, daß er heute am Nachmittage einen Spazierritt nach dem Seebade l'Enf mitmachen müsse. Auch das war eine Vorbereitung zur vielleicht nöthigen Flucht. Saïd sowohl, als auch die beiden Mädchen sollten keineswegs ahnen, daß sie wieder zur See gehen müßten, sondern vielmehr denken, daß es sich wirklich um einen einfachen Spazierritt handele.
Wirklich machte sich auch der Arabadschi sogleich auf, um Normann und Wallert mitzutheilen, daß dieser Ritt nach dem Bade beabsichtigt werde. Auch davon, daß die Stumme heute Abend nach oben geschafft werden solle, hatte er gehört, und theilte es den beiden Freunden mit. Leider war dies aber nur eist kluger Coup des Pascha gewesen. Dieser hatte vielmehr gar die Absicht, nur mit den Mädchen fortzugehen, falls er zur Flucht gezwungen sei, und die Alte, welche ihm ungemein lästig war, zurückzulassen. Das theilte er dem Derwisch mit und dieser stimmte bei, nur aus einem anderen Grunde, als der Pascha meinte.
»Also wenn es mißglückt, willst Du fliehen,« meinte der Freund der Patrone. »Was aber thue ich?«
»Du fliehst natürlich mit.«
»Wo treffe ich Dich?«
»Natürlich hier. Ich werde Alles zur Flucht bereit halten.«
»Sie wird nicht nöthig sein.«
»Ich will es hoffen.«
»Selbst wenn der Schlag nicht glücken sollte, sehe ich keinen Grund zur Flucht, da es doch keinem Menschen einfallen wird, uns für Diejenigen zu halten, welche die Veranlassung getroffen haben.«
»Dennoch aber ist es gut, auf alle Fälle gefaßt zu sein.«
»Wer geht dann mit?«
»Alle natürlich.«
»Auch die beiden Wächter?«
»Ja. Wir brauchen sie sehr nothwendig, besonders da wir dem Arabadschi nicht mehr trauen. Wir haben die ganze Nacht zu reiten und ohne sie müßten wir gewärtig sein, daß Einer oder auch gar wohl Beiden die Flucht gelingen könnte. Ich werde Kameele bestellen mit Frauensänften. Sie und unsere Pferde müssen zur Stunde des Nachmittagsgebetes bereit stehen. Ich gehe dann mit Dir, um Zeuge zu sein, ob unser Anschlag gelingt oder nicht –«
»Ich brauche Dich nicht dabei!«
»Das weiß ich. Ich gehe auch gar nicht mit hin, sondern ich bleibe von weitem Zeuge Deiner Heldenthat. Jetzt aber werde ich mich langsam nach der Stadt begeben, da der Bey heute in seinem Palaste zu Gericht sitzt und vorher Audienz ertheilt. Da soll es sich entscheiden, ob wir die Patrone platzen lassen oder nicht. Bewache Du unterdessen das Haus.«
Er ging. Der Derwisch blickte ihm nach, machte dann eine höhnische Geberde und murmelte:
»Selbst wenn es mißlänge, würdest Du diese beiden herrlichen Geschöpfe nur für mich retten. Tschita muß mein Weib werden. Sie muß – muß – muß! Ihre Mutter wollte es nicht sein, nun wird die Tochter an ihre Stelle treten. Du aber, Ibrahim Pascha, bist mein Sclave und Werkzeug. Du willst Minister werden und ich werde es sein. Du arbeitest für mich, und wenn ich die Früchte genieße, werde ich Dir die Schaalen an den Kopf werfen. Laufe hin!«
Und der Pascha lief hin. Er dachte nicht, welch einer Begegnung er jetzt entgegengehe.
Er fand das Vorzimmer des Bey bereits von vielen Leuten besetzt. Sie Alle wollten mit dem Herrscher sprechen. Ein Jeder hatte sein eigenes Anliegen. Davon aber hütete er sich zu sprechen. Der Gegenstand der leise geführten Unterhaltung war vielmehr das Ereigniß, welches sich heute in der Nacht mit dem berüchtigten Juden Jakub Afir zugetragen hatte. Er und seine Spießgesellen waren gefangen genommen worden. Das gab einen Rechtsfall, weicher gewiß tausende von Zuschauern im Hofe des Palastes versammeln werde.
Auch dieser Gegenstand war endlich trotz des Interesses, welches er bot, erschöpft. Die Zeit verging und doch wurde Keiner vorgelassen. Man fragte, was der Bey, denn jetzt so nothwendig zu thun und zu besprechen habe. Man hörte seine Stimme im Audienzzimmer. Es mußte Jemand bei ihm sein. Derjenige, welcher von allen Anwesenden der Erste gewesen war, sagte, daß Derjenige, weicher sich darin befinde, bereits bei dem Herrscher gewesen sei, als man das Vorzimmer geöffnet habe. Es mußte sich um eine Person oder Sache von allergrößter Wichtigkeit handeln.
Endlich schien diese lange Unterredung zu Ende zu sein. Die beiden Stimmen näherten sich dem Ausgange. Man hörte den Bey sagen:
»Also sind wir in jeder Beziehung einig. Sie könnten bereits abreisen, wenn ich Sie nicht so gern noch für kurze Zeit bei mir sehen möchte. Wollen Sie meinem Tunis noch einige Zeit schenken?«
»Einige Tage wohl, wenn Sie befehlen. Länger aber zu verweilen, ist mir nicht erlaubt.«
»Wann sehen wir uns also wieder?«
»Nun, dann nach –«
»Hm, ja! Nach dem Gebete! Allah geleite Sie!«
Die Vorhänge wurden auseinander geschoben und Beide erschienen, der Bey, um seinen Gast bis zur Thür zu geleiten, und dieser Letztere, sich mit einer tiefen Verbeugung zu verabschieden.
Bei dem Anblicke dieses Mannes wich das Blut aus Ibrahim Pascha's Wangen. Er sah Steinbach, den Mann, welchen er in den Fluthen des goldenen Hornes ertrunken wähnte. War er es denn wirklich? Unmöglich! Es war jedenfalls ein Anderer, welcher nur eine so ungemeine Aehnlichkeit mit dem Ertrunkenen besaß.
Da aber erblickte auch Steinbach den Pascha. Ueber sein schönes Gesicht glitt ein unbeschreibliches Lächeln. Er trat an ihn heran und fragte in türkischer Sprache, während er mit dem Bey französisch gesprochen hatte:
»Du hier? Wie ist das möglich?«
Der Pascha nahm sich zusammen, heuchelte so viel Gleichgiltigkeit, wie ihm möglich war, und antwortete:
»Kennst Du mich?«
»Jedenfalls doch!«
»Ich Dich nicht.«
»Wie? Hätten wir uns nicht gesehen?«
»Nein. Wo willst Du mich gesehen haben?«
»In Stambul.«
»Da war ich nie.«
»Wie heißest Du?«
»Ich bin der Kaufmann Hulam aus Smyrna.«
»Ah, nicht Ibrahim Pascha aus Stambul?«
»Das ist Dein Glück, denn sonst hätte ich Dich sofort als Mörder gefangen nehmen lassen. Nimm Dich in Acht, daß diese Aehnlichkeit Dich nicht noch in großen Schaden bringt.«
Er ging.
Der Bey hatte, zwischen den Vorhängen stehen bleibend, das Gespräch mit angehört. Er wendete sich in sein Zimmer zurück, und die Audienz begann.
Es war dem Pascha angst geworden. Bald lief es ihm heiß, bald kalt über seinen Körper. Er fragte sich, ob es nicht besser sei, Tunis sofort zu verlassen. Aber konnte er sich jetzt von hier entfernen, ohne erst recht den Verdacht eines bösen Gewissens auf sich zu laden?
Zudem wurde sehr bald sein Name genannt, und er mußte bei dem Herrscher eintreten. Dieser saß, eine kostbare Wasserpfeife rauchend, auf dem Kissen, die Arme auf seidene Rollen gestützt. In der Linken hielt er, scheinbar nur spielend, einen geladenen Revolver. Sein Auge ruhte mit scharfem, finsterem Blicke auf dem Eintretenden, der sich so tief verneigte, daß er fast zur Erde fiel.
»Du warst bereits bei mir,« sagte der Bei. »Was willst Du heute wieder hier?«
»Ich wollte Dich um die Gnade bitten. Dich meiner Frage in Langmuth nochmals zu erinnern.«
»Welcher Frage?«
»Ob es Dir angenehm sein würde, wenn der Großvezier Dir durch einen privaten Bevollmächtigten gewisse Wünsche vortragen lassen möchte.«
»Der Großvezier hat mit mir nur amtlich zu verkehren. Er hat nicht zu wünschen, sondern zu bitten. Wer sollte denn der Bevollmächtigte sein, falls ich die Lust hätte, auf diesen Vorschlag einzugehen?«
»Der Großvezier würde ihn bestimmen.«
»Nicht ich? Der Großvezier ist mir sehr gnädig gesinnt! Vielleicht würde er Dir diese Angelegenheit anvertrauen. Nicht?«
»Das ist möglich.«
»So müßtest Du also nach Stambul, um Dir Deine Instructionen zu holen? Das dauert mir zu lang.«
»Vielleicht bin ich bereits im Besitze der Instructionen.«
»So hast Du mit dem Großvezier gesprochen?«
»Ja.«
Da ging ein verächtliches, stolzes Lächeln über das Gesicht des Herrschers. Er sagte:
»Vermelde dem Großvezier meinen Respect; aber sage ihm auch zugleich, daß es mich sehr wundert, daß er sein Vertrauen nicht klügeren Leuten schenkt!«
»Herr!« stammelte der Pascha.
»Ja, sage ihm das! Soeben hast Du geleugnet, in Stambul gewesen zu sein, und mir gestehest Du ein, mit dem Vezier gesprochen zu haben –«
»Das geschah nicht in Stambul.«
»Lüge nicht! Der Großvezier hat Stambul seit seinem Amtsantritte nicht verlassen! Warum übrigens beleidigt er mich mit Dir. Bist Du wirklich nur Kaufmann, so ist es eine Beleidigung, Dich zu mir zu senden. Bist Du aber mehr, so ist es eine ebenso große Beleidigung, es mir zu verheimlichen.«
»Herr, ich habe zu gehorchen!«
»Ja, Du bist der Sclave Deines Herrn, und darum soll Dich mein Zorn nicht treffen. Aber hüte Dich, hier in meinem Lande etwas zu thun, was gegen meinen Willen und gegen meine Gesetze ist. Der Vezier könnte Dich nicht schützen, denn Du bist nicht offiziell von ihm bei mir beglaubigt und an mich empfohlen. Ich rathe Dir, der Kaufmann Hulam zu bleiben, und als solcher in Frieden Deines Weges heimwärts zu ziehen. Das wird das Beste sein. Sehen wir uns wieder, so ist es gewiß nicht mehr so in Frieden wie jetzt. Nun kannst Du gehen. Ich halte Dich nicht!«
So Etwas war dem Pascha noch niemals geboten worden. Er kochte vor Wuth und vor – schwerer Besorgniß. Seine Wuth war um so größer, als er dieselbe nicht einmal merken lassen durfte. Er mußte sich mit dem unterthänigsten Lächeln und in größter Demuth verleugnen. Dann ging er. Aber wie er durch das Vorzimmer in den Hof und dann aus dem Palast hinaus gekommen war, das wußte er dann selbst nicht mehr. Er hätte vor Grimm die ganze Menschheit erwürgen mögen.
Als er zu Hause ankam, fand er den Derwisch natürlich von der größten Neugierde erfüllt.
»Nun, wie ist es gegangen? Was hast Du beschlossen?« fragte der Freund der Patronen.
»Er muß sterben.«
»Ah! Also doch?«
»Ja, und zwar noch heut!«
»Natürlich!«
»Und noch Einer!«
»Noch Einer? Du bist in einem Zorne, wie ich ihn an Dir noch niemals bemerkt habe.«
»Ist es ein Wunder! Er hat mich wie einen Hund behandelt! Nein, nicht wie einen Hund, sondern wie ein giftiges Ungeziefer hat er mich fortgewiesen.«
»Wie ist das gekommen? Mohammed es Sadak Bey ist doch als ein milder, freundlicher Mann bekannt.«
»Der Andere ist schuld! Aber darum soll auch er mit sterben, auch er!«
»Wer?«
»Jener Mensch, von welchem ich glaubte, daß er todt sei, erschlagen im goldnen Horn. Jener Mensch, den wir durch den Wärter des Leoparden beobachten ließen; jener Mensch, welcher mich hinderte, auf dem Gottesacker den Wallert festzunehmen; jener Mensch – –«
»Der, Der – – –!« rief der Derwisch, im höchsten Grade betroffen. »Ja, der!«
»Der lebt noch?«
»Welche Frage! Er lebt nicht nur noch, sondern er ist mir auch hier bei dem Bey zuvorgekommen. Er hat einen glänzenden Sieg davon getragen, wie ich mit meinen eigenen Augen anhören mußte. Und dann trat er voller Hohn zu mir und examinirte mich, wie ein Richter den Verbrecher ausfragt.«
»Erzähle doch!«
»Was giebt es da zu erzählen! Sie müssen Beide sterben!«
»Ganz recht! Aber ich möchte doch wissen, was sich begeben hat. Nur dann weiß man, was zu thun nöthig ist.«
»So höre!«
Er erzählte. Der Derwisch hörte aufmerksam zu. Dann sagte er:
»Jetzt ist mir Alles klar. Dieser Mann ist mit Normann und Wallert hier angekommen. Er weiß, wo wir wohnen; er weiß jedenfalls auch, daß diese Beiden gestern Abend hier im Garten gewesen sind. Er ist mit im Complot. Er will Dir Deine Frauen mit entführen.«
»Das soll ihm nicht gelingen! Er muß mit sterben. Erst der Bey und dann er!«
»Gut, mir ist das recht! Aber wie steht es nun mit unserer Sicherheit?«
»Wie soll es da stehen! Thun kann mir kein Mensch etwas. Mein Paß lautet auf Hulam aus Smyrna. Ich fliehe nun erst recht nicht, außer Dein Anschlag gegen den Bey müßte mißlingen. Gelingt er aber, so bleibe ich hier. Der Nachfolger will mir wohl; er billigt unsere Pläne, und mit seiner Hilfe werde ich über diese Menschen triumphiren. Aber zur etwaigen Flucht muß ich dennoch Alles vorbereiten. Bestellen wir uns also die Thiere, welche wir zum Ritt bedürfen.«
»Wirst Du den Ritt auch unternehmen, wenn der Anschlag gelingt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Es wird besser sein. Die Vorbereitungen sind dann einmal getroffen. Es würde auffallen, wenn Du es nicht thätest. Du reitest nach dem Meere spazieren und kehrst des Abends zurück.«
Jetzt nun trafen sie ihre Vorbereitungen, ohne sich um das Ereigniß zu bekümmern, welches einen großen Theil von Tunis auf die Beine brachte: Der Bey hielt Gericht über den Juden Jakub Afir und seine Verbündeten. Auch die Mädchen mußten mit herbei.
Die Einleitung bestand darin, daß ihnen allen zunächst die nackten Füße zwischen zwei Bretter geschraubt wurden und sie auf die Sohlen die Bastonnade erhielten – die Männer im offenen Hofe Jeder zwanzig Hiebe und die Mädchen in einem abgeschlossenen Räume je zehn Streiche. Das stärkte ihre Bereitschaft zum Geständnisse.
Wunderbarer Weise gelang es dem Beherrscher, die Vernehmung so zu leiten, daß der Engländer nicht im Mindesten blamirt wurde Es dauerte nur kurze Zeit, so war ein vollständiges Geständniß abgelegt.
Das Urtheil lautete eigenthümlich: Confiscation des sämmtlichen Eigenthumes; diese verstand sich ja im Lande Tunis und da es einen Juden betraf, ganz von selbst. Sodann wurden den Männern allen die Köpfe und Bärte glatt abrasirt, eine ganz entsetzliche Schande. Und zuletzt befahl der Beherrscher, daß Alle, Männer sowohl als auch Frauen und Mädchen, nach der algerischen Grenze geschafft und da hinübergestäupt wurden.
»Denn,« erklärte er, »tödten will ich diese Hunde und Hündinnen nicht, da ihnen Allah ja einmal das Leben gegeben hat. Gefangen setzen mag ich sie auch nicht, denn sonst müßte ich sie ernähren, und ich habe bessere und bravere Unterthanen, welche der Nahrung und Kleidung mehr werth sind, als diese Verbrecher. Darum jage ich sie aus dem Lande hinaus, so bin ich sie los. Kommen sie aber zurück, so lasse ich sie peitschen, bis sie todt sind. So lautet mein Spruch und Urtheil. Allah sei gelobt jetzt und in alle Ewigkeit.«
Normann und Wallert hatten dieser interessanten Gerichtsverhandlung mit beigewohnt. Als sie zu Ende war, war auch der Vormittag zu Ende gegangen. Sie begaben sich nach dem italienischen Hause, um da zu speisen, und dann sollten sie zu Steinbach nach dem Bardo kommen und den Engländer mitbringen, welcher sie im Gasthause erwartete, da er nicht Lust spürte, Zeuge der Gerichtssitzung zu sein. Nach dem Bardo sollten sie kommen, um bei der Festnehmung des Derwisches zugegen zu sein, wozu sie ja das Recht hatten, da sie es ja waren, welchen man die Entdeckung des Anschlages zu verdanken hatte.
Als der Engländer hörte, welches Urtheil über seine Feinde gefällt worden sei, schmunzelte er vergnügt vor sich hin und sagte:
»Wenn das alle Monarchen so machten, so gäbe das eine ganz famose Herüber- und Hinüberschieberei der Verbrecher. Na, mögen drüben die Herren Franzosen sehen, was sie mit diesem Juden anfangen! Ich entführe ihm sicher keine Odaliske wieder!«
Das Nachmittagsgebet der Muhammedaner fällt ganz genau auf die dritte Stunde. Bereits um zwei Uhr erschien der Pascha bei Tschita und Zykyma, um ihnen zu befehlen, sich bereit zum Spazierritte zu halten.
»Reitet meine Mutter mit?« fragte die Erstere.
»Wie sollte sie?« antwortete er. »Sie kann ja nicht aufstehen. Wie könnte sie auf dem Kameele sitzen.«
»So bleibe ich auch da.«
»Du wirst mit reiten. Ich befehle es Dir!«
»Ohne meine Mutter nicht!«
»Dieser Spazierritt ist eine Gnade, welche ich Euch erweise. Seht Ihr das nicht ein, so seid Ihr keiner weiteren Gnade werth. Ich werde Euch strenger halten. Ich wollte Deiner Mutter erlauben, heute Abend wieder zu Euch zurückzukehren. Nun aber mag sie unten bleiben. Wer meine Güte zurückweist, dem biete ich sie nicht wieder an.«
Das traf Tschita in's tiefste Herz. Sie besann sich nicht lange, sondern sie entschied:
»So reite ich mit. Aber wenn heute Abend die Mutter nicht bei uns ist, so sollst Du erfahren, daß auch wir Frauen einen Willen haben und die Kraft dazu, ihn zur Geltung zu bringen.«
»Ah! Du willst mir drohen!«
»Ja, ich drohe Dir! Und nun handle darnach. Wer aber wird uns bedienen, da die Mutter krank ist und wir keine Frauen haben?«
»Bedient Euch selbst. Das Uebrige wird Saïd thun.«
Das war ihnen willkommen.
Nach einiger Zeit trat Saïd zu ihnen ein und meldete ihnen, daß der Pascha noch einmal für einige Minuten ausgegangen sei.
»Wo ist der Derwisch?« fragte Zykyma.
»Auch fort.«
»Wird er mit reiten?«
»Ja. Wir reiten Alle.«
»Das ist auffällig. Warum Alle? Sieht das nicht wie eine Abreise aus?«
»Diesen Verdacht habe auch ich bereits gehabt.«
»Ist es da nicht besser, wir verlassen gleich jetzt das Haus und suchen die Freunde auf?«
»Das geht nicht. Die beiden Wächter stehen unten. Sie sind bewaffnet bis an die Zähne. Ich bin allein gegen sie und müßte im Kampfe unterliegen. Außerdem gehört Ihr dem Pascha. Er kann es beweisen und Euch an jedem Augenblick zurückfordern. Wartet bis heute Abend. Die Freunde werden kommen und Euch nach dem Schiffe bringen. Seid Ihr dort, dann ist Alles gut.«
»Aber wenn der Pascha uns betrügt!«
»Ich glaube doch nicht, daß er die Absicht hat, von Tunis abzureisen. Ich weiß, daß er hier noch viel zu thun hat. Ich hörte es gestern.«
»Das gebe Allah!« sagte Tschita. »Wenn er mich hier weglockte, ohne meine Mutter, ich müßte sterben, würde aber vorher ihn tödten.«
»Uebrigens,« meinte Saïd lächelnd, »bin ich auf Alles gefaßt. Ich habe den Freunden gesagt, daß wir nach dem Bardo wollen. Sie werden uns nachfolgen, wenn wir nicht zurückkehren, und ich werde dafür sorgen, daß sie erfahren, wohin wir gehen. Ihr dürft keine Sorge haben!«
Der Derwisch war noch eher fortgegangen als der Pascha. Dieser Letztere wollte sich überzeugen, ob die Patrone ihre Schuldigkeit thue. Doch fiel es ihm gar nicht ein, sich in Gefahr zu begeben. Er machte einen Umweg um den Bardo herum. Hinter dem Garten desselben gab es ein zwar nicht gar so dichtes aber doch immerhin einen Versteck bietendes Gesträuch von wilden Mandeln. Dieses suchte er auf, um dort Zeuge des Vorganges zu sein.
Er befand sich da in einer Entfernung von ungefähr gegen dreihundert Schritten von der Mauer und konnte Alles, was dort vorging, deutlich sehen. Daß er die Frauen verlassen hatte, machte ihm keine Sorgen. Er wußte, daß sie ihm unter den Augen der beiden Wächter sicher seien.
So behielt er die Mauer fest im Auge. Er konnte nicht das mindeste Verdächtige bemerken, und darum hoffte er, daß Alles wohl gelingen werde. Die Minuten vergingen. Sein Blick schweifte nach rechts und links hin. Er zog die Uhr. Die Zeit war da. Und da kam weit unten, rechts von der Stadt her, der Derwisch langsam in der Haltung eines unbefangenen Fußgängers über den Plan daher.
Und in diesem Augenblick gab der Gebetausrufer das Zeichen. Die Muhammedaner haben keine Glocken. An Stelle derselben dienen Bretter, an welche geschlagen wird. Das Holz derselben giebt einen weithin hörbaren, wohltönenden Klang.
So auch jetzt. Die Schläge erschallten. Der Muezzin stand hoch oben auf dem Minaret und rief:
»Haï el Moslemim es salah – wohlan, Ihr Gläubigen, zum Gebete!«
Jetzt kniete gewiß ein jeder gläubige Muselmann nieder, um sein Gebet zu sprechen. Der Derwisch that es nicht, der Pascha ebenso wenig. Der Letztere hielt den Blick mit unendlicher Spannung auf den Ersteren gerichtet. Dieser kam langsam näher. Er hatte das Messer in der Hand und schritt langsam und würdevoll hart an der Mauer entlang.
Da blieb er für einen kurzen Augenblick stehen und erhob die Hand mit dem Messer.
»O Allah! Jetzt!« entfuhr es dem Pascha.
Er strengte Auge und Ohr an, sah und hörte aber nichts. So erging es auch dem Derwisch. Er erwartete den lauten Knall der Explosion zu hören; es erfolgte aber nicht das geringste Geräusch.
Was war das? Woran lag die Schuld? Hatte er vielleicht seine Sache nicht richtig gemacht? Er sah sich nach rechts, links und rückwärts um. Kein Mensch befand sich in Sicht. Er untersuchte den Draht. Dieser war in Ordnung. Schnell zog er das Fell unter dem Turban hervor und begann zu reiben. Als er glaubte, daß es genug sei, verbarg er zunächst das Fell wieder und berührte dann den Draht mit dem Messer – keine Wirkung!«
»Hölle, Tod und Teufel!« fluchte er. »So versuche ich es zum dritten Male!«
Er zog das Fell abermals hervor, begann wieder zu reiben und – stieß einen lauten Ruf des Schreckens aus. In diesem Augenblicke nämlich sprangen vier Männer von der Mauer herab und hatten ihn sofort in ihrer Mitte.
»Was thust Du hier?« fragte der Erste.
Der Derwisch starrte ihn wortlos an. Es war Steinbach.
»Nun, antworte!« befahl dieser.
»Was geht es Dich an!« stotterte der Gefragte, mit entsetztem Ausdrucke die anderen Drei betrachtend, Normann, Wallert und der Engländer.
»Das geht mich wohl etwas an!« lachte Steinbach. »Ich habe geglaubt. Du seiest ein Derwisch!«
»Das bin ich auch!«
»Lüge nicht! Gehörtest Du zu diesem frommen Orden, so würdest Du jetzt zur Stunde des Gebetes hier an der Erde knieen und Allah Deine Seele schenken.«
»Hast Du mir etwas zu sagen, was ich thun soll?«
Er war der festen Ueberzeugung, daß ihm nichts bewiesen, also auch nichts gethan werden könne. Das gab ihm den Muth zurück, und darum sprach er die Frage in beinahe höhnischem Tone aus.
»Nein, das habe ich Dir nicht zu sagen,« antwortete Steinbach. »Aber verbieten kann ich Dir, was Du nicht thun sollst.«
»Du hast mir weder etwas zu ge- noch etwas zu verbieten! Laß mich gehen!«
Er wendete sich, um zu gehen; aber Steinbach ergriff ihn am Arme und sagte:
»Warte noch eine Weile! Ich möchte sehr gern wissen, was Du hier in der Hand hast. Ah, ein Fell. Und hier? Ein Messer! Mit Harz und. Bernsteinsand belegt? Mensch, wen willst Du denn electrisiren?«
Der Derwisch erschrak.
»Electrisiren?« fragte er. »Was ist das?«
»Das weißt Du nicht? So muß ich es Dir erklären. Man reibt nämlich das Messer mit dem Fell und hält dann das Erstere hier an diesen Draht. Das nennt man electrisiren.«
»Das verstehe ich auch nicht. Was geht mich der Draht an!«
»Dann fährt der electrische Funke im Drahte weiter bis in den Kiosk des Gebetes, wo die Patrone liegt, und zerschmettert den Herrscher von Tunis.«
»Ich weiß aber gar nicht, was Du redest, und was Ihr überhaupt wollt!«
»Ja, Du bist sehr unwissend. Aber lernbegierig bist Du auch, und das söhnt uns mit Deiner Dummheit aus. Du halt so gern wissen wollen, wo diese beiden Effendi's wohnen. Jetzt kannst Du es erfahren.«
»Ich habe nichts wissen wollen. Ich kenne die Beiden gar nicht; ich mag sie nicht kennen!«
»Und doch hast Du ihnen heute Nacht einen Boten nachgesandt. Richtig?«
»Nein. Ich weiß nichts davon.«
»Lüge nicht! Wir wissen es genau.«
»Es ist Lüge! Ich rede die Wahrheit.«
»Nun, so müssen wir Dir diesen Boten vorstellen.«
»Ja, bringt ihn mir. Ich werde Euch beweisen, daß er die Unwahrheit sagt!«
»Na, da steht er.«
Er deutete auf den Lord. Der Derwisch machte ein Gesicht, dessen Ausdruck gar nicht zu beschreiben ist.
»Der?« fragte er. »Dieser Engländer?«
»Ja.«
»Das ist ja eben die Lüge!«
»Aha! Vorhin kanntest Du diese Effendis nicht, und jetzt weißt Du, daß der Eine von ihnen ein Engländer ist. Frage ihn einmal, wo er heute Nacht gewesen ist. Nur mußt Du französisch sprechen, da er das Türkische nicht versteht.«
Er gehorchte ganz unwillkürlich und fragte französisch:
»Wo wollen Sie in letzter Nacht gewesen sein?«
»Hier, bei Ihnen. Im Garten,« lachte der Lord. »Ich hoffe, daß Sie meine Stimme noch kennen. Wenn Sie sich meiner noch erinnern, so wollen wir uns heute Abend die versprochene Haremsfrau holen.«
»Verdammter Kerl!«
Er sah sich überführt. Er hatte keine Waffe mehr, da Steinbach ihm das Messer abgenommen hatte. Aber während er diesen Ausruf ausstieß, holte er aus und schlug mit den beiden geballten Fäusten auf Wallert und Normann ein, um sie zum Weichen zu bringen und sich also eine Lücke zur Flucht zu bilden. Aber Steinbach faßte ihn sofort beim Kragen und schleuderte ihn mit solcher Gewalt an die Mauer, daß er wimmernd zusammenknickte und sich nur langsam wieder emporrichtete.
»Bleib nur noch, Bursche!« sagte er dabei. »Wir haben ein Wörtchen hinzuzufügen. »Hollah, Herr Oberst!«
Da wurde oben auf der Mauerkante das geröthete Gesicht Krüger-Beys sichtbar.
»Na, wo ist's ihm denne?« fragte er. »Hat diesem Racker seiner Schlechtigkeit auszuführen dem Verbrechen in der Luft zu sprengen ergriffen und erwischt zu sein jehabt?«
»Ja, da ist er.«
»So haben Ihnen die Jefälligkeit, diesem Subject an das Strick empor zu ziehen, um festzubinden herein in dem Jarten jebracht und dergleichen arretirt worden zu sein!«
Er ließ einen Strick herab, an welchen der Derwisch festgebunden werden sollte. Diesem kam erst jetzt das Bewußtsein seiner gefahrvollen Lage. Er bäumte sich empor, brüllte vor Wuth laut auf, schlug, stampfte und biß um sich wie ein wüthendes Thier, um dem Stricke zu entgehen.
»Jeben Sie Ihnen einer Klapps vor das Kopf auf dem Nase, so bald ihm zu brüllen das Maul nicht mit dem Faust zum Stilleschweigen jebracht werden darf!« ermahnte der wackere Oberst von der Mauer herab.
Diese Ermahnung war überflüssig. Steinbach hatte dem Mörder die Hände um den Hals gelegt und drückte ihm die Luftröhre zusammen. Der Strick wurde ihm in einer Schlinge um den Körper unter den Armen gelegt, und dann zogen ihn einige Krieger des Bey empor und in den Garten hinein. Für die drei Deutschen und den Engländer ließ man eine Leiter herab, auf welcher sie wieder in den Garten zurückgelangten.
Hier sah es noch weit gefährlicher für den Derwisch aus als draußen. Da standen wohl an die fünfzig wilde Gestalten zu der Wache des Bey gehörig, welche sofort einen Kreis um den Gefangenen schlossen, so daß an ein Entkommen gar nicht zu denken war.
»Hat ihm seines Verbrechens zum Jeständnisse zu bringen jebracht?« fragte Krüger Bey.
»Nein. Er hat nichts gestanden.«
»Jut! So werden man ihn dem Munde zu öffnen einem juten Mittel erfunden zu haben sofort herbeischaffen zu dürfen befohlen!«
Er gab einen Wink, und augenblicklich war die ominöse Bank vorhanden, welche zur Bequemlichkeit der Bastonade dient. Diese Bank, auf welche man den Delinquenten legt, hat eine Lehne, an welcher die Beine emporgezogen und so befestigt werden, daß oben die nackten Fußsohlen eine wagerechte Lage erhalten. In dieser Weise wurde jetzt auch der Derwisch angeschnallt. Er sträubte sich aus Leibeskräften, was ihm aber nichts nützte.
»Wollen Sie ihm die Bastonade geben lassen?« fragte Normann den Obersten der Leibwache.«
»Ja, in Natürlichkeit und Verständnisse!«
»Ehe er vor dem Bey gebraucht wird?«
»Dem Bey hat diesem so zu befehlen sich anjewöhnt und demselbigen Willen jehabt. Was leugnet, dem muß jehauen werden! Verstanden?«
Aus seiner Erklärung ließ sich errathen, daß er im Auftrage seines Herrschers handele, wenn er den Gefangenen der peinlichen Frage unterwerfe. Streng genommen war hier eine übel angebrachte Humanität einfach lächerlich. Der Bey wollte den Menschen nicht eher vor sich sehen, als bis er ein Geständniß abgelegt habe, und da er dasselbe jedenfalls nicht freiwillig gab, so wurde er dazu gezwungen. Da er bereits überführt war, konnte das gar nicht etwa eine Ungerechtigkeit genannt werden.
Er wurde also so fest geschnallt, daß er sich nicht zu bewegen vermochte. Vor seinen Füßen, welche natürlich entblößt worden waren, stand der Dschezzar, zu Deutsch eigentlich Henker. Doch hat dort das Amt eines Henkers ganz und gar nicht den anrüchigen Beigeschmack wie bei uns, sondern es ist im Gegentheile eines der höchsten und wird nur einem solchen Manne ertheilt, von dessen Treue der Herrscher vollständig überzeugt ist. Krüger Bey führte das Verhör.
»Warst Du heut Nacht hier im Garten?« fragte er.
»Nein.«
»Zwei Hiebe!«
Der Derwisch erhielt auf jede Sohle einen Hieb und schrie sofort:
»Ja, ich war da!«
»Hast Du den Draht gelegt?«
»Nein.«
»Zwei Hiebe!«
Die Hiebe werden so gegeben, daß einer hart neben dem andern zu sitzen kommt. Da nun bei jeden einzelnen die Haut der Fußsohle aufspringt, so ist der Schmerz ein ganz entsetzlicher.
»Halt!« brüllte er. »Ich habe ihn gelegt.«
»Auch die Patrone?«
Ein Wink von Krüger Bey, und der Henker schlug abermals zu.
»O Allah, Allah! Ich habe auch die Patrone gelegt.«
»Wozu?«
»Ich wollte mir einen Spaß machen.«
»Welchen Spaß?«
»Ich wollte sehen, ob es knallt.«
»Weiter nichts?«
»Nein.«
»Du wolltest nicht den Bey, den Beherrscher der Gläubigen dieses Landes tödten?«
»Nein.«
»Vier Hiebe!«
Kaum aber hatte er den zweiten Hieb, so brüllte er:
»Halt, halt! Ja, ich wollte ihn tödten!«
»Bedenke, daß Du zerrissen wirst, wenn Du es gestehst!
»Ich wollte ihn tödten.«
Der gegenwärtige, augenblickliche Schmerz wirkten mehr als die Furcht vor der grausamsten Strafe, die erst später erfolgen konnte.
»Hast Du Mitschuldige?«
»Nein.«
»Zwei Hiebe!«
Die Fußsohlen waren bereits zerstört. Bereits als der Henker zum Hiebe ausholte, rief der Derwisch:
»Halt ein! Ich habe einen.«
»Wer ist es?«
»Ibrahim Pascha.«
»Woher?«
»Aus Stambul.«
»Wo wohnt er?«
»Drüben im Hause an der Wasserleitung.«
»Hast Du noch andere Vertraute?«
»Nein.«
»Noch zwei Hiebe!«
»Bei Allah und dem Propheten, nur der Pascha weiß davon!«
Der Henker wollte zuschlagen, aber Steinbach ergriff ihn am Arme und sagte zu Krüger Bey:
»Er hat wohl keinen Vertrauten weiter. Das glaube ich, beschwören zu können!«
»Gut! Sie sind diesem Bastonnaden nicht zum Gebrauche jewöhnt. Darum thut Sie Ihrem Herzen weh, und ich will dem Befehle jeben, darüber aufzuhören und Beendigung haben. Uns wissen jetzt jenug. Im Uebrigen mögen dem Muhammed es Sadak Bey seiner Bestimmung dem Befehl zu wünschen jebieterisch auszusprechen werden.«
Und in der Sprache des Landes befahl er, den Gefangenen in gefesseltem Zustande in das sicherste Loch des Gefängnisses zu werfen. Dann machte er selbst sich an der Spitze einer Anzahl Leibschaaren auf, den Pascha auch festzunehmen. Die drei Deutschen und der Engländer eilten ihm voraus. –
Der Pascha hatte erst ganz verwundert den Kopf geschüttelt, als er den Derwisch so erfolglos arbeiten sah. Aber als die vier Männer so plötzlich von der Mauer herabgesprungen kamen, war er ebenso sehr erschrocken wie sein Verbündeter.
Er hörte natürlich die Worte nicht, welche gesprochen wurden; aber er erkannte die Personen ganz genau.
»O Muhammed! O, Ihr Kalifen!« knirrschte er. »Das sind diese Hunde! Wie kommen sie hierher? Sollte der Mann, welcher ihm geholfen hat. Alles verrathen haben? Wenn ihm nicht jetzt, ehe sie ihn festhalten, die Flucht gelingt, so ist er verloren.«
Seine Augen traten fast aus ihren Höhlen, so scharf hatte er sie auf die Männer gerichtet. Er sah, daß der Derwisch vergeblich zu entfliehen versuchte! er sah die andern Leute auf der Mauer.
»Bei allen Teufeln und Geistern der Hölle!« stöhnte er. »Sie ziehen ihn empor. Er ist gefangen!«
Er wollte fliehen und doch wartete er. Es war Niemand mehr zu sehen. Aber bereits nach wenigen Augenblicken ertönte ein schriller Schrei, dem ein weiterer folgte. Er kannte das genau.
»Er erhielt die Bastonnade! Sie verhören ihn! Sie werden ihn fragen, ob noch Andere davon wissen! Er wird mich nennen; er wird mich verrathen; denn kein einziger Mensch der Welt kann dem Schmerze widerstehen, wenn der Stock bis auf den Knochen durch die Sohle dringt. Fort, fort! In wenigen Minuten werden sie mich holen. Dann wäre es zu spät!«
Er ging nicht; er lief auch nicht, sondern er rannte fort. Er machte auch keinen Umweg. Nur nach Hause, möglichst bald nach Hause! Nur keinen Augenblick verlieren! Zu seinem Glücke achtete Niemand auf ihn. Er athmete auf, als er, bei dem Hause angekommen, bemerkte, daß sämmtliche Thiere bereit standen. Zwei Minuten später saßen die beiden Mädchen in den Kameelsänften und die Männer auf den Pferden. Nur Einer fehlte.
»Beim Teufel! Wo ist Saïd?« brüllte der Pascha.
»Hier!« antwortete der Genannte, indem er aus dem Hause stürzte und in den Sattel sprang.
»Das ist Dein Glück! Vorwärts!«
Ganz ungewöhnlicher Weise lenkte er so ein, daß er an der Westseite der Stadt hinritt. Dann lenkte er nach dem sogenannten neuen Fort hinüber. Auf diese Weise wich er den belebteren Gegenden aus, so daß es schwer und fast unmöglich wurde, durch Nachfrage zu erfahren, wohin er sich gewendet habe.
Von dem neuen Forte bis zu dem Bade l' Enf ist es gar nicht weit. Es fiel dem Pascha gar nicht ein, in dem kleinen Orte, welchen er als Ziel des Spazierrittes angegeben hatte, anzuhalten, sondern es ging im Galopp hindurch, quer über das Thal Suttun hinweg und nach dem größeren Orte Soliman zu.
Im Süden des Golfes von Tunis zieht sich die Halbinsel Dakhul in der Gegend von Südwest nach Nordost in die See hinein. Da es dem Pascha unmöglich war, zu Wasser von Tunis aus zu entkommen, hatte er den Plan gefaßt, auf dieser Halbinsel bis nach einer ihrer Spitzen hin zu reiten. Dort erwartete ihn morgen früh das Boot, welches er bestellt hatte. Gelang es ihm, dasselbe zu erreichen, so war er gerettet.
Um der Frauen willen dürfte er nicht daran denken, jetzt nur einen Augenblick anzuhalten. So lange die Kameele in ihrem schnellen Tempo blieben, war es den Reiterinnen unmöglich aus den Sänften herabzukommen. Die beiden Mädchen ahnten ihr Schicksal und riefen einander zu. Wurde angehalten, so war es ihnen zuzutrauen, daß sie versuchen würden, aus der Höhe des Kameelrückens herabzuspringen, und wenn ihnen das gelang, dann war es schwer, den Ritt fortzusetzen, wenigstens ging eine kostbare Zeit verloren.
Die beiden Wächter waren gut instruirt. Sie selbst saßen zu Pferde; jeder aber hatte eins der beiden Kameele am Halfter.
Als man das Städtchen Soliman erreichte, gebot der Pascha den Beiden:
»Haltet nicht an, sondern reitet durch. Ich komme nach!«
Er blieb mit Saïd, welcher das Pferd, welches für den Derwisch bestimmt gewesen war, am Zügel neben dem seinigen führte, halten. Es standen mehrere Männer da.
»Wer weiß den besten Weg nach Klibiah?« fragte er sie.
»Ich,« antwortete der Eine.
»Willst Du mein Führer sein?«
»Was bietest Du?«
»Gieb fünfzig Piaster!«
»Du sollst sie haben und dieses Pferd dazu nebst Sattel und Lederzeug, wenn Du augenblicklich aufsteigst und mit mir kommst!«
»Gieb das Geld!«
Der Pascha zog den Beutel. Unterdessen sprang Saïd ab und machte sich an seinem Sattel zu schaffen.
»Was hast Du abzuspringen, fragte ihn der Pascha.
»Diese Wächter verstehen nicht, ein Pferd zu satteln. Der Gurt ist viel zu weit geschnallt. Ich verliere ja den Sattel!«
»Mach schnell! Wir haben keine Zeit!«
Er setzte sich bereits in Bewegung, und der neu engagirte Führer mit ihm. Saïd stieg hinter ihnen auf und folgte ihnen, raunte aber vorher den zurückbleibenden Männern zu:
»Ich habe Euch Etwas zu sagen. Kommt nachgelaufen!«
Er hatte sich bereits daheim mit der Stummen zu schaffen gemacht, und nur darum hatte ihn der Pascha rufen müssen. Die vermeintliche Mutter Tschita's lag nämlich in einem untern Raume des Parterres auf einer Strohmatte. Es waren ihr beide Beine an zwei Holzlatten festgebunden worden, weil sie sich die Hüfte verstaucht hatte, so hatte der Pascha gesagt. Diese albernen Schienen waren aber keineswegs nöthig gewesen, da sie gar keinen Schaden gelitten hatte. Der Pascha hatte sie nur in einem vollständig hilflosen Zustande zurücklassen wollen. Im letzten Augenblicke nun, als es fortgehen sollte, hatte Saïd ihr die Bänder zerschnitten und ihr einen Zettel hingelegt mit den Worten:
»Sollte er eine Schlechtigkeit beabsichtigen, so daß wir heut Abend nicht wieder da sind, so gieb diesen Zettel den beiden Effendis, welche kommen werden. Dann ist Alles gut.«
Und jetzt nun hier in dem Städtchen Soliman hatte er gehört, wohin der Ritt gehen solle. Es kam ihm darauf an, den Verfolgern wissen zu lassen, wohin sie sich zu wenden hätten. Darum hatte er gethan, als ob sein Pferd schlecht gesattelt sei. Anstatt aber den Gurt fester anzuziehen, hatte er ihn vielmehr lockerer gemacht. Als er nun im Galopp folgte und man eben das Städtchen im Rücken hatte, rutschte sein Sattel unter den Bauch des Pferdes herab.
»O Allah!« rief er klagend aus. »Jetzt konnte ich den Hals brechen! Diese beiden Kerls sollen verdammt sein, wenn sie Etwas machen, was sie nicht können!«
Der Pascha sah sich um. Er stieß einen Fluch aus und sagte zornig:
»Ich denke. Du hast es fester gemacht!«
»Du ließest mir doch keine Zeit dazu!«
»So mache schnell und komm nach! Ich kann Deinetwegen nicht die Kameele so weit vorankommen lassen.«
Er ritt mit dem Führer weiter. Das wollte der brave Arabadschi. Kaum war sein Herr hinter der Ecke des Gartens, an dem sie hinritten, verschwunden, so saß der Sattel wieder fest und Saïd sprang auf. Anstatt aber dem Pascha zu folgen, jagte er zurück bis zu den Männern, die ihm zwar nachgelaufen waren, ohne ihn aber recht zu verstehen.
»Der dort hat hundert Piaster bekommen,« sagte er. Wollt Ihr zweihundert oder dreihundert oder noch 'mehr verdienen?«
»O Allah! Das ist ja ein ganzer Reichthum!«
»Wollt Ihr ihn? Macht schnell!«
»Ja, ja. Was werden wir da thun müssen?«
»Ihr geht nach dem Bade l'Enf. Es werden Reiter kommen, welche fragen, wohin wir geritten sind. Ihr sagt es ihnen, daß wir nach Klibiah reiten. Wenn diese Reiter nicht bald kommen, läuft einer von Euch in die Stadt nach dem italienischen Hause und fragt nach ihnen. Sie heißen Normann Effendi und Wallert Effendi. Es ist ein Engländer bei ihnen. Ich, heiße Saïd. Wißt Ihr das Alles?«
»Ja. Wer bezahlt uns?«
»Diese Leute. Sie geben Euch so viel, wie ich Euch gesagt habe. Sie geben Euch sogar noch mehr, wenn Ihr dafür sorgt, daß Ihr sie schnell findet und sie dann auch uns. Wenn Ihr zu wenig seid, so nehmt noch mehr Leute. Aber thut es ja. Ich verspreche Euch bei Allah und dem Barte des Propheten, daß Ihr das Geld bekommt!«
»Wenn Du so schwörst, so werden wir es thun. Wir werden gleich alle Wege besetzen, so daß sie uns nicht entgehen können, und Einer mag nach der Stadt in das italienische Haus reiten. Du aber folge den Deinen in Allah's Namen nach!«
Saïd wendete um und jagte dem Pascha nach, so schnell sein Pferd zu laufen vermochte. Er hatte das Seinige gethan. Zwar fragte er sich, ob er nicht selbst hätte nach der Stadt reiten können. Aber einmal hätte sein Herr die Absicht dieser Flucht sofort verrathen und dann gewiß seine Tour geändert, und das andere Mal hielt er es für besser, bei den Mädchen zu bleiben. Es stand zu erwarten, daß er ihnen von Nutzen werde sein können.
Als er dann den Pascha erreichte, empfing dieser ihn zwar mit grollenden Vorwürfen, daß er so lange Zeit zurückgeblieben sei; der brave Kerl aber machte sich nichts aus ihnen und lachte viel mehr heimlich und fröhlich vor sich hin, darüber, daß ihm seine Absicht so gut gelungen sei. –
Die Freunde waren, wie bereits erwähnt, dem Obersten der Heerschaaren mit seiner Truppe vorangeeilt. Als sie das Haus erreichten, war es verschlossen. Sie klopften. Von innen klopfte auch Jemand. Es war die Stimme, welche mit ihren händelosen Armen nicht hätte öffnen können, selbst wenn sie den Schlüssel, den der Pascha wohlweislich eingesteckt hatte, besessen hätte.
Sie gingen nun um das Gebäude herum und stiegen durch einen offenen Laden des Erdgeschosses ein. Die Stube, in welcher sie nun standen, war leer. Von da aus traten sie in den fast dunklen Hausflur. Dort stand die Stumme.
»Wer bist Du?« fragte Steinbach.
Sie antwortete durch einige unarticulirte Laute.
»Herr Gott!« sagte Normann. »Das ist Tschita's Mutter! Weib, wo ist Deine Tochter?«
Sie deutete nach der Thür.
»Fort?«
Sie nickte.
»Ah, also doch spazieren?«
Sie nickte abermals.
»Nicht wahr, nach dem Bade l'Enf?«
Ein drittes Nicken bejahte auch diese Frage. Steinbach hatte indessen die Thür untersucht.
»Sie ist von außen verschlossen,« sagte er. »Es scheint, daß man den Schlüssel mit genommen hat. Wir sind aber gezwungen, zu öffnen.«
Er sah sich um. Im Hausgange lehnte eine Gartenhacke. Er nahm dieselbe und sprengte die Thür auf. Da kam auch bereits der brave Oberst mit seinen kriegerischen Begleitern heranmarschirt.
»Haben Ihnen ihm schon bereits zuweilen beinahe festzunehmen jearretirt!« fragte er.
»Nein. Er ist fort.«
»Was? Ihm ist fort? Wohinüber und herunter?«
»Er ist mit seinem Harem nach l'Enf spazieren.«
»Ihm geht spazieren? Ihm, den Verbrecher? Wir werden ihm dem Spazieren zu verbieten jetzt sogleich einem Hinderniß in das Weg zu legen vorjenommen haben müssen.«
»Wollen Sie ihm nach?«
»Meinen Ihnen, daß es besser zu sein jesonnen ist, wenn ihm hier abjewartet zurückjekehrt sein werden mag?«
»Das will überlegt sein. Wollen erst einmal untersuchen, ob es sich wirklich nur um einen blosen Spazierritt handelt.«
Sie begannen, die Zimmer zu durchsuchen. Da ertönte ein Schrei, von welchem es gar nicht möglich schien, daß er von einem Meeschen ausgestoßen sein könne. Als sich die Männer umblickten, sahen sie, daß es die Frau gewesen war. Sie stand vor Wallert. Ihre ganze Gestalt zitterte vom Kopfe bis zu den Füßen; ihre Augen schienen aus den Höhlen treten zu wollen, und in ihren, Gesicht lag ein Ausdruck angstvollen Entzückens, der gar nicht zu beschreiben ist.
»Was wollen Sie?« fragte er, sich in diesem Augenblicke ganz unwillkürlich der deutschen Sprache bedienend.
Ein zweiter, noch lauterer Schrei war die Antwort. Sie lachte wonnig auf, und zugleich stürzten ihr große, dicke Thränen aus den Augen.
»Mein Heiland!« sagte Normann. »Sollte sie vielleicht gar Deutsch verstehen! Fast scheint es so!«
»Oah, oah!« gurgelte sie hervor.
»Sie verstehen Deutsch?«
»Oah, oah!«
»Sind Sie vielleicht gar eine Deutsche?«
»Oah, oah!« antwortete sie wieder, wohl zwanzigmal dazu nickend.
»Himmel! Tschita's Mutter eine Deutsche!«
»Eing, eing, eing, eing!«
»Sie hat keine Zunge; sie kann nicht sprechen. Soll dieses Wort vielleicht »nein« bedeuten?«
»Oah, oah!« nickte sie.
»Sie sprechen also nicht deutsch?«
»Oah, oah!«
»Also doch! Worauf bezieht sich dann dies nein? Ah, ich nannte Sie Tschita's Mutter! Sind Sie das etwas nicht?«
»Eing, eing, eing!«
»Nicht! Also nicht! Sie armes, beklagenswerthes Wesen, fassen Sie sich; sammeln Sie sich! Beherrschen Sie Ihre Aufregung! Wir müssen uns verständlich machen. Das ist grad in diesem Augenblicke wohl von allergrößter Wichtigkeit. Tschita ist eine Türkin?«
»Eing, eing!«
»Was denn? Doch nicht etwa eine Deutsche?«
»Oah, oah!«
»Mein Jesus! Ist das möglich!«
»Oah, oah!«
Sie nickte und knipte mit dem ganzen Körper, um ihre Aussage zu bekräftigen. Ihr Gesicht, obgleich von Pockennarben gräßlich entstellt, strahlte förmlich vor Entzücken, in ihrer Muttersprache angeredet zu werden.
»Wenn Sie nicht ihre Mutter sind, was sind Sie dann?« fragte er weiter. »Eine Verwandte?«
»Eing, eing!«
»Nicht? Also eine Dienerin?«
»Oah, oah!«
Dabei machte sie mit ihren Armen eine Bewegung, als ob sie ein Kind sich an die Brust lege.
»Ah! Sie waren Tschita's Amme?«
»Oah, oah!«
»So kennen Sie ihre Eltern?«
Sie nickte. Ihr Gesicht drückte eine unendliche Spannung aus. Es war das erste Mal nach langen, langen Jahren, daß sie sich über das verständlich machen konnte, was ihr so bergesschwer auf dem Herzen gelegen hatte.
»Wer ist Tschita's Vater?«
Sie gab eine Antwort, welche wohl keiner der Anwesenden erwartet hätte. Sie deutete mit dem Armstumpfe auf Wallert, kniete vor ihm nieder und legte ihre Lippen auf seine Hand um sie zu küssen. Das geschah in einer solchen Weise, daß Allen die Thränen in die Augen traten.
»Sie irren!« fuhr Normann fort. »Dieser junge Mann kann doch nicht Tschita's Vater sein.«
»Eing, eing!« antwortete sie, also nein nein. Und doch fügte sie sofort hinzu oah, oah, also ja ja, indem sie fortgesetzt auf ihn deutete.
»Ah, Sie wollen wohl sagen, daß er ihrem Vater sehr ähnlich sieht?«
Sie that förmlich einen Sprung vor Freude darüber, so gut verstanden worden zu sein. Normann fuhr fort:
»Das ist aber jedenfalls nur ein Zufall.«
Sie stellte sich vor Wallert hin, sah ihn genau an und schüttelte höchst demonstrativ den Kopf.
»Nicht? Meinen Sie etwa gar, daß er verwandt mit ihrem Vater sei?«
»Oah, oah!«
»Wunderbar! Aber dennoch! Konnten Sie früher schreiben?«
Sie nickte.
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