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Oben über ihnen schwebte ein Aasgeier. Tarik legte sein Gewehr an, zielte nur einen Augenblick und drückte dann ab. Der Geier zuckte zusammen und kam in einer engen Schneckenlinie herabgestürzt. Da bewegte er noch einmal die Flügel und war nun todt.
»Siehst Du,« sagte Tarik. »Wolltest Du auch jetzt noch wagen, Dich mit mir zu schießen?«
Steinbach gab ihm die Hand und antwortete freundlich:
»Das war wirklich ein sehr guter Schuß. Ich sehe, daß ich Dich zu fürchten habe, doch was ein Mann sagt, dabei muß es bleiben. Wir werden uns schießen.«
»Nun gut! Du willst es so haben und ich kann nicht zurücktreten, aber sei überzeugt, daß ich Dich nicht tödten werde. Ich werde versuchen, Dir nur eine kleine, ungefährliche Wunde beizubringen.«
»Ja, thue das! Thue das!« fiel die Königin ein, der jetzt das Herz leichter wurde. Dies sah man daraus, daß das Blut wieder in ihre Wangen zurückgekehrt war.
»Ich danke Euch!« antwortete Steinbach mit fröhlichem Lächeln. »Aber ich habe Euch ja noch gar nicht gesagt, nach wem oder nach was wir schießen wollen.«
»Also nicht nach uns?« fragte Tarik erstaunt.
»O nein. Wir bestimmen irgend ein anderes Ziel.«
»Wird man uns nicht für feige halten?«
»Das glaube ich nicht. Du bist mir im Schießen weit überlegen, darum ist es nicht Muthlosigkeit von Dir, wenn Du auf meinen Vorschlag eingehest. Und ich habe den Riesen besiegt; wer will behaupten, daß ich ein Feigling sei? Ich würde sofort auf Leben und Tod mit ihm kämpfen.«
»Keiner, Keiner würde das behaupten!«
»Das bin ich auch überzeugt. Es ist ja gar nicht nothwendig, daß Derjenige, welcher die Königin nicht bekommt, nun geradezu sterben muß. Der Stamm braucht einen Scheik, welcher tapfer ist und geschickt in der Führung der Waffen. Diese Geschicktheit aber kann man beweisen auch ohne daß man Andere erschießt.«
»Du hast Recht. Nach welchem Ziele aber wollen wir schießen? Du hast das zu bestimmen.«
»Wir errichten da oben auf der Ecke der Ruine eine Zeltstange, auf welche wir, nämlich auf der Spitze, einen Stein legen. Jeder von uns Beiden thut fünf Schüsse, um den Stein herabzuschießen. Wer das Ziel mehrere Male trifft als der Andere, der ist der Sieger. Ist Dir das recht?«
»O, sehr recht, sehr,« antwortete Tarik, tief aufathmend. Es war ihm eine große Last vom Herzen. Er war jetzt überzeugt, daß er Sieger sein werde, denn im Gebrauche des Gewehres hatte es ihm außer Hilal noch Keiner gleich gethan. Und doch brauchte er seinen Gegner weder zu verwunden, noch gar zu tödten.
Auch die anderen in der Nähe Stehenden begrüßten den Beschluß mit Freuden, nur der alte Scheik der Beni Abbas sagte unzufrieden:
»Ist meine Tochter nicht eines ernsten Kampfes werth?«
»Sie ist es werth; ich habe es bewiesen, indem ich mit Falehd kämpfte. Es kann aber Allah nicht gefallen, wenn seine Gläubigen sich zerfleischen oder gar tödten, ohne daß es nöthig ist. Warum sollen sich Freunde erschießen, da sie ihr Leben doch sparen können zum Kampfe gegen ihre gemeinsamen Feinde.«
»So mag die Versammlung entscheiden, ob es nicht feig ist, auf einen ernsten Kampf zu verzichten!«
Die Alten traten wieder zusammen und entschieden zu Gunsten von Steinbach's Vorschlag. Das war ja unbedingt der beste Ausweg aus dem Dilemma, daß zwei Freunde nach demselben Preise rangen.
Als der Beschluß verkündet wurde, löste sich die bisherige Ordnung der Zuschauer auf. Das Ziel war hoch, und so brauchte man nicht sehr peinlich zu sein. Ein Jeder konnte es auch aus größerer Entfernung sehen.
Die Spannung, welche sich der Leute bemächtigte, war vielleicht noch größer als die vorherige. Man kannte Tarik als den vorzüglichsten Schützen, aber man hatte auch bereits vernommen, was von Normann über Steinbach gesagt worden war, nämlich, daß er niemals einen Fehlschuß thue. Man war also förmlich brennend, den Ausgang dieses interessanten Duelles zu erfahren. Jetzt, da es nun nicht mehr um das Leben ging, hätten sich gern noch viele Andere zum Kampfe gemeldet.
Tarik entfernte sich, um sich Munition zu den fünf Schüssen zu holen. Auch Steinbach sagte zu Normann:
»Ich will mein Gewehr holen. Bleiben Sie hier bei dem Riesen, um zu verhindern, daß er sich mit seinen Freunden in's Einvernehmen setzt.«
»Befürchten Sie eine Heimtücke?«
»Ich traue weder ihm noch ihnen. Er wird sich jedenfalls zu rächen suchen.«
»O, er wird ja sterben.«
»Das wollen wir nur abwarten.«
»Er wird doch nicht die fürchterliche Schande auf sich laden, um sein Leben zu bitten!«
»Ich traue es ihm aber doch sehr zu. Uebrigens werde ich ihn auf keinen Fall tödten.«
»So muß er, wenn er wirklich ein tapferer Mann ist, sich selbst umbringen. So erheischen es die grausamen Sitten dieser halbwilden Völkerschaften.«
»In diesem Falle würde er wohl erst mich umbringen, hinterrücks natürlich. Darum sollen Sie ihn jetzt bewachen, damit er isolirt bleibe.«
»Schauen Sie her! Er ist noch besinnungslos.«
»Meinen Sie? Ich sah seine Wimper zucken und glaube, daß er sich nur so stellt. Er hat das Bewußtsein bereits wieder, schämt sich aber, seinem Ueberwinder in das Angesicht zu sehen.«
Er ging nach der Ruine, von welcher er bald zurückkehrte, das Gewehr in der Hand. Es gab in der Nähe des Gemäuers ein außerordentliches reges, lärmendes Treiben. Man stritt hin und her; man bot sich Wetten an. Steinbach war Zeuge, daß Mehrere auf ihn wetteten, und zwar setzten sie einen Preis, der im Verhältnisse zu ihrem Besitze ein sehr bedeutender war. Das that ihm leid. Darum ließ er die verschiedenen Parteien vor sich kommen und bestimmte sie, den Wortlaut der Wetten dahin zu formuliren, daß der Ausdruck »Fehlschuß« mit aufgenommen wurde.
Ein junger Beni Sallam hatte eine Zeltstange geholt und sie an der angegebenen Ecke befestigt. Er legte dann einen etwa faustgroßen Stein auf die Spitze derselben und trat nachher zurück, um nicht etwa selbst getroffen zu werden.
Die beiden Wettenden wurden jetzt von dem alten Kalaf auf einen für sie freigehaltenen Platz geführt. Dort saß auch die Königin mit Hiluja. Ihr Vater hatte sich einen anderen Punkt gewählt, von welchem aus er das Ziel beobachten wollte. Sie winkte Tarik zu sich heran und bat leise:
»Gieb Dir ja Mühe, keinen Fehlschuß zu thun!«
»Habe keine Sorge!« beruhigte er sie. »Ich werde alle fünf Male treffen.«
»Gieb mir die Kugeln!«
Er gab sie ihr; sie schloß sie in ihre hohlen Hände und flüsterte dabei die Worte des Kuran:
»Das sind die Kugeln, von Allah gesegnet. Sie eilen an ihr Ziel, von Engeln getragen, und nichts vermag, sie aufzuhalten oder aus der Richtung zu bringen. Selbst der neunmal gesteinigte Teufel hat keine Gewalt über sie. Allah sei Dank für seine Güte!«
Viele Beduinen glauben, daß keine Kugel, über welche diese Worte gesprochen worden sind, fehl gehen könne. So sagte auch Tarik, als sie ihm die Projectile jetzt wieder zurückgab:
»Ich danke Dir! Nun werde ich den Stein ganz sicher von der Stange schießen. Ich bin unbesiegbar.«
Jetzt war der Augenblick gekommen. Alles blickte mit Spannung auf die Beiden.
»Wer schießt zuerst?« fragte Tarik.
»Masr-Effendi,« antwortete Kalaf. »Er ist der Sieger von vorher und auch ein vornehmer Mann, gegen welchen man Höflichkeit zu üben schuldig ist.«
»Ich lasse Tarik den Vorrang,« antwortete Steinbach. »Er ist ein Sohn der Beni Sallam. Wenn es sich um eine Tochter der Beni Sallam handelt, hat er also das Recht, vor mir zu schießen.«
Dies gab einen kurzen, freundschaftlichen Streit, den wieder die Aeltesten entscheiden mußten. Sie thaten dies zu Gunsten Steinbach's. Sie sagten, er wolle den Beni Sallam eine Ehre erweisen, und so zieme es sich für diese, höflich gegen ihn zu sein, indem man ihm seinen Wunsch erfülle. Tarik schoß also zuerst. Als er die Flinte erhob, schlug der Mueddin an sein Brett, um alle Anwesenden zu benachrichtigen, daß der Augenblick gekommen sei.
Es handelte sich um sehr viel, um den Besitz des schönsten Weibes des Stammes und um die Würde des Scheikes, also um das Höchste, was es überhaupt für einen Beduinen geben kann. Darum verfuhr Tarik mit der größten Sorgsamkeit. Er zielte lange, so lange, daß sich einige halblaute, unmuthige Ausrufe hören ließen. Er kümmerte sich nicht um dieselben, und auch Hilal, welcher neben ihm stand, flüsterte ihm zu:
»Laß Dich nicht zur Eile verleiten. Du weißt, es steht Alles auf dem Spiele.«
Tarik stand, wie aus Erz gegossen. Er war wirklich ein schöner, junger Mann. Das sah man jetzt sehr deutlich, da er den Burnus abgelegt hatte und nun, nach Beduinensitte nur halb bekleidet, in der Stellung eines Schützen da stand.
Endlich krachte der Schuß. Ein Augenblick athemloser Aufmerksamkeit – dann brach von allen Seiten lauter Jubel los. Dieser Beifall wuchs von Schuß zu Schuß. Jede der Kugeln erreichte das Ziel; nur die fünfte, die letzte, streifte den Stein nur, ohne ihn herabzuwerfen. Der junge Mann war seiner Sache zuletzt doch ein Wenig zu sicher gewesen.
Jetzt begann ein Streit, wofür diese Kugel zu rechnen sei. War der letzte Schuß ein Treffer oder ein Fehlschuß. Die Versammlung der Aeltesten entschied, daß es zwar kein Fehlschuß sei, da er den Stein getroffen habe; da es sich aber darum handele, den Stein herabzuschießen, so könne der letzte Schuß nicht als Treffer gelten. Tarik hatte also nur vier Treffer aufzuweisen Steinbach gegenüber.
Es begann jetzt dem jungen Manne doch bange zu werden. Wenn Steinbach fünf Treffer that, so war die Königin unwiderbringlich für ihren Geliebten verloren. Dieser faltete in seiner großen Herzensangst die Hände und betete flüsternd vor sich hin:
»O Allah! O Erbarmer! O Gnädiger! O Gütiger! O Mitleidiger! Schlage ihm die Flinte bei Seite, so daß keine seiner Kugeln treffe!«
Steinbach hatte die Worte doch gehört, da der Sprecher in seiner Angst doch etwas zu wenig leise gesprochen hatte. Er wendete sich daher lachend zu ihm und sagte mit dem Finger drohend:
»Und Du nennst Dich meinen Freund! Allah wird Deine Untreue gegen mich dadurch bestrafen, daß er mich den Stein fünfmal treffen läßt!«
Und sich zu dem alten Kalaf drehend, zeigte er diesem die Waffe und sagte:
»Siehe, das ist so eine Nadelflinte. Jetzt sollst Du sehen, wie man damit schießen kann!«
Der Alte nahm ihm das Gewehr aus der Hand, betrachtete es aufmerksam, schüttelte in höchster Verwunderung den Kopf und sagte endlich:
»Die kannst Du doch auch nur von vorn laden. Hinten hat sie ja kein Loch!«
Er öffnete die Kammer, zeigte und erklärte ihm den Mechanismus, schob die Patrone ein und verschloß dann das Gewehr wieder. Als er jetzt anlegte, schlug der Mueddin wieder an sein Brett.
»Allah illa Allah!« betete Tarik.
»Muhammed Rassuhl Allah!« fügte Badija hinzu.
Der Schuß krachte, und der Stein flog herab. Der junge Mann oben an der Stange hatte kaum einen anderen darauf gelegt, so flog auch dieser herab und dann auch der dritte.
»Allah 'l Allah!« flüsterte Tarik, welchem jetzt der Angstschweiß auf der Stirn stand.
»O Himmel, o Kadidscha, Du Mutter der Gläubigen und der Seligen!« stöhnte die Königin leise, die Hand ihrer Schwester ergreifend und so fest drückend, daß die Letztere einen Ruf des Schmerzes ausstieß.
»Er schießt viel besser noch als ich!« gestand Tarik, mehr aus Angst, als aus Aufrichtigkeit.
»Nicht wahr! Da kannst Du Recht haben,« sagte Steinbach, ihn lustig anlachend. »Aber Du hast noch gar nicht gesehen, wie ich schieße. Ich werde es Dir jetzt zeigen. Seht Ihr dort draußen das große, braune Kameel, welches wiederkauend an der Erde liegt?«
»Ja,« lautete die Antwort.
»Was seht Ihr auf seinem Höcker?«
»Ein Aßfur.«
Es giebt nämlich eine Vogelart, welche sich sehr gern in der Nähe der Kameele aufhält, weil sie da eine reichliche Nahrung finden. Diese Vögel fressen nämlich den Kameelen die Läuse aus dem Felle. Dies wissen die Kameele sehr genau, darum halten sie still, wenn ein solcher Vogel sich auf sie niederläßt, und hüten sich sehr, ihn durch eine hastige, unvorsichtige Bewegung zu verscheuchen. Der Beduine nennt dieses gefiederte Thier einfach Aßfur, welches Wort eben nur Vogel bedeutet.
»Und weiter rechts davon steht ein zweites Kameel,« fuhr Steinbach fort. »Was seht Ihr auch auf dessen Rücken sitzen?«
»Auch ein Aßfur.«
»So merkt einmal auf, was jetzt mit diesen Aßafir geschieht!«
Aßafir ist die Mehrzahl von Aßfur, Vogel.
Er erhob das Gewehr. Zwei Schüsse, schnell hinter einander abgefeuert – die Umstehenden blickten ihn staunend an, staunend über die für sie ungeheuere Schnelligkeit, mit welcher er geladen hatte, und auch staunend über sein Benehmen, welches sie sich nicht zu erklären vermochten.
Nach seinen drei ersten Schüssen war ihm von allen Seiten ein lebhafter Beifall entgegen geklungen; jetzt aber waren Alle still. Sie wußten nicht, was er eigentlich gewollt hatte.
»Nun,« sagte er, »wo sind die beiden Aßafir?«
»Fort, weggeflogen,« antwortete Hilal.
»Hast Du sie fortfliegen sehen?«
»Nein.«
»Gehe einmal hin, und suche nach ihnen!«
»Willst Du sie etwa geschossen haben?«
»Ja.«
»Das ist unmöglich.«
»Warum?«
»Ein Aßfur in solcher Entfernung! Ich würde das Kameel erschießen, aber nicht den Vogel treffen.«
»So gehe nur hin! Du wirst Beide finden.«
Da lief nicht nur Hilal, sondern viele Andere sprangen mit ihm fort. Als sie bei den beiden Kameelen ankamen, erhoben sie ein lautes Jubelgeschrei und kehrten in eiligem Laufe zurück. Sie brachten die beiden Vögel, welche wirklich ganz ausgezeichnet getroffen waren und von Hand zu Hand gingen.
Es ist unmöglich, die Ausdrücke des Staunens und der Bewunderung zu bringen, welche Steinbach anzuhören hatte. Besitzt die arabische Sprache einen fast unerschöpflichen Quell der derbsten Schimpf- und Fluchwörter, so ist sie im Gegentheile auch sehr reich an Ausdrücken, welche in hohem Grade Den ehren, gegen Den sie gebraucht werden. Erst nach längerer Zeit kam man auf den eigentlichen Gegenstand zurück, mit welchem man es zu thun hatte. Der Jüngling nämlich, welcher oben bei der Zeltstange stand, sah, daß ihm jetzt gar keine Aufmerksamkeit geschenkt wurde, und ließ einen lauten Ruf vernehmen. Er erwartete, daß Steinbach noch zwei Schüsse thun werde. Dieser aber winkte ihm zu, herabzukommen. Das aber erregte ein abermaliges Erstaunen.
»Wie steht es denn mit den letzten beiden Schüssen?« fragte der alte Kalaf.
»Die habe ich doch gethan.«
»Nein. Du hast nur dreimal nach dem Stein geschossen. Es bleiben Dir also noch zwei Kugeln.«
»Ich habe fünfmal geschossen. Fünf Schüsse waren ausgemacht, also bin ich fertig.«
»Allah! So willst Du verzichten?«
»Nein, ich verzichte nicht; ich habe die bestimmte Anzahl Kugeln abgesandt. Tarik hat den Stein viermal getroffen, ich nur dreimal. Das muß doch ein Jeder von Euch zugeben. Ihr habt es ja gesehen und auch nachgezählt.«
»So ist er doch der Sieger!«
»Ja, daß ist er.«
»Herr, das hast Du mit Fleiß gethan!«
»Die Vögel machten mich irre. Ich wollte Euch zeigen, daß man mit einer solchen Flinte nicht nur Steine trifft, und so habe ich um der beiden Aßafir willen die Königin verloren und auch die Würde des Anführers. Ihr seht, welchen Schaden es bringt, wenn der Mensch zu hitzig und zu voreilig ist. Nehmt Euch ein Beispiel an mir, und handelt überlegter!«
Er drängte sich durch den Haufen, der sich um ihn gesammelt hatte, hindurch und ging zu Normann, welcher noch bei dem Riesen saß. Tarik aber kam ihm eiligst nach, ergriff ihn am Arme und sagte:
»Herr, Du hast doch nur Scherz getrieben!«
»O nein. Ich pflege niemals aus Scherz daneben zu schießen und mich auslachen zu lassen.«
»So sollen die beiden Schüsse also wirklich für voll gezählt werden?«
»Natürlich!«
»O Allah! So gehört ja Badija mir!«
»Ist Dir das nicht lieb?«
»Nicht lieb? Herr, so wie mir kann es keinem der Seligen im siebenten Himmel zu Muthe sein. Ich kann es gar nicht glauben, daß Du Badija aufgiebst, nachdem Du um ihretwillen Dein Leben gewagt hast.«
»Um ihretwillen? Nein, sondern um Deinetwillen.«
»Wieso, Herr?«
»Nun, ich glaubte, daß der Riese Dich besiegen werde, und da ich wußte, daß ich ihm überlegen bin, so trat ich an Deine Stelle. Ich wollte mir die Königin erkämpfen, um sie dann an Dich abzutreten.«
»Jetzt, jetzt verstehe ich Dich! O Allah! Jetzt weiß ich nicht, wie ich Dir jemals danken soll!«
»Du bist mir gar keinen Dank schuldig.«
»Für so eine Großmuth! Du trittst mir die schönste der Frauen freiwillig ab!«
»Lieber Tarik, es giebt noch hunderttausend Weiber, von denen jede Einzelne die schönste der Frauen ist, nämlich für Denjenigen, der gerade sie und keine andere liebt. Gehe hin, und sei glücklich!«
Da bückte sich Tarik schnell, ehe Steinbach es verhindern konnte, nieder, küßte seine Hand und rief:
»Tausendmal Dank, millionenmal Dank! Ich werde für Dich beten, so lange ich lebe, und ich werde allen meinen Kindern und Kindeskindern lehren, für Deine Kinder und Kindeskinder zu beten!«
Steinbach antwortete lachend:
»Wir wollen jetzt unsere Nachkommen noch nicht so genau ausrechnen und auszählen. Bis jetzt sind wir nur die Urahnen ohne Nachkommen und ohne Frau. Eile jetzt, damit Du recht bald die Deinige erhältst! Ich wünsche Dir, daß es in fünfzig Jahren einen Stamm der Beni Tarik gebe, welcher tausend Köpfe zählt!«
»O Allah, Allah, das ist zu viel, tausend Köpfe in fünfzig Jahren!«
Bei diesen Worten rannte er davon. Er traf die beiden Schwestern nicht mehr an der Stelle, an welcher er sie verlassen hatte. Sie waren nach der Ruine gegangen, und er folgte ihnen nach, vor Glück und Seligkeit fieberhaft aufgeregt.
Unten verkündete der Mueddin den Ausgang des Kampfes. Die Veröffentlichung wurde mit allgemeinem Jubel aufgenommen, besonders auch mit aus dem Grunde, daß Niemand eine Wette verloren hatte, da faktisch kein Fehlschuß gethan worden war. Man begann erst jetzt die Absichten Steinbach's klar zu durchschauen; man pries seine Weisheit, seine Stärke, seinen Muth, und selbst die Anhänger Falehds mußten mit einstimmen, um sich nicht mißliebig zu machen.
Als Tarik die Ruine erreichte, waren die Schwestern bereits im Innern derselben verschwunden. Er ging ihnen nach. Als er bei ihnen eintrat, entfernte sich Hiluja rücksichtsvoll. Sie sagte sich, daß diese Beiden jetzt doch wohl am Liebsten mit einander allein sein möchten, und sie hatte Recht.
Sie standen sich einander gegenüber, ohne sofort zu Worte zu kommen, er war verlegener als sie.
»Ich hörte noch unter der Thür die Schläge des Mueddin,« sagte sie. »Was wurde verkündigt?«
»Daß ich der Sieger bin.«
»Ich dachte es mir.« Sie legte ihm die Hand auf die Achsel und fuhr fort: »Weißt Du, was ich von diesem Masr-Effendi denke?«
»Er ist ein Held.«
»Er kommt mir wie noch viel mehr vor, nämlich wie ein Engel, welchen Allah uns vom Himmel gesandt hat, um uns die höchste Gnade und Barmherzigkeit zu erweisen. Du und Hilal, Ihr hättet für mich gekämpft und wäret getödtet worden. Masr-Effendi hat Euch und mir das Leben gerettet, denn auch ich wäre gestorben. Tarik, hörst Du, die Schläge erschallen wieder; es ist die Zeit des Nachmittaggebetes. Laß uns vor allen Dingen hier mit einander niederknieen, um Allah zu danken und zu preisen für seine unendliche Barmherzigkeit und ihn zu bitten, das ganze Maaß seiner Liebe auszuschütten über unseren Retter, welcher sein Leben wagte, um uns vom schmählichen Tode zu erlösen!«
Sie knieeten neben einander nieder und beteten, nicht laut, sondern still und einander unhörbar. Der aber, zu dem sie beteten, hörte die Stimme ihrer Herzen und sah die Aufrichtigkeit ihrer Wünsche. Welchen Namen man ihm auch geben möge, ob man ihn Herr, Gott, Manitou oder Allah nenne, er ist doch Ein- und Derselbe, die ewige, unendliche Liebe, der Schöpfer und Vater aller Menschen, der nicht nach der Verschiedenheit der Bekenntnisse fragt, sondern nur das Herz und die Nieren prüft. Vor ihm sind Alle gleich, Christen, Juden, Türken, Heiden. Nicht das Bekenntniß thut es, nicht die Confession, sondern der eine, große Gottesgedanke, von welchem der Dichter sagt:
»So einigt er zu Einem Strome
Die Menschheit all', von nah und fern,
Zu knien anbetend in dem Dome
Der Schöpfung vor dem Einen Herrn.
Der Glaube nur kann triumphiren,
Der Einen Gott und Vater kennt.
Die Namen sinken, und es führen
Die Wege all' zum Firmament!«
Es waren heilige Augenblicke, in denen die Beiden da knieeten und stilles Zwiegespräch mit Allah hielten. Und als sie sich erhoben und nun vor einander standen, fühlten sie sich erhoben und ergriffen, als ob sie einem Gottesdienste beigewohnt hätten. Die Weihe blieb noch über und auf ihnen, so daß es ihnen unmöglich gewesen wäre, jetzt von alltäglichen, profanen Dingen zu sprechen. Es gab vielmehr für sie nur einen großen Gedanken und ein großes, gewaltiges Empfinden: die Liebe. Badija reichte Tarik ihr kleines Händchen hin und sagte, glücklich lächelnd:
»Du bist der Sieger, ich gehöre Dir!«
Er aber zögerte, das Händchen zu ergreifen und antwortete:
»Nach den Gesetzen bin ich der Sieger, aber in Wahrheit doch nicht. Ich habe Dich vielmehr nur geschenkt erhalten.«
»Das ändert doch an den Folgen nichts!«
»O doch! Ich wollte kämpfen, um Dich zu befreien. Besitzen aber kann ich Dich doch nicht.«
»Warum nicht?«
»Kann der Sterbliche die Sonne sein Eigenthum nennen?«
»Ja, denn es ist ihre liebste Aufgabe, ihm zu strahlen.«
»Und was nützt es mir, daß Masr-Effendi Dich mir geschenkt hat! Wie glücklich, wie unendlich glücklich wäre ich, wenn ich dieses kostbare Geschenk von einem Andern, von einer anderen Person erhalten hätte!«
»Dann hättest Du es wohl angenommen?«
»Mit tausend Freuden!«
»Von wem wolltest Du mich denn geschenkt haben?«
»Von Dir, nur von Dir allein.«
Da nahm sie ihn bei beiden Händen, da er es nicht gewagt hatte, ihre Hand zu ergreifen, und fragte ihn:
»So hast Du wohl ganz und gar vergessen, was ich Dir heute in der Nacht da draußen gesagt habe?«
Sie blickte ihm so warm und innig in das Angesicht, daß er, tief und glücklich Athem holend, sagte:
»War das denn Dein Ernst?«
»Wie könntest Du denken, daß er es nicht gewesen sei! Aber wir wurden unterbrochen; ich mußte so schnell fort, und da konntest Du mir keine Antwort geben.«
»Du hättest sie wohl gern gehört?«
»Von Herzen gern. Willst Du sie mir jetzt sagen?«
»Ob ich sie sagen will! Oh Allah! Und wenn ich tausend Zungen und abertausend Lippen hätte, könnte ich Dir doch nicht hinreichend sagen, wie wahr, wie groß meine Liebe ist. Kann der armselige Wassertropfen erzählen, welch Leben in dem Meere herrscht? Kann das Sandkorn Dir beschreiben, wie unendlich weit sich die Wüste dehnt? Kann der Hauch, welchen Du athmest, Dir Kunde geben von den Sonnen, Monden und Sternen, welche der Aether küßt? Ebenso unmöglich ist es mir, von Dem zu sprechen, was ich für Dich im tiefsten Herzen trage.
»Und ebenso geht es mir. Es giebt keine Sprache und keine Worte, die Liebe und ihre Seligkeiten zu beschreiben. Ich kann nur sagen wie Ruth, jenes Weib, von welchem unsere Ueberlieferungen erzählen: Dein Volk ist mein Volk, und Dein Gott ist mein Gott; wo Du hingehest, will ich auch hingehen, und wo Du stirbst, da will auch ich begraben sein. Bis jetzt bin ich Deine Anführerin, Deine Königin gewesen. Darf ich Dir nichts Anderes sein, etwas viel Schöneres, viel Herrlicheres?«
»Ich verstehe Dich und wage doch nicht zu glauben, Dich zu verstehen. Wolltest Du mir wirklich, wirklich Das sein, als was ich Dich zu besitzen wünsche?«
»Als was? Sage es!«
»Als mein – mein – – mein Weib!«
Ja, es wurde ihm schwer, dieses Wort auszusprechen. Er sah ihren selig leuchtenden Augen an, welch' wonniges Gefühl sie für ihn in ihrem Herzen trug; sie hatte es auch ausgesprochen; sie hatte gesagt, daß sie ihn liebe; aber es war doch zu groß, viel zu groß für ihn, sich als den Herrn und Besitzer der körperlichen und seelischen Schätze zu denken, welche er da vor sich erblickte. Sie aber nickte ihm innig zu und antwortete:
»Ja, das ist es, was ich sein möchte. Dein Weib, aber doch zugleich noch ein ganz klein Wenig Deine Königin.«
»Du warst es, Du bist es, und Du bleibst es, nämlich meine Königin. Aber dadurch machst Du mich zum Könige, zum Herrscher. Es ist mir, als ob ich über Wolken wandele, als ob ein Theil von Allahs Herrlichkeit über mich gekommen sei. Nur Das allein giebt mir den Muth, die Hand nach Dir zu erheben. Badija, Badija, liebst Du mich denn wirklich so, daß Du mir gehören willst?«
»Ja. Dir will ich zu Eigen sein, nur Dir allein!«
Da zog er sie an sich, legte die Arme fest, fest um sie und sagte, im Flüstertone, denn laut zu sprechen, dies war ihm bei der gewaltigen, glücklichen Erregung, in welcher er sich befand, nicht möglich:
»Meine Badija! Meine Königin! Meine Geliebte und mein Weib! Allah oh Allah! Werde ich das ertragen können?«
Sie hob das Köpfchen zu ihm empor und tröstete:
»Verzage nicht! Du wirst es ertragen können, denn ich trage es ja mit, mein lieber, lieber Tarik!«
»So wollen wir dieses Glück fest halten, so fest, wie ich Dich in meinen Armen halte, bis zur Todesstunde!«
»Und noch darüber hinaus!«
»Ja, in alle, alle Ewigkeit!«
Sie vereinigten ihre Lippen, ohne sie wieder von einander zu trennen. Es war, als ob dieser Kuß von derselben Dauer sein solle wie das Glück, von dem sie soeben gesprochen hatten – in alle, alle Ewigkeit.
Dann standen sie beisammen, flüsternd und lauschend, als hätte noch Keins von ihnen des Anderen Stimme gehört, oder als ob Jedes in der Stimme und dem Tone des Anderen einen ganz neuen, bisher unbekannten und geheimnißvollen Wohlklang entdecke.
Und so hätten sie wohl noch lange gestanden, sich einander in die Augen geblickt, sich geherzt und geküßt und einander erzählt von ihrer Liebe, Liebe und immer wieder Liebe, wenn nicht draußen sich plötzlich der brausende und vielstimmige Ruf erhoben hätte:
»Selamet, selamet, selamet el melik me melika – Heil, Heil, Heil dem Könige und der Königin!«
»Man ruft uns aus!« fuhr Tarik aus seiner Verzückung empor. »Hörst Du es?«
»Ja. Man hat also über Dich berathen.«
»Und mich wirklich zum Scheik gemacht.«
»So sind die Anhänger Falehds, die Gegner des Vicekönigs überwunden und geschlagen.«
»Und Falehd selbst wird nun todt sein. Komm, wir müssen uns dem Stamme zeigen!«
Sie gingen hinaus, Badija im ruhigen, überlegenen Bewußtsein ihres Glückes und ihrer Würde, Tarik aber wankend. Er befand sich wie im Traume, es schwirrte ihm vor den Ohren, es hatte ihn eine Art von Taumel ergriffen, aber eine Art solchen Taumels, daß er hätte wünschen mögen, derselbe möchte niemals von ihm weichen.
Was er von Falehd gesagt hatte, war nun freilich nicht zur Wahrheit stimmend. Der Riese war nicht todt.
Als die beiden Schwestern sich entfernt hatten und Tarik ihnen nachgeeilt war, hatte Steinbach sich zur Stelle verfügt, an welcher der Besiegte lag, von Normann bewacht. Hilal und der Scheik der Beni Abbas waren auch hinzugekommen.
»Ist er erwacht?« fragte Steinbach.
»Nein,« antwortete Normann.
»Das sollte mich wundern. Ich habe dieselbe Ansicht, welche ich bereits vorher aussprach. Passen Sie auf.«
Er hatte Deutsch gesprochen, so daß der angeblich noch Besinnungslose die Worte nicht verstehen konnte. Am Boden lag ein Halm dürren Wüstengrases. Steinbach bückte sich, hob ihn auf und fuhr damit Falehd in das innere Ohr. Sofort schüttelte der Riese, schnell das rechte Auge öffnend, den Kopf. Er hatte nur so gethan, als ob er noch immer ohnmächtig sei.
»Du lebst noch?« sagte Steinbach im Tone des Erstaunens. »Ich glaubte Dich todt. So wirst Du nun jetzt sterben müssen.«
Er zog das Messer aus dem Gürtel und nahm es stoßgerecht in die Hand. In den Augen des Riesen blitzte es glühend auf.
»Ich bin gefesselt!« murmelte er.
»Das kann Dir gleichgiltig sein.«
»Es ist eine Beleidigung.«
»Wer am Tode steht, achtet keiner Beleidigung mehr. Welche Wünsche hast Du noch?«
»Daß Dich der Teufel verschlingen möge!«
»Das thut er nicht, weil er an Dir satt genug bekommen wird. Mache Dein Wassiget nameh!«
Wassiget nameh heißt so viel wie Testament. Es waren jetzt noch viele Andere hinzugetreten, welche einen engen Kreis um die Gruppe bildeten. Der Verwundete zeigte keinen so häßlichen oder gar schrecklichen Anblick, wie man hätte denken sollen. Er hatte die Zähne, welche ihm eingeschlagen worden waren, ausgespuckt, auch hielt er das linke Augenlid geschlossen, und da er übrigens vom Blute gereinigt worden war, so konnte man nur die geschwollenen Lippen und die außerordentlich blau angelaufene Nase als die Folgen des Kampfes erkennen.
»Willst Du mich morden?« knirrschte er.
»Nicht morden. Dein Leben gehört mir, und ich kann also damit thun, was mir beliebt.«
»So thue es!«
»Ich werde es Dir nehmen.«
»Nimm es, und sei verflucht!«
»Du selbst hast keine Gnade geben wollen; ich aber bin bereit, Dir das Leben zu schenken, wenn Du mich jetzt um Gnade bittest.«
»Dich niemals!«
»So mache Dich bereit. Ich gebe Dir fünf Minuten Zeit, Deine letzten Verfügungen zu treffen.«
»Ich mag keine Verfügungen treffen. Thut was Ihr wollt mit dem was mir gehört!«
»Ach, es wird so, wie ich dachte,« bemerkte Steinbach in deutscher Sprache zu Normann.
»Sie denken, daß er um Gnade bitten werde?«
»Ganz gewiß.«
»Ich bezweifle es.«
»O, er wird doch über sein Eigenthum und seine Heerden bestimmen, damit sie nicht der Königin, die noch seine einzige Verwandte ist, und somit also auch seinem Gegner Tarik in die Hände kommen. Ich werde ihm noch den Mueddin anbieten, weist er auch diesen ab, so will er nicht sterben.«
Und in arabischer Sprache fuhr er, zu dem Verwundeten gewendet, fort:
»So mag der Mueddin kommen, um das Gebet des Todes über Dich zu sprechen.«
»Verdammt sei der Mueddin sammt aller seiner Plärrerei! Ich mag ihn nicht!«
»So mußt Du ohne Gebet und Testament sterben. Allah mag sich Deiner Seele erbarmen! Wie willst Du sterben? Durch mein Messer oder durch meine Flinte?«
»Du bist ein Hund. Du bellst, aber Du beißest nicht!«
»So irrst Du Dich. Du meinst, daß ich Dir Gnade geben werde, auch ohne, daß Du bittest; das aber thue ich nicht. Da Du weder durch mein Messer, noch durch meine Kugel sterben willst, so werde ich nun also thun, was mir beliebt. Du schimpfest auf mich, trotzdem ich Dir mein Erbarmen zeige, Du bist nicht werth, den Tod eines Kriegers zu sterben. Ich werde Dich aufhängen lassen!«
Da bäumte sich der Riese trotz seiner Fesseln auf und brüllte:
»Hund und Vater eines Hundes! Durch den Strick stirbt kein tapferer Beduine!«
»Das ist wahr, Du aber wirst durch ihn sterben, denn Du bist nicht tapfer. Du bist nur roh; Du beleidigst Den, der Dich besiegt. Nicht einmal das Aufhängen bist Du werth. Du sollst also erdrosselt werden. Und da der Prophet sagt, daß die Seele keines Mannes, welcher durch den Strick stirbt, in den Himmel eingehe, so wirst Du in der Hölle braten, wohin Du mich gewünscht hast. Man hole mir einen Kameelsstrick!«
Der Prophet Muhammed hat das wirklich gesagt, aber die späteren seiner Nachfolger, also die Khalifen und Sultane, haben doch eine Ausnahme constatirt. Wer durch die seidene Schnur stirbt, welche ihm der Sultan sendet, der kann noch selig werden; ja diese Todesart gilt sogar für eine bevorzugte, so daß sie nur bei solchen Personen angewendet wird, denen der Sultan eine öffentliche und entehrende Hinrichtung ersparen will.
Normann ging und brachte nach wenigen Augenblicken einen aus Dattelfaser gefertigten Strick.
»Lege ihn denselben um den Hals!« sagte Steinbach.
Normann folgte dieser Aufforderung.
Als der Riese den Strick an seinem Halse fühlte, machte er eine gewaltige Anstrengung, seine Fesseln zu zerreißen; aber das gelang ihm nicht, und so schrie er:
»Das darfst Du nicht! Du darfst mich nicht erwürgen!«
»Ich werde Dir gleich zeigen, daß ich es darf!«
Er ergriff das eine Ende des Strickes, während Normann das andere noch in der Hand hatte.
»Willst Du selbst den Henker machen?« schrie Falehd.
»Ja. Es ist keine Schande, Denjenigen zu tödten, den man vorher besiegt hat. Also machst Du kein Testament?«
»Nein!« antwortete der Riese, welcher noch immer nicht glaubte, daß man es wagen werde, ihn zu tödten.
»Du willst kein Sterbegebet?«
»Nein.«
»So fahre hin in allen Deinen Sünden! Zieh an, da drüben! Eins – zwei – – dr – – –«
Beide, Steinbach und Normann stemmten die Füße ein, als ob sie an beiden Seiten des Strickes ziehen wollten. Sie zogen auch wirklich so weit zu, daß sich die Schlinge fest um den Hals Falehds legte. Jetzt nun erst war er überzeugt, daß man Ernst mache. So groß, wie vorher sein Selbstvertrauen gewesen war, so groß oder vielmehr noch größer war jetzt seine Angst. Er warf sich mit dem Oberkörper empor und brüllte entsetzt:
»Halt! Haltet ein!«
»Warum? Bittest Du um Schonung?«
»Ja.«
»So thue es! Sprich das Wort aus, sonst gilt es nichts!«
»Aman, aman – Gnade, Gnade!«
»Gut! Das Leben sei Dir geschenkt. Wir werden Dich also losbinden.«
Er bückte sich bereits, um dies zu thun, da aber ertönte hinter ihm ein rasches:
»Halt, noch nicht! So schnell darf man einem Besiegten das Leben nicht schenken. Zumal Diesem hier nicht!«
Kalaf, der Alte, war es, der diesen Einspruch erhob.
»Er hat ja um Gnade gebeten!« meinte Steinbach.
»Ja, das hat er, aber es fragt sich, ob er auch die Folgen dieser Bitte auf sich nehmen will. Er ist der Bruder des todten Scheiks, er hat sich für den Mächtigsten und Unüberwindlichsten gehalten, dem Alles unterthan sein muß; vielleicht glaubt er, daß wir aus lauter Angst und Respect vor ihm gar nicht daran denken, ihm die Folgen seiner Gnadenbitte fühlen zu lassen. Daher will ich erst einige Worte mit ihm sprechen, ehe Du ihm das Leben schenkst.«
Das von der Sonne verbrannte Gesicht des Riesen wurde erdfahl. Das war der sicherste Beweis, daß der vorsichtige Alte das Richtige gedacht hatte. Falehd hatte wirklich gemeint, daß er, der Angesehene und Gefürchtete, sich begnadigen lassen könne, ohne auch die Schande tragen zu müssen. Ja, vielleicht hatte er wohl gar gemeint, daß der Stamm gar nicht zugeben werde, daß der Stärkste seiner Krieger von Steinbach getödtet und nun gar erdrosselt werden könne, wenigstens war dies aus seinem vorherigen Vorhaben sehr leicht zu ersehen. Jetzt nun erkannte er, daß weder das Eine noch das Andere der Fall sei. Er hatte keine Rücksicht, keinen Vorzug zu erwarten; diese Ueberzeugung trieb ihm mit aller Gewalt das Blut aus dem Gesicht in das Herz zurück.
Die Aeltesten, welche die Worte Kalafs gehört hatten, traten mit ernsten Mienen herbei. Es war das erste Mal in ihrem ganzen, langen Leben, daß ein Angehöriger des Stammes um Gnade gebeten hatte. Und nun gar Derjenige, der sie bisher tyrannisirt und sich für den Besten und Edelsten von ihnen Allen gehalten hatte. Kalaf fragte ihn:
»Weißt Du auch, was Du thust?«
»Ich habe es stets gewußt und weiß es auch jetzt.«
»Wer um Gnade bittet, erhält zwar sein Leben, nicht aber sein Eigenthum.«
»Freßt meine Kameele und erstickt an ihnen.«
»Er ist ehrlos für immer.«
»Ihr könnt mir weder Ehre geben, noch sie mir nehmen.«
»Und wird aus dem Stamme gestoßen.«
»Er ist vogelfrei!«
»Das will ich ja sein!«
»Und wenn er innerhalb der Grenzen des Stammgebietes sich sehen läßt, kann ein Jeder ihn tödten, ohne die Blutrache befürchten zu müssen.«
»Hahaha! Man mag mich tödten, wenn man sich an mich wagen will. Ihr seid alle Hunde, die ich mit meinen Füßen zertreten werde.«
»Ein Ehrloser kann keinen braven Krieger mehr beleidigen. Also, Du willst Gnade?«
Er schwieg. Es wurde ihm doch schwer, auf eine solche Frage antworten zu müssen.
»Ich frage Dich zum letzten Male. Antwortest Du nicht, so ist jede spätere Bitte vergeblich. Also willst Du Gnade?«
»Ja.«
»So werde ich selbst Dir die Fesseln nehmen.«
Er machte die Knoten der Riemen auf. Der Riese sprang empor, streckte die Arme aus, schüttelte sich wie ein wildes Thier, welches angekettet gewesen ist, und sagte:
»Frei, frei! Jetzt sollt Ihr mich kennen lernen!«
»Wir kennen Dich: Du bist ohne Ehre für alle Zeit, und wer Deinen Namen nennt, der wird dabei ausspeien. Vergessen sei Dein Vater, und vergessen sei Diejenige, die Dich geboren hat! Mit den Schakals und Hyänen sollst Du leben, und wenn Deine Leiche in der Wüste verfault, wird der Wanderer in einem weiten Bogen ausweichen, damit Dein Anblick ihn nicht verunreinige.«
»Oh, ehe ich sterbe, werden viele von Euch vorher verfaulen müssen!«
»Und zum Zeichen, daß Du keine Ehre mehr besitzest, werde ich als der Erste Dir Das geben, was Dir von jetzt an gebührt. Erhebet Eure Stimmen, Ihr Männer, und ruft mit mir, was ich über ihn rufe: Ïa mußibe, ïa ghumm, ïa elehm, ïa rezalet – o Unglück, o Kummer, o Schmerz, o Schande!«
»Ïa mußibe, ïa ghumm,ïa elehm, ïa rezalet – o Unglück, o Kummer, o Schmerz, o Schande!« riefen alle Versammelten nach, die Hände ausstreckend, um ihren Abscheu zu zeigen.
»Und hier ist, was Dir gehört! Pfui!«
Er speite ihn an.
»Pfui!« machten Alle es ihm nach, indem sie den Riesen ebenso anspuckten.
Dieser stand still, ohne eine Miene zu verziehen. Er hielt das gesunde Auge ebenso geschlossen wie das andere. Er wollte gar nichts sehen. Aber als er es öffnete, sprühte der Blick förmlich unter dem Lide hervor.
»Seid Ihr fertig?« fragte er höhnisch.
Das sollte ruhig klingen: er gab sich alle Mühe, keine Aufregung zu zeigen, aber seine Stimme klang heiser, und die Worte tönten zitternd hervor. »Ja,« antwortete Kalaf. »Gehe jetzt in Dein Zelt. Du sollst in kurzer Zeit erfahren, was die Versammlung der Aeltesten noch über Dich beschließt.«
»Noch beschließt? Es ist ja bereits beschlossen!«
»Dieser tapfere Masr-Effendi hat Dir das Leben geschenkt; vielleicht ist die Versammlung auch gnadenreich gesinnt, Dich wenigstens nicht als Bettler von sich zu lassen. Erwarte ihren Spruch.«
»Beschließt, was Ihr wollt! Eins werdet Ihr von mir haben, nur Eins, ein Einziges: Rache, Rache, Rache!«
Er wendete sich ab und ging, stolz und erhobenen Hauptes, als ob er der Sieger sei, nicht aber der Besiegte und der Ehrlose. Er war kaum in sein Zelt getreten, so kamen Ibrahim Pascha und der Russe zu ihm. Auch sie Beide hatten dem Kampfe und den nachherigen Verhandlungen beigewohnt, allerdings von Weitem.
»Wie? Ihr kommt zu mir?« fragte er in grimmigstem Hohne.
»Wundert Dich das?« antwortete der Pascha.
»Natürlich! Ich bin ja ehrlos!«
»Was geht das uns an!«
»Ihr verunreinigt Euch, wenn Ihr Euch mir nähert!«
»Das ist uns lächerlich. Diese Räuber können keinem Menschen die Ehre geben und sie auch keinem nehmen.«
»Habt Ihr denn Alles gesehen und gehört?«
»Ja.«
»So sehe ich freilich, daß Ihr meine Freunde seid, denn sonst wäret Ihr nicht zu mir gekommen. Setzt Euch nieder. Raucht von meinem Tabake, der bald nicht mehr mein sein wird, und trinkt den Kaffee, den ich Euch nicht mehr als den meinigen anbieten darf!«
Sie kamen dieser Aufforderung nach. Er zog sich das Wassergefäß herbei, um Auge, Nase und Mund zu kühlen, und knurrte dabei zornig:
»Seht Ihr, daß dieses Auge verloren ist? Aber es soll ihm seine beiden kosten!«
»Wie war das doch nur möglich!« sagte der Russe. »Du bist an Stärke ein Elephant und warst vorher so völlig siegesgewiß!«
»Denkt Ihr etwa, er hat mich besiegt?«
»Etwa nicht?«
»Nein, er nicht!«
»Wer sonst?«
»Er hat einen Zauber, er muß einen haben, sonst wäre es nicht möglich gewesen. Nicht einmal das Amulet hat mir Etwas genützt. Verflucht sei er!«
»Glaubst Du denn an Zauberei und Amulette?«
»Ja. Und wenn ich noch nicht daran geglaubt hätte, jetzt würde ich es glauben. Habt Ihr nicht gesehen, als ich zuerst auf ihn einsprang, daß er gar nicht mehr da stand, wo er gestanden hatte?«
»Er sprang Dir entgegen.«
»Nein, nein! Er hat sich unsichtbar gemacht. Darum konnte er den Hieb ausführen, mit welchem er mir das Auge ausschlug. Und so war es auch beim zweiten und beim dritten Male.
»Er ist ein starker Kerl!«
»Stark? Gehört Stärke dazu, Einem das Auge und die Zähne auszuschlagen, wenn man sich unsichtbar gemacht hat? Gar keine!«
»Laß Dich nicht durch solchen Aberglauben verleiten! Es ist besser, den Feind richtig kennen zu lernen. Wer seinen Gegner unterschätzt, der kann leicht von ihm überwunden werden. Dieser Kerl besitzt weder einen Zauber, noch ein Amulet; er ist riesenstark und dabei außerordentlich gewandt. Ich habe das ja auch an ihm erlebt. Ich schlug ihn mit dem Ruder über den Kopf, daß die Hirnschale eines jeden Andern sofort in Stücke gesprungen wäre; er aber ist, wie es scheint, gar nicht einmal betäubt gewesen. Im Nahekampf kann Keiner mit ihm Etwas anfangen. Er muß aus der Ferne getödtet werden.«
»Getödtet?« knirrschte der Riese. »Nein, das werde ich nicht thun, auf keinen Fall!«
»Ich denke, Du hast ihm Rache geschworen!«
»Ja, aber meinst Du, daß es genügend Rache sein würde, ihn zu tödten?«
»Was hast Du denn vor?«
»Auge um Auge, Zahn um Zahn! So steht es im Gesetze der Blutrache. Er hat mir die vorderen Zähne eingeschlagen; ich schlage sie ihm alle ein. Er hat mich gebunden und gefesselt wohl eine Stunde lang; ich aber werde ihn binden und fesseln für immer; ich werde ihn an Stricken mit mir herumführen, so lange er lebt oder so lange ich lebe!«
Er sagte das in einem solchen Tone, daß die beiden Anderen schauderten, obgleich sie weder sehr zarte Nerven noch ein zartes Gewissen besaßen. Der Pascha, in dessen Interesse es ebenso wie in demjenigen des Russen lag, Steinbach vernichtet zu sehen, fragte:
»So gedenkst Du, ihn in Deine Gewalt zu bekommen?«
»Ja.«
»Das wird wohl kaum möglich sein.«
»Was Falehd will, das thut er auch!«
»O, Du wolltest ihn besiegen und hast es doch nicht gethan!«
»Schweig! Willst Du zu meinem Grimme auch noch Deinen Hohn fügen! Ich konnte nicht ahnen, daß dieser Hund so stark ist. Jetzt nun, da ich es weiß, kann ich mich darnach richten.«
»Wie aber willst Du Dich seiner bemächtigen? Du wirst ja den Stamm verlassen müssen!«
»Das würde ich auch thun, wenn ich nicht dazu gezwungen wäre. Blieb ich hier, so könnte ich mich unmöglich rächen.«
»Ich errathe Dich. Du willst so lange in der Nähe herumschleichen, bis der Deutsche in Deine Hände gefallen ist.«
»Meinst Du? Du scheinst mich für einen Mann zu halten, dem trotz der Wüstenhitze das Gehirn erfroren ist. Hast Du denn nicht gehört, daß ich, vogelfrei bin?«
»Jeder kann mich tödten. Ich würde also ermordet sein, bevor ich diesen Effendi nur zu sehen bekäme. Außerdem wird er sich ja gar nicht lange hier aufhalten.«
»So willst Du ihn auf der Rückreise überfallen?«
»Daß ich dumm wäre. Ich kenne die Zeit seiner Abreise nicht und müßte also von jetzt an in der Wüste liegen, bis er kommt. Wie kann ich das bei meinem Auge, welches der Pflege bedarf? Und wie könnte ich allein es, da er doch mit Begleitung reisen wird?«
»So willst Du Dir Beistand holen?«
»Ja. Endlich kommt Dir der richtige Gedanke.«
»Von wem erwartest Du die Hilfe? Von unseren hiesigen Freunden?«
»Von ihnen? Der Teufel fresse sie! Habt Ihr nicht gesehen, daß auch sie vor mir ausspuckten? Wenn der Löwe todt ist, setzen sich alle Vögel auf sein Fell, um ihn zu verhöhnen. Nein. Der Unglückliche hat lauter Feinde, aber keine Freunde.«
»Das ist nicht wahr. Du hast noch Freunde.«
»So nennt sie mir doch einmal mit Namen. Jetzt, wo dieser Knabe Tarik die Königin zum Weibe bekommt, wird er Scheik des Stammes. Er ist ein Anhänger des Vicekönigs, und Alle, welche vorher zu uns gehalten haben, weil sie glaubten, daß ich Scheik sein würde, werden ihm den Speichel lecken. Ich habe nur einen Freund hier, einen einzigen.«
»Wer ist das?«
»Suef, mein Sclave.«
»Und noch zwei Andere.«
»Wen? Etwa Ihr.«
»Ja.«
Er lachte höhnisch auf.
»Ihr, meine Freunde? Ihr werdet Euch hüten, Euch zu mir, dem Ausgestoßenen, dem Aussätzigen zu bekennen!«
»Das werden wir allerdings nicht thun; das wäre eine große Dummheit, aber Deine Freunde sind wir doch und trotzdem. Sage uns, in welcher Weise wir Dir dienen können; wir werden es gern thun!«
»Ich traue weder dem Obersten der Teufel, noch einem Einzigen seiner Unterthanen!«
»Das ist eine Beleidigung für uns!«
»Nehmt es, wir Ihr wollt. Ich kann Euch nichts mehr nützen, und Ihr könnt mir nicht helfen.«
»Vielleicht doch!«
»Nein. Ihr seid vielleicht gar noch hilfloser als ich selbst. Dieser Effendi wird mich laufen lassen, ohne sich weiter um mich zu bekümmern; auf Euch aber hat er es abgesehen. Sobald Ihr das Lager verlassen habt, wird er hinter Euch her sein. Nun sagt mir, wer schlimmer daran ist, ich oder Ihr!«
»Beide gleich schlimm. Darum wird es das Beste sein, wenn wir uns gegenseitig unterstützen.«
»Unterstützen! Drei Hilflose unterstützen sich!«
Er lachte laut auf, wurde aber schnell wieder ernst, verfiel in ein kurzes Nachdenken und sagte dann:
»Hm! Unrecht habt Ihr vielleicht nicht ganz. Drei Schwache haben doch wohl mehr Kraft als ein Starker. Ich weiß freilich nicht, ob ich Euch trauen kann!«
»Wenn Du an unserer Aufrichtigkeit zweifelst, so giebst Du damit nicht den Beweis eines großen Scharfsinnes. Masr-Effendi ist unser Todfeind, der uns verderben will. Um uns zu retten, müssen wir darauf bedacht sein, ihn unschädlich zu machen. Wir hatten alle unsere Hoffnungen auf Dich gesetzt; wir waren überzeugt, daß er unter Deinen Streichen fallen werde. Wir haben uns getäuscht. Nun muß uns Alles willkommen sein, was geeignet ist, uns von ihm zu befreien.«
»Das ist eine verständige Rede, welche mir freilich die Ueberzeugung bringt, daß ich Euch trauen darf. Also, Ihr würdet mir helfen?«
»Ja.«
»So will ich Euch meinen Plan mittheilen. Er ist gut, obgleich ich ihn erst vor einigen Minuten fassen konnte. Kennt Ihr die Beni Suef?«
»Nein. Wir wissen nur, daß sie die grimmigsten Feinde Deines Stammes sind.«
»Das sind sie; ja bei Allah, das sind sie! Ich habe sie öfters besiegt. Von einem solchen Siege brachte ich meinen Sclaven mit heim, von welchem ich vorhin sprach. Ich nenne ihn Suef, nach dem Namen seines Stammes. Er ist sehr gut von mir behandelt worden. Ich dachte doch zuweilen daran, daß ich ihn einmal gebrauchen könnte. Jetzt nun ist das eingetroffen. Weil er es gut bei mir hatte, ist er mir treu. Die andern Beni Sallah aber haßt er bis zum Tode. Man stößt mich aus dem Stamme, ich trete zu den Beni Suef über.«
»Ah! Das ist's! Werden sie Dich aufnehmen?«
»Fragt, ob eine Heerde von Stuten den Hengst aufnehmen werde, der sie gegen die Wölfe schützt! Sie werden mich hoch willkommen heißen, und ich werde sie gegen die Beni Sallah führen.«
»Nun verstehe ich Dich. Du willst die Beni Sallah mit den Beni Suef überfallen und dabei diesen Masr-Effendi gefangen nehmen?«
»Ja, das will ich und das werde ich.«
»Mag es Dir gelingen.«
»Es gelingt. Ich wünsche Euch, ebenso überzeugt sein zu können, daß Ihr dem Deutschen entgeht.«
»Das könnten wir jetzt leicht. Nimm uns mit!«
»Daran habe ich auch gedacht. Die Beni Suef sind Feinde des Vicekönigs, wie sie die unsrigen sind. Mit ihrer Hilfe könnt Ihr die Beni Sallam besiegen und sie zwingen, gegen den Khedive zu ziehen.«
»Nun wohl! Anderes und Besseres können wir ja gar nicht wünschen und verlangen. Wir fragen Dich also hiermit, ob Du uns mitnehmen willst.«
»Gut, Ihr sollt mit mir reiten.«
»Wann wirst Du aufbrechen?«
»Man hält jetzt noch Berathung. Jedenfalls muß ich noch vor Sonnenuntergang fort, denn wer sich bei Einbruch im Lager befindet, ist Gast des Stammes, selbst der Ausgestoßene, er darf nicht fortgewiesen werden.«
»So wollen wir uns immer bereit machen.«
Er erhob sich von der Decke, auf welcher er gesessen hatte. Der Riese aber, welcher sich während dieses Gespräches immerfort das Auge gekühlt hatte, ergriff ihn schnell, zog ihn nieder und sagte:
»Was fällt Dir ein! Meinst Du etwa, daß Ihr mit mir aufbrechen werdet?«
»Was sonst?«
»Ich habe Dich für klüger gehalten. Es darf ja doch kein Mensch ahnen, daß wir uns heimlich miteinander zum Verderben des Stammes geeinigt haben. Und sodann ist es gewiß, daß Euch, sobald Ihr das Lager verlaßt, dieser verdammte Deutsche sogleich folgen würde. Ihr hättet ihn also hinter Euch und ich ihn auch hinter mir. Was sollte da aus unserem Plane werden!«
»Du meinst also, daß wir heimlich abziehen?«
»Natürlich.«
»Das wird sehr schwer gehen. Vielleicht ist es ganz und gar unmöglich. Wie können wir von hier entkommen, ohne bemerkt zu werden?«
»Dafür laßt nur mich sorgen! Horcht!«
Eben jetzt erhob sich draußen der bereits erwähnte vielstimmige und jubelnde Ruf:
»Heil dem Könige und der Königin.«
Der Riese schlug mit der geballten Faust auf den neben ihm sich erhebenden Feuerheerd, daß die Steine desselben prasselnd zusammenstürzten, und sagte:
»Da habt Ihr es! Der Knabe ist König, ist Scheik und Anführer geworden. Nun können die Männer gehen!«
»Um wiederkommen und sich rächen zu dürfen!« fiel der Russe ein.
»Ja, das wollen wir, das wollen und werden wir! Nun aber bleibt uns nicht viel Zeit mehr übrig. Die Aeltesten werden bald erscheinen, um mir das Ergebniß ihrer Berathung zu verkündigen. Da muß Alles besprochen sein.«
»So mach schnell, uns zu sagen, wie wir uns zu verhalten haben!«
»Ich werde das Lager verlassen, indem ich nach Norden reite, um diese Hallunken hier irre zu führen. Da aber die Beni Suef im Süden von hier wohnen, werde ich bald nach dieser Richtung einbiegen. Mein Sclave wird sich freuen, wenn er hört, daß er wieder zu den Seinen darf und frei sein wird – – –«
»Ich weiß es nicht und glaube es auch nicht. Aber das ist mir gerade lieb. Er ist jung, wird also zu den Wächtern des Lagers gehören. Ich sage ihm, wo er mich findet. Ihr packt heimlich Alles zusammen, was Euch gehört, und er wird kommen, Euch abzuholen. Das ist Alles, was Ihr jetzt zu wissen nöthig habt. Hört Ihr die Schüsse und das Jubelgeschrei? Jetzt wird der neue Scheik mit der Königin auf der Ruine erscheinen, um sich dem Stamme zu zeigen. Dem Stamme? Ach, wir wollen nicht vergessen, daß dies hier das Lager nur eines Theiles des Stammes ist. Die Oase ist nicht so groß, daß sie alle Beni Sallah zu fassen vermöchte. Wir aber kommen mit sämmtlichen Beni Suef zurück. Es wird uns also ein Leichtes sein, das Lager zu besiegen.«
»Zumal wir es überrumpeln. Sie werden natürlich von unserem Vorhaben keine Ahnung haben.«
»Wenn Ihr nichts sagt, können sie nichts wissen.«
»Es kann uns nicht einfallen, ein Wort zu verlauten,« meinte der Pascha. »Aber sage mir, was ich in Beziehung meines Dieners machen soll! Er ist fortgegangen und nicht wiedergekommen.«
»Rufe ihn!«
»Ich glaube, man hält ihn versteckt. Er hängt an Zykyma mit großer Treue und wird zu ihr gegangen sein. Ich brauche ihn aber.«
»Ist er wirklich Dein Diener?«
»Ja.«
»So muß man ihn Dir ausliefern. Du bist Gast und einem Gaste kann nicht das Geringste seines Eigenthumes genommen werden.«
»Man hat mir aber Zykyma auch genommen, obgleich sie mein Eigenthum war.«
»Du behauptetest, sie sei Deine Sclavin, und Sclaverei giebt es hier bei uns nur in dem Falle, daß man Kriegsgefangene zu Sclaven macht. Uebrigens war der Deutsche Schuld daran. Wäre er nicht gewesen, so befände das Mädchen sich noch jetzt in Deinem Zelte.«
»Ich werde sie ihnen nicht lassen!«
»Du kannst sie nur dann wieder erhalten, wenn wir mit den Beni Suef hier als Sieger erscheinen. Also steht es nur – – – horch! Man kommt!«
Draußen ließen sich Schritte vernehmen, und dann wurde der Name des Riesen gerufen. Er trat hinaus. Die Aeltesten des Stammes standen draußen, begleitet von vielen anderen Beduinen.
»Tretet ein!« sagte Falehd höhnisch freundlich.
»In das Zelt eines Ehrlosen tritt kein Sohn der Beni Sallam,« antwortete der alte Kalaf. »Wir sind gekommen, Dir unsern Beschluß zu verkündigen.«
»Er wird von Weisheit triefen wie das Maul eines Kameeles, wenn es aus der Pfütze getrunken hat!«
»Du verhöhnst uns, trotzdem wir Dir Gutes erweisen wollen. Umso größer wird Allah die Barmherzigkeit ansehen, welche wir an Dir thun wollen. Du wirst das Lager verlassen in der Zeit, welche von den Abendländern eine Stunde genannt wird.«
»Ich werde sehr gern noch eher gehen.«
»Eigentlich müßtest Du gehen, so wie Du hier stehest, denn Alles, was ein Ausgestoßener besitzt, das fällt dem Verwandten anheim.«
»Wer ist der Verwandte?«
»Die Königin; Du warst ihr Schwager.«
»Also wird Tarik, das Kind, sich an meinem Reichthume ergötzen?«
»Er ist Nachfolger des verstorbenen Scheik.«
»Er mag meine Heerden fressen, bis er vor Fett zerplatzt. Dann wird er selbst von den Hyänen verzehrt werden. Das ist meine Weissagung.«
»Schimpfe Den, der Dir Gutes thut! Du müßtest eigentlich mit Deinen Füßen das Lager verlassen; aber die Versammlung erlaubt Dir, das beste Deiner Reitkameele mitzunehmen. Auch sollst Du zwei Lastkameele mit vollen Wasserschläuchen erhalten, denn Du bist verwundet und brauchst in der Wüste viel Wasser, um Dein Auge zu kühlen.«
»Oh, ich habe auch noch Anderes zu kühlen als nur das Auge, und dazu brauche ich mehr als nur Wasser.«
»Du sollst noch zwei weitere Kameele erhalten, um Mehl, Salz und Datteln und auch Dein Zelt zu tragen, damit Du nicht Hunger leidest und eine Wohnung hast in der Wüste. Das ist es, was wir Dir schenken.«
»Ich danke Euch! Ihr seid barmherzig. Ihr schenkt mir den Kern einer Dattel, behaltet aber die ganze fruchttragende Palme für Euch. Möge dafür die Hölle Euer Lohn sein in alle Ewigkeit!«
»Jetzt weißt Du, was wir wollen. Ist die Stunde abgelaufen und Du befindest Dich noch im Lager, so wirst Du fortgewiesen, ohne Etwas mitnehmen zu dürfen. Allah lenke Deine Schritte, damit Du nicht einem Beni Sallah begegnest!«
»Ich würde ihn tödten!«
»Du wirst keine Waffen mitnehmen dürfen als nur allein das Messer. Einer Schlange nimmt man, wenn man sie leben läßt, das Gift, damit ihr Leben Niemand in Gefahr bringen kann.«
»Soll ich etwa allein gehen?«
»Frage, ob Jemand Dich begleiten will.«
»Ich soll ein Reitkameel haben und vier Lastkameele. Ein einzelner Mann ist zu wenig für fünf Thiere.«
»Du bist ehrlos. Wer mit Dir geht, wird auch ehrlos. Niemand wird Dich begleiten wollen.«
»Suef, mein Sclave wird es.«
»Er wird es nicht!«
»Ich befehle es ihm!«
»Du hast ihm nichts mehr zu befehlen; er ist nicht mehr Dein Eigenthum.«
»Gehört auch er jetzt Tarik?«
»So wünsche ich diesem Knaben Tarik, daß er an dem Sclaven seine Freude erleben möge. Packt Euch nun fort! Ich habe Euch nun lange genug die Gnade meines Anblickes erwiesen. Ihr werdet es nur dann erst wiedersehen, wenn ich komme, um über Euch Gericht zu halten. Dann werdet Ihr wünschen, todt zu sein, denn das ist besser als sich in meinen Händen zu befinden.«
Wir lachen Deiner Drohung. Du gleichst dem Krokodil, dem man Kopf und Schwanz abgehackt hat; es kann weder leben noch schaden.«
Er wendete sich um und die Aeltesten mit ihm. Sie hatten jetzt mehr zu thun, um länger hier bei diesem obstinaten Character verweilen zu können. Die Neuwahl eines Scheikes ist von so großem Einflusse für das Schicksal und das Wohlergehen eines Stammes, daß ein solcher Tag stets mit außergewöhnlichen Feierlichkeiten und Festivitäten begangen wird. Die Aeltesten hatten die dazu nöthigen Arrangements zu treffen.
Die beiden Personen, welche sich in der gehobensten Stimmung befanden, waren natürlich die Königin und Tarik. Aber auch die Verwandten derselben wurden von demselben Glücke ergriffen. Selig fühlte sich besonders auch Hilal. Die Worte, welche Hiluja in der Nacht droben auf der Ruine zu ihm gesprochen hatte, klangen ihm immer noch wie Sphärenmusik in den Ohren. Es war ihm, als ob er gar nicht daran glauben dürfe.
Vorher hatte ihm die Sorge um den Zweikampf nicht völlig Raum gelassen; jetzt nun, wo diese Sorge gehoben war, kehrte der Gedanke an die Geliebte mit voller Macht zurück. Es trieb ihn hinauf zu der Ruine, und während die Menge an der einen Seite derselben ihr ›Heil, Heil‹ erschallen ließ, kroch er unbemerkt in den verborgenen Eingang hinein und stieg die Treppe empor, welche er gestern den beiden Deutschen gezeigt hatte. Von da aus gelangte er in die Wohnräume der Königin. Diese Letztere war aber mit Tarik hinausgegangen, um sich den Jubelnden zu zeigen. Und da, wo sie mit einander vor wenigen Sekunden vor Liebe gekost und gesprochen hatten, da stand Hiluja, unentschieden, ob sie den Beiden folgen solle oder nicht.
Sie hatte sich, wie bereits erwähnt, rücksichtsvoll zurückgezogen, war aber nun wieder eingetreten, nicht ahnend, daß sich noch Jemand hinter ihr befinde. Darum erschrak sie, als sie so unerwartet das Geräusch der Thür hörte.
»Hilal!« sagte sie beruhigt, als sie den Eintretenden erkannte. »Ich glaubte Dich unten bei den Anderen.«
»Nun siehst Du mich hier und erschrickst darüber!«
»Ueber Dich nicht. Ich wußte nur nicht, daß Jemand da sei. Wo ist mein Vater?«
»Noch unten. Doch wird er jedenfalls bald kommen. O, Hiluja, ich danke Allah, daß Alles so gekommen ist. Wer hätte das denken sollen!«
»Der Riese besiegt!«
»Mein Bruder Scheik!«
»Meine Schwester seine Braut!«
»Das ist eine Wonne. Weißt Du, Hiluja, daß ich jetzt der Schwager Deiner Schwester werde?«
»Und ich die Schwägerin Deines Bruders!«
»Ich glaube, dann bin ich auch mit Dir verwandt!«
»Und ich mit Dir!«
Beide lachten einander ganz glücklich an. Hilal fragte:
»Wie aber wird unsere Verwandtschaft zu nennen sein?«
»Wohl auch Schwager und Schwägerin?«
»Ja, das meine ich auch; aber das ärgert mich.«
»Warum?«
»Deine Schwester ist bereits meine Schwägerin. Wozu soll ich da noch eine zweite haben?«
»Ja, und da Dein Bruder mein Schwager ist, brauche ich Dich eigentlich nicht auch als solchen.«
»Also meinst Du, daß es besser wäre, wenn wir einander nicht verwandt geworden wären?«
»O doch! Aber es müßte ein anderer Grad der Verwandtschaft sein.«
»Welcher ungefähr?«
»Nun, Vetter vielleicht?«
»O nein! Das wäre ja eine noch eine entferntere Stufe!«
»Du wünschest also eine nähere?«
»Ganz gewiß.«
»Es ist möglich, daß dies hübscher wäre. Aber was ist näher als Vetter und Schwager.«
»Das weißt Du ganz gewiß. Welches ist denn wohl der nächste Grad der Verwandtschaft?«
»Vater und Sohn, Mutter und Tochter. Nicht?«
»Geh doch, Hiluja! Soll ich etwa Dein Sohn sein?«
»Oder ich Deine Tochter? Nein!«
Beide lachten einander wieder ganz seelenvergnügt in das Gesicht. Dann ergriff Hilal die Hand Hiluja's, zog sie ein wenig näher und fragte:
»Was muß denn eigentlich erst vorhanden sein, ehe es Sohn und Tochter geben kann?«
»Meinst Du etwa Vater und Mutter?« fragte Hiluja in wunderbar gut gespielter Naivität.
»Ja freilich. Die Eltern müssen erst da sein. Und das ist die allerliebste Verwandtschaft, welche es nur geben kann. Höre, Hiluja, wir wollen weder Vetter noch Muhme, weder Schwager noch Schwägerin sein, sondern wir Beide wollen Eltern sein!«
»Das ist nicht gut möglich!«
»Freilich ist es möglich! Du die Mutter und ich der Vater.«
»Von wem denn?«
Sie war bei seinen letzten Worten sehr roth geworden. Er antwortete, beherzt anfangend:
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