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19

»Mensch, bist Du denn ein Teufel!« brüllte er. »Ein Ende mit Dir! Jetzt oder nie!«

Sein Auge hatte den Blick eines gereizten Stieres, der sich in der Arena auf den Gegner wirft, um ihn auf die Hörner zu spießen. Er holte zu einem Stoße aus, in welchem er seine ganze noch vorhandene Körperkraft vereinigte. Jetzt mußte es gelingen!

»Ja, ein Ende jetzt!« antwortete Hilal.

Er riß sich mit einem gewaltigen Ruck von dem Griffe des Riesen los und parirte dessen Messerstoß – ein Schlag in die Achselhöhle, und der Tschausch machte in Folge dieses Fausthiebes eine Viertelwendung, so daß er dem Gegner für einen Augenblick den Rücken zukehrte. Aber dieser eine Augenblick genügte diesem vollständig. Sein Messer blitzte auf; zwei gedankenschnelle Schritte – zwei ebenso schnell auf einander folgende Schreie des Tschausch – Hilal sprang zurück, der Tschausch aber stand auf einem Punkte, unbeweglich, als habe ihn der Schlag getroffen.

»So, jetzt ist's aus!« sagte der Araber. »Seht hin, ob ich Wort gehalten habe!«

Das war mit solcher Schnelligkeit vor sich gegangen, daß weder der Tschausch wußte, was eigentlich mit ihm geschehen sei, noch die Andern sehen konnten, was der Sprecher eigentlich meine. Sie sahen Blut von den Schultern des Arnauten laufen. Dieser stand stöhnend still; er wollte die Arme erheben, um den Gegner zu fassen, konnte aber nicht. Woran das lag, wußte er nicht. Da es aber nicht gelang, brüllte er laut auf.

»Allah, o Allah! Was ist mit ihm?« fragte Einer, auf den Verwundeten zutretend.

Die Anderen thaten dasselbe. Nun sahen sie, was geschehen war. Hilal hatte ihm die Rückenmuskeln quer über beide Schlüsselbeine und die Schulterblätter zerschnitten, und da diese Muskeln zur Bewegung der Oberarme nothwendig sind, war es ihm nun unmöglich, die Arme zu erheben; sie hingen eng am Körper herab, und der Verwundete stand in einer großen Lache des herabfließenden Blutes.

Zahlreiche Schreckensrufe machten ihn mit seinem Zustande bekannt. Die Wuth, in welche er dadurch gerieth, war geradezu unbeschreiblich. Er geberdete sich wie ein wildes Thier und forderte die Anderen auf, den Thäter auf der Stelle umzubringen. Sein Zustand machte auf sie allerdings einen Eindruck, welcher für den Beduinen verhängnißvoll werden konnte. Während Zwei den in einem förmlichen Delirium des Grimmes sich befindenden Verwundeten in das Zelt schafften, drängten die Anderen sich drohend an den Sieger heran.

»Der Teufel hat ihm geholfen!« rief Einer.

»Ja. Er steht mit bösen Geistern im Bunde,« meinte ein Zweiter. »Wie hätte er sonst siegen können!«

»Er hat ihn gelähmt. Das ist schlimmer als der Tod!«

»Tödtet ihn!«

»Nein! Lähmt ihn auch!«

Solche und verschiedene Rufe ließen sich hören. Er stand ruhig an der Wand des Zeltes, das Messer noch in der Hand, das eine Auge auf seine Flinte gerichtet, welche noch am Boden lag. Er war auf Alles gefaßt, versuchte aber, sich zu vertheidigen.

»Ich habe ihn gewarnt!«

»Du bist behext. Du hast ein Amulet! Heraus damit!«

»Hier ist mein Amulet.«

Er hob sein Messer empor.

»Leugne nicht! Wie hättest Du ihn sonst besiegen können, ihn, den Stärksten von uns Allen!«

»Ich habe Euch gesagt, daß ich Hilal bin, der Sohn des Blitzes. Hätte er es geglaubt!«

»Auch wir glauben es nicht. Rache für ihn. Blut um Blut!«

»Vergeßt nicht, daß ich der Gast des Vicekönigs bin!«

»Ja, vergeßt das nicht! Und vergeßt auch nicht, daß er unter meinem Schutze steht!«

Dies sagte der Onbaschi, indem er sich vor ihn hinstellte und die Dränger von ihm zurückschob.

»Du handelst nicht, wie einer der Unserigen!« wurde ihm vorgeworfen.

»Ich handle so, wie ich muß und wie ich es Euch vorher gesagt habe. Er hat den Tschausch im ehrlichen Zweikampf besiegt. Er hat bewiesen, daß er ein Mann ist. Was wollt Ihr ihm thun?«

»Sein Blut wollen wir.«

»Ich dulde nicht, daß Ihr ihn mordet!«

»Er soll mit uns kämpfen. Er hat es uns versprochen. Laßt diese verdammten Weiber fort! Wir wollen nicht sie, sondern ihn!«

Die alte Beduinin erhielt einen Fußtritt, daß sie laut aufschrie.

»Komm, komm, Hiluja!« bat sie. »Laß' uns fliehen! Die Gelegenheit ist gut. Sie selbst jagen uns fort.«

»Ich bleibe!« antwortete die Angeredete.

Sie hatte nicht einen Tropfen Blutes im Gesicht. Was sie beim Anblick des so glücklich beendeten Kampfes ausgestanden hatte, das war nichts gegen die Angst, welche sie jetzt empfand. Sie, als Tochter eines kriegerischen Stammes hatte bereits nach den ersten Augenblicken des Zweikampfes gesehen, daß ihr muthiger und verwegener Beschützer seinem Gegner überlegen sei. Jetzt aber drang nicht Einer allein auf ihn ein. Gegen so Viele half keine Tapferkeit etwas.

»Allah l'Allah!« stöhnte die Alte. »Willst Du Dich zwecklos verderben. Du kannst ihn ja nicht retten!«

»Nein; aber soll ich ihn verlassen, da er vorher mich befreien wollte?«

»Du kannst ihn nicht befreien. Komm also!«

»Nein, ich bleibe! Ich kämpfe für ihn, wenn es nöthig sein sollte!«

Sie griff nach dem Messer des Tschausch, welches diesem bei seiner Verwundung entfallen war. Niemand sah es, daß sie diese Waffe an sich nahm.

»O Ihr Geister der sieben Himmel! Jetzt will sie gar für ihn kämpfen!« klagte die Alte. »Sie werden Dich umbringen! Jetzt aber könntest Du Dich retten!«

Hiluja antwortete nicht mehr. Sie war fest entschlossen, ihr Wort wahr zu machen. Ihre Augen ruhten auf Hilal, wie er da am Zelt stand, ruhig und stolz, als gehe der Streit, welchen der Onbaschi mit den Andern fortführte, ihn gar nichts an. Sein Auge fiel auf sie. Ihre Blicke trafen sich. Er sah die Bewunderung in dem ihrigen leuchten, und seine sonnverbrannte Wange röthete sich. Er nickte ihr beruhigend zu und winkte ihr heimlich, den Ort zu verlassen. Sie antwortete, indem sie verneinend den Kopf schüttelte und ihm das Messer zeigte. Da blitzte es in seinen Augen auf, so hell, so flammend, daß es ihr war, als sei sie von diesem Lichte geblendet worden. Sie senkte den Blick und fuhr sich mit der Hand nach dem Herzen.

Was war doch in diesem Augenblicke in demselben geschehen. Es war wie ein elektrischer Schlag durch ihre Seele gegangen, aber nicht etwa schmerzhaft sondern wonnig, über alle Maßen selig. Sein Blick hatte so deutlich gesagt: »Wie schön bist Du, und auch wie tapfer bist Du!« Und nicht nur Dieses sondern noch Anderes hatte in diesem Blicke gelegen. Sie hatte nur keine Zeit, darüber nachzudenken, denn der Streit nahm jetzt wieder ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Der Korporal hatte sich mit den Arnauten geeinigt. Er wendete sich an Hilal:

»Du hörst, was sie sagen. Sie wollen Dein Blut.«

»Sie mögen es sich holen. Hier stehe ich!«

»Nein, kein Mord soll geschehen. Darüber haben wir uns geeinigt. Du sollst mit Jedem kämpfen, mit Jedem einzeln.«

»Das ist sehr wohlbedacht von ihnen,« lächelte Hilal verächtlich. »Sie sind ihrer Viele und ich bin allein!«

»Ich bin auf Deiner Seite.«

»Das ändert es nicht. Einem von ihnen wird es doch wohl gelingen, mich zu tödten. Nun, sie mögen es versuchen. Welcher will anfangen?«

»Das Loos entscheidet.«

»So werft es jetzt, damit wir bald zu Ende kommen.«

»Nicht jetzt und hier. Es soll geschossen werden. Das darf Niemand hören. Darum gehen wir fort von hier.«

»Geschossen? Haben Sie gesehen, daß ich Meister bin in der Führung des Messers?«

»Höhne nicht! Ich bin froh, daß ich das Zugeständniß eines ehrlichen Kampfes erlangt habe; wenn Du sie aber erzürnst, kann ich Dich nicht länger beschützen.«

»Nun, so warne sie vor meiner Flinte! Ob sie es glauben oder nicht, ich bin der Sohn des Blitzes. Meine Kugel trifft stets den Feind. Es wird Keiner von ihnen übrig bleiben. Das ist gewiß und sicher!«

Ein lautes Lachen antwortete ihm. Er zuckte die Achseln und erkundigte sich:

»Wo soll der Kampf stattfinden?«

»An dem kleinen See El Chiyam, jenseits des Kanales. Kennst Du ihn?«

»Ja. Er ist zur Zeit der Nilüberschwemmung voller Wasser; jetzt aber wird er wenig desselben haben.«

»An der östlichen Spitze desselben liegen viele große Steine als Ueberreste aus alter Zeit. An diesen Steinen soll der Ort des Kampfes sein.«

»Wann?«

»Wann die Sonne die Wüste berührt.«

»Das ist in einer Stunde. Ich werde kommen.«

Er hob seinen Haïk auf, um ihn umzunehmen, und griff dann auch nach seiner Flinte.

»Wie?« fragte der Onbaschi. »Willst Du etwa fort?«

»Ja. Meinst Du etwa, daß ich hier bleiben soll.«

»Natürlich! Du hast ja mit diesen Männern zu kämpfen!«

»Doch nicht hier, sondern draußen am See.«

»Du wirst warten, um mit uns hinaus zu gehen.«

»Nein, ich werde nicht warten! Was soll ich hier bei Euch? Soll ich mich mit Euch zanken? Das fällt mir nicht ein!«

»Aber wenn wir Dich jetzt fortlassen, wirst Du vielleicht nicht zum Kampf erscheinen.«

»Dasselbe könnte ich auch gegen Euch sagen.«

»O, warum sollten wir nicht kommen? Diese Männer brennen darauf, Dein Blut zu sehen. Sie kommen ganz bestimmt und werden lieber alles Andere versäumen.«

»Ebenso gewiß und sicher komme auch ich.«

»Hm! Du gehst wohl dem gewissen Tode entgegen, und da kann es leicht geschehen, daß Du abgehalten wirst, zu kommen.«

Da legte Hilal ihm die Hand auf die Achsel, lachte laut auf und antwortete:

»Es wird wohl umgekehrt sein. Diese Arnauten gehen einem sicheren Tode entgegen; sie allein haben Veranlassung, nicht zu erscheinen!«

Das klang so sicher und selbstbewußt, daß sogar der Onbaschi davon berührt wurde. Er meinte:

»Wenn Du Deiner Flinte so gewiß bist wie Deines Messers, so kann der Ausgang des Kampfes allerdings für Einige von uns verhängnißvoll werden. Bist Du denn wirklich Hilal, der Bruder Tariks?«

»Ich habe es gesagt, und also ist es wahr. Es kommt nie eine Unwahrheit über meine Lippen.«

»So freue ich mich, den berühmten Beduinen zu sehen. Ich habe nicht geglaubt, daß diese Brüder noch so jung sind. Und doppelt freut es mich, daß es mir vergönnt gewesen ist, Dir einen Dienst zu erweisen.«

»Hoffentlich wirst Du Deine Freundlichkeit dadurch fortsetzen, daß Du mich jetzt gehen lässest?«

»Wirst Du wirklich kommen?«

»Ich habe es gesagt, und so komme ich. Du kennst mich nicht genau, daher will ich es Dir auch noch bei dem Barte des Propheten versichern. Ich schwöre sonst nie, will es aber jetzt einmal thun.«

»So glaube ich es Dir. Wo aber willst Du während dieser Zeit hingehen?«

»Ich will diese beiden Frauen heimgeleiten, da ihnen sonst vielleicht noch Anderes widerfahren könnte.«

»Warte noch, bis ich mit den Anderen gesprochen habe. Ich muß erst sehen, ob sie Dich und diese Beiden fortlassen, wenn ich mich für Dich verbürge.«

Seine Kameraden hatten sich ein Stück zurückgezogen und unterhielten sich leise flüsternd, wobei sie die Blicke mit finstrem, drohendem Ausdrucke auf Hilal gerichtet hielten. Er schien sie gar nicht zu beachten, in Wahrheit aber beobachtete er sie zwischen den gesenkten Wimpern hindurch so scharf, daß ihm keine Miene entging.

Der Onbaschi schien nicht gleich ihre Zustimmung zu erhalten. Er sprach lange in sie hinein, und es verging eine ziemliche Weile, ehe er wiederkehrte, um zu melden:

»Sie wollten nicht in Deine Entfernung willigen, aber ich habe mich verbürgt. Kommst Du nicht, so ist meine Ehre verloren. Ich wage viel.«

»Du wagst gar nichts und wirst Deine Ehre behalten. Uebrigens werde ich zu dem Vicekönig von Dir sprechen. Ich hoffe, daß Deine Freundlichkeit belohnt werde.«

»Dann müßten meine Kameraden bestraft werden, und das will ich nicht. Schweige also lieber.«

»Dürfen die Frauen auch fort.«

»Ja. Man ist froh, sie los zu sein. Das hübsche Gesicht dieses Mädchens hat großes Unglück angerichtet. Horch! Da fängt der Tschausch wieder an, zu brüllen. Man wird ihn verbinden. Mache, daß Du fortkommst, aber zögere dann auch nicht, zu erscheinen!«

»Ich gehe, aber ich fliehe nicht, mag Dein Tschausch singen oder brüllen, beten oder fluchen!«

Er nahm sein Gewehr auf, winkte den beiden Frauen, ihm zu folgen, und schritt davon. Er war viel zu stolz, sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen, vielleicht aus Besorgniß, daß man ihm eine Kugel nachsenden könne. Erst, als er überzeugt war, daß das Zelt gar nicht mehr zu sehen war, blieb er stehen und wendete sich zu den Zweien, welche ihm schweigend gefolgt waren. Hiluja trat rasch auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte im herzlichsten Tone:

.

»Also Hilal heißt Du. Du bist mein Retter. Wie habe ich Dir zu danken!«

Er antwortete nicht gleich. Sein Blick senkte sich forschend in ihr Auge. Dann sagte er:

»Nein, Du bist keine von Allah Verlassene. Dein Auge ist rein von solcher Schuld.«

»Welche Schuld meinst Du?«

»Die Schuld, an welche ich dachte, als ich sah, daß Du Dein Angesicht den Gläubigen und Ungläubigen gezeigt hattest.«

Sie hatte so viel vom Leben und Treiben größerer Städte gehört, daß sie ihn so ziemlich verstand. Sie erglühte bis tief in den Nacken hinab und antwortete:

»Ich bin noch nie hier gewesen. Wir sollten nur einsam am Flusse hin und bald umkehren.«

»Dennoch hätte ich mich nicht Deiner angenommen, wenn mich nicht Dein Gesicht dazu gezwungen hätte.«

»Wie konnte Dich dieses zwingen?«

»Es giebt ein sehr ähnliches, welches ich lieb habe. Du hast ganz die Augen und die Züge unseres Scheiks.«

»So habe ich das Gesicht eines Mannes?« lächelte sie.

»Nein. Unser Scheik ist ein Weib. Es heißt Badija.«

Sie waren während des Gespräches immer weiter fortgegangen. Jetzt, als er diesen Namen nannte, blieb Hiluja überrascht stehen.

»Was höre ich?« fragte sie. »Badija? Meinst Du die Königin der Wüste?«

»Ja.«

»So kennst Du sie?«

»Ich sagte ja, daß sie mein Scheik sei.«

»So gehörst Du zum Stamme der Sallah-Beduinen?«

»Ich bin stolz, ein Sallah zu sein. Die Königin hat mich mit einer Botschaft an den Vicekönig gesandt.«

»Wann kehrst Du zurück?«

»Morgen früh.«

»Wie herrlich Allah dieses fügt! Willst Du mich mitnehmen?«

»Mit mir? Zu dem Lager der Meinigen? Ist das Dein Ernst? Kann das Dein Wille sein?«

»Ja. Badija ist meine Schwester. Wir Beide kommen, sie zu besuchen.«

»Gott ist groß!« rief er vor Erstaunen so laut, als ob es ganz Kairo hören solle. »Du, die Schwester der Königin! Du, Diejenige, von der sie uns so viel erzählt hat, wenn sie von der Heimath sprach?«

»Hat sie von mir erzählt, von mir gesprochen?«

»Tausendmal!«

»O, sie liebt mich noch!«

»Ob sie Dich liebt? Sie wird sich freuen ohne Ende, wenn sie Dich sieht. Weiß sie, daß Du kommst?«

»Nein, sie hat keine Ahnung davon.«

»Desto besser; desto größer wird die Ueberraschung sein.«

Diese Fragen und Antworten folgten mit ungeheurer Geschwindigkeit einander, wie es bei solchen Gelegenheiten ja stets der Fall zu sein pflegt. Sein Gesicht hatte sich vor freudiger Verwunderung geröthet, und das ihrige glänzte vor Entzücken. Ohne es sich in diesem Augenblicke einzugestehen, fühlte sie sich unendlich glücklich darüber, daß ihr Retter und Beschützer zu dem Stamme gehörte, dessen Beherrscherin ihre Schwester war.

»Wie aber kommst Du nach Kairo?« fragte er. »Du bist doch eine Tochter des Beni Abbas.

»Ja. Weißt Du das noch nicht?«

»Natürlich weiß ich es. Aber diese wohnen doch weit gegen Sonnenuntergang von hier, im Süden von Tunis, und Du scheinst von Ost zu kommen?«

»Ich komme von West; aber ich kam mit diesem Dampfschiffe, welches da am Ufer liegt.«

Sie waren jetzt gerade an der Yacht angekommen.

»Mit diesem Schiffe? Du, eine Tochter der Wüste?«

»Ja. Ich müßte Dir viel erzählen, um es Dir zu erklären. Ich reiste mit einer zahlreichen Carawane; wir wurden von einer Raubcarawane der Tuariks überfallen; ein edler Franke rettete uns und brachte uns dann auf diesem Schiffe hierher, damit wir von hier aus zu dem Beni Sallah kommen könnten. Er wird sich freuen, daß ich in Dir einen so tapferen Begleiter gefunden habe. – Oder willst Du mich nicht mitnehmen?«

»Wie gern nehme ich Dich mit!« entfuhr es ihm. »Mit Dir würde ich bis an das Ende der Erde, bis an das Ende aller Welten gehen!«

»Zunächst nur zu meiner Schwester. Du mußt jetzt mit auf das Schiff kommen, damit er Dich sieht.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Du hast ja gehört, daß ich, wenn die Sonne das Sandmeer berührt, draußen am See sein muß.«

Ihr glückstrahlendes Gesicht veränderte sich sofort. Sie meinte erschrocken:

»O Allah! Das hatte ich ganz vergessen! So wolltest Du also wirklich mit diesen Ungeheuern kämpfen?«

»Ja.«

»Gehe nicht heraus!«

»Willst Du, daß ich ein Lügner sei?«

»Nein. Aber sie werden Dich tödten!«

»O nein. Aber, sage mir, würdest Du vielleicht traurig sein, wenn ich getödtet würde?«

»Sehr traurig!« antwortete sie aufrichtig. »Du bist ja mein Retter und Beschützer. »Wirst Du etwa allein zu ihnen gehen?«

»Ganz allein. Bei solchen Dingen ist es desto besser, je weniger Zeugen man hat. Auch die Arnauten kennen die Blutrache. Einer rächt den Anderen.«

»O Himmel! So wirst Du nicht wiederkommen! Einer gegen so Viele! Du bist wahr und aufrichtig; sie aber sind falsch, lügnerisch und treulos.«

Auf ihrem Gesicht prägte sich eine schwere Angst aus. Das that ihm so wohl. Er fühlte, daß er für dieses wunderschöne Mädchen im Stande sein könne, in die Hölle hinabzusteigen. Er mußte sie beruhigen:

»Mache Dir keine Sorge um mich! Nicht wahr. Du warst erst überzeugt, daß der Arnaut mich tödten werde.«

»Ja. Ich hatte entsetzliche Angst.«

»Und doch wäre er von meiner Hand gefallen, wenn ich ihn nicht geschont hätte. Gerade so ist es auch mit dem Kampfe, welcher nun noch erfolgen soll. Ich rühme nie von mir, aber um Dich zu beruhigen, sage ich Dir, daß mein Name überall bekannt ist. Ich habe diese Arnauten nicht zu fürchten.«

»Meinst Du, daß Du sie tödten werdest?«

»Ich tödte selten einen Feind. Wenn es mir möglich ist, mache ich ihn nur kampfunfähig. So hoffe ich auch jetzt, daß ich das Leben dieser Leute werde schonen können. Ich fürchte mich nicht. Ich komme wieder.«

»Wohin?«

»Soll ich denn auf das Schiff kommen?«

»Ja. Du wirst willkommen sein. Aber, was thue ich dann, wenn Du nicht kommst?«

»Dann bin ich todt. Nur der Tod könnte mich verhindern, Dich wiederzusehen.«

»Todt! Allah! Welch' ein Unglück!«

»Man würde meine Leiche wohl da draußen am See finden. Du aber könntest Tarik, meinem Bruder, sagen, wer meine Mörder gewesen sind.«

»Ich bitte Dich, bleibe zurück! Gehe nicht hinaus!«

Sie ergriff seine Hand und blickte ihm flehend in das Angesicht. Wie so gern hätte er ihr diese Bitte erfüllt, wenn es ihm möglich gewesen wäre.

»Das geht nicht! Kein Mensch soll sagen, daß Hilal ein Lügner oder Feigling sei.«

»So gehe wenigstens nicht allein. All' Deine Tapferkeit kann Dich gegen Verrath nicht schützen.«

»Wen sollte ich mitnehmen.«

»Meine Freunde und Beschützer, welche sich hier auf dem Schiffe befinden.«

»Sie sind mir fremd.«

»Wenn ich Dich bringe, sind sie Deine Freunde.«

»Es sind Franken?«

»Ja.«

»Dann mögen sie bleiben. Und selbst, wenn sie Anhänger des Propheten wären, würde ich Keinen mitnehmen. Diese Arnauten sollen nicht meinen, daß ich einen Begleiter habe, weil ich mich vor ihnen fürchte.«

»Wird der Tschausch gelähmt bleiben?«

»Nein. Sobald die Wunden geheilt sind, wird er seine Arme wieder bewegen können. Es mag ihm dies eine Lehre sein, keine Tochter der Wüste ohne die Ehrerbietung zu behandeln, welche er der Angehörigen eines unserer Stämme schuldig ist. Aber, Du kennst nun meinen Namen, darf ich nicht auch den Deinigen hören?«

»Ich heiße Hiluja.«

»Hiluja. Dieser Name ist so schön, wie ich noch keinen einzigen gehört habe. Ich bin einer der Aermsten unseres Stammes. Ich habe nur mein Reitkameel, ein Pferd und wenige Schafe; aber ich habe auch eine Flinte und mein Messer, und es soll mir eine Paradiesesfreude sein, wenn ich Dich glücklich zu der Königin gebracht habe. Jetzt aber muß ich gehen. Lebe wohl, Hiluja.«

Er ergriff ihr kleines Händchen. Sie hielt seine Hand fest und sagte traurig:

»Du sprichst davon, mich zur Schwester zu bringen, und liegst doch vielleicht schon in einer Stunde da draußen, ermordet von den Arnauten. Wenn mir doch nur ein rettender Gedanke käme! Ich kann Dich nicht wieder bitten, nicht hinauszugehen, und etwas Besseres fällt mir doch auch nicht ein.«

Es schien, als ob ihr die Thränen in die Augen treten wollten. Er sah es. Er hätte vor ihr niederknieen mögen; doch beherrschte er sich und sagte:

»Ich weiß Etwas.«

»Was? Sage es!«

»Wirst Du es thun?«

»O, wie gern!«

»So bete zu Allah für mich. Du bist so schön, so rein, so gut. Wenn Du für mich betest, so wird er Dein Gebet erhören; er kann nicht anders. Willst Du?«

»Ja, ich will,« nickte sie.

»Ich danke Dir! Lebe wohl, Hiluja!«

»Lebe wohl, Hilal! Allah sei mit Dir!«

Es klang gepreßt, als ob sie sich dabei die größte Mühe geben müsse, ein unterdrücktes Schluchzen nicht hörbar werden zu lassen. Es war ihr so weh um das Herz, als ob sie ganz sicher sei, daß er einem gewissen und unvermeidlichen Tode entgegengehe.

Sie blickte ihm nach. Er schritt so stolz und elastisch, so selbstbewußt davon, wie nur ein Araber schreiten kann, der keinen Herrn über sich erkennt als Gott allein, denn selbst der Scheik des Stammes ist mehr Berather als Gebieter und hat sich nach der Versammlung der Ältesten zu richten. Der Beduine ist nicht nur der Sohn, sondern auch der Herr der Wüste; wo er hingeht, da ist sein Vaterland; wo er sich hinlegt, da ist seine Heimath. Die ganze Unendlichkeit der Wüste ist seine strengste Tyrannin und doch auch seine Freundin, die sich ihm unterwerfen muß. Das weiß er. Daher verachtet er den Städtebewohner und einen Jeden, welcher nach den Gesetzen der Gesellschaft, der Zivilisation gezwungen ist, irgend einen Menschen als über ihn stehend, anzuerkennen.

Darum war auch der Gang Hilals so stolz und sicher, ohne daß er diesen Stolz wollte und beabsichtigte. Hiluja folgte ihm mit dem Blicke, bis er nicht mehr zu sehen war. Die Alte sah es natürlich. Sie bemerkte, in welcher Bewegung sich ihr Liebling befand.

»Gefällt er Dir?« fragte sie.

Hiluja erröthete. So direct war sie noch nicht über ihre Ansicht betreffs eines männlichen Wesens befragt worden.

»Sollte er etwa nicht?« antwortete sie ausweichend.

»O, doch! Sein Kleid ist arm und gering, aber sein Gang ist wie derjenige eines Königs.«

»Und seine That ist wie diejenige eines Helden.«

»Ob er wirklich so berühmt ist, wie wir hörten?«

»Ich glaube es. Denn was er heute gethan hat, das hätten tausend Andere nicht zu thun gewagt.«

»Ich wollte, er hätte diesen Tschausch getödtet. Hast Du Dir gemerkt, wie er mich nannte?«

»Nein.«

»Ein Scheusal nannte er mich, hörst Du, ein Scheusal! Wenn er Wasser trinkt, soll es ihm zu kochendem Oele werden, und wenn er Brod ißt, soll es ihn schmerzen, als ob er glühende Flintenkugeln verschluckt. Sein Körper möge eine einzige Wunde sein, und wenn er dann in die Hölle fährt, möge er verdammt sein, sich selbst aufzufressen und immer wieder herauszuspeien! Ein Scheusal! Weißt Du, was das bedeutet? Ein Scheusal ist ein Weib, welches keinen Mann bekommt und dessen Kinder vor Angst davonlaufen, wenn sie die schreckliche Mutter erblicken!«

Sie bemerkte in ihrem Grimme gar nicht, daß sie sich bei dieser Umschreibung mit ihren eigenen Worten in Widerspruch befand. Sie war eben eine Araberin, und die Angehörigen dieser Völkerschaft besitzen Ausdrücke von einer Kraftfülle, um welche sie selbst der drastische Magyar beneiden könnte.

Sie waren während des Gedankenausbruches der Alten an der Landungsbrücke angelangt. Sie schritten hinüber auf das Deck der Yacht. Dort saß der Lord hinter dem Wetterschirme des Cajüteneinganges. Er hatte sie beobachtet, ohne von ihnen bemerkt worden zu sein. Während der Fahrt war es ihm gelungen, sich wenigstens einige türkische Ausdrücke und einige Wörter der Lingua Franca zu merken. Er lachte ihnen entgegen, deutete nach der Richtung, in welcher Hilal verschwunden war, und fragte:

»Aschyk? Nicht wahr, das war der Aschyk?«

Das Wort Aschyk bedeutet so viel wie Geliebter, Liebhaber. Das Mädchen erröthete über das nicht etwa sehr zart zu nennende Wort. Die Alte ärgerte sich darüber, deutete auf ihn und sagte:

»Achmak, Achmak!«

Dann verschwand sie in der Cajüte, Hiluja nach sich ziehend. Der Lord sprang von seinem Sitze auf und ging nach dem Hintertheile, wo der Steuermann saß.

»Hm! Steuermann, was mag wohl das Wort Achmak bedeuten?« fragte er.

»Gefällt es Eurer Lordschaft?«

»Nicht übel. Es hat einen so melodiösen Klang.«

»Ja, die Bedeutung ist auch nicht übel.«

»Eine gute?«

»Sehr!«

»Dachte es mir. Die Alte hat es jedenfalls sehr gut gemeint. Sie ist eine brave Lady.«

»Die Alte? Hat die das Wort gesagt?«

»Ja.«

»Hm! Zu wem?«

»Zu mir natürlich!«

»Oh! Ah! Ei, ei!«

»Wieso? Was bedeutet es?«

»Ich möchte es lieber nicht sagen.«

»Nur heraus damit! Ich werde mir nicht viel darauf einbilden, und wenn die Bedeutung eine noch so schöne ist. Auch fällt es mir gar nicht ein, es für eine Schmeichelei seitens des Uebersetzers zu halten.«

»Des Uebersetzers? Das wäre ich. Nun, Mylord, um mich ist es mir auch gar nicht, sondern nur um die Alte. Ich komme dabei ganz gewiß nicht in die Gefahr, für einen Schmeichler gehalten zu werden, aber für die Alte könnten einige Hiebe mit der neunschwänzigen Katze abfallen.«

»Fällt mir nicht ein! Sie hat es jedenfalls gut gemeint, und wenn sie mir ein Wort sagt, welches ein Wenig höflicher oder wohl vielleicht zärtlicher ist, als ich es verdiene, so platze ich doch deshalb noch lange nicht vor Hochmuth und Einbildung auseinander.«

»Ja, das bin ich überzeugt, besonders in diesem Falle,« nickte der Steuermann, indem er eine höchst eigenthümliche Grimasse zog.

»Also, was bedeutet das Wort?«

»Das Wort heißt gerade und genau so viel wie Dummkopf.«

»Dumm – – kopf?« fragte der Lord, indem ihm vor Erstaunen der Mund offen blieb.

»Ja, ganz wörtlich Dummkopf.«

»Alle Wetter!«

»Schöne Schmeichelei!«

»Hol's der Teufel! Was heißt denn eigentlich Aschyk?«

»Liebhaber.«

»Also doch! Ich habe keinen Fehler gemacht. Ich sage Aschyk, und sie antwortet Achmak. Wunderbar! Diese Alte hat den Teufel im Leibe! Oder hat sie es so aufgenommen, als ob ich meine, jener barfüßige Araber sei ihr Anbeter? Der Ihrige? Sapperment! Das wäre doch auch keine Beleidigung für so eine alte Canalschleußenhaube! Hm, hm! Wunderbar!«

Er schritt langsam und kopfschüttelnd nach der Cajütentreppe und stieg da hinab, mit sich noch nicht ganz darüber einig, ob er der Sünderin seines Zorn fühlen lassen wolle oder nicht.

Als er in die Cajüte trat, fand er die Anwesenden in einer sehr lebhaften Unterhaltung. Er verstand kein Wort von Dem, was Hiluja erzählte; er hörte dann endlich, daß Steinbach zu Normann und Wallert, welche von ihrem Spaziergange auch zurückgekehrt waren, gewendet, ganz erstaunt ausrief:

»Hilal? Das ist ja derselbe Hilal, welchen mir der Vicekönig senden will, wie ich Ihnen vorhin erzählte. Diese Arnauten haben irgend eine Schlechtigkeit gegen ihn vor. Wir müssen hinaus nach dem See, um ihn womöglich vor Schaden zu bewahren.«

»Schaden? Arnauten? Schlechtigkeit? See? Gefahr?« fragte der Lord. »Was giebt es denn?«

Steinbach erklärte ihm das Geschehene.

»Tod und Teufel! Ich gehe mit!« rief der Lord.

»Das wird nicht rathsam sein.«

»Warum nicht?«

»In diesem Aufzuge?«

Der Lord trug nämlich da noch seinen grau und schwarz karrirten Anzug.

»Aufzug? Sie meinen Anzug? Kann ich in demselben etwa Niemand retten?«

»Verzeihen Sie! Wir wissen noch gar nicht, was geschehen wird und was wir zu thun haben. Vielleicht ist es möglich, daß wir uns für Eingeborene ausgeben müssen –«

»Dann bin ich auch eingeboren! Geben Sie mich meinetwegen für einen Eskimo oder Kaffer oder Tungusen oder Päscheräh aus; es ist mir Alles egal; aber ich will auch mit retten und helfen!«

Er wollte nicht einsehen, daß sein ganzes Aeußere geeignet sei, den Plan zu verderben, und war nur nach langer Mühe zu bewegen, auf das Mitgehen zu verzichten.

Er ließ sich endlich bereden, allerdings nur scheinbar. Er that, als habe er verzichtet, und horchte desto aufmerksamer auf die Worte, welche gesprochen wurden.

Dann brachen Steinbach, Wallert und Normann auf, bis an die Zähne bewaffnet. Sie nahmen sogar den Maschinisten und den Diener Will mit, welche Beide auch bewaffnet wurden.

Er folgte ihnen auf das Verdeck, blickte ihnen nach, bis sie verschwunden waren, und trat dann in das Steuerhäuschen, wo die Karten und Pläne lagen. Er hatte den Steuermann zu sich gerufen und fragte ihn:

»Giebt es hier in der Umgegend nicht einen See, welcher El Chiyam heißt?«

»Wollen sehen!«

Er suchte auf der Karte der Umgegend von Kairo und sagte dann:

»Hier steht Birket el Chiyam. Birket heißt See. Das ist also das Gesuchte.«

»Wie weit von hier?«

»Eine gute halbe Stunde, wenn die Zeichnung richtig ist?«

Der Lord blickte selbst nach und sagte dann:

»Hm! Grad im Westen von hier. Diese Kerls sind erst hinauf nach der Brücke. Das giebt einen Umweg. Wenn ich mich gleich gradüber rudern laße, komme ich eher als sie.«

»Mylord wollen nach dem See?«

»Ja.«

»Die andern Masters sind wohl auch hin?«

»Natürlich. Die Kerls wollten mich nicht mitnehmen.«

»So würde ich rathen, an Bord zu bleiben. Master Steinbach ist ein Mann, der nichts thut ohne vorherige reifliche Ueberlegung; er weiß stets, was er will.«

»Ich weiß ebenso gut, was ich will, verstanden? Ich brauche keinen Rath! Jetzt das kleine Boot hinab. Ich gehe an das andere Ufer!«

Er sagte das in einem so strengen Tone, wie ihn der brave Steuermann noch nie von ihm gehört hatte, und begab sich dann nach seiner Kabine. Von dort kehrte er zurück, als der Steuermann eben das Boot hinabgelassen hatte. Der Lord hatte Regenschirm und Fernrohr mit. In einem rothen Tuche, welches er sich um die Hüften geschlungen hatte, staken zwei Messer, zwei Revolver, zwei Pistolen und das Handbeil des Feuermanns. Außerdem hingen ihm zwei doppelläufige Gewehre über die Schulter.

»Um Gotteswillen!« rief der Steuermann erschrocken. »Wollen Eure Lordschaft unter die Räuber und Banditen gehen?«

»Gerade das Gegentheil! Ich will unter den Räubern und Banditen aufräumen, daß man hier in Kairo noch nach hundert Jahren von mir erzählen soll!«

»Es ist doch nicht etwa Gefahr dabei!«

»Sogar riesige Gefahr! Aber – was mache ich mir aus solcher Gefahr?«

»Ich würde doch rathen, hierzubleiben!«

»Mund halten! Brauche keinen Rath! Bin mein eigener Geheim- und Kommerzienrath!«

»Aber, wann werden Mylord zurückkommen?«

»Wenn die Rettung vollendet ist.«

»O weh! Das ist sehr unbestimmt!«

»Ja. Bei solchen Kriegs- und Feldzügen muß man sich eben höchst diplomatisch ausdrücken.«

»Wenn nun die anderen Masters eher zurückkehren und nach Mylord fragen, was soll ich antworten?«

»Daß ich ausgezogen bin mit Roß und Troß, um zu retten, was sie nicht haben retten können. Ich bin nämlich überzeugt, daß diese guten Leute es sehr verkehrt anfangen werden. Ich hingegen werde es außerordentlich schlau anfangen. Ich verstecke mich und warte verstohlen, bis der Augenblick des Handelns gekommen ist; dann falle ich mit aller Gewalt über diese Arnauten her –«

»Arnauten! Um Gottes willen! Die Arnauten sollen ganz gewaltthätige und grausame Menschen sein!«

»Das sind sie. Darum putze ich sie von der Erde weg!«

»Wenn nur Eure Lordschaft nicht geputzt werden.«

»Ruhig! Still! Sonst wird Der geputzt, der es wagt, den Mund noch einmal aufzuthun. Ich werde diesen Herren, welche mich nicht mitnehmen wollten, einmal zeigen, daß ich ganz allein mehr fertig bringe als sie Alle mit einander. Ich soll in meinem Aufzuge kein Eingeborner sein! Welcher Unsinn! Ich werde gerade da geboren, wo es mir beliebt, aber nicht etwa da, wo diese Herren denken! Vorwärts!«

Er war während dieses Raisonnements hinab in das Boot gestiegen. Der Steuermann griff zu den Riemen und ruderte ihn nach empfangener Weisung um die Insel Baleq herum, um ihn in der Nähe des Palastes Tusuhn zu landen.

Dort stieg der Engländer aus, warf die Gewehre über, drückte sich den karrirten Cylinder fest auf den Kopf, wie Einer, der einen Sturm heranwirbeln hört oder einem Hund entgegengeht, und schritt dann dem Kanale entgegen, über welchen er mußte, wenn er sein Ziel erreichen wollte.

Er hatte sich die einzuhaltende Richtung ganz genau gemerkt und freute sich wie ein Schneekönig auf das Abenteuer. Welcher Art dasselbe sei und wie es verlaufen werde, davon hatte er allerdings keine Ahnung. Er wußte nur, daß er eins erleben werde.

Während er so mit langen Riesenschritten vorwärts eilte, um den Andern zuvorzukommen, ruderte der brave Steuermann, von Zeit zu Zeit bedenklich den Kopf schüttelnd und Worte ernster Besorgniß murmelnd, wieder nach der Yacht zurück. So viel er von seinem Herrn vernommen hatte, hielt er es für gewiß, daß das Unternehmen desselben ein nicht sehr empfehlenswerthes sei.

Dem Lord hingegen fiel es gar nicht ein, dieselbe Ansicht zu hegen. Er freute sich auf das Abenteuer, welches ihm bevorstand. Er fand glücklicher Weise gerade da, wo er den nach Gizeh führenden Canal erreichte, eine Ueberbrückung desselben, so daß er nicht durch ein langes Suchen nach dem Uebergange aufgehalten wurde, und setzte seinen Weg mit solcher Eile fort, daß er wirklich vor allen Anderen an dem See anlangte.

Dieser war allerdings jetzt kein See zu nennen. Er lag vollständig trocken. Während der Zeit der Nilüberschwemmung bildete er jedenfalls ein nicht unbedeutendes Wasserbassin, trat aber der Nil in seine Ufer zurück, so hörte der Zufluß auf und das Wasser verdunstete, so daß der flache Grund des Sees wohl mehrere Monate des Jahres hindurch nur einige wenige Lachen zeigte und dann eher die Eigenschaft eines Sumpfes besaß.

Dennoch gab es an seinem Rande eine Vegetation, welche jetzt freilich zu ruhen schien, zur Regenzeit aber schnell und üppig aufwucherte. Das Schilf war zwar scharf und trocken, doch mannshoch aufgeschossen. Es schien für den Engländer ein gutes Versteck zu bieten, als er aber versuchte, in dasselbe einzudringen, fand er, daß es wie Messer schnitt. Er verzichtete also darauf, sich in demselben zu verbergen.

Als er nun seinen Blick über die Umgebung schweifen ließ, murmelte er leise:

»Da rechts liegen die Steine, von denen dieser Master Steinbach sprach. Dort also wird der Zweikampf vor sich gehen. Dort werden sie sich treffen, und wenn ich mich dort verstecken wollte, würde man mich entdecken. Das darf nicht sein. Wohin aber soll ich denn sonst? Ah, was ist denn das für ein Ding? Ist das hohl?«

Am Rande des Sees, ganz in seiner Nähe, befand sich nämlich eine ziemlich steile Bodenerhöhung. An einer Stelle dieser Böschung befand sich eine Steinplatte mit einer ausgegrabenen, jedenfalls sehr alten Inschrift. Der Lord trat hinzu und entzifferte mit einiger Mühe:

»Hier ruht James Burton, Esq. aus Leeds. Gestorben im April 1816 an einem Schlangenbiß. Gott schenke ihm die ewige Ruhe!«

»Ein Engländer!« meinte der Lord. »Hm! Jedenfalls eine Aushöhlung! Wenn ich mich da hineinstecken könnte! Master James Burton aus Leeds würde es mir wohl nicht übelnehmen, wir sind ja Landsleute.«

Er versuchte, ob die Platte sich bewegen lasse. Sie war zwar nicht sehr klein, aber dünn. Es bedurfte keiner großen Anstrengung, sie zu entfernen. Hinter ihr kam eine tiefe Höhlung zum Vorschein. Der Lord bückte sich und kroch hinein.

Die Höhlung war tief, viel tiefer, als er dachte. Er mußte sich ein Streichhölzchen anbrennen, um ihren Inhalt zu untersuchen. Es gab überhaupt keinen Inhalt; sie war leer.

»Sapperment!« lachte er. »Master Burton scheint heute ausgegangen zu sein. Er wird sich wundern, bei seiner Rückkehr zu finden, daß er Besuch hat. Oder haben diese Egypter das Grab ausgeraubt. Es ist jedenfalls nicht für ihn hergestellt worden, sondern es stammt aus uralter Zeit, denn es ist aus Luftziegeln gemauert. Hier bleibe ich. An der Steinplatte fehlt eine Ecke, so daß ich ganz gut hinaussehen kann, selbst wenn ich sie vor den Eingang lege. Das giebt ein Versteck, wie ich es gar nicht besser hätte finden können.«

Er trat wieder hinaus und versuchte die Platte über die Grube zu ziehen. Dabei fiel sein Blick nach der Richtung der Stadt. Von dorther kamen Leute.

»Ob das bereits die Arnauten sind?« fragte er sich. »Höchst wahrscheinlich. Ich muß mich also beeilen.«

Er verschloß den Eingang der Grabeshöhlung hinter sich. Die Platte paßte so genau in die Eindrücke, die durch sie selbst entstanden waren, daß jetzt kein Mensch sehen konnte, daß sie soeben entfernt worden sei. Da, wo an ihr die obere Ecke fehlte, konnte der Lord hinaussehen, und da bemerkte er nun an den Anzügen der sich Nahenden, daß es allerdings die Arnauten seien. –

Es waren ihrer Sechs, also nicht Alle, welche kommen wollten. Sie waren den Anderen vorausgegangen, um einen Plan zu besprechen, von welchem der Corporal nichts wissen sollte. Als sie die bezeichneten Steine erreichten, blieben sie stehen, um sich zu orientiren.

»Meint Ihr, daß man sich hinter einem dieser Steine verstecken könnte?« fragte Einer.

»Nein,« antwortete der Zweite. »Das geht nicht. Wer da einen Schuß abgeben soll, der muß sich natürlich hinter dem Steine emporrichten, und da wird er gesehen.«

»Das ist richtig. Aber es giebt ja kein zweites Versteck.«

»O doch! Das Schilf.«

»Das ist scharf wie ein Säbel. Ich mag mich nicht hineinstecken. Uebrigens muß Derjenige, welcher dort stecken würde, sich ja ebenso aufrichten, wenn er schießen will, und da würde er gesehen. Ich wüßte einen Ort, aber der ist nicht nach Jedermanns Geschmack.«

»Welchen?«

»Dort das Grab des Engländers.«

»Allah!«

»Sieh, wie Du Dich fürchtest!«

»Das Grab eines Ungläubigen! Hast Du nicht gehört, daß sein Geist keine Ruhe findet und des Nachts hier umgeht? Er soll am Vollmond heulen wie eine Hyäne.«

»Das habe ich freilich gehört – aber wir haben jetzt doch nicht Vollmond, sondern es ist Tag. Uebrigens ist die Leiche ja gar nicht mehr vorhanden.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja. Sie ist während der letzten Überschwemmung mit fortgerissen worden.«

»Warum lehnt man da den Stein wieder vor?«

»Das weiß ich nicht, jedenfalls doch, weil er hingehört.«

»Ich mag nicht hinein!«

»Memme!«

»Schimpfe nicht! Du kennst mich und weißt, daß ich mich nicht fürchte. Aber mit den Todten mag ich nichts zu thun haben.«

»Es ist ja kein Todter drin.«

»Aber er war drin; das ist genug. Er war ein Engländer, ein Ungläubiger. Soll ich mich etwa im Grabe eines Christen verunreinigen? Das fällt mir nicht ein.«

»Das ist nicht gefährlich. Man spricht das Gebet der Reinigung und ist die Verunreinigung los. Wir brauchen uns ja nicht zu streiten, denn wir wissen noch gar nicht, welcher von uns bestimmt ist, den Schuß zu thun. Wollen wir loosen oder würfeln?«

»Würfeln!«

»Die Arnauten pflegen stets mit Würfeln versehen zu sein; es ist das ihr Lieblingsspiel. Sie kauerten sich nieder, und Einer zog drei Würfel aus der Tasche.

»Die höchste oder die niedrigste Nummer?« fragte er.

»Die niedrigste!«

Das wurde angenommen. Sie wurde von Demjenigen geworfen, welcher über die Furcht vor dem Engländer gelacht hatte. Er sagte:

»Also ich! So ist gar nichts weiter zu sagen. Ich fürchte mich vor diesem Grabe nicht und werde mich also hineinstecken. Das Uebrige ist Eure Sache. Seht, hier fehlt die Ecke an der Platte. Das giebt ein Loch, durch welches ich in aller Gemüthlichkeit meine Kugel senden kann. Es ist eigentlich ärgerlich, daß wir zu einem solchen Mittel greifen müssen; aber seit er uns gesagt hat, daß er Hilal ist, steht es fest, daß er uns Alle erschießen wird. Einen nach dem Andern. Diese Söhne des Blitzes verfehlen ihr Ziel nie. Man sagt, daß ein alter, berühmter Marabut, ein frommer Einsiedler, über ihre Gewehre den Segen gesprochen habe. Seit jener Zeit haben sie keinen einzigen Fehlschuß gethan, und ihre Kugeln gehen fünfmal weiter, als diejenigen anderer Schützen. Nur List kann hier helfen.«

»Was aber sagen wir, wenn Du Dich in's Grab hier steckst und der Onbaschi fragt nach Dir?«

»Was sollt Ihr sagen? Ich bin einfach nicht da. Nun aber müßt Ihr dafür sorgen, daß der Araber so gestellt wird, daß ich ihn vor meine Flinte bekomme. Der Onbaschi wird das Zeichen geben, wann geschossen werden soll. In demselben Augenblicke drücke auch ich ab. Der Araber muß so nahe an diesem Grabe stehen, daß ich ihn auf alle Fälle treffen muß. Und dann –«

»Halt, ist er das nicht, der dort jenseits der Steine kommt?«

»Ja, das ist er.«

»Dann schnell hinein, ehe er es bemerken kann!«

Der Lord kauerte im Innern der Höhle hinter dem Steine und blickte durch das Eckloch heraus. Er sah sie, er hörte sie auch, da er aber des Türkischen, in welchem sie sprachen, nicht mächtig war, so verstand er nicht, was sie sagten. Er hatte keine Ahnung davon, daß der Eine zu ihm hineinkommen wolle. Jetzt sah er, daß zwei von ihnen nach der Platte griffen.

»Sapperment!« flüsterte er. »Ich glaube gar, ich bekomme Besuch. Dann nur rasch so weit hinter wie möglich! Vielleicht bemerken sie mich gar nicht.«

Und wirklich, sie bemerkten ihn auch nicht. Sie mußten so rasch handeln, daß ihnen gar keine Zeit blieb, nachzusehen, ob die Grabeshöhle auch wirklich leer sei. Sie hatten die Platte zur Seite geschoben und der Arnaut kroch hinein.

»Also, Achmed, sorge dafür, daß ich ihn gut zu Schuß bekomme!« sagte er noch.

Dann legten sie den Stein wieder vor.

Der Engländer hatte sich bis an das Ende der Höhle zurückgezogen, wo er sich still zusammenkauerte, seine Gewehre an sich ziehend. Glücklicher Weise war der Raum so groß, daß auch mehr als nur zwei Personen in demselben Platz gefunden hätten. Und ebenso glücklicher Weise fiel es dem Arnauten gar nicht ein, ganz hinter zu kriechen. Er blieb vorn, um durch das Loch Alles genau beobachten zu können.

Hilal näherte sich langsam. Er war ganz allein.

Als er die Arnauten erblickte, that er doch nicht, als ob er sie bemerke. Er lehnte sich an einen der großen Quadersteine, welche seit Jahrhunderten an ihrer Stelle lagen, und bekümmerte sich scheinbar gar nicht um seine Gegner.

Er hatte bemerkt, daß noch nicht Alle beisammen waren, und wartete nun, bis die Anderen kommen würden. Dies dauerte nicht lange. Eben als die Sonne im Westen den Horizont scheinbar berührte, kam der Onbaschi, bei welchem sich die Uebrigen befanden.

Als er Hilal bemerkte, sagte er im Tone der Erleichterung zu ihm:

»Du hast Wort gehalten. Das ist sehr gut. Ich hatte meine Ehre verpfändet.«

»Ich habe mein Wort noch nie gebrochen.«

»Es war doch leicht möglich, daß Du nicht kamst.«

»Warum?«

»So Viele gegen Einen.«

»Glaubst Du etwa, daß ich mich vor ihnen fürchte? Meine Kugel wird sie Alle treffen. Und selbst wenn ich gewußt hätte, daß ich getödtet würde, wäre ich doch gekommen. Ein Sohn der Wüste stirbt lieber, als daß er von sich sagen läßt, er wäre wortbrüchig geworden. Beginnen wir?«

»Ja. Die Sonne ist fast verschwunden. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Sind Alle beisammen?«

Sein Auge überflog die Versammlung. Er fragte verwundert:

»Omar fehlt. Wo ist er?«

»Er ging erst noch zum Tabaksverkäufer und wird bald nachkommen,« antwortete Derjenige, welcher Achmed genannt worden war.

Der Onbaschi beruhigte sich. Er musterte die Umgebung und fragte den Beduinen:

»Wie viel Schritte Entfernung wünschest Du?«

»So viel Ihr haben wollt, einen oder dreihundert,« klang die stolze Antwort.

»Einen Schritt nur? Das wäre Dein sicheres Verderben.«

»Versucht es! Was ist das für ein Loch?«

»Ein Grab.«

Hilal hob die Hand bis zur Stirn empor. In der Wüste giebt es keine Gottesäcker. Die ganze Sahara ist ein einziger großer Kirchhof. Der Araber wird da begraben, wo er stirbt. Aber der Ort, an welchem ein Todter seiner Auferstehung harrt, ist dem Bewohner der Wüste heilig.

»Es ist nur ein Engländer,« erklärte der Onbaschi, als er das Zeichen der Ehrfurcht bemerkte, welches Hilal machte.

»Ist ein Engländer nicht auch eine Seele?« fragte dieser. »Giebt es für ihn nicht auch eine Auferstehung und ein Gericht? Allah sei seiner Seele gnädig!«

»Er war ein Ungläubiger und ist in seinen Sünden dahingefahren. Man hört ihn des Nachts hier am Ufer des Sees heulen. Er brüllt vor Angst, daß er in die Hölle wandern muß. Ich mag hier nicht in der Nähe sein, wenn es finstere Nacht ist. Darum laßt uns eilen! Ich denke, daß wir uns aus einer Entfernung von ungefähr hundert Schritten schießen. Wer will es anders?«

Keiner antwortete.

»Wie und wo stellen sich die Kämpfenden auf?«

Jetzt war es Zeit für Achmed, dafür zu sorgen, daß diese Aufstellung eine für seine Absicht günstige sei. Er nahm deshalb für die Andern das Wort und sagte:

»Nehmen wir dieses Grab in die Mitte. Fünfzig Schritte vorwärts mag dieser Araber sich aufstellen und fünfzig Schritte rückwärts Derjenige von uns, an welchem die Reihe des Schusses ist. Du, Onbaschi, bist nicht unter den Kämpfenden; Du magst das Zeichen geben. Wenn Du bis Drei zählst, schießen Beide zu gleicher Zeit.«

»Ja, so mag es sein,« stimmte auch Hilal bei. »Vorher aber wollen wir nach der Sitte der Wüste handeln und den Schwur des Kampfes ablegen.«

»Den Schwur des Kampfes?« fragte Achmed. »Was ist das?«

»Jeder Kämpfende hat zu schwören, daß der Kampf ein ehrlicher sein solle und daß den Sieger nicht eine tückische Rache treffen kann. Seid Ihr dazu bereit?«

»Ja.«

»Eigentlich hat der Scheik oder Imam oder ein Marabut diesen Schwur abzunehmen. Da aber kein solcher zugegen ist, so müssen wir uns an den Todten wenden.«

»An den Todten?« Wie meinst Du das?«

»Ein Grab ist eine ehrwürdige Stätte, selbst wenn es den Leib eines Ungläubigen birgt. Ein Schwur am Grabe hat dieselbe Giltigkeit, wie ein Eid vor dem Allerheiligsten der Moschee. Tretet herzu und legt Eure rechten Hände an die Thür dieses Grabes! Ich werde Euch dann die Worte des Eides vorsprechen.«

»Was fällt Dir ein? Eines solchen Schwures bedarf es doch bei uns gar nicht!«

»Wenn Ihr es nicht thut, so muß ich annehmen, daß Ihr auf eine Hinterlist sinnt. Und in diesem Falle gehe ich fort, ohne mit Euch gekämpft zu haben.«

»Oho! Du hast uns beleidigt und unseren Tschausch gelähmt. Das werden wir rächen, und Du wirst auf alle Fälle gezwungen sein, mit uns Allen zu kämpfen!«

»Ich werde thun, was mir gefällt! Seid Ihr bereit, den Schwur zu leisten?«

»Ja, sie werden ihn leisten,« antwortete der Onbaschi. »Auch ich verlange, daß der Kampf ein ehrlicher sei. Legt also Eure Hände an den Stein!«

Das kam den Arnauten keineswegs gelegen. Dem Muhammedaner ist ein Schwur außerordentlich heilig. Zudem fühlten sie ein unbesiegbares Grauen vor diesem Grabe, in welchem eine Seele steckte, welche des Nachts umherirren mußte. Dennoch aber gehorchten sie dem Gebote des Corporals. Sie traten eng zusammen, um die Platte mit ihren Händen zu berühren. Der Araber legte auch seine Hand an dieselbe und sagte:

»Seid Ihr jetzt bereit, mir den Eid nachzusprechen?«

»Ja,« antworteten sie Alle.

»So sagt, wie ich, Folgendes: Im Namen des Allgerechten! Wir schwören hier an diesem Grabe, daß wir auf keinerlei Hinterlist sinnen, und daß der Sieger, wenn der Kampf zu Ende ist, diesen Ort verlassen kann, ohne eine Heimtücke befürchten zu müssen. Wer diesen Schwur nicht hält, den mag der Geist dieses Grabes packen und ihn festhalten, daß er auch keine Ruhe findet weder bei Tag noch bei Nacht, in alle Ewigkeit. Das schwören wir zu Allah. Amen!«

Sie sprachen diese Worte in den Pausen, welche er machte, nach. Es war ihnen keineswegs lächerlich zu Muthe. Der Abend begann bereits seine ersten Schatten über die einsame Gegend zu werfen. In kurzer Zeit mußte es dunkel sein. Sie kämpften gegen einen berühmten Schützen. Wer von ihnen würde die Sonne des nächsten Tages erblicken? Es begann ihnen zu grauen. Dennoch sagte Einer, als der Schwur abgelegt worden war:

»Was will der Geist eines Engländers, der vor so langen Jahren starb, wissen von dem, was hier geschieht! Es ist lächerlich.«

Es war ihm keineswegs ernst mit diesen Worten. Er glich denjenigen Menschen, welche im Finstern, wenn sie sich allein befinden, irgend eine Melodie pfeifen, um ihre Furcht zu beschwichtigen. Achmed stimmte ein:

»Du hast recht. Ich muß lachen, wenn ich mir denke, daß der Geist dieses Engländers heraus käme, um Einen von uns festzupacken. Ein Geist, gekleidet in die Weise der Engländer, mit weißen und schwarzen Vierecken auf dem Gewande und einen Hut auf dem Kopfe, wie die Briten ihn so lächerlicher Weise zu tragen pflegen. Fangen wir lieber endlich an!«

»Ja,« sagte der Onbaschi. »Gebt Würfel her! Wer am Höchstem wirft, hat den ersten Schuß.«

Es wurde gewürfelt. Einer warf Siebenzehn. Er nahm seine Flinte und zählte fünfzig Schritte nach rückwärts ab. Hilal ergriff auch sein Gewehr und ging genau fünfzig Schritte vorwärts, wo er sich dann umdrehte. Nun standen sich die beiden Duellanten so gegenüber, daß das Grab in ihrer Mitte lag. Die Arnauten wichen zurück, um aus der Schußlinie zu kommen. Sie standen also auch in der Mitte, nur ein Wenig seitwärts. Sie waren Alle im Complot, außer allein dem Onbaschi. Sie wußten, daß Omar irgendwo versteckt sei, um dem Beduinen aus größerer Nähe als hundert Schritten eine sichere Kugel zu geben. Diejenigen, welche zuerst gekommen waren, kannten das Versteck noch genauer. Sie hielten ihre Blicke mit außerordentlicher Spannung nach dem Grabe gerichtet.

»Aufgepaßt!« rief jetzt der Onbaschi laut. »Ich werde zählen. Bei Drei wird geschossen. Und dann – Alle Teufel! Was ist das?«

Er wendete sich zur Seite, wo jetzt in diesem Augenblicke Steinbach mit seinen Begleitern um die Ecke des Sees gebogen kam. Sie waren bisher von dem hohen Schilfe den Augen der Arnauten verborgen gewesen. Steinbach bemerkte, daß er gerade im letzten Augenblicke gekommen sei. Er kam schnell herbei und fragte, sich an den Onbaschi wendend:

»Zwei Männer, einander mit dem Gewehre gegenüber! Was geht da vor?«

»Was geht es Dich an?«

»Das geht einen Jeden an. Wollt Ihr Euch morden?«

»Nein. Es ist ein Duell.«

»Das ist etwas Anderes. Hoffentlich dürfen wir es uns mit ansehen?«

»Das ist nicht nothwendig. Geht Ihr Eures Weges.«

»Unser Weg führt uns just nur bis hierher. Wir werden also hier bleiben.«

Der Onbaschi maß ihn mit einem zornigen Blicke und trat dann näher an die Seinigen heran. Sie flüsterten einige Secunden lang miteinander. Dann wendete sich der Onbaschi wieder zu Steinbach:

»Wer seid Ihr?«

»Das ist von keiner Bedeutung. Wir sind hier, das ist genug. Wenn sich wirklich um ein ehrliches Duell handelt, werden wir zwar zusehen. Euch aber nicht stören. Denjenigen aber, welcher unehrlich handelt, werde ich eine Kugel durch den Kopf jagen!«

»Oho! Du redest ja, als ob Du der Pascha selbst seiest!«

»Ich komme vom Pascha, das mag Euch genug sein. Wenn Hilal mit Euch kämpfen will, mit Einem nach dem Anderen, so ist das seine Sache und ich werde ihn keineswegs daran hindern, aber ehrlich soll der Kampf sein, das verlange ich!«

»Wie? Du weißt es? Du kennst ihn?«

»Ich weiß Alles. Ich stehe hier im Namen des Vicekönigs, um seinen Gast zu beschützen. Der Kampf soll erst jetzt beginnen?«

»Ja. Eben sollte der erste Schuß fallen.«

»Wer commandirt?«

»Ich. Bei Drei schießen Beide zugleich.«

»Gut! Ich bin befriedigt. Ihr steht drüben, wir stehen hüben. Wacht Ihr für Euch und wir wachen für Hilal. Ihr könnt beginnen.«

»Ah, er hat es angezeigt! Er hat Euch herbei bestellt!«

»Nein. Er weiß nichts von uns und er kennt uns nicht. Wir haben es zufällig erfahren; aber er ist unser Freund und wir beschützen ihn.«

Er sprach so ernst, so bestimmt und selbstbewußt, daß der Eindruck seiner Worte unausbleiblich war. Der Onbaschi flüsterte abermals mit den Seinigen und sagte dann:

»Wir brauchen es nicht zu leiden, daß wir von Unberufenen gestört werden –«

»Wir stören Euch ja nicht!« fiel Steinbach ein.

»Das würde ich Euch auch nicht rathen! Unsere Angelegenheit geht Euch gar nichts an. Wir fechten sie unter uns aus. Ihr möget meinetwegen zusehen. Das ist aber auch Alles, was wir Euch erlauben. Wollt Ihr Euch mehr gestatten, so würden unsere Gewehre sprechen!«

»Und die unserigen mit!«

Hilal war ganz erstaunt, so plötzlich Beschützer zu finden, die er gar nicht einmal kannte. Er kam herbei und fragte Steinbach:

»Wer seid Ihr? Ehe der Kampf beginnt, möchte ich wissen, was ich von Euch zu erwarten habe.«

»Du hast nur Gutes zu erwarten. Hiluja sendet uns zu Deinem Schutze.«

»Hiluja!« lächelte er ganz glücklich. »Ich danke Euch! Doch braucht Ihr keine Sorge um mich zu haben. In kurzer Zeit wird keiner dieser Arnauten mehr leben. Laßt sie immerhin gewähren. Sie haben geschworen, daß der Kampf ein ehrlicher sein solle. Ich habe also nichts zu befürchten, desto mehr aber sie.«

Er schritt wieder nach der Stelle zurück, an welcher er vorher gestanden hatte. Die Arnauten standen eng beisammen. Ihre Augen funkelten zornig auf Steinbach und dessen Begleiter herüber. Sie hatten ihre Gewehre fester gefaßt. Sie befanden sich in der Mehrzahl; sie hatten sich eine solche Einmischung nicht gefallen lassen; aber sie sahen die Waffen der Neuangekommenen und mußten sich gestehen, daß diese ihnen da überlegen seien. Zudem machte das gebieterische Wesen Steinbach's einen Eindruck auf sie, welcher es ihnen: gerathen erscheinen ließ, von Feindseligkeiten abzusehen.

»Nun,« sagte er, »in fünf Minuten ist es dunkel. Ihr dürft nicht zögern, wenn Hilal mit Allen fertig werden soll.«

»Ja, beginnen wir endlich!« stimmte der Onbaschi bei. »Also aufgepaßt! Eins – zwei – –«

Hilal hatte sein Gewehr erhoben. Der Kolben desselben lag an der Wange. Sein Gegner hatte dasselbe gethan. Es war ein Augenblick der größten Spannung. Im nächsten Moment mußten die Schüsse fallen. Aber bevor der Onbaschi die verhängnißvolle »Drei« aussprechen konnte, passirte Etwas, woran Niemand gedacht hatte.

Nämlich es fiel ein Schuß, aber nicht aus der Flinte eines der Duellanten sondern aus dem Grabe heraus. Und in demselben Augenblicke wurde von innen der Stein umgeworfen und Omar flog heraus, wie aus dem Laufe einer Kanone geschossen, und vor Angst und Entsetzen aus vollem Halse brüllend.

»Alle Teufel!« rief der Onbaschi erschrocken. »Du, Omar, Du da drin! Was zeterst Du?«

Der Flüchtige flog mitten unter seine Kameraden hinein und rief jammernd:

»Allah illa Allah! Muhammed rassuhl Allah!«

Das ist das Glaubensbekenntniß der Muhammedaner. Sie gebrauchen es auch gerade so wie man wohl bei uns ausruft: »Alle guten Geister loben ihren Meister!«

»Was ist denn? Was ist denn? Was ist denn da drinnen?« fragte der Unteroffizier, indem er den Schreienden festhielt.

»Er, er!«

»Wer denn?«

»Der Geist! Die Seele!«

»Wessen Geist?«

»Des Engländers!«

»Du bist verrückt!«

»Ja, er ist drinnen. Er hat mich gepackt! Dieser Hilal hat ja bei seinem Schwure gesagt, daß uns der Geist packen soll, wenn wir hinterlistig – o Allah! Da kommt er!«

Wirklich, in diesem Augenblicke schob sich der Engländer aus dem Loche, ganz so, wie vorhin der Arnaut gesagt hatte: weiße und schwarze Vierecke auf dem Gewande und einen so dummen Hut, wie ihn die Briten tragen.

»O Muhammed! O Allah! Allah! Allah!« brüllten die erschrockenen Menschen, Einer so laut wie der Andere.

Der Engländer streckte seine langen Arme aus und schnellte sich mit zwei Sprüngen seiner noch längeren Beine mitten in den Haufen hinein.

»Der Geist! Die Seele! Das Gespenst! Fort, fliehet, rettet Euch: Allah! Allah! Allah!«

So rief, schrie und brüllte es aus allen Kehlen. Die Flinten von sich werfend, rannten sie aus Leibeskräften davon, der Lord hinter ihnen her, indem auch er in allen möglichen Tonarten und Stimmen brüllte, so laut als er es nur immer fertig brachte.

Steinbach und seine Begleiter waren nicht wenig erstaunt, den Lord hier aus dem Loche kommen zu sehen, den sie auf der Yacht glaubten. Diesen Umstand abgerechnet, war es ihnen aber gar nicht schwer, den Zusammenhang zu errathen. Als sie die tapferen Arnauten davonspringen sahen und den Engländer mit einem wahren Stiergebrüll und Elephantengetrompete hinterdrein, brachen sie in ein Gelächter aus, welches wenigstens ebensoweit zu hören war, wie das Angstgeschrei der Fliehenden. Sie konnten vor Lachen erst gar nicht zu Worte kommen. Sogar der fünfzig Schritt entfernt stehende Arnaute, der zum Schusse bereit gestanden hatte, war, augenblicklich sein Gewehr wegwerfend, mit davon gerannt.

Hilal stand einer Bildsäule gleich. Das Lachen seiner Beschützer brachte seine Vermuthung in die einzig wahre Richtung. Er kam langsam herbei und fragte:

»Ihr lacht! So war es kein Todter?«

»Ein Todter?« antwortete Normann, noch immer laut lachend. »Hast Du schon Todte so springen sehen?«

»Nein,« meinte er sehr ernsthaft.

Dieser Ernst wirkte so, daß das Gelächter von Neuem begann. Und nur mit großer Mühe gelang es Normann, die Erklärung auszusprechen:

»Dieser Geist ist ein Freund von uns, welcher auch hierherkam. Dich zu beschützen.«

»Also kein Geist! Aber doch ein Engländer!«

»Ja. Ist das so außerordentlich?«

»Ja, denn dies ist doch das Grab eines Engländers.«

»Ach so, so, so ist das! Jetzt begreife ich! In dieser Höhle wurde ein Engländer begraben?«

»Ja. Sein Geist geht um, das sagten die Arnauten.«

»Und den Lord haben sie für diesen Geist gehalten! Herrlich, kostbar, unvergleichlich!«

Das Lachen brach von Neuem aus.

»Ich ließ die Arnauten schwören, daß der Kampf ein ehrlicher sein solle. Ich drohte ihnen dabei mit dem Geiste dieses Todten.«

»Aber es hat doch auch Einer von ihnen drinnen gesteckt!«

»Das wußte ich nicht.«

»Was hat er drinnen gewollt?«

»Weiß ich es? Ich kann es nicht sagen.«

»So weiß es der Lord. Dort kommt er. Er mag uns dieses famose Abenteuer erklären.«

*


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