Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18

» Yes

»Dann sind Sie ein echter Engländer!«

» Yes! Ein Sohn Altenglands.«

»So wünsche ich Ihnen, daß Sie recht bald Gelegenheit finden mögen, Ihren interessanten Plan auszuführen. Haben Sie Herrn Steinbach erst auf dieser Entführungstour kennen gelernt?«

»Ja. Früher hatte ich keine Ahnung von ihm. Wie ich von meinem Steuermann höre, kennen auch Sie ihn?«

»Vorübergehend nur; aber dennoch freut es mich, Gelegenheit zu finden, Etwas von ihm hören zu können.«

»Ja, das können Sie. Ich stelle mich zur Verfügung. Was wollen Sie über ihn erfahren?«

»Alles, was Sie selbst wissen. Wie Sie mit ihm bekannt wurden, und dann weiter und immer weiter bis zu dem heutigen Tage.«

»Mit größtem Vergnügen. Also hören Sie!«

Er begann nun bei Konstantinopel, wo er Steinbach auf dem Kirchhofe zum ersten Male getroffen hatte. Er hatte ihn lieb; noch größer aber als diese Liebe war die Hochachtung, welche er ihm widmete; darum gewährte es ihm eine herzliche Befriedigung, von ihm sprechen zu können, und so vertiefte er sich so in den Gegenstand seines Berichtes, daß einige Stunden vergingen, ehe er zu Ende kam.

»Und nun ist er zu der Königin der Wüste,« meinte Gökala. »Wissen Sie, wer das ist?«

»Ich habe davon mehr flüstern als sprechen gehört. Sie ist die Regentin eines wilden Araberstammes. Das ist Alles, was ich von ihr weiß.«

»Was will er dort?«

»Das ist mir unbekannt. Vielleicht hat er die Absicht, sie zu entführen.«

»Wie es scheint, legen Sie Ihre eigenen Passionen gern auch Anderen unter,« lachte sie.

»Na, diese Königin der Wüste soll eine sehr berühmte Schönheit sein. Er bringt ihre Schwester zu ihr, und da weiß man nicht, was passiren kann. Er selbst ist ein ungeheuer hübscher Kerl. Hm! Soll ich Ihnen vielleicht einen Gruß besorgen, wenn er zurück kommt?«

»Ja, einen Gruß und – wenn Sie mir die Gefälligkeit erweisen wollen – einige Zeilen.«

»Sehr gern. Wann darf ich mir den Brief holen.«

»Ich wohne und lebe hier ganz auf orientalische Weise und habe also weder Papier noch das sonst Nöthige in meiner Klause. Ich muß mir es also erst besorgen und werde Ihnen durch meine Dienerin – –«

»Nein, nein,« fiel er ein. »Das können wir ja viel schneller machen. Warten Sie einen Augenblick!«

Er stand auf und sprang auf sein Dach hinüber, um in der Treppenluke zu verschwinden. Als er zurückkehrte, hatte er ihr Papier, Couvert, Tinte und Feder mitgebracht, sogar einen Wachsstock und Streichhölzer.

»Hier, Mylady!« sagte er. »Wenn es Ihnen beliebt, werde ich hier warten, bis Sie fertig sind.«

»Sehr freundlich, Mylord. Ich werde von Ihrer Güte natürlich sogleich Gebrauch machen.«

Sie nahm das Schreibmaterial und begab sich damit in ihr Zimmer. Er wartete auf ihre Wiederkehr; aber an ihrer Statt kam – die Schwarze.

» Haun!« sagte sie.

Dabei reichte sie ihm den Brief nebst Wachsstock, Tintenfaß und Feder zurück.

»Haun?« fragte er verwundert. »Wer will mich haun?«

» Haun« wiederholte sie, indem sie ihm die erwähnten Gegenstände in die Hände schob.

»Oder soll ich etwa Jemand hauen?«

» Chatrak

»Ja, trak? Wer ist dieser Trak, den ich hauen soll?«

» Chatrak

Damit zog sie sich in die Treppenöffnung zurück; die Klappthür wurde niedergezogen und dann klirrte der Riegel.

»Donnerwetter!« meinte er. »Ich habe den Abschied erhalten. Die Schöne kehrt nicht selbst zurück, sondern sie sendet mir ihre Schwarze. Diese ruft »Haun, ja Trak!« und verschwindet dann hinter Schloß und Riegel. Sapperment, allzu höflich sind die Frauen hier nicht. Aber warte, morgen ist auch noch ein Tag.«

Er kehrte auf sein Dach zurück und stieg von da in sein Zimmer hinab, wo der Steuermann ihn erwartete. Als er ihm den Schluß des Abenteuers berichtete, meinte dieser lachend:

»Da haben Euer Lordschaft allerdings sehr unrecht verstanden. » Haun!« heißt so viel wie »hier.« Das hat die Schwarze gesagt, als sie Ihnen diese Sachen in die Hand gab. Und » Chatrak!« heißt »lebewohl«. Sie hat also gemeint, daß Sie gehen könnten.«

»So also! Verdammte Sprache; diese arabische! Da hat man sich nur zu merken, was jedes Wort zu bedeuten hat. Das Englische habe ich schon als Kind verstanden. Und hier der Brief – ah, die Aufschrift ist in deutscher Sprache; ein kleines, zierliches Damenhändchen! Wer hätte das hier in dieser engen Gasse von Kairo gesucht oder erwartet! »Herrn Oskar Steinbach.« Sie macht es sehr kurz. Grad eben so kurz hat sie es auch mit mir gemacht. Sie ist fort gegangen, ohne mir auch nur gute Nacht zu sagen, sondern sie sendet mir die Schwarze. Diese muß Haun und Chatrak sagen, und dann kann ich gehen. Ist das Höflichkeit?«

»Sind Mylord höflich mit ihr gewesen?«

»Natürlich! Ich bin gegen Jedermann höflich, und gegen eine Dame bin ich es gar doppelt.«

»Hm!«

»Hm? Was hast Du zu brummen?«

»Mylord haben zuweilen so eine eigene Weise höflich zu sein.«

»Was für eine Weise?«

»Man kann grad durch allzu große Höflichkeit sehr unhöflich werden.«

»Das weiß ich auch. Das brauchst Du mir nicht zu sagen. Ich bin weder zu wenig noch zu sehr höflich gewesen, sondern ich hab grad das gethan, was recht ist.«

»Haben Euer Lordschaft vom Entführen gesprochen?«

»Ja.«

»Da hat man es! Haben Mylord dieser Dame gesagt, daß sie schön ist?«

»Natürlich?«

»Da hat man es abermals.«

»Was denn? Was hat man denn, he, wie?«

»Das sind zwei große Verstöße.«

»Verstöße? Unsinn! Verstöße kann ein Steuermann machen, nicht aber ein Lord von Altengland. Merke Dir das! Uebrigens, wenn ich einen Fehler gemacht haben sollte, so ist das gar nicht so schlimm. Morgen ist wieder ein Abend; da steige ich wieder hinüber und mache es wieder gut!«

Aber leider hatte er sich da verrechnet. So viel er an dem Fensterloche stand, er sah am nächsten Tage weder Gökala noch die Schwarze; und als er dann am Abende hinübersprang auf das Nachbardach, fand er die Treppenluke verschlossen. Und so war und blieb es auch während der darauf folgenden Tage. –

Als der Lord mit seiner Yacht in Alexandrien angekommen war, hatte Steinbach sofort seinen Sekretair, dessen Adresse er kannte, telegraphirt. Dieser war ihm entgegengekommen, und zwar bis Schubra, um ihn dort, wo die kleine Yacht angelegt hatte, zu begrüßen.

Vorher hatten sich sämmtliche Passagiere der Yacht, also der Lord, Steinbach, Normann und Wallert, in Alexandrien alle Mühe gegeben, zu erfahren, ob Ibrahim Pascha mit Zykyma bereits angekommen sei, aber ihre Nachforschungen waren leider vergeblich gewesen.

Als der Sekretair in Schubra an Bord kam, trug er einen Orden auf der Brust, den er vorher nicht besessen hatte. Er war ihm vom Vicekönige für das Ueberbringen von Prinzessin Eminehs Portrait verliehen worden. Er meldete seinem Herrn, daß der Vicekönig sofort nach Empfang des Bildes in nähere Unterhandlungen mit dem Sultan wegen der Prinzessin getreten sei und ihn nun erwarte, um sich zu informiren. Und dann als diese Angelegenheit erledigt war, fügte er noch hinzu:

»Und zuletzt habe ich Ihnen in einer privaten Sache eine vielleicht wichtige Mittheilung zu machen. Ich bin nämlich in Gesellschaft eines Mannes in Alexandrien gelandet, welcher eine Dame bei sich hatte, die sich sehr für Sie zu interessiren schien, gnädiger Herr.«

»Wohl eine abendländische Familie?«

»O nein; es schien vielmehr ein Morgenländer zu sein. Und von Familie war auch keine Rede, denn die Dame war weder seine Frau noch seine Tochter oder eine sonstige Verwandte von ihm. Wenn ich mich recht erinnere, wurde sie Gökala genannt.«

»Gökala!«

Steinbach rief das Wort mehr als daß er es blos sagte, und sprang dabei in allergrößter Ueberraschung von seinem Sitze auf.

»Ja, so war der Name.«

»Sie müssen sich irren.«

»O nein. Sie hat mir den Namen selbst genannt. Die Gesellschaft kam in einer kleinen Felucke an Bord.«

»Wann sind Sie von Constantinopel fort? Doch nicht etwa später als zu der Stunde, für welche ich Sie expedirt hatte?«

»Keinen Augenblick später.«

»Dann kann Gökala nicht auf Ihrem Schiffe gewesen sein. Sie befindet sich jedenfalls noch in Constantinopel, und ich war leider, leider gezwungen, so schnell abzureisen, ohne mich weiter um sie kümmern zu können.«

»Ich hoffe doch nicht, daß wir zwei verschiedene Damen meinen, welche einen und denselben Namen tragen.«

»Es kann kaum anders sein.«

»Ich meine nämlich diejenige Gökala, mit welcher Sie am Abende vorher nach dem Baume der Mutter spazieren gefahren sind.«

»Und ich meine ganz dieselbe.«

»So stimmt es also. Sie ist es.«

»Sie soll mit Ihnen an Bord gewesen sein? Unmöglich! Außer der Russe wäre sofort mit ihr aus Konstantinopel fort, nachdem er mich in das Wasser stürzte.«

»So ist es allerdings gewesen. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß sie das Schiff bestiegen, auf welchem ich mich bereits befand. Bitte, erlauben Sie mir, Ihnen den Vorgang zu berichten!«

Er erzählte, wie er Gökala in der Kajüte belauscht und dann mit ihr gesprochen habe. Steinbach befand sich in der allergrößten Aufregung. Er hatte sich außerordentlich unglücklich gefühlt, so schnell und unvorbereitet Konstantinopel verlassen zu müssen, ohne vorher nach der Geliebten forschen zu können, und jetzt hörte er, daß sie auch sich nicht mehr dort befand.

»Und sie ist in Alexandrien gelandet?« fragte er.

»Ja.«

»Natürlich haben Sie sie nicht einen Augenblick aus dem Auge gelassen!«

»Das war allerdings meine Absicht, gnädiger Herr.«

»Absicht? Ah! Wollen Sie etwa damit sagen, daß es auch nur bei der Absicht geblieben ist?«

»Ich habe mir die möglichste Mühe gegeben!«

»Hoffentlich nicht ohne Erfolg. Ich muß unbedingt wissen, wo die Dame sich befindet. Nachdem Sie mit ihr gesprochen hatten, mußten Sie genau wissen, welche Wichtigkeit diese Dame für mich hat.«

»Ich wußte es und habe mich auch darnach verhalten. Aber bitte, gnädiger Herr, bedenken Sie, daß ich Kurir war!«

»Kurir, ja! Verdammt!«

»Es war mir ein Bild anvertraut, welches ich dem Vicekönige ohne eine Minute Aufenthalt zu bringen hatte.«

»Sie haben nicht Unrecht – leider!«

»Dennoch blieb ich einen Tag. Ich empfing Ihre Depesche, sobald ich das Land betrat, und konnte der Dame dies noch durch ein Zeichen zu verstehen geben. Auf diese Weise erfuhr sie wenigstens, daß Sie leben, daß Sie nicht ertrunken sind. Dann stellte ich mich auf die Lauer, bis der Russe mit ihr von Bord ging. Ich folgte ihnen und erfuhr also, wo sie wohnten. Im Laufe des Tages forschte ich vorsichtig nach und erhielt die Gewißheit, daß sie wenigstens eine volle Woche in dem Hause bleiben würde. Das beruhigte mich. Ich konnte also jetzt nach Kairo, um das Portrait abzugeben, und dann sofort wieder zurück, um Gökala und ihren Kerkermeister – so muß ich ihn ja nennen, – zu beobachten.«

»Und Sie reisten auch wirklich ab?«

»Nicht sofort, sondern ich begab mich auf die Polizei, legitimirte mich und bezeichnete den Russen als einen verdächtigen Menschen, der bis zu meiner Rückkehr unter die strengste Aufsicht zu nehmen sei.«

»Das hätte ich auch gethan. Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht.«

»Ich begnügte mich nicht damit. Ich verlangte sogar, daß man, falls er Alexandrien verlassen sollte, ihm folgen und mir den Ort angeben möge, wo er zu finden sei.«

»Sehr gut!«

»Sehr gut?«

»Ja. Ich selbst hätte es nicht anders und besser machen können.«

»Dieses Ihr Urtheil beruhigt mich außerordentlich. Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß all meine Vorsicht ohne Erfolg gewesen ist.«

»Alle Teufel! Das ist kaum möglich!«

»Ja, ich ahne und denke sogar, daß grad diese Vorsicht die Schuld trägt, daß der Kerl mir entkommen ist.«

»Wie? Er ist entkommen?«

»Leider!«

»Welch ein Unglück! Schon war ich hoch erfreut, von Ihnen zu hören, daß Sie Gökala getroffen haben, und nun sollte dies vergeblich sein?«

»Man hat ihn zu scharf beobachtet, wie ich vermuthe, so scharf, daß er es bemerken mußte. Es ist ihm aufgefallen, und er hat sich heimlich aus dem Staube gemacht. Bereits am zweiten Morgen ist er verschwunden gewesen.«

»Mit Gökala?«

»Natürlich! Mit ihr und seinen Begleitern.«

»Doch nicht etwa ganz spurlos!«

»Ganz und gar spurlos. Die Polizei war, als ich zurückkehrte, ohne Spur und ohne Rath. Wir haben uns die allergrößte Mühe gegeben. Wir haben geforscht und gesucht, vergebens. Man sucht noch jetzt. Ich ging nach Kairo in der nahe liegenden Erwartung, daß auch er die Hauptstadt aufgesucht haben werde, und habe bis zu diesem Augenblicke nicht das Geringste von ihm erfahren können.«

»Ah! Wer sollte das denken! Er kann doch nicht verschwinden, er kann sich nicht unsichtbar machen. Ich sehe es ein, daß Sie schuldlos sind. Sie konnten nicht anders handeln, als Sie gehandelt haben. Sie haben gethan, was Sie in Ihrer Lage nur thun konnten, und es giebt für mich also keine Veranlassung, Ihnen zu zürnen. Ich bin Ihnen vielmehr zu Dank verpflichtet, da ich durch Sie erfahre, daß Gökala sich in Egypten befindet. Jetzt nun bin ich selbst hier, und ich hoffe, daß ich eine Spur entdecke. Wenigstens werde ich das Land nicht eher verlassen, als bis ich die Gewißheit erhalte, daß auch sie sich nicht mehr hier befindet.«

Die vorhin empfundene Freude hatte sich jetzt in bittere Enttäuschung verwandelt. Er mußte es ertragen. Wenigstens für den Augenblick vermochte er nichts dagegen zu thun.

Die Yacht verließ Schubra wieder, erreichte Kairo und ging im Hafen von Bulak vor Anker. Auf seine Erkundigung erfuhr Steinbach, daß der Vicekönig sich gegenwärtig in seinem auf der Nilinsel Roda gelegenen Gartenschlosse befinde. Er ließ sich dorthin fahren, um sofort eine Audienz nachzusuchen.

Er trug heut die einfache weiße, arabische Tracht, so wie sie vom gewöhnlichen Wüstenbewohner und auch vom Scheik niemals abgelegt wird. Die Audienzen waren bereits bei den Vorgängern des Herrschers in europäischem Style abgehalten worden. In dem Vorzimmer standen und saßen Engländer und Franzosen, theils in Civil, theils in Uniformen hohen und höchsten Ranges, egyptische Militär- und Civilbeamte in goldgestickten Gewändern. Als der einfach gekleidete Steinbach eintrat, wurde er mit verächtlichen Blicken bemerkt und dann mit Stolz ganz übersehen.

Er ließ sich das nicht im Geringsten anfechten; aber als der anmeldende Diener, welcher für einige Minuten abwesend gewesen war, wieder erschien, trat er auf diesen zu und fragte:

»Ist der Beherrscher hier im Schlosse?«

»Ja. Warum fragst Du?«

»Ich möchte gern mit ihm sprechen.«

»Komm morgen wieder!«

»Warum morgen?«

»Er hat heut keine Zeit. Siehst Du nicht, welch hohe Herren hier bereits schon lange warten. Für einen Beduinen hat er keinen Augenblick übrig.«

»Ich bin kein Beduine und kein Fellah.«

»Was denn?«

»Ein Deutscher.«

»Das ist ebenso gleichgiltig. Was ist ein Deutscher? Ist er etwas Anderes als ein Fellah?«

Als Steinbach erklärte, daß er ein Deutscher sei, hatten sich die Blicke Aller wieder auf ihn gerichtet, aber mit einem höchst geringschätzigen Ausdrucke. Er that, als ob er dies gar nicht bemerke, und antwortete:

»Du scheinst Deine Pflicht nicht zu kennen und überhaupt ein großer Dummkopf zu sein. Meinst Du etwa, daß ein Engländer oder ein Franzose etwas Besseres sei als ein Deutscher? Schau, ich Einziger wiege alle diese Franken und Inglis auf, welche hier stehen. Ich heiße Steinbach. Gehe augenblicklich hinein, und sage dem Beherrscher meinen Namen!«

Das war in einem unendlich selbstbewußten, befehlenden Tone gesprochen. Der Diener wußte nicht, was er thun oder sagen solle. Die Anwesenden ließen ein Gemurmel hören, aus welchem heraus sehr deutlich verschiedene ehrenrührige Schimpfworte zu hören waren.

»Nun, wirst Du gehorchen!« donnerte Steinbach den Diener an.

»Die Herren stehen schon lange hier; Du aber bist soeben erst gekommen!«

»Sie haben Zeit, ich aber nicht! Vorwärts!«

Jetzt ging der Domestik hinein; aber einer der beuniformirten Herren, ein Franzose, trat auf Steinbach zu und sagte:

»Ich hörte, Sie seien ein Deutscher?«

»Ja.«

»Giebt es in Deutschland Irrenhäuser?«

»Gewiß.«

»Wahrscheinlich sind Sie aus einem derselben entsprungen. Wäre dies nicht der Fall, so hätten wir hier anzunehmen, daß Sie zurechnungsfähig sind, und müßten Sie für Ihre Unverschämtheit auspeitschen lassen.«

»Lassen Sie es getrost beim Auspeitschen; aber bitte, bedienen Sie sich selber!«

»Noch ehe der Franzose ein Wort weiter zu sagen vermochte, ging die Thür auf und der Diener kehrte zurück, hinter ihm aber erschien auch der Vicekönig selbst. Er nickte Steinbach freundlich zu und sagte:

»Endlich, endlich! Ich habe Sie mit größter Sehnsucht erwartet. Bitte kommen Sie schnell herein! Sie sind natürlich hoch willkommen!«

Er ergriff Steinbach bei der Hand und zog ihn zu sich in das Audienzzimmer. Die Herren starrten sich sprachlos vor Erstaunen und Bestürzung an.

»Wer war dieser Mann?« fragte ein Engländer.

»Steinbach nannte er sich, nur Steinbach. Fi donc!« entgegnete der Franzose.

»Das begreife ich nicht!«

»Ein Horreur!«

»Er scheint Liebling zu sein! Wie kann so Etwas passiren. Bei Ihrer Königlichen Majestät von Großbritannien und Irland wäre so Etwas eine Unmöglichkeit!«

Drin aber in dem prachtvoll nach europäischem Style ausgestatteten und möblirten Zimmer zeigte der Khedive auf einen der goldenen Sessel und sagte:

»Nehmen Sie hier Platz, Durchlaucht? Ihr Kurir hat mir bereits mein Lebensglück gebracht; ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Sie haben das Unmögliche möglich gemacht!«

»Und das Mögliche unmöglich.«

»Wie meinen Sie das?«

»Wurde Euer Hoheit nicht gemeldet, daß ich nach Tunis ging?«

»Ja; nur waren mir Grund und Absicht dieser Sendung nicht recht klar.«

»Der Großvezier, welcher hinter dem Rücken des Sultans seine Privatpolitik treibt – –«

»Und mir Emineh nicht gönnen wollte!«

»So ist es! Er sandte den berüchtigten Ibrahim Pascha nach Tunis; ich mußte diesem ebenso schleunigst wie heimlich nach, um seine Absichten zu durchkreuzen.«

»Ist es gelungen?«

»Vollständig. Ich habe um die gegenwärtige Audienz gebeten, um zu referiren.«

»Gut! Dazu bedürfen wir längerer Zeit. Ich werde die Herren da draußen nach Hause schicken.«

Er klingelte und befahl dem darauf erscheinenden Diener, den im Vorzimmer wartenden Herren zu sagen, daß er für sie erst morgen zu sprechen sein könne.

»Verdammter Deutscher!« brummte der Engländer.

»Welch ein Horreur!« meinte der Franzose. »Man widmet dem Fürsten dieses barbarischen Landes seine Zeit und seine Kräfte und wird einfach fortgeschickt um eines Deutschen willen, welcher nur Steinbach heißt. Geschieht dies noch einmal, so kehre ich nach Paris zurück. Egygten mag dann sehen, ob es ohne uns fertig zu werden vermag. Diese Sache ist wirklich lächerlich!«

Sie entfernten sich. Drinnen aber im Audienzzimmer wurde jetzt ein Gespräch von eminent hoher Wichtigkeit geführt. Es währte wirklich mehrere Stunden und als es beendet war, wurde Steinbach zur vizeköniglichen Tafel – nicht befohlen, sondern gebeten.

Als diese vorüber war, zog der Khedive sich abermals mit ihm zurück, um nun private Angelegenheiten, welche sich auf seine Vermählung mit Emineh bezogen, zu besprechen. Der fürstliche Herr fand außerdem, daß er dem Deutschen große Erfolge zu verdanken hatte, an demselben auch ein rein persönliches Wohlgefallen. Wenn ein Gegenstand behandelt war, kam sofort ein anderer, nahe liegender ganz ungezwungen auch herbei, und endlich, als man fertig zu sein schien, fiel dem Vizekönig doch noch eine Angelegenheit ein, welche für ihn von zu großer Wichtigkeit war, als daß er sie nicht auch mit in Erwähnung hätte bringen sollen.

»Was sagen Sie zu Arabi?« fragte er.

»Ich höre, daß er Aussicht hat, Pascha zu werden.«

»Es ist wirklich so. Ich sehe mich veranlaßt, seine Dienste zu belohnen. Er hat mir viel genützt.«

»Und kann Ihnen noch mehr schaden.«

»Das ist es. Ich bemerke, daß er einer gewissen Hinneigung zu den nomadisirenden Stämmen, welche an der Landesgrenze auf und abziehen, Raum giebt. Diese Stämme sind gern zu Empörungen geneigt. Sie haben einen widersetzlichen Charakter. Sie zahlen nie ihren Tribut, ihre Abgaben, sondern man muß sich Beides mit Gewalt holen. Es giebt mir das sehr viel zu denken.«

»Es wäre sehr gerathen, diesen Stämmen Scheiks zu geben, auf welche man sicher rechnen kann.«

»Ganz richtig. Aber das ist schwierig. Zunächst braucht kein Stamm eher einen Scheik, als bis der bisherige gestorben ist, und sodann werden die Scheiks in der Versammlung der Aeltesten gewählt. Man will mir nicht einmal das Bestätigungsrecht gönnen.«

»Mit Gewalt läßt sich da nichts erzielen. Nur Klugheit kürzt den Weg.«

»Dazu aber bedarf man kluger Leute und die sind hier in Egypten – ah, grad da denke ich an einen Stamm! Hm! Hier sollte ich einen Mann von Ihren Talenten haben!«

»Dürfte ich vielleicht etwas Näheres erfahren?«

»Gern! Haben Sie wohl bereits von dem Stamm der Sallah gehört, Durchlaucht?«

»Gewiß. Er ist einer der zahlreichsten an der Grenze der Wüste.«

»Ja. Er zählt gegen sechstausend Krieger, was außerordentlich viel heißen will. Das Eigenthümlichste ist, daß dieser Stamm nicht von einem Manne, sondern von einem jungen Weibe regiert wird.«

»Der Königin der Wüste.«

»Sie hörten also von ihr sprechen?«

»Oft. Sie ist eine Tochter der Beni Abbas tief in der tunesischen Wüste.«

»Schön wie ein Engel. Alle Männer und Jünglinge des Stammes sind in sie verliebt. Nur wer sie zur Frau erhält, wird die Würde des Scheiks erlangen. Sie kam vor einigen Jahren als Braut zu den Sallah. Der Scheik hatte sie auf einer Wüstenreise gesehen. Sie wurde seine Frau und regierte nicht nur ihn, sondern den ganzen Stamm. Da starb er plötzlich. Sie wurde Wittwe, blieb aber Regentin.«

»Hoffentlich ist sie Eurer Hoheit wohl gesinnt!«

»Das ist sie. Aber ein Weib kann nicht ewig regieren, wenigsten einen halbwilden Beduinenstamm nicht. Das allgemeine Verlangen, daß sie sich wieder vermählen möge, ist stürmisch geworden. Sie kann und darf nicht länger widerstehen.«

»So kommt es darauf an, daß sie einen Mann nehme, welcher der Regierung Egyptens eine freundliche Gesinnung entgegen bringt. Es nahen bewegte und gefährliche Zeiten für dieses Land. Da ist es nicht ohne Bedeutung, ob ein an der Grenze haltender Araberstamm mit einer solchen Kriegerzahl als Freund oder Feind zu betrachten ist.«

»Sie haben ja vollständig recht. Leider aber scheint es, als ob grad ein sehr erbitterter Gegner meines Regimentes den Befehl über den Stamm erhalten solle, nämlich der Bruder des Verstorbenen. Er ist ein Herkules an Gestalt und Körperkraft, ein wilder, maßloser Mensch, welcher die erste Gelegenheit ergreifen würde, mir zu schaden.«

»So darf er nicht Scheik werden!«

»Sie scherzen!«

»Scherzen? Ich spreche im Ernste.«

»Und doch klingt es wie Scherz, wenn Sie so kategorisch sagen, daß er nicht Scheik werden dürfe.«

»Es will mir nicht einleuchten, daß es dem Regenten von Egypten unmöglich sei, in dieser Beziehung auf die Söhne der Wüste einen glücklichen Einfluß auszuüben. Wenn die Beduinen einem Befehle nicht gehorchen, weil sie behaupten, daß ihnen Niemand zu befehlen habe, so sind sie doch vielleicht einem diplomatischen Einflusse nicht unzugänglich. Ich rathe Hoheit, einen Mann hinzusenden, welcher mit diesen Kindern der Freiheit umzugehen versteht.«

»Etwa einen Diplomaten?« fragte der Vicekönig mit einem halben, fast traurigen Lächeln.

»Im strengen Sinne habe ich dieses Wort nicht gemeint.«

»Ich hätte auch keinen Diplomaten. Ich kenne leider in meiner Nähe keinen Menschen, keinen Beamten, welcher diese ehrenvolle Bezeichnung verdient. Zudem ist hier ein schnelles Handeln geboten. Die sogenannte Königin der Wüste hat mir einen Vertrauten gesandt, welcher mich über die inneren Verhältnisse des Stammes unterrichtet hat. Er geht bereits morgen von hier fort. Wollte ich einen Beauftragten mitgeben, so müßte dies morgen geschehen. Sie sehen, daß es hier unüberwindliche Schwierigkeiten giebt.«

»Die Zeit, wann der Betreffende aufzubrechen hätte, kann gar nicht in Frage kommen. Er hat eben zu gehorchen. Die Hauptsache ist eben, den rechten Mann zu finden.

»Ich habe keinen, so sehr mir auch daran liegt, diese sechstausend Krieger nur für den Augenblick der Gefahr zu gewinnen und zu erhalten. Sechstausend bewaffnete Araber sind für mich und die hiesigen Verhältnisse genau dasselbe, als wenn Ihr Kaiser und Ihr Moltke für den Kriegsfall Fünfzigtausend haben. Es giebt nur einen einzigen Menschen, welchem ich diese Mission anvertrauen könnte, einen einzigen, von welchem ich fest überzeugt bin, daß er seine Aufgabe sogar glanzvoll lösen würde.«

»Kenne ich ihn?«

»Ja, sehr genau.«

»Wer ist es?«

»Hm! Er hat mir nicht zu gehorchen; er ist Ausländer und mein Gast. Ich darf den Gedanken, mich an ihn zu wenden, gar nicht hegen.«

»Vielleicht doch, Hoheit. Wenn ich doch nur erfahren dürste, wer er ist.«

»Nun, im Vertrauen will ich es Ihnen mittheilen: Sie selbst sind es.«

Hatte Steinbach so etwas erwartet, oder besaß er genug Selbstbeherrschung, seine Neberraschung nicht merken zu lassen, kurz und gut, er sagte ruhig:

»Und Hoheit meinen, daß ich nicht bereit sein würde?«

»Ah! Wirklich?«

»Ich kann nur sagen, was ich bereits durch die That bewiesen habe: Das Wohl Egyptens und seines Herrschers liegt mir so am Herzen, daß ich mich selbst für diese Angelegenheit zur Verfügung stelle.«

»Das ist hochherzig, Durchlaucht! Aber Sie kommen soeben von der Reise; Sie haben sich nicht ausgeruht.«

»Ich bin nicht ermüdet.«

»Der Auftrag ist kein ungefährlicher.«

»Ich fürchte die Beduinen nicht.«

»Sie brächten vielleicht auch noch anderweite persönliche Opfer, welche ich nicht vergelten kann.«

»Das Bewußtsein, Ihnen gedient zu haben, macht mich glücklich genug.«

»Also wollten Sie wirklich?«

»Gern, sogar sehr gern.«

»Dann nehmen Sie meine Hand. Vielleicht kommt die Zeit, in welcher ich Ihnen zu vergelten vermag. Ihre Instructionen werden wir noch besprechen. Für die Ausrüstung zu dem Wüstenritte sorge natürlich ich. Der Ritt beginnt in Beni Suef. Dort hat auch der Bote der Königin sein Kameel stehen. Ich lasse Sie auf einer Dahabieh dorthin bringen.«

»Ein solches Segelboot fährt zu langsam, zumal die Reise dem Stamme entgegen geht. Ich bin auf einer englischen Dampfyacht gekommen, welche einem Freunde gehört. Er wird sehr gern bereit sein, sie mir zu dieser Fahrt zu leihen.«

»Dann um so besser. So reisen Sie doppelt schnell. Sie sind herzlichst zum Souper geladen; wir werden während desselben allein sein und können da Alles weiter besprechen. Unterdessen werde ich Ihnen Hilal senden, damit Sie ihn kennen lernen.«

»Wer ist das? Vielleicht der Gesandte der Königin?«

»Ja. Sie wohnen doch bei mir?«

»Ich möchte danken, Hoheit. Da ich einen Theil der Reise mit dem Dampfer mache, ist es für mich besser und bequemer, gleich auf demselben zu bleiben. Der Bote kann ihn sehr leicht finden. Wir liegen unten in Bulaq, und eine Dampfyacht ist ja sehr leicht von jedem anderen Schiffe zu unterscheiden.«

Der Vicekönig hatte sich erhoben, Steinbach also auch. Sie verabschiedeten sich, und Letzterer begab sich nach dem Hafen, um die Vorbereitungen zu der unerwarteten Reise zu treffen.

Es freute ihn, diesen ehrenvollen Auftrag erhalten zu haben. War das Gelingen desselben auch mit großen Schwierigkeiten verknüpft, so erwartete er, der Umstand, daß er die Schwester der Königin bei sich hatte, werde ihm über viele Hindernisse hinweg helfen. Er hatte natürlich dem Vicekönig von Hiluja nichts gesagt.

Ein einziger Umstand machte ihm Sorge. Er hatte es sich vorgenommen gehabt, den Aufenthalt Gökala's zu erforschen. Das mußte er nun bis zu seiner Rückkehr aufschieben, und da stand natürlich zu erwarten, daß die Spuren, welche jetzt wohl noch aufzufinden gewesen wären, bis dahin verwischt sein würden.

Hiluja war ihm gern nach Egypten gefolgt. Er hatte ihr das Versprechen gegeben, sie von Kairo aus zu dem Stamme, dessen Königin ihre Schwester war, auf sicherem Wege zu senden. Jetzt hatte er Veranlassung und vortreffliche Gelegenheit, sie selbst hinzubringen.

Das Beduinenkind war noch nie zur See gewesen und hatte während der Fahrt von Tunis nach Alexandrien sehr gelitten, ebenso auch ihre alte Begleiterin. In Alexandrien hatte man nur gelandet, um Nachforschungen nach Ibrahim Pascha zu halten, und dann war die Yacht sofort nach Kairo stromaufwärts gedampft. Jetzt nun, da sie endlich ruhig vor Anker lag, sehnte sich Hiluja, ihren Fuß wieder auf festes Land zu setzen. Darum nahm sie sich vor, mit ihrer Begleiterin einen Spaziergang zu machen.

Als junges Mädchen schmückte sie sich dazu nach Kräften. Sie befand sich ja in der Hauptstadt Egyptens. Sie hatte daheim in der Wüste nur äußerst selten den Schleier getragen. Während der Seereise befand sie sich bei Personen, in deren Heimath die Frauen das Gesicht nicht verhüllen; also hatte sie gar nicht daran gedacht, dies zu thun. Und jetzt nun glaubte das unerfahrene Mädchen, es auch unterlassen zu können.

Wäre Tschita auf der Yacht gewesen, so hätte sie sicherlich abgerathen, ohne Schleier zu gehen; aber sie war mit Normann und Wallert auch an das Land gegangen und also abwesend. In Folge dessen ging Hiluja mit ihrer alten Freundin mit unverhülltem Gesicht.

Als sie an das Land getreten waren, wendeten sie sich nach Norden zu, zwischen dem Flusse und der berühmten, schnurgeraden Hauptallee hin. Dort, außerhalb des Häusermeeres der Stadt, hofften Sie Licht und Luft und Bewegung am Besten haben zu können.

.

Das schöne Mädchen zog die Blicke aller Begegnenden an. In diesen Blicken lag der Ausdruck staunender Zudringlichkeit. Ihrer Tracht sowohl, als auch ihrer Gesichtsbildung war es anzusehen, daß sie ein Kind der Wüste sei. Wie aber kam eine freigeborene Araberin dazu, hier in Kairo ihr Gesicht unverschleiert zu zeigen. War sie denn wirklich in den Kreis jener feilen Dirnen getreten, welche dies thun, um die Männer anzulocken? So fragten sich die Leute.

Unter einem Kaffeezelte saß eine Anzahl bis unter die Zähne bewaffneter Arnauten. Diese Letzteren bilden so recht eigentlich die Nachfolger der blutig ausgerotteten Mameluken; aber sie sind noch schlimmer als diese. Der Arnaut ist nicht nur tapfer, sondern tollkühn und muthig bis zur größten Verwegenheit. Ein Menschenleben gilt ihm keinen Pfifferling; er wagt auch das seinige, ohne nur mit der Wimper zu zucken. Dabei ist er treulos, hinterlistig und von einer Rohheit, die gradezu ihres Gleichen sucht. Messer und Pistole sitzen bei ihm locker. Er sticht und schießt bei der geringsten Veranlassung, und er weiß, daß er das mit ziemlicher Sicherheit thun kann, da selbst der Richter ihn nicht gern verurtheilt, weil er befürchten muß, wenn nicht noch während der Gerichtssitzung so doch später niedergestochen zu werden. Darum ist der Arnaute gefürchtet und gemieden. Er darf ungestraft thun, was hundert Andere nicht wagen würden.

Also wohl mehr als ein Dutzend dieser Leute saßen unter dem luftigen Dache des Kaffeezeltes. Sie hatten nicht nur Kaffee getrunken; das war ihren gerötheten Gesichtern und funkelnden Augen anzusehen.

Da kam Hiluja daher und wurde von ihnen bemerkt. Aller Blicke richteten sich auf sie.

»Seht, wer da kommt!« rief Einer. »Bei Allah, das ist die schönste und süßeste Oruspu, welche ich jemals gesehen habe. Sie mag sich zu uns setzen, um uns ein Bild zu geben, welche Lust uns einst bei den Huri's des Paradieses erwartet!«

Oruspu ist ein Mädchen, welches seine Liebe einem Jeden schenkt, der es dafür bezahlt.

Der Sprecher war von seinem Sitze aufgesprungen. Er trat aus dem Zelte heraus und auf die beiden Frauen zu. Das schöne Mädchen mit seinem glühenden Blicke fast verschlingend, streckte er beide Arme aus und sagte:

»Du kommst zur rechten Zeit, um von uns empfangen zu werden. Herein zu uns! Wir werden Dir zeigen, wie heiß wir Arnauten zu lieben verstehen.«

Sie erschrak auf das Heftigste. Den Arm ihrer Begleiterin ergreifend und sich zur Flucht wendend, sagte sie hastig:

»Komm, komm! Laß uns schnell umkehren!«

»Umkehren? Nein!« fiel der Arnaute ein. »So dumm sind wir nicht, ein so herrliches Mädchen fort zu lassen. Du bist ein köstlicher Bissen, in den wir beißen werden. Also herein zu uns in das Zelt! Es wird Dir bei uns gefallen!«

Er hatte sie bei der Hand gefaßt, um sie mit sich fort zu ziehen. Sie zitterte vor Angst und wehrte sich, ihm zu folgen.

»Laßt mich!« rief sie. »Ich habe nichts mit Euch zu schaffen!«

»Aber wir desto mehr mit Dir! Widerstrebe nicht, denn es wird Dir gar nichts helfen!«

Er zog sie mit sich fort. Sie konnte dem kräftigen Mann natürlich nicht widerstehen. Seine Kameraden lachten. Einer rief: »Sie spielt die Keusche, um desto besser bezahlt zu werden. Her mit ihr! Wir werden Küsse von ihr kaufen und sie mit Küssen bezahlen!«

Da ergriff die Alte ihre Herrin mit beiden Armen und versuchte, sie zurück zu halten; der rohe Mensch aber gab ihr einen Schlag mit der Faust, daß sie zurück taumelte und sagte:

»Packe Dich, Scheusal! Mit Dir haben wir nichts zu schaffen. Gehe in die Hölle, wohin Du gehörst!«

»Gnade, Gnade!« stöhnte Hiluja. »Was haben wir Euch denn zu Leid gethan!«

»Nichts, gar nichts! Auch wir wollen Dir nichts zu Leid thun. Wir wünschen nur Deine Liebe, und Du sollst dafür alle Zärtlichkeiten der Welt empfangen.«

Er hatte sie bis an das Zelt gezerrt. Die Anderen griffen zu und zogen sie jubelnd hinein. Sie schrie laut und voller Angst um Hilfe; aber es war außer Einem kein Mensch in der Nähe. Und wer hätte es auch wohl gewagt, wegen einer Unbekannten, welche überdies wie eine Dirne ohne Schleier ging, mit einer ganzen Schaar dieser rohen Menschen anzubinden? Er hätte sich sagen können, daß er damit einem fast sichern Tode entgegen gehe.

Dieser Eine war, wie man auf den ersten Blick erkannte, ein Beduine. Sein noch junges und volles, bartloses Gesicht blickte sonnverbrannt unter dem weißen Tuche hervor, in welches er den Kopf gehüllt hatte. Die Gestalt war in einen ebenso weißen Haïk gehüllt, einen langen, fast zur Erde reichenden Mantel, wie ihn die Beduinen zu tragen pflegen. Seine nackten Füße trugen Sandalen, welche mit Riemen befestigt waren, die über's Kreuz sich um den unteren Theil des Beines schlangen. Da er den linken Vordertheil des Mantels über die Schulter geworfen hatte, konnte man sehen, daß er ein Untergewand von einfachem, grauem Stoff trug. Dasselbe wurde nur von einem armseligen, kameelhärenen Strick um die Hüften festgehalten. In diesem Stricke stak ein Messer mit langer, doppelschneidiger Klinge. Ueber der Schulter hing an dem schmalen Riemen eine lange Beduinenflinte.

Er war langsam am Flusse daher gekommen und hatte die Scene von Weitem gesehen. Als die beiden Frauen ihre Stimmen erhoben, war sein Schritt ein schnellerer geworden, und als sein Auge gar bemerkte, daß der Arnaute die Alte schlug, kam er mit verdoppelter Eile herbei. Sie erblickte ihn und flüchtete auf ihn zu. Es gab keinen anderen Menschen in der Nähe; er war also der Einzige, an welchen sie sich hilfesuchend wenden konnte.

»Hilf ihr, hilf!« rief sie ihm entgegen. »Errette sie aus den Händen dieser Menschen!«

Er war noch sehr jung, machte aber keineswegs den Eindruck eines Menschen, welcher zaghaft ist. Sein dunkles, schönes Auge überflog lebhaft forschend ihre Gestalt, und mit einem Ausdrucke der Ungewißheit, des Zweifels sagte er:

»Du scheinst doch keine Griechin zu sein!«

»Nein.«

»Du hast vielmehr die Züge einer Araberin!«

»Ich bin die Tochter eines freien Beduinen. Hilf uns! Rette sie!«

»Aber sie ist doch nicht eine Tochter der Wüste!«

»Sie ist es. Sie ist die Tochter eines berühmten Scheiks.«

»Allah! Warum geht sie in dieser Gegend unverschleiert?«

»Wir sind hier fremd. Wir kennen die Sitte dieser Gegend noch nicht.«

»So solltet Ihr desto vorsichtiger sein. Du kennst die Gesetze der Wüste.«

»Ich fasse Dich. Du bist der Beschützer!«

Sie ergriff mit der rechten Hand den Strick, welcher ihm als Gürtel diente, und legte ihm die Linke auf seine rechte Schulter. Das ist das Zeichen der Bitte um Schutz. Dazu die Worte: »Du bist der Beschützer«. Kein einziger Beduine wird sich diese Worte umsonst sagen lassen. Derjenige, welcher sie ausspricht, steht von demselben Augenblicke an unter seinem Schutze; er kämpft für ihn, und er stirbt für ihn.

Der junge Beduine zog die Augenbrauen ein Wenig zusammen und sagte:

»Weißt Du, was Du verlangst? Von jetzt an gehört Euch mein Leben. Ist sie das werth?«

»Sie ist es werth. O, rette, rette sie!«

»Ich werde sie sehen und dann handeln.«

Er konnte von da, wo er stand, Hiluja nicht sehen; aber das laute Johlen und Lachen, welches aus dem Zelte erschallte und die Hilferufe der Bedrängten ließen genugsam erkennen, daß sie sich in einer schlimmen Lage befand. Er eilte mit schnellen Schritten nach der anderen Seite des Zeltes, wo dasselbe offen war. Zwei Arnauten hatten Hiluja gepackt und bemühten sich, sie zu küssen. Sie wehrte sich weinend und aus Leibeskräften, doch konnte dieser Widerstand von keinem Erfolge sein.

»Halt!« sagte der Beduine, indem er den Arm gebieterisch ausstreckte. »Diese Tochter des Uëfad arab gehört Euch nicht. Laßt sie los!«

Die Augen Aller richteten sich auf ihn. Ein allgemeines, höhnisches Lachen erscholl, und Derjenige, welcher das Mädchen in das Zelt gezogen hatte, rief:

»Hört Ihr es? Dieser Mensch ist wahnsinnig.«

»Ich bin es nicht. Dieses Mädchen steht unter meinem Schutz!«

»Unter dem Schutze eines Kindes, eines Knaben!«

Er sagte das im verächtlichsten Tone. Der junge Beduine hatte nur einen kurzen, forschenden Blick auf Hiluja geworfen, doch dieser eine Blick hatte ihm genug gesagt.

Hochroth von der Anstrengung des Widerstandes stand sie zwischen den beiden Arnauten, welche sie noch immer gepackt hielten. Ihr Busen wogte heftig, und ihr Auge, obgleich von den Thränen des Zornes erfüllt, sprühten Blitze, wie sie das Auge einer feilen Dirne unmöglich versenden kann.

Der Beduine hob unwillkürlich die Hand zum Herzen. Es ging da etwas vor, worüber er sich im Augenblicke keine Rechenschaft zu geben vermochte. Es war ihm, als ob man ihm selbst diese Schande angethan habe, als ob er für dieses herrliche Mädchen sein Leben wagen müsse und auch gern und tausendmal wagen werde. Er zuckte mit einem unendlich überlegenen Lächeln seines angenehmen und furchtlos drein blickenden Gesichtes die Achsel und antwortete:

»Einen Knaben nennst Du mich? Soll ich Dir etwa beweisen, daß ein Wüstenknabe mehr Muth besitzt als ein alter Tschausch der Arnauten?«

Tschausch heißt so viel wie Sergeant. Der Arnaut trug nämlich die Abzeichen dieses militärischen Grades.

»Willst Du mich etwa beleidigen?« rief derselbe.

»Hast Du nicht mich bereits beleidigt, indem Du mich einen Knaben nennst? Ich habe wohl bereits mehr Feinde erlegt, als Du gesehen hast.«

»Mäuse und Ratten, ja!«

»Du hast recht, denn ein Araber behandelt seine Feinde nur wie Mäuse und Ratten. Sie kriechen vor ihm in ihre Löcher.«

»Nun, so versuche, ob auch wir uns verkriechen!«

»Das ist nicht nöthig. Ich betrachte Euch noch nicht als meine Feinde. Ihr seid sie erst dann, wenn Ihr mir dieses Mädchen nicht frei gebt.«

»Hast Du ein Recht auf sie?«

»Ja, ich bin ihr Beschützer.«

»Du?« lachte der Sergeant laut auf, und Alle stimmten in sein Lachen ein, Einem ausgenommen. »Mit welchem Rechte nennst Du Dich ihren Beschützer?«

»Nach dem Rechte der Wüste, und was das bedeutet, wirst Du wohl wissen.«

»Ich weiß es, aber ich erkenne es nicht an. Hier bei uns gelten ganz andere Rechte und Gesetze. Wir können nur dann Dein Recht über sie anerkennen, wenn Du ihr Bruder oder ihr Bräutigam bist. Ist sie Deine Schwester?«

Er verhandelte nur deshalb mit dem jungen, ihm so ganz und gar ungefährlich erscheinenden Manne, um sich und den Kameraden einen Spaß zu machen.

»Nein,« antwortete der Gefragte ruhig.

»Oder etwa Deine Geliebte?«

»Ja; sie ist meine Braut.«

Sie konnten sich denken, daß dies nicht wahr sei, und darum lachten sie desto lauter über den bestimmten Ton, in welchem er es sagte.

»Deine Braut?« höhnte der Sergeant. »Wie willst Du uns das beweisen?«

»So!«

Er trat auf Hiluja zu, schob die Beiden, welche sie noch gefaßt hielten, von ihr weg, legte den Arm um ihren Leib und küßte sie auf den Mund. Er kannte die Art und Weise der Arnauten; er wußte, daß sie die Gesetze der Wüste nicht achteten; aber er wußte auch, daß er nun durch diesen Kuß in ihren Augen ein Anrecht auf das schöne Mädchen erworben habe. Ob sie es anerkennen würden oder nicht, das war freilich erst noch abzuwarten.

Hiluja hatte diesen Kuß geduldet. Ihr Gesicht überzog sich zwar mit purpurner Gluth, aber sie hatte keine Bewegung des Widerstrebens gemacht. War das etwa Berechnung von ihr? Nein. Es war ihr in diesem Augenblicke so eigenthümlich zu Muthe wie noch nie in ihrem ganzen Leben. Dieser junge und jedenfalls sehr arme Beduine erschien ihr wie ein Rettungsengel in höchster Noth. Es war ihr, als ob sie sich seinem Arme und seinem Schutze anvertrauen könne für jetzt und für das ganze Leben. Alle ihre Angst war verschwunden. Sie wurde jetzt nicht mehr von den Arnauten festgehalten; sie hätte diese Gelegenheit erfassen und entfliehen können. Es wäre ihr wohl Keiner nachgefolgt, da der Araber ja jetzt das ganze Interesse der rohen Menschen fesselte. Ein Streit mit ihm war ihnen ja zehnmal willkommener, als das schönste Mädchen der Welt. Aber dieser Gedanke an die Flucht kam ihr gar nicht einmal. Er hielt den Arm um sie geschlungen, und sie hielt sich für sicher und wohl geborgen in demselben. Es war ihr, als habe dieser Arm sie stets beschützt von Jugend auf und als werde er sie auch weiter und ferner beschützen für das übrige Leben.

»Er küßt sie! Er küßt eine Dirne!« ertönte es ringsum. »Der stolze Sohn der Wüste!«

»Wolltet Ihr sie nicht auch küssen? Oder meint Ihr vielleicht, daß Ihr das thun könnt und ich nicht, weil Ihr weniger werth seid, als ich? Dann will ich nicht mit Euch streiten und Euch vielmehr recht geben. Lebt wohl!«

Ohne den Arm von Hiluja zu nehmen, wendete er sich zum Gehen; aber der Sergeant trat ihm in den Weg und sagte, noch immer höhnisch lachend:

»Halt, Knabe! So treibt man es nicht mit uns. Das Mädchen bleibt hier!«

»Nein, sie geht mit mir! Ich habe Euch bewiesen, daß sie meine Braut ist. Sie ist nicht das, was ihr denkt. Sie gehört zu mir und wird mit mir gehen.«

»Oho! Ich habe sie gefunden; ich habe sie eingeladen und so ist sie mein Eigenthum.«

»Besinne Dich! Eine frei geborene Tochter der Sahara kann nie das Eigenthum irgend eines Menschen sein. Sie gehört nur Demjenigen, dem sie sich selbst und freiwillig ergiebt und schenkt. Also laßt uns friedlich gehen. Allah behüte Euch!«

Er wollte fort; der Sergeant aber ergriff ihn am Arme und sagte in drohendem Tone:

»Du bemerkst wohl gar nicht, daß wir bisher nur mit Dir scherzten!«

»Und Du bemerkst wohl noch weniger, daß ich bisher mit Euch im Ernste sprach!«

Sie standen sich drohend gegenüber. Ihre Blicke bohrten sich ineinander. Dann aber brach der Arnaute in ein schallendes Gelächter aus und rief:

»Nein, wahrlich, das ist kein Ernst, sondern das ist der größte Spaß, welcher mir in meinem ganzen Leben widerfahren ist. Dieser Knabe will mir ein Mädchen entführen, welches mir gehört! Höre mein Sohn, willst Du mit mir um ihren Besitz kämpfen?«

Er richtete seine mächtige Gestalt stolz in die Höhe.

Er war nicht jung, sondern ein guter Vierziger. Die Narben seines Gesichtes bezeugten, daß er kein muthloser Mensch sei. Der stolze, höhnische Ausdruck seines verwetterten Gesichtes ließ die Vermuthung errathen, daß der Beduine auf diese Frage sich schleunigst in Sicherheit bringen werde. Aber darin irrte er sich sehr, denn der Jüngling zuckte ebenso überlegen wie bereits vorher die Achsel und antwortete:

»Ja, das werde ich, wenn Ihr sie auf eine andere Weise nicht freigebt.«

»Mensch, bist Du toll!«

»Ich vertheidige, was mir gehört. Willst Du das toll nennen, so habe ich nichts dagegen.«

»Ich hacke Dich ja in Stücke!«

»Dasselbe haben bereits Mehrere gesagt. Du siehst aber, daß ich dennoch am Leben bin!«

»Nun gut, ganz wie Du willst! Ich will auf diesen seltenen und überaus lustigen Spaß eingehen. Es wäre doch jammerschade, wenn wir uns einen solchen Scherz entgehen lassen wollten. Also wir kämpfen, und Dem, welcher siegt, gehört das Mädchen.«

»Ich bin bereit!«

Da aber gab es einen ganz unerwarteten Einspruch. Die anderen Arnauten behaupteten nämlich, daß das Mädchen auch ihnen gehöre, daß der Sergeant also nicht das Recht besitze, über sie zu verfügen. Einige stellten sich vor den Beduinen und Hiluja, damit Beide nicht entkommen könnten, und die Anderen umdrängten lärmend den Sergeanten, um ihn zu überzeugen, daß sie ganz dieselben Rechte wie er auf Hiluja besäßen. Nur Einer verblieb ruhig in seiner Ecke; er hatte bereits vorher nicht in das höhnische Gelächter seiner Kameraden eingestimmt. Seiner Uniform nach war er ein Onbaschi, das heißt Corporal. Er verfolgte den Streit mit ernstem, stillem Interesse, ohne sich aber in denselben zu mischen.

»Laßt mich!« brüllte der Sergeant die Andern an. »Ihr habt mir nichts zu befehlen. Ich bin Euer Oberster und thue, was mir beliebt!«

»Sie gehört aber uns ebenso gut wie Dir!« riefen die Anderen ihm entgegen.

»Redet nicht solchen Unsinn! Er kann mich ja nicht besiegen. Sie bleibt Euch also gewiß! Also, heraus mit der Sprache, Knabe! Willst Du mit mir kämpfen?«

»Ja! Ich habe es Dir bereits gesagt. Oder hörst Du schwer? Wenn Dein Muth ebenso schwach ist wie Dein Gehör, so rathe ich Dir, lieber von dem Kampfe abzusehen.«

Ein dröhnendes Gelächter erscholl, in welches sich abermals der Corporal nicht mischte. Sein Gesicht nahm vielmehr jetzt den Ausdruck der Besorgniß an. Das Lachen aber hatte die Wirkung, daß die Arnauten auf den Widerstand gegen den Tschausch verzichteten. Er hatte ja Recht, er mußte Sieger bleiben. Davon war er so überzeugt, daß er, noch immer aus vollem Halse lachend, sagte:

»Nun gut, Kleiner! So komm also hinter das Zelt, wo wir diese Sache schnell ausmachen wollen. Deine Seele soll nicht lange Zeit brauchen, um in der untersten Ecke der Hölle zu kauern. Aber, hört, nehmt das Mädchen mit und auch die Alte. Sie dürfen uns nicht etwa bei dieser Gelegenheit entfliehen!«

»Habe keine Sorge!« antwortete der Araber ruhig. »Sie ist meine Braut und bleibt bei mir. Sie wird eben so wenig entfliehen, wie ich fortgehe, ohne Dir gezeigt zu haben, dass ein Knabe der Uëlad arab doch noch Etwas ganz Anderes ist als ein Tschausch der Arnauten; der dem Vicekönig sein Leben verkauft, weil dieser ihm für den Monat vierzig Piaster bezahlt.«

Das war eine fürchterliche Beleidigung. Vierzig Piaster sind nicht ganz acht Mark, die Monatslöhnung eines egyptischen Sergeanten. Dieser Letztere wußte gar nicht, was er denken und sagen solle. So zu sprechen, hatte noch kein Mensch gewagt, zumal in Gegenwart so vieler Arnauten. Jeder hätte gewußt, daß er damit sein Leben verwirkt habe. Darum starrte der Beleidigte den verwegenen Sprecher mit weit aufgerissenen Augen an und fragte:

»Mensch, weißt Du denn wirklich, was Du sagst?«

»Ja.«

»Das glaube ich nicht. Wenn ich es glaubte, würde mein Messer Dir ja sofort zwischen die Rippen fahren!«

»O, das gäbe nur den Unterschied, daß unser Kampf im Innern des Zeltes stattfinden würde, anstatt hinter demselben.«

»Nun gut! Du beleidigst mich und uns Alle also!« knirrschte der Tschausch. »Es giebt keine Schonung! Vorwärts!«

Hiluja hing noch immer an dem Arme ihres Beschützers. Beide wurden fortgeschoben. Es überkam das Mädchen eine entsetzliche Angst, nicht um sich, sondern um ihn. Sie flüsterte ihm zu:

»Um Allah's willen, fliehe!«

»Willst Du mich verachten?« antwortete er.

»O, nein! Du bist muthig!«

»Wäre es nicht feig, Dich in den Händen dieser Hunde zu lassen?«

»Sie werden Dich tödten!«

»Das wollen wir abwarten. Ich heiße Hilal. Hast Du vielleicht diesen Namen bereits gehört?«

»Nein.«

»So mußt Du aus weiter Ferne gekommen sein. Die beiden Namen Tarik und Hilal sind bekannt weit über die Grenzen Egyptens und unserer Oasen hinaus.«

Während dieses kurzen Austausches hatten die Arnauten hinter dem Zelte einen Kreis gebildet, in welchem jetzt der Tschausch mit seinem Gegner und den beiden Frauen stand. Diese beiden Letzteren waren in der Wüste aufgewachsen; sie hatten oft, sehr oft solche Kämpfe gesehen; ihr Gefühl sträubte sich also gar nicht dagegen, Zeuge des gegenwärtigen zu sein. Eine nervöse Europäerin wäre bereits vor Beginn desselben in Ohnmacht gefallen. Diese beiden Araberinnen aber fühlten nichts als nur allein eine angstvolle Besorgniß um ihren muthigen Beschützer. Sie mußten ihn verloren geben. Selbst wenn er, was ganz unmöglich schien, den Tschausch, den riesigen Menschen, besiegte, stand mit Sicherheit zu erwarten, daß sich dessen Kameraden sofort auf ihn stürzen würden, um ihren Vorgesetzten zu rächen. Er war also unbedingt verloren. Und was geschah dann mit ihnen Beiden, den schwachen Frauen?

»Setzt Euch auf die Erde!« herrschte ihnen der Sergeant zu. »Der Kampf mag beginnen, und die Liebe wird den Sieger belohnen. Vorher aber will ich aus Mitleid noch fragen, Knabe, ob Du denn wirklich weißt, was Du unternimmst!«

Diese letzteren Worte waren an Hilal gerichtet.

»Ich weiß es,« antwortete er ruhig.

»Es ist kein Spiel. Es handelt sich um Tod und Leben.«

»Ganz natürlich!«

»Du wirst keinen Menschen haben, der Dich rächt! Es wagt es Niemand, einen Arnauten zur Rechenschaft zu ziehen. Uebrigens wird es ein ehrlicher Zweikampf sein. Du stirbst und wirst in den Nil geworfen!«

»Ich oder Du!«

»Pah! Selbst, wenn das Unmögliche geschehe, daß Du mich besiegtest, wärst Du verloren. Meine Kameraden hier würden Dich in Stücke reißen!«

»Und das nennst Du einen ehrlichen Zweikampf?«

»Du bist unter Arnauten, also auf alle Fälle verloren.«

»Wir haben ja bestimmt, daß wir um dieses Mädchen kämpfen und daß es Demjenigen gehören soll, welcher als Sieger aus dem Kampfe hervorgeht.«

»Ja. Siege ich, so theile ich den Preis mit meinen Kameraden; siegst aber Du, so hast Du das Mädchen erst noch gegen sie Alle zu vertheidigen, wenn sie Dich nämlich nicht sofort zermalmen oder zerreißen.«

Da blitzte das Auge des Jünglings stolz und verächtlich auf. Er sagte:

»Damit zeigt Ihr recht deutlich, daß Ihr Söldner seid, aber keine freien, tapfern Männer. Uebrigens will ich ihnen nicht rathen, sich an mir widerrechtlich zu vergreifen. Soll ich den Preis nicht haben, wenn ich Sieger bin; nun gut, so will ich auch mit jedem Einzelnen der Andern kämpfen; aber ich werde nicht dulden, daß sie wie eine Heerde Hyänen über mich herfallen!«

»Wurm! Was willst Du dagegen thun?«

»Der da mag es Euch sagen.«

Er deutete auf den Corporal.

»Der da? Der Onbaschi? Was ist's mit ihm und Dir? Seid Ihr etwa Freunde?«

»Nein. Aber er stand bei dem Khedive Wache. Er weiß, daß ich der Gast des Vicekönigs bin, und daß dieser mich an meinen Mördern mit unnachsichtlicher Strenge rächen würde.«

»Hölle, Tod und Teufel! Ist das wahr, Onbaschi?«

»Ja,« antwortete dieser. »Ich sah und hörte ihn mit dem Vicekönig sprechen. Ich habe ein jedes Wort vernommen. Er erfreut sich des besonderen Schutzes und der ganzen Gewogenheit des Herrschers. Ich kann nicht dulden, daß Ihr Gewalt und Unrecht gegen ihn übt!«

»Oho! Bist Du unser Kamerad oder nicht!«

»Ich bin es. Aber mein Leben ist mir ebenso lieb, wie Euch das Eurige. Ich will mich nicht vom Henker an irgend einen Ast aufknüpfen lassen, weil es Euch beliebt, einen Schützling des Herrschers zu ermorden. Ich rathe Euch, diesen jungen Mann sammt den Frauen gehen zu lassen.«

»Oho! Er hat uns beleidigt!«

»Dich allein, mich und uns aber nicht. Und diese Beleidigung war nur eine Antwort auf die Deinige!«

»Du vergissest, daß ich Dein Vorgesetzter bin!« brauste der Tschausch auf.

»Hier bist Du es nicht! Uebrigens habe ich gegen einen ehrlichen Zweikampf nichts. Auch der Vicekönig kann dann nichts sagen; aber nur ermorden lasse ich meinen Schützling nicht!«

»Wie? Was höre ich? Du beschützest ihn?«

»Ja. Ich werde ihn gegen Euch vertheidigen, gegen jeden unrechtmäßigen Angriff!«

»Nun gut, Onbaschi, ich habe keine Lust, mich mit Dir zu streiten. Wir werden später darüber sprechen, ob Du mir zu gehorchen hast oder nicht. Wir werden darüber mit Messern oder Kugeln sprechen!«

»Ich werde mich nicht weigern!«

Jetzt hatte diese Angelegenheit eine andere Wendung genommen, als zu vermuthen gewesen war. Der Corporal war an Hilals Seite getreten. Die Arnauten murmelten leise miteinander. Einige hielten es mit dem Tschausch, die Anderen mit dem Onbaschi. Der Erstere mochte befürchten, daß die Seinigen gar mit einander in Streit gerathen möchten. Darum rief er:

»Keinen Zank unter uns! Ich fechte meinen Strauß hier mit diesem Knaben aus. Es ist ein erlaubter Zweikampf. Kein Mensch kann mich bestrafen, wenn ich ihn tödte. Allah mag seiner Seele eine gute Wohnung geben! Also, Knabe, Du bist der Schwächere; ich will Dir daher aus lauter Gnade und Großmuth die Wahl der Waffe überlassen. Wollen wir schießen oder stechen?«

Ueber das Gesicht des Gefragten zuckte ein höchst eigenthümliches Lächeln. Er antwortete:

»Stechen. Beim Schießen wärst Du verloren. Ich also bin es, welcher Gnade walten läßt!«

»Hund!« brüllte der Riese.

»Du weißt nicht, was Du redest. Würde ein Anderer mich mit diesem Worte beschimpfen, er wäre in derselben Minute eine Leiche. Da aber die Strafe so sicher über Dich kommt, wie ich hier vor Dir stehe, so will ich Langmuth üben. Ich habe gesagt, daß Du beim Schießen verloren seist, und das ist wahr. Man nennt mich Ibn es sa'ika!«

»Ibn es sa'ika – Sohn des Blitzes?« lachte der Sergeant. »Jetzt weiß ich gewiß, daß Du verrückt bist. Söhne des Blitzes nennt man zwei Brüder vom Stamme der Sallah. Wenn ihre Flinten blitzen, ist Derjenige, auf den sie zielen, verloren. Willst Du etwa einer dieser Brüder sein? Das mache Andern weiß!«

»Denke was Du willst! Also bist Du einverstanden, daß wir zu den Waffen greifen?«

»Ja. Und nun zu Ende mit der Rederei! Es wird Zeit, daß wir zu Ende kommen!«

Er riß das Messer aus dem Gürtel und stellte sich in Positur, Hilal warf den Mantel ab und legte die Flinte zur Erde. Er trug jetzt keine andere Kleidung, als das Untergewand. Dieses bestand nur in einem Hemde, welches keine Aermel hatte und bis hernieder zum Kniee reichte. Man konnte den unteren Theil der nackten, sehnigen Beine sehen. Die Arme waren auch blos und zeigten Muskeln, welche ihm wohl vorher Keiner zugetraut hatte.

»Also angefangen!« rief der Tschausch.

»So komm!« antwortete der Beduine.

Er zog das Messer aus dem Gürtelstricke und setzte sich zur Erde nieder, die nackten Beine vor sich hinstreckend und das Messer in der rechten Hand haltend. Der Tschausch hatte etwas ganz Anderes erwartet.

»Was soll's?« fragte er. »Was fällt Dir ein?«

»Nun, Zweikampf auf Messer!«

»Sitzend etwa?«

»Ja. Ich meine den Zweikampf der Wüste. Nur in diesem zeigt es sich, ob man wirklichen Muth und wahrhaftige Tapferkeit besitzt.«

»Alle Teufel! Wüstenkampf! Fällt mir gar nicht ein! Ich bin Arnaute, aber kein Beduine!«

Der echte Messerkampf der Sahara besteht darin, daß die beiden Duellanten sich einander gegenüber setzen. Jeder das Messer in der Hand. Der Eine sticht sich die Klinge in irgend eine Stelle seines Körpers, zum Beispiel in die Wade, so daß der Stahl an der andern Seite wieder herauskommt. Der Andere muß sich an ganz derselben Stelle denselben Stich versetzen. Hat er das gethan, so schneidet sich der Erstere vielleicht die ganze Muskel des Oberschenkels bis auf den Knochen auf. Der Zweite muß dies auch thun. Wer am Längsten aushält, ohne eine Miene zu verziehen, der ist der Sieger. Die Beduinen sind unerreichbar in dieser Art des Zweikampfes. Sie haben eine solche Selbstbeherrschung, daß sie sich die schmerzhaftesten Wunden mit lächelndem Munde beibringen.

Das war aber nicht nach dem Geschmacke des Tschausch. Er wollte seinem Gegner einfach das Messer in das Herz stoßen, nicht aber sich selbst auf so unsinnige Weise zerfleischen. Er war der bei Weitem Stärkere; er mußte ja siegen, und so wäre es geradezu Verrücktheit von ihm gewesen, auf diese Art des Kampfes einzugehen.

Hilal hob den lachenden Blick zu ihm empor und sagte:

»Du willst nicht?«

»Nein.«

»Ah! Die Wunde thut weh!«

»Wie meinst Du das?«

»Du fürchtest den Schmerz!«

»Hund! Keine weitere Beleidigung!«

»Gut, wie Du willst!«

Er erhob sich von der Erde und fuhr gleichmüthig fort:

»Ich wollte Dein Leben schonen, denn Du hättest Dich doch wohl nicht selbst erstochen. Darum schlug ich Dir diese Art des Kampfes vor. Die Art aber, welche Du wünschest, ist höchst lebensgefährlich für Dich. Meine Klinge ist sicher.«

»Versuche es!« lachte der Riese höhnisch auf.

»Das brauche ich nicht! Ich kenne mein Messer so genau, daß es eines Versuches gar nicht bedarf. Du wärst verloren, wenn ich wollte. Aber ich bin Gast des Vicekönigs und will ihm darum keinen seiner Soldaten erstechen. Das wäre Unhöflichkeit.«

»Schwatze nicht Unsinn! Beginnen wir lieber. Wer von uns Beiden eine Leiche wird, das kann nur ich sehen, da ich nur der Ueberlebende sein werde.«

»In diesem Falle muß ich Dich bitten, meinen Verwandten die Kunde meines Todes zugehen zu lassen, damit sie nicht vergebens nach mir suchen.«

»Ich werde es thun. Also Dein Name?«

»Hilal.«

»Hilal? Von welchem Stamme?«

»Dieser Antwort bedarf es nicht. Mein Bruder heißt Tarik.«

»Teufel! Tarik und Hilal. Das sind ja die beiden Söhne des Blitzes. Mache mir diese Fabel nicht vor!«

»Ich sage wie vorher: Glaube es, oder glaube es nicht! Uebrigens bin ich Deiner Meinung. Wir haben genug geschwatzt. Beginnen wir!«

»Wohlan also!«

Sie standen einander drohend gegenüber, die Messer in den Fäusten und die Blicke in einander gebohrt.

»Allah, o Allah!« flehte Hiluja, sich abwendend.

»Nun, so komm, Knabe!« rief der Arnaute.

»Ich warte auf Dich!« antwortete Hilal lächelnd. »Hast Du Muth oder nicht?«

»Ah, Bube, komm her! Ich werde Dich abschlachten, wie man ein Schöps abschlachtet!«

»Und ich werde Dich nicht tödten; aber ich werde dafür sorgen, daß Deine Arme für lange Zeit verzichten müssen, Dich zu vertheidigen, wenn Du eine Tochter der Beduinen beleidigt hast. Du nennst mich einen Buben und treibst doch selber Büberei!«

Da stieß der Arnaute einen heiseren Wuthschrei aus und stürzte sich mit gezücktem Messer und ausgestreckter Linken auf den Gegner. Er wollte ihn einfach mit der Linken umfassen und mit der Rechten den tödtlichen Stoß ausführen – er griff in die Luft; Hilal stand, laut auflachend, hinter ihm; er war unter dem gegen ihn ausgestreckten Arme hinweggeschlüpft.

Der Arnaut drehte sich wieder nach ihm um und drang auf ihn; aber er wußte nicht, wie das Unmögliche möglich wurde, Hilal entkam ihm auch jetzt wieder und stieß hinter ihm sein helles Lachen aus.

Dies geschah noch mehrere Male. Die Zuschauer konnten es kaum wahrnehmen, wie dem Araber seine Taktik gelang, so schnell, geschmeidig und gewandt waren seine Bewegungen. Der Tschausch gerieth außer sich. Er hatte geglaubt, mit dem »Knaben« kurzen Prozeß machen zu können und ihn bei dem ersten Stoße zu tödten, und nun stieß er stets nur in die Luft. Er kam in gewaltige Aufregung. So schnell er zugriff, so rasch er sich umdrehte, kein Griff, kein Messerstoß glückte ihm.

»Hund, halte Stand!« brüllte er wüthend.

»Bemerkst Du nicht, daß ich nur mit Dir spiele?« lachte der unvergleichliche Beduine.

»Ach, wenn ich Dich nur hätte! Nur erst fassen!« schäumte der vor Anstrengung Schäumende.

»Gut! Hier, fasse mich!«

Das erklang so ernst, so fest, so drohend. Hilal blieb stehen, die Füße weit aus einander gespreizt, den leuchtenden Blick wie die Spitze eines Bohrers auf das rothe Gesicht des Tschausch gerichtet. Dieser stieß einen Ruf der Freude aus, packte ihn mit der Linken bei der Brust und holte mit der Rechten aus.

Hiluja schrie laut auf – im nächsten Augenblicke mußte ihr Beschützer eine Leiche sein.

Aber er war es nicht. Auch er hatte mit seiner Linken den Tschausch gepackt, mit der Rechten parirte er die Stöße desselben. Faust traf an Faust, Klinge glitt an Klinge ab. Der Tschausch mochte stoßen wie er wollte, von oben, unten, von der Seite, stets wurde sein Stoß parirt, und zwar mit einer solchen Leichtigkeit, ja Eleganz, wie es die auch selbst erregten Zuschauer für vollständig unmöglich gehalten hätten. Ebenso wunderbar erschien ihnen die Festigkeit, mit welcher Hilal's schmächtiger Körper wie in den Boden gewachsen zu sein schien. Die ganze Anwendung der gewaltigen Körperkraft war zu wenig, den Araber auch nur einen Zoll breit von der Stelle zu bringen.

So standen die Beiden vor einander, sich fest gepackt haltend und nur die rechten Arme mit den blitzenden Messern bewegend, der Eine zum Stoßen und der Andere zum Pariren.

Der Tschausch schäumte vor Wuth. Aus seinem krampfhaft verzerrten Munde troff der Speichel; seine Augen waren mit Blut unterlaufen, während sein Gegner mit lächelnder Miene ihm gegenüber hielt, als ob er sich nur einer angenehmen Uebung befleißige. Die Stöße des Ersteren wurden immer schneller, aber auch unsicherer, krampfhafter. Man sah es ihm an, daß er sich anstrengte, daß seine Kraft nicht mehr lange vorhalten könnte.

*


 << zurück weiter >>