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Sie streckten sich wieder auf die Erde nieder und krochen nach der Treppe zu. In der Nähe derselben traten die Zelte enger zusammen; es gab deren da also mehr als anderwärts. Da war doppelte Vorsicht nöthig. Laute Athemzüge, welche sie hörten, hier und da auch ein mehr oder weniger lautes Schnarchen gaben ihnen aber den Beweis, daß die Bewohner im Schlafe lagen.
Jetzt waren sie nur noch wenige Schritte von den Stufen entfernt; da flüsterte der Suef, welcher vorankroch, in warnender Weise den beiden Anderen leise zu:
»Nehmt Euch hier in Acht; da wohnt Kalaf, der Alte, welcher oft an Schlaflosigkeit leidet!«
Es zeigte sich, daß diese Warnung keineswegs überflüssig war. Sie kamen zwar glücklich an dem Zelte vorüber, aber eben als sie in dem Schatten der Treppe angekommen waren, wurde der Eingang des Zeltes von innen geöffnet und der Alte trat heraus. Er blickte sich um. Der Suef wußte, daß jetzt ein höchst kritischer Augenblick gekommen sei. Wenn Kalaf näher kam und die Drei bemerkte, so mußte er aus dem Umstände, daß sie platt am Boden lagen und sich also zu verbergen suchten, Verdacht schöpfen. In diesem Falle machte er ganz gewiß Lärm.
Was war zu thun? Ihn tödten? Konnte das in der Weise geschehen, daß es ihm dabei unmöglich wurde, einen Laut auszustoßen? Keiner von den Dreien hielt das für möglich; keiner von ihnen war ein Steinbach.
»Ich werde mit ihm sprechen,« flüsterte der Suef.
»Bist Du verrückt!« entgegnete der Graf.«
»Nein. Es ist das Beste.«
»Er wird Dich erkennen!«
»Schwerlich. Unter den Beni Abbas befindet sich Einer, der sehr stotternd spricht. Ich werde seine Sprache nachahmen. Gelingt es nicht, nun, so müssen wir eben Alles wagen und den alten Kerl niederstechen.«
»Er wird schreien.«
»Das vermeiden wir. Ihr packt ihn sofort bei der Kehle und ich stoße ihm das Messer in das Herz. Also bleibt Ihr nur ruhig liegen!«
Während die Beiden sich so eng wie möglich an die unterste Treppenstufe schmiegten, lehnte er sich aufrecht an einen der Steinpfosten, welche zu beiden Seiten der Treppe standen. Seine Gestalt stach von dem Steine ab und mußte also nothwendigerweise bemerkt werden.
Kalaf kam langsam rund um sein Zelt gegangen. Als er jetzt wieder nach vorn kam, erblickte er den Suef. Stehen bleibend, fragte er:
»Was thust Du hier?«
»Ich ha – ha – halte Wa – wa – wa wache,« antwortete der Gefragte.
»Wer hat Dir das geboten?«
»U – u – u – unser – Sche – sche – schei – scheik.«
»Ja.«
»Recht so! Hast Du nichts Auffälliges gehört?«
»Nein.«
»Ich konnte nicht schlafen, und da war es mir, als ob ich ein leises Rauschen des Sandes vernommen hätte. Es war ganz so, als ob Jemand am Boden krieche.«
»Das wa – wa – war i – i – ich.«
»Bist Du denn gekrochen?«
»Nein. Ich bi – bi – bin gela – la – laufen, ein Stückchen hi – hi – hin und ein Stückchen wie – wie – wieder he he – her.«
»So! Dann bin ich beruhigt. Wie steht es in der Ruine? Schläft die Königin?«
»Sie ist noch mu – mu – munter.«
Er glaubte, Grund zu haben, diese Antwort zu geben und keine andere. War die Königin noch wach, so befand sie sich jedenfalls mehr in Sicherheit, als wenn sie geschlafen hätte. Im Schlafe konnte ihr leichter ein Unfall geschehen als im Wachen.
»Die Freude über unsern Sieg wird sie, ganz so wie mich, nicht schlafen lassen. Na, thue Deine Pflicht!« sagte der Alte. »Es kann zwar von einem Feinde keine Rede mehr sein, aber Vorsicht ist stets besser als das Gegentheil. Allah erhalte Deine Augen munter!«
»Und Dich la – la – lasse er schla – la – lafen!«
Kalaf kehrte in sein Zelt zurück.
»Gott sei Dank!« flüsterte der Pascha. »Das war sehr viel gewagt.«
»Und mir wurde bereits angst,« meinte der Graf.
»Machen wir, daß wir schnell hinauf kommen!«
»Nein, bleiben wir noch!« entgegnete der Suef.
»Warum? Oben sind wir jedenfalls sicherer.«
»O nein. Der Alte könnte doch Unrath wittern. Wenn es ihm einfallen sollte, noch einmal heraus zu kommen, und ich stehe nicht hier, so faßt er wohl gar Verdacht und forscht so lange nach, bis er uns findet.«
»Du kannst aber doch nicht so lange hier stehen bleiben, bis der Morgen anbricht!«
»Nur so lange, bis er ruhig liegt. Warten wir!«
Sie verhielten sich nun wohl eine Viertelstunde lang ruhig. Dann meinte der Suef, daß es Zeit sei, sich an das Werk zu machen, da Kalaf nun wohl nicht noch einmal herauskommen werde.
Jetzt stiegen sie leise die Stufen hinan. Oben gab es, wie sie bemerkten, keinen Wächter. Sie zogen ihre Messer und drangen in das Innere der Ruine ein. Sie mußten, wie bereits erwähnt, erst einen Gang passiren, in welchem es bereits am Tage dunkel war. Als sie eine Strecke gegangen waren, glänzte ihnen ein matter Lichtschein entgegen.
Keiner von den Dreien war schon einmal in dem Innern der Ruine gewesen. Sie kannten also die Oertlichkeit gar nicht. Sie blieben stehen.
»Ob wir schon jetzt dahin kommen, wo sie schlafen?« meinte der Sues.
»Möglich,« antwortete der Pascha. »Aber wir müssen uns vor Saïd in Acht nehmen.«
»Warum? Wer ist dieser Saïd?«
»Er war mein Arabadschi in Constantinopel. Dort hat er Zykyma sehr oft ausgefahren. Er ist ein Verräther, ihr mehr ergeben als mir. Hier ist er zu ihr übergelaufen. Ich glaube, er wacht für sie. Wenn er uns bemerkt, ist Alles verloren.«
»Ist er stark?«
»O nein. Er ist ja noch ein halber Knabe.«
»So wird mein Messer mit ihm sprechen, wenn er es wagen sollte, uns entgegen zu treten. Gefährlicher ist uns der alte Scheik der Beni Abbas.«
»Denkst Du, daß dieser sich etwa hier in der Ruine befindet?«
»Es ist möglich.«
»Er hat ja sein Zelt!«
»Jetzt ist er der Beschützer der Frauen. Da kann er sehr leicht auf den Gedanken gekommen sein, in ihrer Nähe zu schlafen. Gehen wir langsam und sehr vorsichtig weiter.«
Sie setzten ihren Weg fort. Der Lichtschein wurde, je weiter sie kamen, desto heller. Der Gang war endlich alle. Der Suef lauschte in das Zimmer hinein.
»Kein Mensch da,« berichtete er leise. »Nur das Licht brennt.«
»Hast Du Dich richtig überzeugt? In die Ecken gesehen?«
»Dann hinein!«
In der Mitte des Zimmers stand die Lampe, ein Thongefäß, in welchem ein Docht im Palmöl brannte.
Es war dieselbe Stube, in welcher am Tage der Riese mit der Königin und dann mit der alten Haluja gerungen hatte. Gerade aus führte der Gang nach der Treppe, auf welcher man zur Zinne stieg. Links öffnete sich der Eingang zu mehreren Gemächern.
»Wohin wenden wir uns?« fragte der Pascha.
»Ich weiß es auch nicht. Lauschen wir zunächst da links hinein,« antwortete der Suef.
»Man wird uns aber sofort sehen, da uns das Licht bescheint.«
»Das schaffen wir natürlich einstweilen zur Seite.«
Er nahm die Lampe und stellte sie in den Gang zurück, aus welchem sie gekommen waren. Dann näherten sie sich unhörbaren Schrittes der Thüröffnung zur linken Hand. Eine Thüre gab es nicht, welche diese Oeffnung verschloß. Dort standen sie, um zu lauschen. Sie hörten regelmäßige, leise Athemzüge.
»Hier schlafen Mehrere,« meinte der Suef.
»Ob sie auch wirklich schlafen!« mahnte der Pascha.
»Probiren wir einmal!«
»Wie denn?«
»So!«
Er räusperte sich, nicht laut zwar aber auch nicht so leise, daß es nicht aufgefallen wäre. Der Pascha ergriff ihn am Arme.
»Um Allahs willen! Leise, leise! Du wirst uns verrathen!«
»Das will ich, ja! Horch!«
Es war nichts zu hören, als nur die Athemzüge.
»Dachte es mir! Sie, schlafen fest. Will es aber lieber noch einmal versuchen.«
Er räusperte sich abermals, doch machte sich keine Bewegung in dem vor ihnen liegenden Räume bemerklich.
»Wir sind sicher. Holen wir das Licht!«
Er ging und brachte die Lampe. Sie traten ganz vorsichtig ein. Zu ihrer Freude fanden sie Alle, die sie suchten, beisammen, sogar eine Person mehr.
Vor ihnen lagen die beiden Schwestern, Badija und Hiluja neben einander auf weichen Polstern, einige Kissen unter ihren Köpfen und mit reichen Teppichen zugedeckt. Rechts von ihnen lag Zykyma in eben dieser Weise, und links, in der Ecke, hatte sich die alte arabische Dienerin niedergelegt. Der Schein der Lampe übte keine Wirkung auf die geschlossenen Augen der Schläferinnen, welche ahnungslos weiter schliefen.
»Da haben wir sie! Allah sei Dank!« sagte Suef flüsternd. »Aber wie machen wir es!«
»Draußen im vorderen Zimmer lagen Stricke!«
»Ja. Und dort in der Ecke hängen Tücher und Kleider. Das paßt. Wir müssen sie natürlich knebeln, damit sie nicht reden oder gar schreien können.«
»Wir müssen zunächst Zykyma unschädlich machen,« mahnte der Pascha.
»Warum?«
»Sie ist ein ganz gefährliches Subject. Sie hat einen vergifteten Dolch.«
»Allah!«
»Wenn sie mit der Spitze desselben Jemand nur ganz leicht in die Haut ritzt, ist er in einigen Sekunden eine Leiche.«
»Die heiligen Kalifen mögen mich behüten! Und Du hast ihr diesen Dolch gelassen!«
»Ich habe ihn ihr einmal abgenommen; aber sie hat ihn wieder bekommen.«
»Das war sehr unvorsichtig von Dir!«
»Ich weiß nicht, wie sie sich wieder in seinen Besitz gesetzt hat. Jetzt glaube ich, dieser verdammte Saïd hat ihn ihr wieder verschafft. Wenn wir ihr Zeit lassen, den Dolch zu ergreifen, so wird unser ganzer Plan zu schande.«
»Noch nicht!«
»O doch. Wir dürfen sie dann nicht angreifen, ohne in die Gefahr zu kommen, von ihr verwundet zu werden. Und dann wird sie auch die beiden Anderen beschützen.«
»Hätte sie den Muth dazu?«
»O, die hat alle tausend Teufel im Leibe. Sie hat bereits sich selbst und Andere gegen mich vertheidigt.«
»So müssen wir freilich sie zuerst unschädlich machen. Holen wir die Stricke!«
»Aber die alte Haluja! Was thun wir mit ihr?«
»Mitnehmen können wir sie nicht.«
»Nein. Wir erstechen sie ganz einfach.«
»Das ist nicht nöthig. Wir binden und knebeln sie. Da ist sie unschädlich.«
Sie traten in den vorderen Raum zurück, um die erwähnten Stricke zu holen. Da sagte der Suef:
»Zuerst nehmen wir also Zykyma. Das muß so schnell gehen, daß sie gefesselt und geknebelt ist, ehe die Anderen erwachen.«
»Aber wenn sie schreien!«
»Wir müssen eben sehr schnell machen, so daß sie gar nicht zum Schreien kommen. Uebrigens drohen wir ihnen mit unseren Messern. Die Angst, ermordet zu werden, wird ihnen den Mund verschließen. Kommt! Wir dürfen die Zeit nicht verlieren.«
Sie schlichen wieder hinein. Der Suef holte eins der erwähnten Tücher aus der Ecke. Die beiden Anderen nahmen Jeder einen Strick, und dann knieten sie neben Zykyma nieder.
»Jetzt! Rasch!« flüsterte der Suef.
Er ballte das Tuch zusammen und erhob die Hand, den Augenblick erwartend, an welchem sie den Mund öffnen werde.
Der Pascha fuhr ihr mit dem Stricke unter dem Leib hinweg, der Graf mit dem seinigen unter den Beinen. Sie erwachte nicht ganz. Sie mochte träumen. Sie bewegte sich, um ganz unwillkürlich im Schlafe den Angriff abzuwehren. Dabei holte sie sehr tief Athem, wobei sie den Mund öffnete. Sofort stieß ihr der Suef den Knebel hinein. In demselben Augenblicke hatten die beiden Anderen ihr die Stricke um Leib, Arme und Beine geschlungen und fest verknotet.
Sie erwachte. Sie öffnete die Augen. Sie sah die drei Männer und wollte schreien – es ging nicht. In ihren Augen lag die größte Angst, der entsetzlichste Schreck. Sie wollte sich bewegen und vermochte es nicht – sie war gefangen.
»Jetzt zu der Alten!« flüsterte der Suef.
Er machte den Anführer, den Kommandeur. Er, der halbwilde Beduine, war dazu geeigneter als der Graf und der Pascha, obgleich Beide eine nicht geringe Quantität Gewaltthätigkeit und Gewissenslosigkeit besaßen.
Jetzt wurde ein anderes Tuch genommen; andere Stricke waren bereit. Die Drei knieten vor der Araberin nieder, um bei ihr ganz dieselbe Procedur in Anwendung zu bringen.
Alte Leute pflegen leiser zu schlafen als junge. Kaum wurde die Dienerin nur leise berührt, so erwachte sie auch. Ihr Blick fiel auf die Angreifer, und sofort war ihr die Situation klar.
»Hil – – –!«
Sie wollte um Hilfe rufen. Sie konnte das Wort nicht ganz aussprechen. Der Suef stieß ihr das Tuch in den Mund, und zu gleicher Zeit wurde sie von den Stricken umschlungen. Ihre Ueberwältigung hatte kaum eine halbe Minute in Anspruch genommen.
Aber, obgleich sie ihren Ruf nicht vollständig hatte ausstoßen können, war er doch laut und genügend gewesen, die Schwestern zu wecken. Sie öffneten erschrocken die Augen, erblickten die drei Männer und sprangen von ihrem Lager auf.
Dieses Letztere konnte geschehen, ohne die Schamhaftigkeit zu verletzen, da man in jenen Gegenden nicht wie bei uns in Betten schläft und also auch nicht gewöhnt ist, sich zu entkleiden.
Im Nu hatten die Drei ihre Messer in den Händen und stellten sich vor den Ausgang, so daß eine Flucht unmöglich war.
»O Allah! Der Suef!« rief die Königin.
Daß sie dies so laut ausrief, hatte nichts zu bedeuten. Das Zimmer lag so tief in dem dicken Gemäuer, daß man den Ruf draußen ganz gewiß nicht hören konnte.
»Ja, der Suef!« antwortete dieser. »Aber nicht allein. Ich habe gute Freunde mit. Hoffentlich sind wir Dir willkommen!«
»Was willst Du?«
»Dich!«
»Mich? Was verlangst Du von mir?«
»Von Dir? O, von Euch verlangen wir nichts, gar nichts. Euch selbst aber wollen wir haben.«
Sie starrte mit angstvollen Augen von Einem zum Andern. Sie konnte sich nicht sogleich in ihre Lage finden.
»Uns selbst? Was wollt Ihr von uns?«
»Das werdet Ihr sehen. Ihr werdet jetzt ein Wenig mit uns spazieren reiten.«
»Wohin?«
»An einen Ort, wo es Euch sehr gut gefallen wird. Unsere Liebe wird Euch überhaupt einen jeden Ort zum Paradiese machen.«
Jetzt wußte sie, was er wollte. Der Schreck verhinderte sie, weiter zu sprechen. Ihre Schwester Hiluja war geistesgegenwärtiger. Sie erkannte, daß zwei Frauen gegen die drei bewaffneten Männer nichts vermochten. Aber vielleicht gab es doch noch Hilfe. Saïd, der treue Arabadschi, hatte, ehe sie sich zur Ruhe legten, ihnen gesagt, daß er als ihr Wächter im vorderen Zimmer schlafen werde. An ihn dachte sie jetzt. Aber sie berücksichtigte nicht, daß die Drei, um in das Frauengemach kommen zu können, diese vordere Stube zuvor passirt haben mußten, und daß der Arabadschi, wenn er sich dort befunden hatte, also jedenfalls von ihnen unschädlich gemacht worden war.
»Saïd! Hilfe, Hilfe!« rief sie laut.
In demselben Augenblicke aber ergriff der Suef ihren Arm, zückte sein Messer und drohte:
»Noch ein Wort, und ich ersteche Dich!«
»O Allah!« klagte sie, natürlich aber nun mit gesunkener Stimme. »Wo ist Saïd!«
»Ah! Dieser Kerl sollte hier sein?«
Sie deutete mit der Hand nach dem vorderen Raum. Sie überlegte in ihrer Aufregung gar nicht, daß es besser gewesen wäre, gar keine Antwort zu geben.
»Sollte er Euch bewachen?«
»Ja.«
»Verdammt! Nun, Ihr seht, daß Ihr Euch da auf einen sehr guten Beschützer verlassen habt. Er ist vielleicht davongegangen, um irgend ein hübsches Mädchen der Beni Sallah aufzusuchen. Nun kost er mit ihr und denkt nicht an Euch. Allah lasse ihm alle Freuden der Liebe finden, damit er nicht auf den Gedanken kommt, jetzt schon zurück zu kehren. Es würde ihm ganz so wie Euch ergehen!«
»Nein, noch schlimmer!« bemerkte der Pascha. »Es würde sein sicherer Tod sein. Er hat mich verlassen, mich verrathen. Er mag mir ja nicht begegnen. Er müßte auf der Stelle sterben.«
»Besser so, ja, so bist Du ihn los. Jetzt aber, Königin, hoffe ich, daß Du Dich in Dein Schicksal ergiebst. Wir haben keine Zeit zu langen Unterhandlungen.«
»So sagt, was Ihr wollt!«
»Ich habe es Dir bereits gesagt. Wir wollen Euch. Ihr sollt mit uns reiten.«
»Das werden wir nicht thun.«
»Wirklich nicht?«
Er lächelte dabei, aber das war das Lächeln eines Henkers, welcher sich freut, sein Werk ausführen zu können.
»Nein!« antwortete sie.
»Nun, ganz wie Du willst! Du hast die Wahl. Siehe Dir dieses Messer an! Es ist spitz und scharf. Wähle zwischen ihm und dem Gehorsam!«
»Willst Du uns tödten?«
»Ja, ganz gewiß, wenn Ihr nicht gehorcht.«
Er trat näher an sie heran, erhob die Hand, in welcher er das Messer hielt, und fuhr fort:
»Also entscheide! Fügst Du Dich?«
»Nein,« antwortete sie furchtlos.
»So stirb!«
»Stich zu!« sagte sie trotzig, ihm fest in die Augen blickend.
Er zögerte doch. Er war ein Bösewicht, besaß aber doch nicht den vollen Muth zur That, mit welcher ihr gedroht hatte.
»Nun? Fürchtest Du Dich?«
»Fürchten? Was fällt Dir ein!«
»So stich doch!«
»Das kannst Du nicht wollen. Es ist nicht unsere Absicht, Dich zu tödten.« –
»Und es ist nicht meine Absicht, mit Euch zu gehen. Lieber sterbe ich!«
Sie war in diesem Augenblick ganz Königin, ganz die stolze Beherrscherin des tapferen Stammes der Beni Sallah.
»Wenn Du nicht anders willst, so wirst Du freilich sterben,« sagte er, sie beim Arme fassend.
Da zog ihn der Pascha zurück.
»Es ist nicht nöthig, sie zu erstechen,« meinte er.
»Wir werden sie wohl zwingen können, zu gehorchen. Wir binden sie.«
»Rührt mich nicht an!« rief sie.
»Willst Du Dich wehren?«
»Ja, ich schreie um Hilfe!«
»Wer wird Deinen Ruf hören? Und haben etwa diese hier geschrien?«
Er deutete auf Zykyma und die Alte.
Da trat Hiluja zur Königin und sagte:
»Gieb Dich darein!«
»Wie? Du willst Dich ihnen ergeben?« fragte Badija in zornigem Tone.
»Ja, einstweilen.«
»Meinst Du, daß sie Dich freilassen werden?«
»Ja.«
»Niemals!«
»O, man wird sie zwingen!«
»Wer?«
»Tarik und Hilal.«
Ueber das Gesicht der Königin glitt ein heller Zug.
»Ja, die Söhne des Blitzes werden uns ganz sicher befreien!« sagte sie.
»Und Masr-Esfendi wird mit ihnen kommen.«
»Laßt sie kommen!« lachte der Suef. »Sie werden nie im Leben erfahren, wohin wir Euch geschafft haben. Sie mögen suchen, wo sie wollen, sie werden Euch doch niemals finden, wenn wir nicht wollen. Aber ich gebe Euch vielleicht frei, wenn die Beni Sallah bereit sind, meine Bedingungen zu erfüllen.«
»Ah, wir sollen Geißeln sein?«
»Ja. Und wenn Ihr uns gehorcht, wird Euch nichts Böses geschehen. Also laßt Euch ruhig binden!«
»Warum binden? Wir ergeben uns; aber zu fesseln braucht Ihr uns nicht.«
»Haltet Ihr uns für delil (wahnsinnig)? Wir müssen Euch heimlich aus dem Lager schaffen; also werden wir Euch doch nicht im vollen Besitze Eurer Bewegungen lassen. Her mit den Händen!«
»Aber nur die Hände!«
»Ja.«
»Versprichst Du, uns nicht weiter zu fesseln?«
»Ja.«
»Dann hier!«
Sie hielt ihm die Arme entgegen. Hiluja that dasselbe. Man fesselte ihnen nicht etwa die Hände aneinander, sondern man band ihnen die Arme an den Leib.
Jetzt trat der Graf mit dem Stricke herbei, um der Königin auch die Füße zusammen zu binden.
»Halt!« sagte sie. »Der Suef hat mir versprochen, nur die Hände zu fesseln!«
»Er, aber nicht ich! Er mag Wort halten; ich aber werde an seiner Stelle thun, was nöthig ist.«
»Schurke!«
»Schimpfe nicht! Du verschlimmerst Dir dadurch nur Deine Lage.«
»So werde ich schreien!«
»Versuche es!«
Er faßte sie bei dem Halse und drückte ihr die Kehle zusammen, so daß sie gezwungen war, den Mund zu öffnen. Sofort steckte ihr der Pascha das dazu bereit gehaltene Tuch hinein. Ganz ebenso erging es Hiluja, und nun wurden Beiden auch die Beine zusammengebunden. Es verstand sich ganz von selbst, daß die Schwestern nun nicht mehr aufrecht zu stehen vermochten. Sie wurden auf den Boden niedergelegt. Jetzt waren die drei Männer also mit den Frauen fertig.
»Was nun?« fragte der Pascha.
»Wasser und Datteln,« antwortete der Suef. »Suchen wir nach ihnen! Einer aber von uns muß als Wächter hier zurückbleiben. Es ist ja möglich, daß der Arabadschi uns überrascht. Er muß sofort stumm gemacht werden.«
»So bleibe ich hier,« sagte der Pascha. »Es soll mir eine Freude machen, ihm mein Messer in den Leib zu stoßen.«
Er blieb im Dunkeln zurück. Die beiden Anderen aber gingen, um nach den angegebenen Gegenständen zu suchen. Unten im Lager gab es zwar einen Brunnen; aber sie konnten doch unmöglich wagen, sich dort mit einem für vier Tage reichenden Wasservorrath zu versehen. Das hätte Zeit in Anspruch genommen und Geräusch verursacht, so daß sie ganz gewiß entdeckt worden wären.
Sie traten mit dem Lichte in den Gang, welcher nach der Treppe zur Zinne führte. Ungefähr in der Mitte dieses Ganges gab es abermals eine offene Thür. Als sie dort eintraten, sahen sie sich zu ihrer Freude in dem Vorrathsraume der Königin. Da standen mächtige Krüge mit Palmensaft. Da lagen Haufen von Datteln und da gab es auch – was ganz besonders günstig war – viele mit Wasser gefüllte Schläuche.
Diese Letzteren waren gefüllt und hierher geschafft worden in Folge dei Kunde, daß die Beni Suef das Lager überfallen wollten. Man mußte sich auf alle Fälle vorbereiten und aus alle Eventualitäten gefaßt sein. Es lag doch immerhin im Bereiche der Möglichkeit, daß der Feind Sieger blieb. Dann mußten sich die Vertheidiger in die Ruine zurückziehen, und da war es nothwendig, diese Letztere mit einem Wasservorrathe zu versehen.
»Das ist prächtig!« sagte der Suef. »Wir haben da Alles beisammen, was wir brauchen.«
»Etwas fehlt doch noch.«
»Was?«
»Gewehre.«
»Ja, das ist wahr! Leider haben wir die unserigen so unvorsichtiger Weise zurückgelassen. Laßt uns sehen, was da drin zu finden ist!«
Er deutete auf eine Thür, welche sich im Hintergrunde des ziemlich großen Raumes befand.
Als sie dort hinausgegangen waren und sich umblickten, stieß der Suef einen Ruf der Freude aus. Sie befanden sich in einem Gemache, um dessen Wände sich ein Serir zog, das heißt ein ungefähr ein Fuß hohes Holzgestell, welches mit Matten und Kissen belegt war. An den Wänden hingen Waffen und Kriegstrophäen aller Art.
»Das ist die Wohnung des todten Scheiks gewesen,« sagte der Suef. »Da draußen, wo man jetzt die Vorräthe aufbewahrt, hat er die Versammlung der Aeltesten gehalten, wenn sie geheim sein sollten. Hier sind alle seine Flinten, und da, in diesen Beuteln befinden sich sicherlich Kugeln und auch wohl Pulver.«
Als er einige der Lederbeutel öffnete, zeigte es sich, daß er ganz richtig vermuthet hatte. Es gab hier mehr Munition, als gebraucht wurde. Die Beiden suchten sich die besten Schießgewehre aus, für den Pascha auch eins, und versahen sich auch mit Munition.
»Jetzt können wir zurückkehren,« meinte der Graf.
»Ja. Nun kommt aber erst das Schwierigste unseres Unternehmens, nämlich die Frauen und alles Andere aus der Ruine fortzuschaffen und auf die Kameele zu bringen, ohne daß es bemerkt wird.«
»Das bietet freilich Schwierigkeiten, welche vielleicht unüberwindlich sein werden.«
»Es muß aber gewagt werden.«
»Natürlich! Aber – hm! Wenn es nur möglich wäre. Alles auf andere Weise – –hm!«
»Was?«
»Ich habe einen Gedanken. Die Kameele liegen doch gleich am Fuße der Ruine. Sollte es denn nothwendig sein. Alles hinab zu tragen!«
»Könnten wir es nicht vielleicht an Stricken von oben hinablassen?«
Der Suef machte ein ganz verdutztes Gesicht, lachte dann halblaut vor sich hin und sagte:
»Wie dumm!«
»Ist das, was ich gesagt habe, wirklich so dumm?«
»O nein! Es ist im Gegentheile sehr klug. Dumm aber bin ich gewesen, daß ich nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen bin. Wir befinden uns ja gar nicht hoch über dem Boden. Zwölf Stufen sind wir gestiegen. Die Stricke brauchen also gar nicht sehr lang zu sein. Und draußen bei den Vorräthen habe ich ein großes Packet Riemen und Stricke gesehen, vielmehr als wir brauchen.«
»So laß uns eilen! Es ist jedenfalls besser, wir sind fort, wenn dieser Saïd, der Arabadschi, kommt, als wenn wir uns mit ihm herumschlagen müssen.«
Sie nahmen von den Gegenständen, welche sie brauchten, so viel an sich, wie sie tragen konnten, und kehrten zu dem Pascha zurück, welcher sich über die gute Nachricht freute, welche sie brachten.
Die Frauen waren so gefesselt, daß an eine Flucht gar nicht gedacht werden konnte. Man konnte sie also einstweilen allein lassen. Die Drei begannen also, Schläuche und einen Sack mit Datteln nach der Seite der Ruine zu tragen, an welcher unten am Fuße derselben die Kameele lagen.
»Und nun die Mädchen,« sagte der Suef. »Dann schleiche ich mich hinab, und Ihr laßt mir Alles nach und nach an den Seilen hinab, erst das Wasser, dann die Datteln und zuletzt die Mädchen. Ihr kommt endlich nach. Dann brechen wir auf.«
»Die Alte also lassen wir zurück?«
»Natürlich.«
»Sie wird uns verrathen.«
»Nein. Sie weiß ja nicht, wohin wir gehen.«
»Aber sie hat uns gesehen; sie wird also sagen, daß wir es sind, welche die Mädchen entführt haben.«
»Das mag sie immerhin sagen. Es freut mich sogar, daß sie erfahren, auf welche Weise wir uns gerächt haben. Die Alte weiß, daß wir es waren, unser Ziel aber kennt sie nicht. Wir können also ruhig sein. Kommt, weiter!«
Sie kehrten nun in die Ruine zurück und trugen Badija, Hiluja und Zykyma herbei. Dann holten sie Stricke, welche sie zusammen banden und mehrfach vereinigten, damit sie die Last aushalten konnten, und nun endlich stieg der Suef leise wieder die Treppe hinab.
Drei Viertheile der Arbeit waren gethan. Er selbst hatte nun noch das Schwierige vor sich – den Raub auf die Kameele zu laden. War das einmal geschehen, so brauchte man nichts mehr zu fürchten. Selbst im Falle der Entdeckung konnten die Drei dann schnell aufsteigen und mit ihren Thieren davonjagen. Eine Verfolgung bei Nacht war wohl kaum zu fürchten.
Eben hatte er die letzte Stufe erreicht, so ließ sich im Zelte des alten Kalaf ein Hüsteln hören. Der Suef lehnte sich sofort an den Stein, an welchem er vorhin gelehnt hatte. Es war ja möglich, daß der Alte herauskam.
Wirklich! Der Vorhang wurde zurückgeschlagen, und Kalaf trat heraus. Er sah den Suef.
»Ilaf, bist Du es noch?« fragte er.
»Ja, ich bi – bi – bin es no – no – noch.«
»Ist Etwas geschehen?«
»Nein, ni – ni – nichts.«
»Es war mir, als hätte ich von Weibern einen Schrei gehört.«
Sollte Hiluja's lauter Hilferuf wirklich aus dem Innern der Ruine hervor und hier herabgedrungen sein? Das war kaum denkbar.
»Du ha – ha – hast geträumt!« sagte der Suef.
»Ja, ich war eingeschlafen; aber es war mir angstvoll zu Muthe. Es ist mir noch jetzt ganz so, als ob eine Gefahr drohe.«
»Gefa – fa – fahr? Ich wa – wa – wache ja!«
»Freilich wohl! Drüben bei der Beute sitzen auch Wächter. Es kann also gar nichts geschehen. Aber seit der Riese die Königen überfallen hat, bin ich so voller Besorgniß, obgleich kein Grund dazu vorhanden ist. Wo befindet sich der Arabadschi?«
»O – o – o – oben. Er wa – wa – wacht bei der – Kö – königen.«
»So kann ich ruhig sein. Wecke mich nur sogleich, wenn Du Etwas hörst oder siehst, was Verdacht zu erregen vermag. Allah gebe eine glückliche Nacht!«
Er ging langsam wieder in sein Zelt. Der Suef hielt es, ganz wie vorhin, für gerathen, eine Weile zu warten, obgleich seine beiden Gefährten wohl Eile hatten, ihre Lasten los zu werden. Dann schritt er weiter, nach der anderen Seite der Ruine hin.
Da lagen die Kameele noch ganz ruhig. Da ihnen die Mäuler noch immer verbunden waren, stand nicht zu befürchten, daß sie laut werden würden.
»Pst!« klang es von oben herab.
»Pst! Ich bin da,« antwortete er.
»Endlich! Erst die Schläuche.«
Sie wurden herabgelassen, dann die Datteln. Er lud Beides auf den Packsattel des Lastkameeles. Dann wurde Zykyma an zwei doppelten Stricken herabgelassen. Badija und Hiluja folgten. Er hob die Drei in den Tachterwan.
Der Graf und der Pascha standen höchstens sechs Ellen über ihn an der Brüstung. Er konnte mit ihnen so reden, daß sie ihn verstanden, ohne daß aber ein Anderer es hörte.
»Jetzt nun kommen wir hinab!« raunte der Pascha von oben herunter.
»Wartet! Der alte Kalaf ist noch munter. Könntet Ihr nicht gleich hier an einem Seil herab?«
»Wenn wir es hier oben anbinden, ja.«
»Versucht es!«
Bald bemerkte er. daß ein Seil herabgelassen wurde, und dann kamen der Graf und der Pascha an demselben herabgeturnt.
»So!« sagte der Letztere. »Das war schwere und ungewohnte Arbeit. Nun haben wir nur noch dafür zu sorgen, daß wir unbemerkt fortkommen.«
»Zunächst müssen wir die Kameele aufstehen lassen und zusammenbinden. Ein jedes muß mit dem Halfter an dem Schwanze des vorangehenden befestigt werden. Das sind sie so gewöhnt. Wenn sie nur dabei nicht laut werden.«
Die Thiere erhielten leichte Schläge auf die Kniee; das ist das Zeichen, daß sie aufstehen sollen. Sie gehorchten. Vorher aber hatten der Graf und der Pascha sich in ihre Sättel gesetzt. Sie verstanden es nicht, ein aufrecht stellendes Dromedar zu besteigen, da der Sitz sehr hoch ist.
Der Suef band die Kameele so zusammen, daß das Seinige das Vordere war; dann kam Dasjenige, welches den Tachterwan trug, in welchen der Suef die drei weiblichen Gefangenen gehoben hatte. Nachher folgten der Pascha, der Russe und endlich das Packthier. So standen die Kameele hintereinander. Der Suef faßte den Sattelgurt und schwang sich hinauf. Der Ritt konnte beginnen.
Die Thiere hatten nach ihrer gewohnten Art und Weise schreien wollen, hatten es aber nicht vermocht, da ihnen die Mäuler zugebunden waren. Ohne einiges Schnaufen aber ging es nicht ab. Als jedoch der Suef sein Thier in Bewegung setzte, folgten die anderen ruhig und willig.
Es ging langem zwischen den Zelten hindurch. Die Eilkameele sind leichter gebaut als die Lastkameele und haben auch nicht so große Füße wie die Letzteren; darum waren ihre Schritte ziemlich leise. Keiner von den Schläfern erwachte.
Als das letzte Zelt hinter der kleinen Karawane lag, befand dieselbe sich im Süden des Lagers; da nun ihr Weg nach Nordnordost führte, mußte der Suef um das Lager herumreiten. Er that das vorsichtig, um ja nicht gehört zu werden.
»Wollen wir gleich jetzt unsere Richtung einschlagen?« fragte der Pascha mit unterdrückter Stimme.
»Ja.«
»Ist das nicht unvorsichtig?«
»Warum?«
»Wenn man am Morgen unsere Spur sieht, wird man gleich errathen, wohin wir wollen. Es ist also wohl besser, wenn wir einen Umweg machen, um die Verfolger irre zu führen.«
»Dieser Umweg mußte groß genug sein, um sie wirklich zu täuschen; dazu aber haben mir die Zeit nicht und – ha, seht Ihr es?«
In diesem Augenblicke war grad im Norden ein Lichtstrahl aufgeflammt, grad wie ein Blitz, aber nicht vom Himmel zur Erde hernieder, sondern in entgegengesetzter Richtung von der Erde zum Himmel aufwärts.
»Ein Blitz!« sagte der Graf. »Wetterleuchtet es denn in der Wüste auch?«
»Das ist kein Blitz,« erklärte der Suef. »Da, seht, schon wieder!«
Die feurige Erscheinung wiederholte sich. Die Flamme war nicht schwefelgelb, blendend und im Zickzack wie beim Blitze, sondern sie fuhr schnurgerade'. Richtung und rothblauer Färbung empor.
»Das ist die Schems el Leïla! Allah schütze uns!« sagte der Suef.
»Schems el Leïla? Was ist das?«
Schems el Leïla ist arabisch und bedeutet zu Deutsch die Sonne der Nacht.
»Hast Du noch nicht davon gehört, daß der Teufel seine trügerische Sonne mitten in der Nacht an dem Himmel erscheinen läßt?« fragte der Suef.
»Nein.«
»Aber gehört hast Du wohl mein Wort: Allah schütze uns! Wenn die Schems el Leïla erscheint, so öffnet der Teufel die Pforten der Unterwelt, und in wenigen Stunden brauset der giftige Smum durch die Wüste. Laßt uns eilen!«
»Der Smum! O Allah! Wollen lieber bleiben!«
»Hier? Bei den Feinden? Mit unseren Gefangenen? Bist Du toll?«
»Aber wir werden sterben!«
»Nicht ein jeder Smum ist gefährlich. Vielleicht ist der Teufel heut bei guter Laune und läßt nur einen kleinen Theil des Windes aus der Hölle blasen. Jetzt haben mir das Lager hinter uns. Haltet Euch fest! Ich lasse die Thiere jetzt so schnell laufen, wie sie nur können. Der Smum wird unsere Spur verwehen. Wir können ihn also willkommen heißen.«
Smum ist dasjenige arabische Wort, welches bei uns wie Samum ausgesprochen wird. Da ein Jeder von diesem gefährlichen Wüstenwind gehört hat, so ist es nicht nöthig, weitläufige Bemerkungen über ihn zu machen.
Die fünf Thiere fielen nun in jenen ausgiebigen Kameelstrott, in welchem sie im Stande sind, ohne Ruhe Strecken zurückzulegen, welche nach vielen, vielen Meilen gemessen werden müssen. Nur die allerbesten Pferde vermögen es, mit einem solchen Eilkameele Schritt zu halten, aber auf die Dauer auch nicht.
Es hatte allen Anschein, daß der Mädchenraub gelungen sei.
Saïd, der treue Arabadschi, hatte allerdings bei seiner Herrin wachen wollen. Er hatte es sich vorgenommen, in dem vorderen Raume, in welchem das Licht stand, die Nacht zuzubringen. Er war kein Langschläfer. Die Beni Abbas waren sehr früh zur Ruhe gegangen; er konnte noch nicht schlafen. Daß seine Herrin hier im Innern der Ruine überfallen werden könne, hielt er nicht für möglich. So Etwas war heut nur möglich gewesen, weil beim Nahen des Riesen sich keine einzige Person im Lager befunden hatte. Heut Abend aber waren doch die Beni Abbas hier. Sie lagen in den Zelten rund um die Ruine. Die Letztere bot jedenfalls vollständige Sicherheit. Wenn irgend eine Gefahr drohte, so kam sie ganz gewiß von außen her. Darum verließ der Arabadschi die Ruine in der Absicht, zunächst um das Lager zu wandeln, um zu sehen, ob vielleicht etwas Verdächtiges zu bemerken sei.
Er that dies grad in der Zeit, in welcher der Suef mit dem Grafen und dem Pascha heranschlich. Leider aber befand er sich auf der nördlichen Seite, während sie von Süden kamen.
Wahrend es ihnen gelang, ganz unbemerkt die Ruine zu erreichen, patrouillirte er wohl zweimal um das Lager und begab sich bann nach der Stelle, wo die Beute aufgestapelt lag. Dort saßen einige Wächter, welche sich dadurch munter zu erhalten suchten, daß sie sich gegenseitig ihre heutigen Heldentaten erzählten.
Er wollte sich nur für einige kurze Minuten zu ihnen gesellen; aber ihre Erzählungen interessirten ihn; er mußte auch das Wort ergreifen, um von sich, von seiner Vergangenheit, von Stambul, der Stadt des Großherrn zu berichten, und so kam es, daß er länger blieb, als er sich vorgenommen hatte.
Eben erzählte er von Steinbach, dem berühmten Masr-Effendi, da zuckte der erste Strahl der Sonne der Nacht empor. Die Wächter sprangen erschrocken auf, und Einer von ihnen rief, sich gegen Osten wendend:
»Das Licht der Hölle! Allah behüte uns vor allen bösen Geistern und vor dem neunmal gekreuzigten Teufel! Allah ist Gott, und Muhammed ist sein Prophet!«
»Das soll das Licht der Hölle sein?« fragte Saïd. »Ich habe es noch niemals gesehen.«
»Danke Allah, daß es noch nicht in Deine Augen gekommen ist. Bist Du einmal in der Hölle gewesen, Saïd?«
»Nein. Wie könnte ich dortgewesen sein!«
»Mit Deinem Leibe nicht aber mit Deinem Geiste. Allah erlaubt zuweilen dem Menschen, zum Heile seiner Seele im Geiste oder im Schlafe, hinabzusteigen in die Dschehennah, wo die ewigen Feuer brennen. Hast Du auch nicht gehört, wie tief die Hölle ist?«
»Nein.«
»Sie hat hunderttausend Stufen und eine jede Stufe beträgt tausend Tagereisen. Das ist tief, sehr tief, so tief, daß das ewige Feuer, welches dort brennt, zuweilen nicht ganz von dem Grunde der Hölle bis herauf zur letzten Stufe reicht. Da sendet der Satan alle seine Teufel hinab auf den Grund, daß sie das Feuer anblasen sollen. Wenn sie nun da nur ein ganz klein Wenig zu viel und zu hastig blasen, so schlägt das Feuer oben zur Hölle heraus und die Flamme zuckt bis zum Himmel empor. Das heißt dann Schems el Leïla, die Sonne der Nacht.«
»Das war es vorhin?«
»Ja. Schau, jetzt zuckt es schon wieder! Die Teufel haben heut sehr guten Athem. Dieser Athem kommt dann an die Oberfläche der Erde und braust glühend über dieselbe hin, den Sand bis zum Himmel wirbelnd und Quellen und Brunnen austrocknend oder verschüttend. Das ist der böse Smum, der giftige Wind der Wüste. Wenn er länger weht, tödtet er Alles, was er ergreift, Mensch und Thier, Baum und Halm. Dann bleichen die Skelette in der Wüste. Siehe, es zuckt bereits zum dritten Male auf, und – – Allah 'l Allah, dort reitet der neunmal gekreuzigte Teufel in der Wüste!«
Im Scheine der aufzuckenden Flamme war die Carawane des Suef zu sehen. Sie zeichnete sich einen Augenblick gegen den bläulich roth erleuchteten Horizont ab. Die Beni Abbas verneigten sich gegen Osten, wo die heilige Stadt Mekka mit der Kaaba liegt und murmelten das Glaubensbekenntniß.
»Allah il Allah, Muhammed Rassuhl Allah. Gott ist Gott, und Muhammed ist sein Prophet!«
Der Arabadschi that ganz dasselbe. Aber er stammte aus Constantinopel; er hatte, trotzdem er jung war, viel gesehen und viel gehört. Er war bei Weitem nicht so abergläubisch wie diese geistig befangenen Söhne der Wüste. Er fragte:
»Sollte das wirklich der Teufel sein?«
»Ganz gewiß! Hast Du ihn nicht gesehen?«
»Nein.«
»So bist Du blind. Er hatte den Leib einer Schlange und besaß viele Beine, wohl an die fünfzehn oder zwanzig.
»Das waren Kameele!«
»Kameele? Dein Unglaube ist groß. Allah möge Dir verzeihen. Wie können Kameele dort hin? Sie werden nicht nach Norden gehen, sondern hier bei uns anhalten, um Wasser zu trinken und Datteln zu essen. Dieser neunmal gekreuzigte Teufel aber ging grad von uns fort. Er ist über uns hinweg durch die Luft geflogen. Allah hat uns beschützt, weil wir gläubige Söhne des Propheten sind. Ihm sei Dank in alle – – o Allah, Allah, Allah!«
Er stieß diesen Ausruf aus, weil jetzt eine förmliche Feuergarbe vom nördlichen Horizonte aus gegen den Himmel stieg. Ihr Schein verflog nicht blitzschnell: er erhielt sich längere Zeit am Himmel. Und da war denn die Karawane mit der vollsten Deutlichkeit zu sehen.
»Siehst Du ihn, den Teufel?« sagte der Beni Abbas.
»Das sind Kameele und Reiter.«
»Nein, sondern das ist ein Thier mit vielen Beinen. Es giebt sich aber die Gestalt von Kameelen, um uns hinaus und in das Verderben zu locken.
»Sie kommen von hier,« sagte Saïd. »Drei Reiter und ein Tachterwan. Allah! Was hat das zu bedeuten?«
»Daß die Hölle offen ist!«
»Schweig! Diese Reiter kommen mir höchst verdächtig vor. Entweder kamen sie aus dem Süden und sind an uns vorübergeritten. Das ist sehr verdächtig. Oder – – –«
»Oder sie kamen aus der Hölle; so ist es!«
Aber Saïd ließ sich durch den Aberglauben des Anderen nicht irre machen und fuhr fort:
»Oder sie kamen von hier!«
»Von hier? Hat die Sonne Dir den Verstand verbrannt? Wohnt der Teufel hier bei uns? Ist hier die Pforte der Hölle?«
»Es sind ja Menschen!«
»Wenn es Menschen wären, welche von hier kämen, so müßten es Beni Abbas von meinem Stamme sein! Aber wir werden uns hüten, das Lager zu verlassen. Zähle die Männer! Es wird Keiner fehlen!«
»Es sind Frauen dabei! Ein Tachterwan! Allah, ich muß nach meiner Herrin sehen!«
»Meinst Du etwa, daß sie in diesem Tachterwan sitze? Wenn eine Frau drin sitzt, so ist es die Urtante von des Teufels Vettermuhme. Bleib hier bei uns! Deine Herrin schläft und träumt vom Paradiese. Störe sie also nicht!«
»Ich muß wissen, ob sie da ist!«
Er eilte fort, nach der Ruine zu. Es war eigentlich ein abenteuerlicher Gedanke, daß seine Herrin jetzt da draußen in der Wüste reiten könne. Sie hatte ihm eine gute Nacht gewünscht und sich dann in das Schlafzimmer zurückgezogen. Er hatte das gesehen; er wußte, daß sie dort lag; aber er fühlte eine Beklemmung, welche ihm den Athem zu rauben drohte. Er folgte der Stimme seiner Ahnung, welche ihm sagte, daß etwas Schlimmes passirt sein könne.
Bei der Ruine angekommen, sprang er die Stufen hinauf, eilte in den Gang und trat in die Stube, in welcher er hatte schlafen wollen. Er hatte dort das brennende Licht stehen lassen. Es war nicht mehr da, sondern es stand in der nächsten Ruine, wo die drei Frauen zur Ruhe gegangen waren.
Daraus mußte er schließen, daß eine von ihnen aufgestanden war und das Licht geholt hatte. Wozu? Er trat hart an die Thüröffnung und horchte.
Er hörte ein Geräusch, wie wenn Jemand ängstlich durch die Nase Athem holt. Es klang, als sei die betreffende Person dem Ersticken nahe.
»Herrin!« sagte er.
Er durfte es natürlich nicht wagen, einzutreten.
Es erfolgte keine Antwort.
»Herrin! Sultana!« sagte er lauter.
Als einzige Antwort hörte er das Schnaufen, aber lauter, viel lauter als vorher. Jetzt bekam er wirklich Angst.
»Herrin!« rief er jetzt nun ganz laut. »Sultana! Zykyma!«
Keine Antwort als nur das ängstliche Athemholen. Wenn Zykyma sich d'rin befunden hätte, so hätte sie ihn hören müssen. Sie war also nicht da. Er trat ein; er wagte es.
Dort in der Ecke lag die alte Haluja, an Armen und Beinen gefesselt und einen Knebel im Munde. Er wußte sofort, daß er seine Herrin in der Wüste zu suchen habe.
»O Allah, o Muhammed!« rief er entsetzt aus.
Er eilte in die Ecke, knieete nieder, zog sein Messer hervor und zerschnitt die Stricke.
»Was ist geschehen? Schnell, schnell, sage es!« rief er sie an.
Er dachte vor Eile gar nicht daran, ihr den Knebel aus dem Munde nehmen. Sie riß ihn sich selbst heraus und ächzte:
»O Allah, Allah!«
»Was denn, was?«
»Mein Athem!«
»Was geht mich Dein Athem an! Schnell, schnell!«
»Meine Hände! Meine Beine!«
»Der Teufel hole Deine Hände und Deine Beine dazu! Ich will wissen, was geschehen ist!«
Sie richtete sich vom Boden auf, holte tief Athem, betrachtete ihre Handgelenke und antwortete:
»Gefesselt haben sie mich!«
»Das sehe ich ja!«
»Sogar geknebelt!«
»Aber jetzt hast Du doch den Knebel nicht mehr im Munde. Jetzt kannst Du reden. So rede doch auch!«
»Welch ein Schreck!«
»So antworte doch! Wo ist Zykyma?«
»Fort!«
»Das sehe ich! Aber wohin?«
»Ich weiß es nicht. O Hiluja, meine Hiluja!«
»Was ist mit ihr?«
»Auch fort!«
»Und Badija?«
»Auch, auch!«
»Hölle und Teufel! Dich haben sie hier gelassen! Konnten sie es nicht umgekehrt machen: Dich fortschaffen und die Anderen hier lassen!«
»Oho! Beleidige mich nicht!«
»Wer war es denn?«
»Der Beni Suef mit dem Russen und dem Pascha.«
»Ibrahim Pascha?«
»Ja. Sie haben sie gefesselt und fortgeschleppt.«
»Sie sind es; sie sind es! Und dieser Beni Abbas hielt sie für den Teufel! Hätte er doch Dich geholt. Warum hast Du Dich nicht gewehrt? Warum hast Du sie nicht beschützt? Nicht um Hilfe gerufen?«
»Konnte ich, wenn sie mir den Mund verstopfen? Ich soll sie beschützen? Wer war der Beschützer? Etwa Du nicht? Wo warst Du?«
»Du hast Recht! Ich bin schuld, ich, ich allein! Aber ich werde sie wieder holen. Sogleich! Sofort!
Er ließ die Alte stehen, rannte hinaus und rief mit weit schallender Stimme von der Ruine hinab:
»Auf, auf, Ihr Männer, Ihr Krieger! Man hat Euch die Königin geraubt, die Königin und ihre Schwester und auch Zykyma, meine Herrin! Auf, auf!«
Er sprang die Stufen hinab und nach dem Brunnen zu. Dort stand die Fuchsstute des Scheiks der besiegten Beni Suef. Er wußte es. Er hatte gehört, daß sie wie der Wind laufe. Er wollte sie benutzen, die Entführer einzuholen.
Die Wächter, welche bei der Beute gestanden hatten, kamen herbei. Aus den Zelten eilten die Beni Abbas herzu.
»Was giebt es? Was ist's?« rief es von allen Seiten.
»Die Königin ist geraubt worden!« antwortete er. »Dazu Hiluja und Zykyma.«
»Von wem? Von wem?«
»Fragt die Alte, fragt Haluja! Ich habe keine Zeit. Ich muß die Räuber verfolgen. Ich reite voran. Kommt mir schleunigst nach!«
Er hatte während dieser wenigen Augenblicke in fieberhafter Eile dem Pferde den Sattel aufgelegt und festgeschnallt. Jetzt warf er ihm die Zügel über.
»Wohin? Wohin willst Du?« fragte einer der Beni Abbas.
»Ich sage es ja: den Räubern nach.«
»Wer sind sie?«
»Fragt die Alte! Mich aber laßt fort!«
Er stieg auf und sprengte davon, hinaus in die nächtliche Wüste.
Es hatte sich seiner eine Wuth, ein Grimm bemächtigt, daß er jetzt, in diesem Augenblicke selbst mit dem Teufel angebunden hätte. Und dieser Grimm richtete sich nicht nur gegen die Räuber der Mädchen, sondern gegen sich selbst auch. Er hatte die Herrin beschützen sollen, war aber von ihr fortgelaufen. Er mußte sie wieder haben!
Sporen trug er nicht, da er nicht auf diesen nächtlichen Ritt vorbereitet gewesen war. Er schlug der Stute die Fersen in die Weichen, und sie flog mit Windesschnelle in nördlicher Richtung davon.
»Die »Sonne der Nacht« flammte zuweilen auf. In solchen Augenblicken überwogen Saïd's Augen den Horizont. Er konnte die Carawane nicht mehr erblicken. Er trieb das Pferd zu immer größere Eile an. Es vergingen bange Minuten. Endlich sah er bei einem aufflammenden Strahle die fünf Thiere, aber in weiter Ferne.
»Allah sei Dank!« rief er. »Ich sehe sie! Nun werde ich sie erreichen!«
Die Stute stob davon, als ob sie die Entfernungen förmlich hinter sich werfen wolle. Saïd hatte beim Anblicke der Carawane freudig aufgejauchzt. Der gute Kerl dachte gar nicht daran, daß er nichts bei sich hatte, als nur sein Messer.
Man kann sich denken, welch einen Aufruhr sein Ruf in dem Lager hervorgebracht hatte. Alles, Jung und Alt, Männlich und Weiblich, rannte wirr unter einander. Hundert Stimmen fragten, was geschehen sei, und es dauerte eine Zeit lang, ehe es Allen klar wurde, was geschehen war. Die drei Mädchen waren entführt worden, und Saïd war fort, um die Räuber zu suchen. So viel wußte man. Alles drängte sich nun nach der Ruine, Allen voran natürlich der alte Scheik, der Vater Hiluja's und der Königin. Droben stand Haluja, die Alte, an einen Quader gelehnt. An sie wurden alle Fragen gerichtet. Sie konnte aber gar nicht zur Antwort kommen.
»Schweigt!« rief der Scheik. »Laßt mich fragen! Ich bin der Vater!«
Jetzt verhielt die Menge sich ruhig, und die alte Dienerin konnte erzählen. Sie that es, vor Aufregung zitternd. Der Scheik hörte ihr zu, auch zitternd, aber vor Wuth.
»Also fort sind sie, fort! Aber wohin!« rief er, als sie geendet hatte.
Niemand konnte antworten.
»Wohin ist Saïd?«
Auch das wußte Keiner. Nur als auch die Wächter diese Frage hörten, antwortete einer von ihnen:
»Er ist fort, hinter dem neunmal gesteinigten und gekreuzigten Teufel her!«
»Was sprichst Du vom Teufel?«
»Ich habe ihn gesehen, o Scheik.«
»Wo?«
»Draußen in der Wüste, gegen Norden hin. Er hatte den Leib einer Schlange oder eines Krokodiles mit zwanzig Beinen, fünfzig Augen und zehn Flügel.«
An die Beine hatte er bereits vorhin geglaubt. Die Augen und die Flügel aber machte er jetzt selbst hinzu. Der Scheik war ebenso von Aberglauben befangen, wie seine Leute. Er antwortete:
»Die Sonne der Nacht blitzt auf und die Hölle ist offen. O Allah, Allah! Und da sind meine Kinder hinaus in die Wüste, mit ihren Entführern! Wer wird sie retten, wer!«
Da kam der alte Kalaf herbei. Er sagte:
»Wie können Deine Töchter geraubt sein? Sind sie denn des Nachts außerhalb des Lagers spazieren gegangen?«
»Nein,« antwortete die Dienerin.
»Sie haben sich in der Ruine befunden?«
»Ja, von Beginn des Abends an.«
»Das begreife ich nicht. Ilaf hat doch gewacht!«
»Wo?« fragte der Scheik.
»Hier unten an der Treppe.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Du selbst hast es ihm geboten.«
»Nein.«
»Er sagte es.«
»Hast Du mit ihm gesprochen?«
»Zu zweien Malen.«
»Wo ist er? Bringt ihn her!«
Ilaf, der Stotterer, wurde gebracht. Er leugnete, Wache gestanden zu haben.
»Ich habe Dich ja gesehen!« sagte der Alte.
»Du täu–täu–täuschest Dich!«
»Nein. Ich habe doch auch mit Dir gesprochen?«
»Ich weiß ni–ni–nichts davon. Ich habe fest geschla–la–la–lafefen.
»Lüge nicht! Was ich sehe und höre, daß weiß ich genau. Ich kann es beschwören, daß Du an dem Steine standest und meine Fragen beantwortetest.«
»Du ha–ha–hast geträumt!«
»Träume ich, wenn ich zweimal mein Zelt verlasse, zu Dir trete und mit Dir spreche?«
»Habe ich de–de–denn gesto–to–tottert«
»Ja, natürlich!«
»O Allah 'l Allallallallallallah! Es ist der Teu–teu–teu–teufel gewesen. Heut i–i–i–ist die Hollöllöllöllölle offen. Allallallallallah il Allallallallallah Muhammed Ra–ra–ra–ra–rassuhl Allallallallallah!«
Alle waren still. Ilaf hatte zwar den kleinen Fehler, daß er stotterte; aber er war bekannt als ein braver, wahrheitsliebender Mann. Man mußte ihm glauben. Der alte Kalaf hatte entweder geträumt, oder er war wirklich vom Teufel betrogen worden. Zu dieser letzteren Ansicht neigten sich im Stillen Alle.
Es wurden Fackeln angezündet. Man suchte im ganzen Lager. Da fand es sich, daß fünf Kameele fehlten. Der Teufel hatte sie mitgenommen. Er hatte auch die drei Mädchen entführt. Denn daß der Suef, der Pascha und der Graf es wirklich gewesen waren, das glaubte man nicht. Der Teufel hatte die Gestalt dieser Drei angenommen, um die Mädchen zu entführen.
Der Scheik wußte weder aus noch ein. Er betete und fluchte in einem Athem. Die Anderen alle recitirten fromme Stellen aus dem Koran. Die sämmtlichen Bewohner des Lagers befanden sich in einem Zustande, so daß alle Veranlassung war, an ihrer Zurechnungsfähigkeit zu zweifeln. Ein Einziger gab sich die Mühe, kalt und klar über dieses außerordentliche Ereigniß nachzudenken; aber er brachte es auch zu keiner Erklärung. Der Schlußgedanke seiner geistigen Anstrengung lautete:
»Allah ist groß. Alles, was geschieht, das ist im Buche des Lebens verzeichnet. Warum aber ist Masr-Effendi nicht hier! Er würde uns sagen, was wir zu thun haben.«
Masr-Esfendi! Dieser Name wirkte zündend. Alle sprachen ihn nach. Und nun erst kam dem Scheik die beste Idee:
»Er muß herbeikommen, schnell, schnell! Man muß ihm einen Boten senden, und zwar augenblicklich. Ist noch ein Eilkameel da?«
Glücklicher Weise waren außer den fünf Thieren der Königin, welche der Suef gestohlen hatte, noch einige vorhanden. Wenige Minuten, nachdem Steinbach's Name genannt worden war, saß bereits der Eilbote im Sattel, welcher direct nach dem Zeltdorfe der Beni Suef reiten sollte, um Steinbach herbei zu holen.
Der alte Scheik wurde von seinem Grimme eigentlich zum Handeln getrieben; aber er wußte leider nicht, was er thun solle. So blieb ihm nichts Anderes übrig, als seine Wuth zu verschlucken und sich bis zur Ankunft Steinbach's seinem Schmerze rückhaltslos hinzugeben.
Die alte arabische Dienerin leistete ihm dabei treulich Gesellschaft. Sie saß während des ganzen Vormittages auf der Ruine und starrte in das Leere. Die »Sonne der Nacht« hatte während der Nacht ihr Licht nur noch einige Male gezeigt. Es war nicht zu einem wirklichen Smum gekommen. Jedenfalls hatte der Wüstenwind seine Kraft in dem westlichen Theile der Sahara erschöpft, so daß er hier sich nicht einmal als ein gelinder Lufthauch zeigen konnte. Die Atmosphäre war bewegungslos. Der Himmel war ganz nach dem biblischen Worte wie Blei und die Erde wie glühendes Erz. Die Luft lag wie concentrirte Hitze auf dem Sandmeere; der Mensch hatte das Gefühl, als ob ihm das Blut siede und jeder Knochen ausgedorrt werde.
Das war nicht geeignet, den Schmerz zu beruhigen, welcher an der Seele des Scheiks nagte.
»Hast Du denn die Drei wirklich genau gesehen und erkannt?« fragt; er Haluja.
»Ganz genau gesehen und erkannt.«
»Glaubst Du vielleicht, daß sie es wirklich waren?«
»Nein, sonst hätten sie mich nicht so leicht fesseln und knebeln können. Es war der Teufel mit seinem Sohne und seinem Enkel. Ja, er ist es gewesen. Er hat sogar Saïd, den Arabadschi, mit sammt der Fuchsstute durch die Lüfte davon geführt.«
»Wer hat das gesehen?«
»Ich. Ich stand hier oben auf der Ruine, nachdem er von mir weggegangen war. Ich hörte seine Stimme unten vom Baume heraufschallen, dann ritt er fort. Nach einer Weile sah ich den Strahl der Schems el Leïla am Himmel aufsteigen; er beleuchtete die ganze Erde, und da bemerkte ich Saïd, wie ihn sein Pferd durch die Luft davon trug. Er ist verloren!«
Die gute Alte wußte nichts von optischer Täuschung. Sie hatte während eines schnell aufflammenden Strahles den Arabadschi auf dem Pferde bemerkt. Der helle Schein nach dunkler Nacht und die sofort wieder folgende Finsternis hatte ihr den jungen Mann wie in der Luft schwebend erscheinen lassen. Sie war überzeugt, daß er vom Teufel geholt worden sei. –
Steinbach war, wie bereits erzählt, mit seinen Schaaren nach dem Kampfe aufgebrochen, um direct nach dem Duar der Beni Suef zu reiten. Es sollte ein Parforceritt werden, und er wurde es auch.
Zwölf Stunden ungefähr war es bis zum Ferß el Hadschar. Und dieser lag grad auf dem Halbscheid des Weges, welcher also wohl an die vierundzwanzig Stunden betrug. Aber Steinbach hatte die Thiere so antreiben lassen, daß er mit seinen Leuten noch während der Nacht am Ziele ankam.
Das Zeltdorf der Feinde lag in nächtlicher Ruhe vor ihnen. Alles schlief. Selbst die Wächter der Heerden hatten sich dem Schlummer in die Arme geworfen.
Es wurde ein kurzer Kriegsrath gehalten. Ueber siebenhundert Krieger waren versammelt. Es ließ sich annehmen, daß der Feind nur wenige seiner waffenfähigen Männer zurückgelassen hatte. Die Ueberrumpelung des Dorfes war also wohl eine leichte Sache. Steinbach gab den Rath, vier Haufen zu bilden, welche sich so einrichten sollten, daß beim Anbruch des Tages je einer im Nord, Ost, Süd und West des Dorfes halten solle. Dasselbe war dann so umzingelt, daß kein Mensch entkommen konnte. Dieser Rath wurde angenommen. Man trennte sich also.
Das Zeltdorf lag in einer fruchtbaren, von Palmen bestandenen Oase. Die Palmen standen da so dicht, daß sie einen Wald bildeten, über welchen hinweg man nicht zu sehen vermochte.
Das war der Grund, daß die Bewohner am Anbruche des Tages keine Ahnung hatten, daß der Feind in ihrer Nähe sei. Sie gingen ihren Frühgeschäften nach, welche in der Zubereitung des Mahles bestanden. Eingenommen durfte dasselbe aber nicht etwa gleich werden, denn das Morgengebet muß nüchtern gebetet werden.
Da tauchte der obere Sonnenrand über den östlichen Horizont empor, und funkelnde Strahlen flogen über die Erde dahin, als ob sie aus lauter Diamanten zusammengesetzt seien. Zugleich ertönte die helle Stimme des Mueddin, welcher zum Gebet rief. Alle beteten – die Bewohner der Oase und auch die Beni Sallah, welche um die Letzteren standen, zum Angriffe bereit.
Kaum war das Amen gesprochen, so rückten die Krieger gegen das Dorf vor. Ein alter Hirt war der Erste, der die Anrückenden bemerkte. Er eilte in das Dorf zurück, um die schreckliche Nachricht zu verkündigen. Ein lautes Jammergeschrei erscholl.
Es waren kaum zwanzig kampffähige Männer anwesend. Was konnten diese gegen einen so übermächtigen Feind thun! Man verzichtete auf jeden Widerstand und verkroch sich in die Zelte.
Steinbach hatte die Bedingung gestellt, daß jedes Blutvergießen möglichst zu vermeiden sei. Als jetzt die vier Abtheilungen dem Dorf so nahe waren, daß sie Fühlung mit einander bekamen, ritt er zu Hilal hinüber. Er fand ihn an der Spitze seiner Leute.
»Du kommst zu mir!« sagte der junge, feurige Mann. »Warum giebst Du nicht das verabredete Zeichen zum Eindringen in das Dorf?«
»Weil das uns schaden würde. Wir würden eine Verwirrung hervorbringen, die uns selbst nur Schaden bringen kann. Ich werde ganz allein in das Dorf reiten. Willst Du mit?«
»Du bist sehr kühn, Effendi!«
»Du bist auch tapfer.«
Das wirkte.
»Ich reite mit!«
»So komm! Unsere Krieger werden warten, bis wir zurückkehren oder sie unsere Befehle erhalten.
Normann erhielt einstweilen das Commando und die Beiden ritten dem Dorfe entgegen.
Als sie in dem letzteren anlangten, war zwischen den Zeltreihen kein Mensch zu sehen. Inmitten des Ortes gab es einen größeren Platz. Dort stand das größte der Zelte. Zwei in die Erde gesteckte Speere vor dem Eingange zeigten den Rang seines Besitzers an.
Steinbach hielt dort an und schlug die beiden Hände zusammen. Erst nach einiger Zeit steckte ein altes Weib den Kopf durch die Thür.
»Sallam!« grüßte Steinbach.
»Sallam!« antwortete sie.
»Wer wohnt in diesem Zelte?«
»Der Vater des Scheikes.«
»Ist er daheim?«
»Ja.«
»Er mag herauskommen, ich habe mit Ihm zu sprechen.«
»Willst Du. nicht eintreten?«
»Nein.«
Wäre er eingetreten, so wäre er von diesem Augenblicke an Gast des Besitzers gewesen und hätte nicht als dessen Gegner handeln können.
»So warte! Ich werde ihn senden.«
Steinbach sah recht wohl, daß viele, viele Augen verstohlen aus den Zelten auf ihn gerichtet waren, er that aber so, als ob er es nicht bemerke.
»Jetzt wirst Du den ärgsten Feind der Beni Sallah kennen lernen,« sagte Hilal. »Der alte Scheik Hulem hat viele, sehr viele von uns getödtet. Seine Zunge ist falsch und seinem Eide ist nicht zu trauen. Wenn Du in seine Augen blickst, so wirst Du sofort erkennen, was für ein Mann er ist.
Jetzt öffnete sich das Zelt und der alte Hulam trat heraus. Er ging gebückt vor Alter. Sein Bart war lang und weiß, sein Haar ebenso. Er trug den weißen Haïk (Mantel) und einen eben solchen Turban auf dem Kopfe. Es fehlten ihm die Brauen und Wimpern; die Ränder seiner Augenlieder waren dick geschwollen und roth. Die Augen trieften und irrten mit flackerndem Lichte und unsicherem Blicke zwischen Steinbach und Hilal hin und her.
»Sallam aaleïkum!« grüßte er.
Hatten die beiden Begrüßten diesen ganzen Gruß vollständig wiederholt, so hätte er damit einen diplomatischen Sieg errungen gehabt. Vollständig wird der Gruß nur zwischen Freunden gewechselt. Auf einen Andersgläubigen grüßt der Muhammedaner nur mit dem einfachen Sallam (Friede!) nicht aber mit dem Aaleïkum (sei mit Dir!). Es ist darum als eine außerordentliche Ehre und große Auszeichnung zu betrachten, wenn ein Anhänger Muhammeds zu einem Christen Sallam aaleïkum sagt.
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