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Ueber die spärlich mit Gras bewachsene Steppe, welche zwischen Tastur und Tunkra im Süden der Hauptstadt Tunis sich ausbreitet, ritten drei Reiter. Die Reihenfolge, welche sie einhielten, ließ vermuthen, daß der Eine der Herr von ihnen sei, denn er ritt voran, während die beiden Anderen ihm folgten.
Er war eine hochgewachsene, breitschulterige Gestalt, welcher die weiße, leichte Wüstenkleidung außerordentlich gut zu dem hellen, dunkeläugigen Gesichte stand. Aber grad diese helle Färbung des Gesichtes ließ vermuthen, daß er nicht wohl eigentlich ein Bewohner der Wüste sei, sich nicht einmal seit langer Zeit in diesen südlichen, sonnendurchglühten Breiten befinde.
Dennoch saß er besser, leichter, sicherer und eleganter zu Pferde, als seine beiden Begleiter und war auch bei Weitem besser bewaffnet und beritten als sie. Er ritt nämlich eine Stute von jener eigenthümlichen grauen Färbung, welche man nur unter den Nachkommen desjenigen Pferdes, dessen sich der Prophet Muhammed am Liebsten bediente, findet.
Man erzählt sich nämlich, daß der Prophet, als er noch sehr wenige Anhänger hatte, in ein arabisches Zeltdorf kam, um sich ein Pferd zu kaufen. Er wurde nach dem Weideplatz geführt, und als er dort ankam, scheuten alle Pferde, als ob sie von seiner Herrlichkeit geblendet seien, und nur das einzige graue unter ihnen kam herbei und beugte seine vorderen Kniee vor dem Gesandten Allah's, um ihn anzubeten. Er stieg sofort auf und sagte:
»Gesegnet sei dieses Roß! Es soll den ersten Diener Gottes tragen, und verflucht sei Der, welcher an seinen Nachkommen einen Fehler findet!«
Seit jenen längst vergangenen Tagen tragen alle Abkömmlinge dieses Pferdes die graue Farbe; sie werden heilig gehalten, nur selten und dann zu außerordentlich hohen Preisen verkauft, und auf ihre Zucht verwendet man solche Sorgfalt und Mühe, daß ihr Stammbaum niemals ein Makel zeigt.
Der Reiter, welcher sich durch den Besitz dieser theuren Stute auszeichnete, trug an dem Riemen über der Schulter ein kostbares Doppelgewehr mit Kammer, und im Gürtel neben den beiden mit Silber ausgelegten Pistolen noch zwei Revolver von sehr guter Arbeit und ein Dolchmesser, dessen Griff aus den zwei polirten Schnabelhälften des Vogel Strauß zusammengesetzt war – eine Bewaffnung, welche nichts zu wünschen übrig ließ.
Die anderen Beiden ritten gewöhnliche aber auch sehr gute Berberrosse. Der Eine von ihnen, ein langer, hagerer, dunkelbärtiger und gluthäugiger Mann, war ganz sicher ein Beduine, ein Bewohner der Wüste. Die Haut war von der Sonne und den erstickenden Wüstenwinden so hart und dunkel gegerbt wie Sohlenleder, und sein Gesicht hatte jenen still fanatischen Ausdruck, den man nur bei den in der Wüste wohnenden Anhängern des Islam beobachtet. Bewaffnet war er nur mit einem Messer und einer langen, dünnen Araberflinte. Er saß in jener Haltung im Sattel, aus welcher man sicher schließen kann, daß der Reiter mehr auf dem Kameele als auf dem Pferde zu Hause ist.
Sein Nachbar war ganz gewiß auch ein Moslem, aber wohl ein Städtebewohner, ein Maure. Diese Mauren werden von den eigentlichen Beduinen verachtet, da sie mit Christen und Juden umgehen und überhaupt kein so strenges, abgeschlossenes Leben führen wie die eigentlichen Bewohner der Sahara.
Er war noch ziemlich jung, dabei fleischig gebaut und saß so in dem arabischen Sattel, als ob es ihm viel lieber gewesen sei, sich auf einem weichen Divan niederzustrecken und eine Pfeife Tabak dazu zu rauchen. Gekleidet war er wie ein gewöhnlicher, nicht wohlhabender Städtebewohner, und die vielen kleineren und größeren Gegenstände, welche er am Sattel und an sich selbst hängen hatte, ließen vermuthen, daß er wohl der Diener des voranreitenden Herrn sei.
Und so war es auch. Er war der Diener, und der Andere war der Führer, welchen der in diesen Gegenden unbekannte Herr gemiethet hatte.
Einer, der in den letzten Wochen oder Monaten in Constantinopel gewesen wäre, hätte in dem Gebieter dieser Beiden sofort den Deutschen erkannt, welcher sich dort unter dem Namen Oskar Steinbach aufgehalten hatte.
Im Westen hatten sich Wolken auf der zwischen den beiden Flüssen Thissa und Khalad liegenden Bergen niedergelassen. Die Luft war sehr schwül; der Himmel hatte sich über jenen Höhen schwarz gefärbt, fast als ob ein Gewitter zu erwarten sei, in jenen Gegenden eine große Seltenheit.
Und wirklich, jetzt zuckte es hell aus den dunkeln Wolken hernieder, und dann rollte ein lang gedehnter, grollender Donner über die Steppe hinweg.
»O Allah!« rief der Diener, mit der Hand wie segnend nach der Stirn und nach dem Herzen greifend. »Wenn uns der Blitz erschlägt, so sind wir todt!«
Der Führer warf ihm einen stolzen, mitleidigen Blick zu und antwortete:
»Du bist feig wie der Schakal unter dem Staube der Ruinen! Dein Herz hat kein Blut.«
»Oho! Ich habe Muth! Wer aber kann sich gegen den Donner wehren? Du etwa?«
»Ja. Kennst Du nicht die Gesetze des Propheten?«
»Ich kenne sie.«
»So mußt Du wissen, daß Allah mit der Stimme des Donners an die Thür unseres Herzens klopft, um anzufragen, ob wir rechten Glaubens sind. Der Gläubige kniet bei dem dritten Donnerschlage auf die Erde nieder und betet die einhundertste Sure des Korans, welche ja die »Klopfende« genannt wird. Dann hat Allah seinen Glauben erkannt, und es wird ihn nicht der Strahl des Blitzes treffen.«
»Der Blitz fährt dennoch hin, wo er will! Wenn er mich hier trifft und todt vom Pferde wirft, so hat mir all mein Glaube nichts geholfen. O Allah – Allah!«
Er fuhr erschrocken zusammen, denn ein zweiter Donnerschlag war noch stärker erfolgt als der erste.
»Du bist ein Ungläubiger!« zürnte der Führer. »Die Hyänen werden einst Deinen Leib aus dem Grabe scharren, und Deine Seele wird verdammt sein, in der Hölle Feuer zu fressen und Flammen zu trinken in alle Ewigkeit!«
»Darum werde ich mich hier auf Erden dazuhalten süße Datteln zu essen und Kaffee zu trinken, so lange ich lebe – Schau – da! Welch ein Schlag!«
Es donnerte zum dritten Male. Der Diener beugte den Kopf fast bis auf die vordere Sattellehne herab, als ob er den tödtlichen Blitz über sich hinweggehen lassen wolle. Der Führer aber, fest an den Satzungen und Geboten seines Glaubens haltend, hielt sein Pferd an, stieg ab, kniete so nieder, daß sein Gesicht nach Osten gegen Mekka blickte, und betete laut und ernst:
»Es ist ein einiger Gott, und Muhammed ist sein Prophet! Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Der Klopfende! Was ist der Klopfende? An jenem letzten Tage werden die Menschen sein wie umhergestreute Motten, und die Berge wie verschiedenfarbige, gekämmte Wolle. Der nun, dessen Wagschale mit guten Werken schwer beladen sein wird, der wird ein herrliches Leben führen, und Der, dessen Wagschale zu leicht befunden wird, dessen Wohnung wird der Abgrund der Hölle sein. Was lehrt Dich aber begreifen, was der Abgrund der Hölle ist? Er ist das glühendste Feuer!«
Unter dem »Klopfenden« versteht nämlich der Muhammedaner den jüngsten Tag, weil er Herzklopfen verursacht.
Der Beter erhob sich und stieg wieder auf.
Steinbach war halten geblieben, hatte sein Gesicht auch nach Osten gewendet und in stillem Ernste das Gebet des Führers mit angehört. Das gefiel diesem. Er sagte zu dem Diener:
»Siehst Du, daß der Herr die Gebete des Koran's sehr wohl kennt? Ihn wird der Strahl des Blitzes nicht treffen.«
»Aber wohl mich?«
»Ja, denn Du bist ein Schwachgläubiger und thust nicht nach den Befehlen des Propheten!«
Sie hatten ihre Pferde wieder in Bewegung gesetzt. Steinbach wendete sich halb zurück, deutete nach den wolkenumhüllten Höhen und sagte:
»Da oben wird es regnen, hier aber nicht.«
»Wie aber kannst Du das wissen?« fragte der Führer.
»Merkst Du nicht, daß der Wind, welcher sich erhoben hat, nach West geht, also das Wetter von uns forttreiben wird?«
»Ein jedes Gewitter hat seinen eigenen Wind. Da oben geht er anders als hier.«
»Nein, auch so. Die Wolken werden nach Untergang der Sonne getragen. Siehst Du! Wir sind sicher.«
Er wendete sich wieder um. Der Diener nickte befriedigt vor sich hin und sagte leise:
»So wird mich also der Blitz nicht treffen. Aus Freude darüber werde ich einmal trinken.«
Er nahm eine große, in Leder eingenähte Flasche, welche am Sattelknopfe hing, herauf, öffnete sie und that einen langen, langen Zug.
»Hund!« brummte der Führer zornig.
»Wie nennst Du mich? Einen Hund?«
»Ja. Wenn Du Muth hättest, würdest Du mich wegen dieser Beleidigung ermorden!«
»O, ich morde nicht gern! Man begiebt sich dabei in die Gefahr, selbst getödtet zu werden, denn Du würdest Dich doch vertheidigen. Aber wenn ich trinke, bin ich doch noch deswegen kein Hund!«
»Du bist einer, denn was Du trinkest, ist nicht Wasser.«
»Was denn? Hast Du es gesehen?«
»Ich rieche es. Es ist Wein, den Muhammed verboten hat.«
»Es ist nicht Wein, sondern Wasser der Freude, welches man aus den Trauben gepreßt hat.«
»Wasser der Verdammniß!«
»Warum hätte der Herr dieses Wasser mitgenommen, wenn sein Genuß verboten ist?«
»Als Arznei. Weißt Du nicht, daß man den Wein genießen kann, wenn man krank ist? Aber wenig, einen Schluck, und dann muß man dabei die Worte sagen: »O Allah, gieb mir Gesundheit, und entferne den Teufel der Krankheit. Ich will ihn austreiben, denn er hat den Wein nur im Leibe aber nicht ich!« Du aber bist nicht krank und hast diese Flasche bereits fast ausgetrunken. Merkst Du nicht, daß Du im Sattel wankst?«
»Ich? Wanken? Siehst Du nicht, daß ich es nicht bin, sondern daß mein Pferd taumelt! Deine Augen sind mit Blindheit geschlagen, so daß Du das Pferd für den Reiter hältst. Trinke einmal mit! Du bist krank und wirst dann wieder sehend werden!«
»Allah behüte mich!«
»So will ich für Dich trinken, denn die Wohlthat, welche man seinem Nächsten erweist, wird am Tage des Gerichtes zehnfach angerechnet werden.«
Er that abermals einen langen Zug. Er wankte allerdings bereits, wie der Führer ganz richtig gesagt hatte. Er war als Muhammedaner den starken, levantinischen Wein nicht gewohnt und hatte doch, natürlich von seinem Herrn unbemerkt, die große Flasche bereits so weit ausgetrunken, daß sie nur noch wenige Tropfen enthielt. Seine Lider senkten sich müd herab; seine Augen blickten ungewiß unter ihnen hervor, und er rückte fortwährend im Sattel hin und her, als ob er sich nahe am Herunterstürzen befinde.
Die bis jetzt fast leere Steppe zeigte nach und nach einige Büsche. Drüben rechts zogen sich dunkle Streifen am Horizont hin, als ob sich dort ein Wald befinde. Steinbach deutete da hinüber und fragte:
»Ist das dort der Fluß?«
»Ja, Herr. Man nennt ihn Silliama, weil er in dem Thale fließt, welches diesen Namen trägt. Wir aber müssen hier links in die Steppe biegen. Die Medscherda-Araber, zu denen Du willst, haben dort ihre Lagerstätten.«
»Wann werden wir zu ihnen gelangen?«
»Wenn sie das Lager nicht in der letzten Zeit verändert haben, sind wir in zwei Stunden bei ihnen.«
Sie bogen in die angedeutete Richtung ein, und da jetzt Steinbach seinem Pferde die Ferse fühlen ließ und die Beiden dies also auch thun mußten, so setzten sich die Thiere in Galopp, und die Reiter kamen viel rascher vorwärts als vorher.
Die Steppe belebte sich mehr und mehr mit Grün. Die einzelnen Büsche traten zu größeren Gruppen zusammen, ein sicheres Zeichen, daß es hier Wasser gab. Sie erreichten auch ziemlich bald einen Bach, über welchen Steinbachs graue Stute mit großer Leichtigkeit hinweg setzte. Der Führer folgte ihm ebenso leicht. Doch mußten die Beiden anhalten, denn hinter ihnen hatte der Diener einen lauten Ruf des Schreckens ausgestoßen.
»O Allah! Hilfe Hilfe!«
Sein Pferd stand neben demjenigen des Führers; der Sprung war ihm ganz gut gelungen; aber der Reiter war nicht an das andere Ufer gekommen, sondern er saß im Wasser, welches glücklicher Weise nicht tief war.
Wunderbarer Weise regte er sich gar nicht; er blieb ruhig in den Wellen sitzen, obgleich diese ihm bis herauf an das Kinn gingen. Der Führer zuckte verachtungsvoll die Achseln und sagte kein Wort, machte auch keine Miene, ihn aus dem Wasser zu ziehen.
»Was fällt Dir ein!« zürnte Steinbach. »Du hast doch gesagt, daß Du reiten kannst!«
»Ich kann es auch, Herr!« versicherte der Verunglückte.
»Bist aber doch abgefallen!«
»Das Pferd sprang verkehrt!«
»Bist Du beschädigt?«
»Ja.«
»Wo denn?«
»An den Kleidern. Sie sind ganz naß.«
»Das versteht sich ganz von selbst. Ich meine aber, ob Du Etwas gebrochen hast?«
»Ich glaube nicht!«
»So stehe doch auf, und komm heraus!«
»O, Herr, das wage ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Hier sitze ich in Sicherheit; aber wenn nun weiterhin das Wasser tiefer wird, so ersaufe ich, und kein Allah und kein Prophet wird mich wieder lebendig machen.«
»Aber ich werde Leben in Dich bringen, und zwar sogleich. Paß einmal auf!«
Steinbach hatte diesen Menschen in Tunis gemiethet, weil ihm das muntere Wesen desselben gefallen hatte. Bald aber war er zu der Ueberzeugung gekommen, daß er sich eine Art von Taugenichts engagirt habe. Er behandelte ihn auch darnach. Er drängte sein Pferd an das Ufer und zog die Nilpferdpeitsche aus der Sattelschlinge.
»Siehe, hier diese wirst Du kosten, wenn Du nicht sofort aus dem Wasser kommst!«
»O Herr, willst Du einen Anhänger des Propheten schlagen!« jammerte der Bedrohte.
»Ja. Eins – zwei – und drei – –!«
Er holte aus, und im Nu schnellte der Diener empor und an das Ufer.
»So! Dieses Mittel scheint probat zu sein!« lachte Steinbach. »Ich werde es nicht vergessen. Steige auf!«
»Herr, erlaube, daß ich mich vorher ausziehe, um meine Kleider auszuringen, sonst ersaufe ich noch im Sattel!«
»Steig nur auf! Das Wasser wird abtropfen, und Dir scheint das Bad und die Abkühlung nothwendig zu sein.«
Der Diener krabbelte sich nothgedrungen wieder auf und der unterbrochene Ritt wurde wieder fortgesetzt.
Da Steinbach auch jetzt voranritt, so fühlte der Durchnäßte sich sicher, nicht bemerkt zu werden. Er hob die Flasche empor und sagte zu dem Führer:
»Jetzt darf ich trinken, denn ich bin krank. Nicht?«
Der Gefragte antwortete nicht.
»Wenn ich nicht trinke, werde ich das Fieber bekommen; dann schüttelt es mich; die Arme und Beine schlottern und die Augen drehen sich im Kopfe rundum wie die Räder eines Wagens, in welchem die Haremsfrauen spazieren fahren. Dann kann ich den Herrn nicht mehr bedienen und bin nichts nütze auf der Welt. Also trinke ich, um das Fieber zu vertreiben und ein brauchbarer Mensch zu bleiben.«
Er machte die Flasche vollends leer. Der Führer brachte es doch über sich, zu fragen:
»Was wirst Du aber sagen, wenn der Herr bemerkt, daß die Flasche leer ist?«
»Sie hat ein Loch, sie ist ausgelaufen.«
»Ja, oben! Halte Dich fest, sonst fällst Du wieder ab!«
Da hielt Steinbach sein Pferd an, deutete in die Höhe und fragte:
»Siehst Du den Punkt da oben? Was ist das?«
Der Führer beschattete seine Augen mit der Hand, suchte den Punkt mit seinem scharfen Auge und antwortete dann:
»Herr, das ist ein Falke.«
»Er scheint näher zu kommen. Ach, ich werde versuchen, ihn mit der Kugel herabzuholen.«
»Nein, das wirst Du nicht!«
»Du meinst, daß ich ihn nicht treffe?«
»Du würdest ihn treffen, denn ich habe heut am Vormittage gesehen, daß Du besser schießest als Alle, welche ich kenne. Aber diesen Vogel darfst Du nicht treffen, denn er ist nicht Dein Eigenthum.«
»Ein Raubthier gehört keinem Menschen!«
»Dieser Falke ist kein Raubthier; er ist nicht frei, er gehört einem Herrn, der ihn dressirt hat.«
»Ah! Meinst Du, daß wir da einer Falkenjagd entgegenreiten?«
»Ganz gewiß. Ein dressirter Falke ist sehr leicht von einem wilden zu unterscheiden. Wir werden Arabern begegnen, welche sich auf einer Gazellenjagd befinden. Der Falke steigt empor; sieht er eine Gazelle, so stößt er auf sie herab, faßt sie mit den Krallen in der Nähe des Kopfes und hackt ihr die Augen aus, so daß sie nicht sieht, wohin sie flieht. Dann wird sie von den Jägern sehr leicht erreicht und getödtet.«
»Eigentlich grausam, aber das muß ich sehen!«
Die Jagdlust war über ihn gekommen. Eine Gazellenjagd mit Hilfe des Falken. Das war ihm ja etwas vollständig Fremdes. Er spornte also sein Pferd und jagte im Galopp davon, die beiden Andern hinter ihm her.
Der Diener hatte alle Mühe, sich im Sattel zu halten. Er ächzte und flüsterte, er wetterte und fluchte. Er wäre wohl zurückgeblieben, aber sein Pferd war gescheidter als er und hielt sich wacker neben demjenigen des Führers.
Jetzt stieg das Terrain ein Wenig an, und dann fiel es wieder sanft ab. Als die Reiter die kleine Höhe erreichten, sahen sie vor sich eine ziemlich weite Ebene, hier und da mit Büschen bewachsen. Weit hinten bewegten sich Reiter zwischen dem Gesträuch; vorn aber erblickten sie zwei riesige Vögel, welche in der Eile des Sturmwindes ihnen entgegenflogen.
»Ah! Zwei Strauße!« rief Steinbach, der noch niemals einen dieser Vögel im Freien gesehen hatte.
Er hatte sein Pferd angehalten; der Führer hielt neben ihm und bestätigte:
»Ja, zwei Strauße! Es ist Mann und Weib.«
»Woher siehst Du das?«
»Das Männchen ist schwarz, das Weibchen aber braun. Die Vögel sind nicht gezähmt, sondern wild. Das sieht man deutlich an den kurzen, abgestoßenen Schwing- und Schwanzfedern. Sie haben uns nicht gesehen. Halte Du Dich rechts, und ich reite links. Wir müssen sie haben.«
Er nahm seine lange Flinte vom Rücken und jagte nach links hinüber. Steinbach griff nach seiner Doppelbüchse und ritt nach rechts. Dort postirte er sich hinter ein Gesträuch, um von den fliehenden Vögeln nicht bemerkt zu werden.
Diese kamen näher, verfolgt von mehreren glatthaarigen Windhunden, hinter denen eine ganze Schaar Beduinen folgten, so schnell deren Pferde vermochten.
Steinbach hob die Büchse empor. Er sah, daß das Straußmännchen grad auf ihn zukam. Der Vogel machte riesige Sprünge. Der Strauß macht mit seinen langen Beinen zwei Ellen lange Schritte; flieht er aber vor einer Gefahr, so haben seine Sprünge eine Länge von vier Ellen und wohl auch noch mehr. Jetzt war das Männchen vielleicht noch hundertfünfzig Fuß von dem Deutschen entfernt. Da ertönte hoch oben in der Luft ein schriller, pfeifender Schrei, und im nächsten Augenblicke stieß der Falke auf das Weibchen nieder.
Er erfaßte es bei dem langen Halse, um den Vogel ganz so zu behandeln, wie er es bei den Gazellen gewohnt war. Hier aber hatte er sich geirrt. Der Strauß besitzt Riesenkräfte, sein Hals ist beweglich wie der Leib einer Schlange, mit seinem starken Fuße kann er einen Menschen, wenn er ihn richtig trifft, erschlagen, und sein Schnabel ist eine Waffe, vor welcher man sich fast noch mehr in Acht zu nehmen hat.
Die Straußin blieb stehen und vertheidigte sich gegen den viel kleineren, aber desto gewandteren Falken. Es war ein so interessanter Kampf, daß Steinbach kaum die Augen davon bringen konnte und vielleicht das Männchen vergessen hätte, wenn ihn nicht das Geräusch auf dasselbe aufmerksam gemacht hätte.
Der Vogel nahte mit einer Geschwindigkeit, welche diejenige des besten Renners übertraf. Die Büsche machten ein sicheres Zielen nicht leicht; aber Steinbachs Pferd stand so still und unbeweglich, daß er gut zu zielen vermochte, obgleich er im Sattel saß. Jetzt befand sich der Vogel zwischen zwei weit auseinander stehenden Büschen. In der nächsten Minute mußte er verschwunden sein. Erreichte er das nächste Gebüsch, so war er dann nicht mehr zu sehen. Steinbach hielt auf die Stelle, wo der Hals aus dem Körper tritt, eine bessere wußte er nicht, da er noch nie auf so ein Thier geschossen hatte. Er drückte ab; der Vogel machte eine blitzschnelle Seitenwendung, ließ den hoch erhobenen Hals fallen, hielt im Laufe inne, taumelte kurz hin und her und stürzte dann nieder.
Der Schütze ritt schnell hin. Er hatte sehr gut getroffen. Jedenfalls war einer der Wirbel getroffen worden. Der Vogel war todt.
Nun wandte Steinbach sich dem andern zu. Da hatte er ein höchst interessantes Schauspiel vor sich. Der Falke hatte den Strauß fahren lassen, sich erhoben, und war dann zum zweiten Male herabgestoßen, um ihn weiter oben, hart am Kopfe zu fassen. Das war ihm gelungen. Hier war er vor den Hieben des gewaltigen Schnabels sicher und versuchte, dem Strauße mit dem seinigen eine Wunde beizubringen. Aber das wollte nicht gelingen. Die Straußin warf den Kopf so schnell nach allen Richtungen, daß der Falke seinen Schnabel gar nicht gebrauchen konnte, sich nur festhalten mußte, um nicht abgeschleudert zu werden. Dabei machte der riesige Vogel die abenteuerlichsten Sprünge, vor- und rückwärts, zur Seite, und zwar so schnell, daß man kaum mit dem Auge folgen konnte.
Der Führer war von seinem Pferde gestiegen und stand mit erhobener Flinte gar nicht weit von dem Schauplatze dieses Kampfes. Aber er getraute sich nicht, zu schießen; er hatte kein festes Ziel und befürchtete, den Falken zu treffen. Steinbach war ein besserer Schütze. Auch er sprang ab und legte an. Sein Schuß krachte. Der Strauß machte einen ungeheuren Luftsprung und stürzte nieder. Der Falke war bei dem Knalle der Büchse nicht scheu geworden; er wußte, daß er ihm nicht gelte. Er hielt sich an dem Halse des Erlegten fest und hackte unausgesetzt und wüthend nach dem Kopfe, welcher sich nun nicht mehr zu wehren vermochte.
»Das war ein kühner und guter Schuß, Herr!« rief der Führer. »Ich hätte dieses Weib des Straußes nicht erlegt. Wo aber ist der Mann?«
»Da drüben liegt er. Ah, sie sind da!«
Er hatte sich bei seiner Antwort nach dem zuerst erlegten Vogel gewendet. Dort hielten mehrere Reiter, in die weiten, weißen Beduinenmäntel gehüllt. Sie kamen jetzt herbei. Andere nahten von den Seiten her. Es zeigte sich, daß die Beduinen in Verfolgung ihres Wildes einen weiten Halbkreis gebildet hatten, welcher sich jetzt hier eng zusammenzog.
An ihrer Spitze ritt ein langer, starker, sonnverbrannter Araber. Er trug kein sich auszeichnendes Gewand. Um seine Hüfte lag ein einfacher Kameelstrick, und ebenso einfache Schnuren, aus Dattelfaser gedreht, waren auch um seinen riesigen Turban gewunden. Aber die Flinte in seiner Hand zeigte eine ausgezeichnet ausgelegte Arbeit, und die Schimmelstute, welche er ritt, war von der reinsten Rasse. Dieser Mann war trotz seiner einfachen Kleidung sicherlich reich.
Er hielt seinen Schimmel vor Steinbach an, betrachtete ihn mit finster blickenden Augen und fragte:
»Wer bist Du?«
»Ein Fremder.«
»Das sehe ich. Wärst Du nicht ein Fremder, würde ich Dich kennen. Wie lautet Dein Name?«
Steinbach hatte keine Lust, sich in dieser Art und Weise ausfragen zu lassen. Er hatte die sehr richtige Ansicht, daß die erste Begegnung entscheidend ist, ob ein Fremder von diesen Halbwilden geachtet ist oder nicht; darum antwortete er sehr ruhig:
»Noch kenne ich den Deinigen nicht!«
»Allah hat Dir den Verstand genommen! Du meinst, daß ich Dir meinen Namen sagen müsse, um den Deinigen zu erfahren?«
»Ja, das meine ich!«
»Wer bist Du, daß Du das zu sagen wagst! Wisse, daß ich der Herr und Gebieter dieses Bodens bin, Herr über Tod und Leben, auch über das Deinige!«
»Du irrst! Mein Leben gehört Allah und mir. Er hat es mir gegeben, und ich werde es mir zu erhalten wissen, bis er es von mir fordert.«
Die Beduinen hatten einen weiten Kreis geschlossen. Sie waren neugierig, wie diese Unterredung enden werde. Ihre Augen waren mit Begierde auf die Waffen Steinbach's gerichtet. Der Wüstenbewohner ist ein geborener Räuber, und nur der ist bei ihm sicher, welcher es verstanden hat, seinen Schutz und seine Gastfreundschaft zu erlangen.
»Du sprichst sehr stolz,« fuhr der Araber zornig fort. »Ich habe es nicht nöthig, mich mit Dir zu streiten. Hier ist Einer, den ich kenne. Der wird mir antworten müssen.«
Er wendete sich an den Führer, der zwar nicht in knechtisch demüthiger, aber in höflicher Haltung vor ihm stand:
»Wer ist dieser Mann?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber Du bist bei ihm! Bist Du sein Führer?«
»Ja.«
»Und kennst ihn nicht?«
»Er bezahlt mich und ich führe ihn. Was geht mich sein Name an! Frage ihn selbst!«
»Wohin sollst Du ihn bringen?«
»Wie? Er hat nach mir verlangt? Nach dem Scheik der Krieger vom Stamme der Medscherdah?«
»Ja.«
Als Steinbach das hörte, sagte er:
»Wenn Du der Scheik der Medscherdah bist, so bin ich bereit, Dir zu antworten.«
»Du hattest mir schon vorher zu antworten!«
»Nein. Ich befand mich vor Dir hier an diesem Platze, und wer an einen Ort kommt, an welchem sich bereits Andere befinden, der hat den Gruß zu sagen. Du aber grüßtest nicht. Wie kann ich Dir da antworten.«
»Du sprichst so stolz, als seist Du auch ein Scheik!«
»Das bin ich auch!«
»Das bezweifle ich! Wärst Du ein Scheik der Beduinen, so würdest Du die Gesetze der Stämme, des Bodens und der Jagd kennen. Wir haben diese Vögel aufgestört; wir haben sie verfolgt; sie gehören uns; Du aber hast sie uns weggenommen.«
»Du irrst. Ich habe sie nicht weggenommen; ich habe sie nur getödtet. Sie sind Dein.«
»Wie?« fragte der Scheik erstaunt. »Du willst sie an mich abtreten?«
»Ja.«
»Und hast sie doch erlegt!«
»Ich brauche ihre Federn nicht. Du bist der Herr dieses Bodens; was sich darauf befindet, ist Dein Eigenthum, dieses Wild also auch.«
»Allah! Das hat noch niemals Einer gethan! Du mußt aus einer fernen Gegend kommen!«
»Das ist richtig. Ich komme sehr weit her.«
»Und zu mir! Was willst Du bei mir?«
»Ich will nicht eigentlich zu Dir, sondern zu einem Andern, von welchem ich hörte, daß er jetzt Dein Gast sei.«
»Wen meinst Du?«
»Krüger Bei, den Hauptmann der Leibgarde des Muhammed es Sadak Bei von Tunis. Befindet er sich bei Dir?«
»Ja. Hier ist er.«
Er deutete auf einen Reiter, welcher sich bisher seitwärts gehalten hatte. Dieser Mann war von kurzer, starker Gestalt. Sein Gesicht war hochroth wie das eines professionirten Weintrinkers, trug aber eine ganz außerordentliche Gutmüthigkeit zur Schau. Er saß auf einem Vollblutrappen und hatte auch den weißen Beduinenmantel überhängen; aber unter demselben, da, wo er vorn geöffnet war, glänzten dicke, goldene Uniformschnüre hervor. Er dirigirte sein Pferd jetzt an die Seite des Scheiks heran und sagte zu Steinbach:
»Hier bin ich, der Oberste der Heerschaaren des Herrn und Gebieters von Tunis. Wer bist Du?«
»Erlaube, daß ich Dir dies allein sage!«
»Nein, das erlaube ich nicht. Weißt Du, was der Kommandeur der Leibwache zu bedeuten hat?«
»Ja. Er beschützt das Leben des Beherrschers. Er ist der Nächste nach dem Pascha selbst.«
»So hast Du mir also zu antworten. Du bist hier fremd; Du tödtest unser Wild, ohne uns zu fragen. Es giebt hier in der Steppe gar Viele, welche als Räuber und Diebe umherziehen und, wenn man sie trifft, so unschuldig thun, als ob sie Brüder und Neffen des Propheten seien.«
»Sehe ich wie ein Räuber aus?«
»Es giebt keine bestimmte Kleidung, an welcher man den Räuber erkennt, und – Allah akbar! Was thut dieses Pferd hier?«
Er erblickte nämlich in diesem Augenblicke die Stute Steinbach's, welche dieser hinter dem Busche stehen gelassen hatte. Der Deutsche antwortete:
»Es ist das meinige.«
»Das Deinige? O Muhammed! O ihr heiligen Kalifen! So bist Du also doch ein Räuber! Haltet ihn fest, laßt ihn nicht fort von hier!«
Diese Aufforderung war an die Beduinen gerichtet, welche den Kreis sofort enger zogen. Steinbach aber zeigte keine Besorgniß. Er fragte lächelnd:
»Warum hältst Du mich für einen Räuber?«
»Du hast dieses Pferd geraubt!«
»Ah! Beweise es!«
»Beweise es, daß es Dir gehört! Hast Du es gekauft?«
»Nein.«
»Siehst Du! Hast Du es etwa geschenkt erhalten?«
»Nein.«
»Siehst Du! So ein Pferd wird weder verkauft noch verschenkt. Wie hast Du es denn erhalten?«
»Ich habe es mir geborgt.«
»Das ist eine Lüge! Derjenige, dem dieses Pferd gehört, verborgt keines seiner Thiere. Diese Stute ist die allbekannte Sindschaba des Beherrschers von Tunis. Ich muß sie kennen. Willst Du es leugnen?«
Sindschaba heißt die Graue.
»Nein, ich leugne es nicht. Es ist die Stute des Pascha.«
»So kannst Du nicht anders als durch Diebstahl in ihren Besitz gelangt sein!«
»Ich will Dir diese Worte verzeihen, o Anführer der Leibschaaren! Wenn Du nachdenken wolltest, so würdest Du höflich vom Pferde steigen, um mich zu begrüßen, denn Derjenige, welchem der Pascha ein Pferd borgt, muß ein Mann sein, welcher es nicht gewohnt ist, daß man ihm das Zeichen der Ehrerbietung verweigert.«
Der Oberst machte ein eigenthümliches Gesicht. Er überlegte, daß es wohl nicht leicht sei, ein Pferd aus dem Marstalle des Bei zu stehlen. Das Auftreten Steinbach's war so sicher. Vielleicht war das Pferd doch geborgt! In diesem Falle aber war der Reiter ganz sicher ein hervorragender Mann, und es war ein sehr großer Fehler gewesen, ihn so unhöflich zu behandeln. Unter diesen Gedanken bekamen die gerötheten Züge des Obersten einen sichtlichen Anflug von Verlegenheit. Es fiel ihm gar nichts ein, was er eigentlich in diesem Augenblicke sagen solle.
Dieser tapfere Oberst der Leibwache war von Geburt ein Deutscher. Er stammte aus der Mark Brandenburg und hatte als Brauergeselle die Heimath verlassen, um sein Glück in der Fremde zu suchen. Er hatte es gefunden.
Nach vielen Kreuz- und Querfahrten war er nach Tunis gekommen, und hatte sich anwerben lassen. Von Haus aus recht gut begabt, furchtlos und tapfer, war er nach und nach immer höher gestiegen und zuletzt Commandant der Leibschaaren geworden. Natürlich hatte er sich da zum Islam bekennen müssen, war aber im Herzen doch ein Christ und dazu ein guter, ehrlicher Deutscher geblieben.
Im Lande eine allbekannte und überall beliebte Persönlichkeit, wurde er besonders von den Fremden um einer Eigenthümlichkeit willen gern aufgesucht, welche ihn geradezu zum Original stempelte. Diese Eigenthümlichkeit war nämlich seine Art, sich im Deutschen auszudrücken.
Das Türkische und Arabische war ihm vollständig zu Eigen und geläufig geworden. Er sprach Beides genau so wie ein Eingeborener. Anders aber war es mit seiner Muttersprache. Von Schulbildung war bei ihm keine Rede gewesen. Er hatte sein Deutsch so gesprochen, wie es ein Brauerknecht und ein echter Brandenburger spricht, im dortigen Dialekt. Später hatte er lange Jahre keine Gelegenheit gehabt, sich im Deutschen auf dem Standpunkt zu erhalten; er hatte seine Muttersprache zu drei Viertheilen vergessen. Was ihm noch übrig geblieben war, das gebrauchte er nach den Regeln der türkischen und arabischen Sprache, und so entstand eine Ausdrucksweise, welche geradezu unbeschreiblich war.
Dazu kam, daß er sehr gern sprach. Nichts machte ihm größere Freude, als wenn ihn einmal ein Deutscher besuchte. Dann that er sich eine förmliche Güte und machte mit dem ernstesten Gesichte solche curiose Sprachfehler, daß der Zuhörer alle Selbstbeherrschung anwenden mußte, um sich vor Lachen nicht auszuschütten. Arabisch und Türkisch aber sprach er in derselben blumen- und bilderreichen Sprache wie die Eingeborenen. Und da er dieselben Blumen und Bilder auch im Deutschen brachte, wohin sie gar nicht paßten, so steigerte sich das Lächerliche um so höher, je schöner er zu sprechen glaubte.
Jetzt nickte er leise vor sich hin, betrachtete Steinbach noch einmal genauer und sagte dann:
»Wenn Du mir doch nur Deinen Namen nennen wolltest!«
»Nun, wenn Du es denn verlangst, so will ich ihn Dir sagen. Mein Paß lautet auf den Namen Steinbach Pascha.«
»Steinbach Pascha!« wiederholte der Oberst überrascht.
»Ja; ich heiße Oskar Steinbach Pascha.«
»Das ist ja ein deutscher Name!«
»Allerdings.«
»Bist Du denn vielleicht in Deutschland geboren?«
»Nicht nur dort geboren. Ich bin noch heut ein Deutscher.«
Bis jetzt war das Gespräch in arabischer Sprache geführt worden. Bei den letzten Worten Steinbach's aber sprang der Oberst schnell aus dem Sattel und rief:
»Dunderwetter! Ihnen sind ein Deutscher?«
»Ja, Herr Oberst.«
»Von woher denne und aus welcherlei Jejend denne, wenn mir Ihnen fragen darf?«
»Nun, ich habe in mehreren Provinzen Besitzungen; ich will aber sagen, aus dem Brandenburgischen.«
»Aus das Brandenburgische? Herrjesses, wat das vor eene Ueberraschelung jewesen und jehabt zu haben werden jekonnt dürfen wird! Wer hätte so Einwas jedenken jedacht! Und Ihnen wollen hier zu mich?«
»Gewiß, wenn Sie erlauben!«
»Ob ik mich es erlaube! Na und ob und inwiefern! Ik jebe Sie jetzt meinen Hände und heiße Ihnen ein Willkommen entjejen mit lauter Pauken und Trompeten! Jetzt ist Allens jut, Allens, Allens!«
Er schüttelte Steinbach beide Hände mit solcher Gewalt, als ob er ihm beide Arme aus dem Leibe reißen wolle.
»Nun,« fragte dieser lachend. »Halten Sie mich auch jetzt noch für einen Pferdedieb?«
»Jetzt noch in das jejenwärtigen Augenblick? Wat denken Ihnen! Wenn Ihnen ein Deutscher sind, dann hat es ja gar nicht möglich, Sie ein Pferdediebstahl zuzumuthen mit Verdächtigkeit an den Hals zu werfen jesonnen sein jeirrt haben zu können! Ein Deutscher maust nie nich einen solchen Diebstahl. Wir Deutschen sind ehrliches Leuten! Na, haben Ihnen jetzt ein Weniges Jeduld! Ich werde hier denjenigem Scheik mitzutheilen jenügen, wat vor einen freudigen Augenblicker man sonst zuweilen wie jerade jetzt in das Leben einjeschlagen werden muß!«
Er wendete sich an den Scheik und stellte Steinbach demselben als einen hohen Herrn vor, den er von diesem Augenblicke an zu seinen besten Freunden zu zählen habe. Das veränderte augenblicklich die ganze Situation. Die Gesichter der Beduinen wurden freundlicher. Der Scheik streckte dem Deutschen die Hand entgegen und sagte:
»Das konnte ich nicht wissen. Sei mir willkommen! Wenn wir im Lager angekommen sind, wirst Du Salz und Brot mit mir essen und den Becher mit mir theilen. Deine Freunde sind auch meine Freunde und Deine Feinde auch die meinigen!«
Einer der Beduinen hatte den Falken bereits wieder an sich genommen und ihm die lederne Kappe über den Kopf gezogen. Die beiden erlegten Sträuße wurden von zwei Anderen über den Sattel gelegt, und dann ging es weiter, dem Lager entgegen; die Araber in stürmischem Galopp, auch Steinbach 's Führer mit sich fortreißend, der Deutsche selbst aber mit Krüger Bei langsam hinterdrein.
»So!« sagte der Letztere. »Jetzt sind uns allein und wir können mit einanders reden, ohne daß wir jestört zu werden die Absicht jebrauchen dürfen. Also aus dem Brandenburg. Wat vor ein Medjeh haben Ihnen denn da eijentlich jelernt, he?«
»Ich weiß nicht, was Sie sich unter diesem Worte denken, Herr Oberst.«
»Medjeh? Nun, Medjeh hat janz denselbigen Jedanken wie Beruf und Handwerk erlernt zu haben von wegen sich zu ernähren.«
»Ach so! Nun, ein Handwerk habe ich eigentlich nicht. Ich treibe nichts als ein Bischen Politik.«
»Politik! Ah! Is dat wahr?«
Er betrachtete Steinbach mit einem ganz besonderen Blicke.
»Ja,« nickte dieser bestätigend.
»Sind Ihnen dem Teufels!«
»Meinen Sie, daß die Diplomaten zum Teufel gehören?«
»Diplomat? Ah, dat is einwas Anderem!«
»Ach so! Sie unterscheiden die Diplomaten von Denjenigen, welche Politik treiben?«
»Janz natürlich!«
»Dürfte ich Sie um den Unterschied bitten?«
»Diesem Unterschied jiebt es sehr einfach. Wer Politik mit Glück anzufangen jewußt haben darf, dem heiße ik ein Diplomat. Wer dem Politik aber nie nicht jerathen thut, dem bleibt Politiker.«
»Richtig! Sehr geistreich! Ich gestehe aufrichtig, daß ich auf diese feine Unterscheidung niemals gekommen wäre!«
»Ja, hier hat es ihm!«
Er deutete dabei nach seiner Stirn und fuhr dann fort:
»Jetzt aber stellen Ihnen mir vor. Haben Ihnen vielleicht Kinder?«
»Nein.«
»Aber eine Frau hat Ihnen?«
»Auch nicht.«
»So sind Ihnen unverheirathet jesonnen?«
»Ich bin auch noch unverehelicht. Aber damit Sie nicht erst nach Allem zu fragen brauchen, will ich mich Ihnen gleich lieber kurz und bündig auf diese Weise vorstellen.«
Er zog eine Brieftasche hervor, entnahm derselben einen mehrfach mit Siegeln und Stempeln versehenen Bogen und reichte ihm denselben hin. Krüger Pascha las während des Reitens. Sein volles, ehrliches Gesicht wurde lang und immer länger. Endlich faltete er das Papier zusammen, gab es mit der Linken zurück und hielt die Rechte an den Turban, so wie ein abendländischer Soldat einem Vorgesetzten das Honneur zu machen pflegt.
»Empfehle mir!« sagte er ehrerbietig.
»O bitte, Herr Oberst!«
»Was?«
»Hat dies möglich?«
»Wie Sie sehen!«
»Ihnen sind ein Fürst, einer Durchlaucht?«
»Ist Ihnen das unangenehm?«
»Nein; aber warum nennen Ihnen sich Steinbach?«
»Incognito.«
»Ah! Schön! Ich verstehen diesen Art und Weisen, um zu nicht erfahren, von welchem Verhältnissen diejenigen Menschen des Namens wejen vielerlei Entdeckungen zu machen erlaubt jewesen ist. Ik jebe Sie den Versicherung, daß Ihr Geheimniß über meinen Busen in keiner Sprache nach der Oeffentlichkeit hinüberjeredet in lautem Tone verschwiegen werden muß. So, sind Ihnen einverstanden?«
»Ja. Ich komme nach Tunis, um Muhammed es Sadak Pascha einige wichtige Vorschläge zu unterbreiten. Ich habe mich ihm bereits vorgestellt und, wie ich glaube, sein Vertrauen erworben. Es schien mir aber vor allen Dingen auch nöthig zu sein, mit Ihnen zu sprechen, und da ich hörte, daß Sie sich hierher begeben hatten, so habe ich den interessanten Ritt unternommen, um Sie eher begrüßen zu können, als es mir möglich gewesen wäre, wenn ich Ihre Rückkehr erwartet hätte.«
»Sehr jut! Sehr schön! Sehr lieblich! Danke, bitte! Hat man Sie jesagt, welchem Grund ich hier zu finden jeneigt jewesen habe?«
»Ich hörte, daß Sie einige Pferde für den Marstall des Bei kaufen wollen.«
»Dat ist den Richtigkeit. Aber ik habe noch einigem Anderes. Ik kaufe mich einer Frau.«
»Verstehe ich Sie recht? Sie wollen sich eine Frau kaufen?«
»Ja.«
»Hier, bei diesen Leuten?«
»Hier, ja.«
»Ich denke, daß ein Beduinenmädchen niemals verkauft werden kann!«
»Eigentlich nie nicht. Aber es hat hier dem Verhältniß, daß dat Jelegentliche sowohl jenügend als auch passend herumzudrehen jeeignet sein dürfte. Es hat einen Gast hier vom Stamme der Tuareg. Die Tuareg's verkaufen zuweilen ihrem Weibern und Mädchen. Er hat zwei Mädchen, von die eine Einzige dem Anjesichte wie ein Engel den Bild und Spiegel hat.«
»Ach so! Sie haben hier ein schönes Mädchen gesehen und sind dabei auf den Gedanken gekommen, es für sich zu kaufen.«
»Ja, für meinen Harem.«
»Ist dieser Harem stark?«
»Stark? Die Eine ist stark, die Aelteste, viel stärker noch als mich. Den Anderen sind schlank.«
»Sie sind also ein richtiger Muhammedaner!«
»Ja, natürlich! Oder meinen Sie unnatürlich? Ist es nicht ejal, ob wir sagen Allah oder ob man lautet auf Gott und den heiligen drei Königen! Lassen Sie Ihnen und mir davon schweigen! Hat die Religion dem Herzen, so sind die Aeußerlichkeiten keinem Werth und Bedeutung. Schau! Hier sieht es dem Lager!«
Er hatte Recht, obgleich er sich so sehr falsch ausdrückte. Von da aus, wo sie jetzt hielten, hatte man einen vollen Ueberblick auf das Lager des Beduinenstammes. Es bildete eine lange Doppelreihe von Zelten. Außerhalb dieser Zelte weideten die Herden, auf der einen Seite die Pferde und wenigen Rinder, und auf der andern die Kameele und zahlreichen Schafe.
Die Pferde, besonders diejenigen besserer Rasse, haben einen unüberwindlichen Widerwillen gegen die Kameele, deren Ausdünstung sie nicht vertragen können. Muß man nun bei Wanderungen diese beiden Thierarten eng bei einander haben, so trennt man sie doch dann auf der Weide; das Pferd würde sonst nicht gedeihen.
Als die beiden Reiter sich den Zelten näherten, hatten sich alle männlichen Bewohner des Lagers auf die Pferde geworfen und kamen ihnen schießend und schreiend entgegengesprengt, um Steinbach, den neuen Gast, zu begrüßen. Und dann, als sie die Gasse hinaufritten, um sich nach dem Zelte des Scheiks zu begeben, standen zahlreiche Frauen und Mädchen vor den Thüren, um den unbekannten Ankömmling sich zu betrachten.
Ein einziger Mann nur schien es vermieden zu haben, dem neuen Ankömmling entgegen zu reiten. Er stand in reservirter Haltung vor einem der Zelte und betrachtete mit finsterm Blicke bereits von Weitem scharf den Deutschen, welcher mit dem Scheik und dem Obersten an der Spitze ritt. Es sprach sich in seinem Gesichte eine gewisse Besorgniß aus.
Sein Gesicht zeigte den Typus des Arabers mit demjenigen des Negers vermischt. Die Nase war eine fast kaukasische, aber die stark aufgeworfenen Lippen und die hervortretenden Backenknochen waren ein sicherer Beweis, daß das Blut der schwarzen Rasse in seinen Adern rolle. Und schwarz, in ein häßliches Grau hinüberspielend war die Farbe seines Gesichts. Es war der Tuareg, welcher von dem Obersten erwähnt worden war. Diese Tuaregs wohnen in der eigentlichen Wüste, zwischen den Arabern und Negern und tragen häufig die Eigenthümlichkeiten Beider zur Schau.
Er war nur mit einem tief herab reichenden, sehr schmutzigen Hemde bekleidet, aus dessen weiten Aermeln seine dunklen, sehnigen Arme hervorschauten. In der Rechten hielt er, gleich einem Spazierstocke, die fürchterliche Wurflanze der Tuaregs, und an jedem seiner Handgelenke war mittelst einer Kette ein scharfes, zweischneidiges Messer befestigt. Der Tuareg umarmt im Kampfe seinen Feind und stößt ihm diese beiden Messer von hinten in die Lunge.
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