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35. An Erwin Rohde.

Basel, den 15. Dezember 1870.

Mein lieber Freund,

keine Minute ist seit dem Lesen Deines Briefes verflossen, und schon schreibe ich. Ich wollte Dir nämlich nur sagen, daß ich ganz gleich fühle wie Du und es für eine Schmach halte, wenn wir nicht einmal aus diesem sehnsüchtigen Schmachten durch eine kräftige Tat herauskommen. Nun höre, was ich in meinem Gemüt mit mir herumwälze! Schleppen wir uns noch ein paar Jahre durch diese Universitätsexistenz! nehmen wir sie wie ein lehrreiches Leidwesen, das man ernsthaft und mit Erstaunen zu tragen hat! Es soll dies unter anderem eine Lernzeit für das Lehren sein, auf das mich auszubilden mir als meine Aufgabe gilt. Nur habe ich mir das Ziel etwas höher gesteckt.

Auf die Dauer nämlich sehe auch ich ein, was es mit der Schopenhauerischen Lehre von der Universitätsweisheit auf sich hat. Es ist ein ganz radikales Wahrheitswesen hier nicht möglich. Insbesondere wird etwas wahrhaft Umwälzendes von hier aus nicht seinen Ausgang nehmen können.

Sodann können wir nur dadurch zu wirklichen Lehrern werden, daß wir uns selbst mit allen Hebeln aus dieser Zeitluft herausheben und daß wir nicht nur weisere, sondern vor allem bessere Menschen sind. Auch hier spüre ich vor allem das Bedürfnis, wahr sein zu müssen. Und wiederum ertrage ich deshalb die Luft der Akademien nicht mehr zu lange.

Also wir werfen einmal dieses Joch ab, das steht für mich ganz fest. Und dann bilden wir eine neue griechische Akademie; Romundt gehört gewiß zu uns. Du kennst wohl auch aus Deinem Besuche in Tribschen den Bayreuther Plan Wagners. Ich habe mir ganz im stillen überlegt, ob nicht hiermit zugleich unsererseits ein Bruch mit der bisherigen Philologie und ihrer Bildungsperspektive geschehen sollte. Ich bereite eine große adhortatio an alle noch nicht völlig erstickten und in der Jetztzeit verschlungenen Naturen vor. Wie kläglich ist es doch, daß ich Dir darüber schreiben muß und daß nicht jeder Einzelgedanke mit Dir bereits längst durchsprochen ist! Und weil Du diesen ganzen vorhandenen Apparat nicht kennst, wird Dir vielleicht gar mein Plan wie eine exzentrische Laune erscheinen. Das ist er nicht: er ist eine Not.

Ein eben erschienenes Buch von Wagner über Beethoven wird Dir vieles andeuten können, was ich jetzt von der Zukunft will. Lies es, es ist eine Offenbarung des Geistes, in dem wir – wir! – in der Zukunft leben werden.

Sei es nun auch, daß wir wenig Gesinnungsgenossen bekommen, so glaube ich doch, daß wir uns selbst so ziemlich – freilich mit einigen Einbußen – aus diesem Strome herausreißen können und daß wir eine kleine Insel erreichen werden, auf der wir uns nicht mehr Wachs in die Ohren zu stopfen brauchen. Wir sind dann unsre gegenseitigen Lehrer, unsre Bücher sind nur noch Angelhaken, um jemand wieder für unsre klösterlich-künstlerische Genossenschaft zu gewinnen. Wir leben, arbeiten, genießen füreinander: – vielleicht daß dies die einzige Art ist, wie wir für das Ganze arbeiten sollen.

Um Dir zu zeigen, wie ernsthaft ich das meine, so habe ich bereits angefangen, meine Bedürfnisse einzuschränken, um einen kleinen Rest von Vermögen mir noch zu bewahren. Auch wollen wir in Lotterien unser »Glück« versuchen; wenn wir Bücher schreiben, so verlange ich für die nächste Zeit die höchsten Honorare. Kurz, jedes nicht unerlaubte Mittel wird benutzt, um uns äußerlich in die Möglichkeit zu versetzen, unser Kloster zu gründen. – Wir haben also auch für die nächsten paar Jahre unsere Aufgabe.

Möge Dir dieser Plan vor allem würdig erscheinen, überdacht zu werden! Daß es vor allem Zeit sei, ihn Dir vorzulegen, dafür gibt mir Dein eben empfangener, wirklich ergreifender Brief Zeugnis.

Sollten wir nicht imstande sein, eine neue Form der Akademie in die Welt zu setzen,

»und sollt ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt,
»ins Leben ziehn die einzigste Gestalt?« »und sollt ich nicht, sehnsüchtigster Gewalt ...«, aus Goethes Faust II Klass. Walpurgisnacht, Gespräch zwischen Faust und Chiron.

wie Faust von der Helena sagt.

Von diesem Vorhaben weiß niemand etwas, und von Dir soll es nun abhängen, ob wir jetzt auch Romundt eine vorbereitende Mitteilung machen.

Unsere Philosophenschule ist doch gewiß keine historische Reminiszenz oder eine willkürliche Laune – treibt uns nicht eine Not auf diese Bahn hin? – Es scheint, daß unser Studentenplan, unsre gemeinsame Reise, in einer neuen, symbolisch größeren Form wiederkehrt. Ich will nicht der sein, der Dich wiederum, wie damals, im Stiche läßt; es wurmt mich immer noch.

Mit den besten Hoffnungen Dein
getreuer Frater Fridericus.

Vom 23. Dezember bis 1. Januar bin ich in Tribschen bei Luzern. – Von Romundt weiß ich nichts.


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