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Tautenburg, 20. August 1882.
Mein lieber Freund,
die »Fröhliche Wissenschaft« ist eingetroffen; ich sende Ihnen sofort das erste Exemplar. Mancherlei wird Ihnen neu sein: ich habe noch bei der letzten Korrektur dies und jenes anders und einiges hoffentlich besser gemacht. Lesen Sie z. B. die Schlüsse des II. und III. Buches; auch über Schopenhauer habe ich ausdrücklicher geredet (– auf ihn und auf Wagner werde ich vielleicht nie wieder zurückkommen, ich mußte jetzt mein Verhältnis feststellen, in bezug auf meine früheren Meinungen, – denn zuletzt bin ich ein Lehrer und habe die Pflicht, zu sagen, worin ich mir gleichbleibe und worin ich ein andrer geworden bin). Machen Sie einige Bemerkungen zu diesem und jenem Abschnitt, lieber Freund. Und auch über das Ganze und die ganze Stimmung: teilt sie sich wirklich mit? Namentlich: ist Sanctus Januarius überhaupt verständlich? Nach allem, was ich erlebt habe, seit ich wieder unter Menschen bin, ist mein Zweifel daran ungeheuer! Ich habe diesen Grad von Fremdheit und Gleichgültigkeit gegen das, was mir das Wichtigste ist, eingerechnet mich selber – nicht für möglich gehalten: darin sind sich alle »Freunde« gleich. Wer ist mir liebevoller gesinnt als die gute Meysenbug?– aber doch schreibt sie mir eben, sie sei überzeugt, wenn ich »meinen Gipfel erreicht hätte, würde ich freudig wieder zu Wagner und Schopenhauer zurückkehren«. Und Schmeitzner drückt sich in bezug auf »Zarathustra« also aus: »Nach der letzten Nummer Ihres neusten Buches zu urteilen, darf sich der Buchhändler nun freuen, wieder Bücher »für das Publikum« von Ihnen zu erhalten; das wird auch mehr Leben in den Absatz der älteren bringen.«
Ekel und Mitleid – – –!
Doch, wie gesagt, das sind nicht Ausnahmen, es ist die Regel. Ich habe dies Faktum sogar auf die grausamste aller denkbaren Weisen zu fühlen bekommen, – aber das ist nichts zum Schreiben, und nicht einmal zum Sprechen.
Zuletzt, lieber Freund, bin ich alledem gewachsen, und mein Mut hat bei diesem Aufenthalt unter Gespenstern nicht abgenommen. – Seltsam! In allem bin ich sonst der empfindlichste Mensch: aber was die Meinung über mich betrifft, komme ich mir jetzt so eselhaft-geduldig vor! Wie geht das zu? –
Leben Sie wohl! Wir wollen dem Leben ja nicht gram werden, sondern immer mehr werden, die wir sind – »immer mehr werden, die wir sind«, vgl. zu S. 53. die »fröhlich- Wissenden«.
Lou bleibt noch eine Woche bei mir. Sie ist das intelligenteste aller Weiber. »Sie ist das intelligenteste aller Weiber«, dies Urteil hat Nietzsche später nicht mehr festgehalten; er erkannte bald, daß er völlig mißverstanden wurde, und sah sich in allen Hoffnungen getäuscht. Vgl. auch S. 298. Alle fünf Tage haben wir eine kleine Tragödienszene. – Alles was ich Ihnen über sie schrieb, ist Unsinn, wahrscheinlich auch das, was ich eben schrieb.
Von ganzem Herzen Ihnen ergeben und dankbar
F. N.