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110. An Karl Hillebrand.

Rom, 24. Mai 1883.

Verehrtester Herr,

manche Jahre sind vorüber, in denen ich gegen Sie geschwiegen habe – schwerverständliche Jahre voller Selbstüberwindung und schwarzer Wellen, aus denen ich nunmehr »an die Oberfläche komme«, nicht als ein Ertrunkener, sondern, wie ich meine, voller als je an Leben.

Dies kleine Buch, das ich hiermit Ihrer Güte anheimgebe, ist ein ganz plötzliches Ereignis, das Werk von zehn vollkommen hellen Tagen dieses schwermütigsten aller Winter. Jetzt, wo ich es kennen lerne – denn bei seinem Entstehen fehlte mir dazu die Zeit, und inzwischen war ich krank –, erschüttert es mich durch und durch, und ich bin nach jeder Seite in Tränen. Alles, was ich gedacht, gelitten und gehofft habe, steht darin und in einer Weise, daß mir mein Leben jetzt wie gerechtfertigt erscheinen will. Und dann wieder schäme ich mich vor mir selber: denn ich habe hiermit nach den höchsten Kronen die Hand ausgestreckt, welche die Menschheit zu vergeben hat. –

Wer ist umfänglich genug an Menschlichkeit und Wissen, um einem solchen Narren, wie ich jetzt bin, das zu sagen, was er am liebsten hört, die Wahrheit, jede Wahrheit?

Unter den Lebenden weiß ich nur Sie und Jakob Burckhardt, die mir diesen Dienst leisten könnten – so bitte ich Sie denn vom ganzen Herzen: tun Sie es!

Nicht wahr, Sie wissen, wie hoch ich Sie verehre?

Friedrich Nietzsche.

Roma, Piazza Barberini 56, ultimo piano.


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