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Steinabad, 2. Aug. 1875.
Sie haben mir jedesmal, hochverehrte Frau, eine wahrhafte Freude gemacht; und Ihren letzten Brief, über die Bonner Reise, habe ich mit Rührung gelesen, Ihren Sohn glücklich preisend und fest überzeugt, daß das Gefährlichste über den Menschen keine Macht gewinnt, wo eine solche Liebe ihn hütet und tröstet. Ich habe jetzt auch an Adolf geschrieben; Sie glauben nicht, in welchem traulich-freudigen Lichte der Winter vor meiner Seele aufsteigt, der in einigen Monaten kommen wird. Zum ersten Male fühle ich mich gleichsam geborgener; »Zum ersten Male fühle ich mich gleichsam geborgener«, im Hinblick auf die von Mitte August an gemeinsam mit seiner Schwester eingerichtete Haushaltung. ich habe einen reichen Zuwachs an Liebe und bin dadurch geschützter und nicht mehr so leicht verletzlich und so preisgegeben, wie es bisher das Los des Baseler Exils mit sich brachte. Sie müssen nicht glauben, daß ich je in meinem Leben durch Liebe verwöhnt worden sei, ich glaube, Sie haben mirs auch angemerkt. Etwas Resigniertes trage ich von der frühesten Kindheit in dieser Beziehung mit mir herum. Aber es mag sein, daß ich es nie besser verdient habe. Jetzt nun habe ich es besser, das ist kein Zweifel! Ich erstaune mitunter mehr darüber als daß ich mich freue, es ist mir so neu. Nun wächst jetzt in mir mancherlei auf, und von Monat zu Monat sehe ich einiges über meine Lebensaufgabe bestimmter, ohne noch den Mut gehabt zu haben, es irgend jemandem zu sagen. Ein ruhiger, aber ganz entschiedener Gang von Stufe zu Stufe – das ist es, was mir verbürgt, noch ziemlich weitzukommen. Es kommt mir so vor, als ob ich ein geborner Bergsteiger sei. – Sehen Sie, wie stolz ich reden kann. –
Meine Krankheit beunruhigt mich gar nicht mehr, sondern nötigt nur für die spätere Zeit zu bestimmten Weisen zu leben, in denen keine erhebliche Beschränkung liegt. Ich lag zwar wieder einen Tag in der bösen Baseler Manier zu Bett, am Tag, wo meine Freunde in Bayreuth zusammeneilen – mir ein sehr bestimmter Wink, ja nicht meine Kur zu unterbrechen. Also ich bleibe noch zwei Wochen hier. Eine bedeutende Verringerung der Magenerweiterung ist festgestellt. Aber auch Dr. Wiel denkt jetzt, wie Immermann, mehr an eine nervöse Affektion des Magens, die immer ein langwieriges Ding ist.
Für Ihre Mühe um die Bayreuther Münder und Magen auch meinerseits den herzlichsten Dank. Es war ja viel beschwerlicher, als ich dachte!! – Ist denn meine Schwester jetzt wieder in Basel? Die Posteinrichtungen sind hier nicht gut, aber Ihr Erlebnis mit der Eisenbahn ist beschämend für mich als Deutschen.
Die Übersetzung von Grotes Plato »Grotes Plato«: George Grote, Plato, and the other Companions of Sokrates. London 1865. bitte ich doch ein wenig noch zu bedenken. Die Mühe ist außerordentlich, die Frage, ob in Frankreich das Werk als nötig und als angenehm empfunden wird, sehr aufzuwerfen, und dann – was die Hauptsache ist – Grote referiert ja zum größten Teile über den griechischen Text Platos; und da kommt es immer darauf an, nicht nur das Englisch Grotes, sondern auch das zu Grunde liegende Griechisch Platos zu verstehen und zur Hand zu haben – eine schwere und mühselige Aufgabe selbst für Philologen! Sonst wäre das Werk gewiß längst ins Deutsche übersetzt. –
Für heute leben Sie wohl, verehrte Frau, und nehmen Sie die herzlichen Versicherungen meiner treuen Ergebenheit und Dankbarkeit freundlich auf.
Der Ihrige
Friedrich Nietzsche.
Steinabad, den 2. Aug. 1875.
Overbeck geht es sehr gut, er ist ebenso wie Rohde und Gersdorff in Bayreuth.