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Naumburg, 23. Dezember 1872.
Mein teurer Freund,
heute begrüße ich Dich zu Deinem Geburtstage und wiederhole Dir alle jene herzlichen und besonders lebhaften Wünsche, die heute und in den letzten Zeiten alle die Dir Zugehörigen, seien sie verwandt oder befreundet, Dir ausgesprochen haben. Wir wollen alle von Herzen Dein Bestes, wie wir uns freuen, Deinem Lebenslauf in aufsteigender Linie mit teilnehmenden Blicken und zu unserer steten Genugtuung folgen zu können. Wenn ich mich erinnere, wie näher und immer näher sich die Lebenspfade und Lebensziele von uns beiden verschlungen haben – oder um genauer zu reden, wie sie sich immer mehr genähert haben und endlich in eins zusammengestoßen sind wie zwei Bäche, die in einem Strom und zu einem Meere hin zusammenzufließen den kaum bewußten Willen haben –, wenn ich mir das vorhalte, Pforta, Universitätszeit, Leipzig, Kriegsjahre, Tribschen, so weiß ich, daß das letzte Jahr auf diesen Freundschaftsbund Siegel auf Siegel gedrückt hat und daß von nun an unsre Zueinandergehörigkeit als wohlverbrieft und -versiegelt unsern Lebensrest durchdauern wird.
Also, lieber alter Freund, freuen wir uns heute auch unsrer Freundschaft; ich wünsche mir heute das Beste, wenn ich es Dir wünsche.
Das Buch, das ich Dir hiermit überreiche, ist das mir von Romundt »Das Buch ... von Romundt« heißt »Die menschliche Erkenntnis und das Wesen der Dinge.« Basel 1872. gewidmete und überhaupt somit das erste, das mir gewidmet ist, – also ein Freundschaftsdenkmal! Weshalb ich wünsche, daß es auch in Deiner Bibliothek sei.
Nun zum Schlusse eine Anfrage in betreff Deiner Reise. Ich schreibe also von Naumburg aus, wo ich gestern abend eingetroffen bin; meine Absicht ist, spätestens Sonnabend abend nach Neujahr von hier zurückzureisen, so daß ich Sonntag abend in Basel bin. Wäre es nun nicht möglich, daß wir einen Teil zusammenreisten, etwa gar mit einer kleinen Variation über Bayreuth? Ich frage an bei Dir und bitte um Vorschläge.
Meine Angehörigen tragen mir herzliche Grüße auf: auch bitte ich Dich, mich Deinen verehrtesten Eltern von neuem wieder anzuempfehlen.
Jetzt schreibe ich noch an Frau Wagner: dieselbe bekommt von mir ein Manuskript mit folgendem Titel und Inhalt:
Fünf Vorreden zu fünf ungeschriebenen
und nicht zu schreibenden Büchern.
1. Über das Pathos der Wahrheit.
2. Der griechische Staat.
3. Über die Zukunft unsrer Bildungsanstalten.
(Die ganz neue Vorrede kennst Du auch noch nicht.)
4. Der Wettkampf.
5. Über das Verhältnis der Schopenhauerischen
Philosophie zu der deutschen Kultur.
Diese fünf Vorreden, die Dir alle noch fremd sind (wie auch Wagners), wirst Du möglicherweise in Bayreuth lesen.
Leb wohl, lieber Freund, und
behalte mich lieb.
Treulichst
Dein F. N.
Naumburg, 23. Dez. 1872.