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Nur a Dirndl

Das erste Kind – ich, – die erste Enttäuschung! Gouvernanten und Dienerschaft, schadenfrohe Leute, wie oft haben sie es mir später ausgemalt. Als das kleine Herz noch sehr zart war, Kränkungen zugänglich, die sich eingruben:

»Entschuldigen schon, Frau Gräfin! – bitt' gar schön, net traurig sein därf der Herr Graf. Ja mei' – a Dirndl is es halt nur! –«

Das Dirndl war ich; und die mich also begrüßte, war die Heanzerin, die weiseste Frau viele Meilen im Umkreis des Schlosses. Mit großer Tasche, Kopftuch, Gebetbuch und Traumbüchl (sie war sehr gebildet), mit Spritze und so weiter.

Ich habe sie später gesehen, wenn sie neuerschienene Geschwisterchen, die wir uns gar nicht verlangten, als Siegestrophäen hereinbrachte. Sie war voll von Ermahnungen und sehr salbungsvoll. Kronawetterschnaps trank sie gern – wenn alles vorbei war. Auch sie, – an eine Tätigkeit auf Bauernhöfen gewöhnt, wo der Erbe die Hauptsache war, – verachtete neugeborene Mädchen herzlich. Ich denke mir das damalige Bild, als ich, in nebelspinnenden Oktobertagen, in meiner Wiege lag, unter Ahnenbildern in einem alten Schloßzimmer, parkumrauscht. Meine Mutter, eine sehr junge, leuchtend blonde, leuchtend schöne Frau, die zu dem kleinen blassen Etwas mit der lichten Haarfülle mißmutig herüber sieht, ist verdrießlich. »Umsonst alle Plage – c'est à recommencer«; denn da ist das große Majorat mit seinem kränklichen Herrn, da sind die lauernden, immer beutewitternden Verwandten, die die erste, bürgerlich geborene Gräfin des alten Hauses nicht ausstehen mögen. Sie ist schön, gesund und hellen Geistes, auch hochfahrend, sie läßt sich nicht ducken. Über mich glaub' ich den Vater gebeugt zu sehn, ihn, den ich von allen Menschen, nächst Einem, am Tiefsten geliebt habe in meinem Leben. In seinem feinen Gesicht, von edlem Schnitt, in den klarblauen Augen mit der Güte und Geduld des Ausdrucks, bebt, trotz allem, obwohl es nur ein Dirndl ist, ein schüchternes Sichfreuen. Der Zug von Eigensinn um seinen Mund verschwindet, – dieser Eigensinn, der bei vielen überfeinerten Rassen die Willenskraft vertritt, und von ihm wird mir das erste Lächeln. Er hebt mich auf, sieht mich an, »'s ist ein Gsichtl aus der österreichischen Linie« sagt er. »Schad', daß es kein Bub' ist. Vom Großonkel Josef, der im Salon hängt, hat sie was.« Das ist natürlich lächerlich. Ein neugeborenes Kind! Still hält er mich seiner Frau hin. Sie wendet das Gesicht zur Wand. Er steht betreten da; da nimmt mich jemand aus seinen Armen. Der alte Dechant ist's, im abgewetzten schwarzen Rock. Norbert Purschka, der Dichter meines Heimatlandes, zur Zeit Pfarrer der Patronatskirche, die dem Majorat untersteht. Ein faltenreiches, unendlich kluges, unendlich witziges und ein bißchen melancholisches Gesicht; eines jener Urgesichter, vom Genius, von der Plage des Lebens gezeichnet, neigt sich über mich; es ist stachelig, unrasiert. Eine Stimme voll warmer Menschengüte spricht.

»A Dirndl ist's, und a Grüberl hat's a! Akkurat dem Herrn Grafen sein Grüberl. Und aus dem Dirndl, sag ich, da werd't amal was.«

Er tritt ans Bett, legt mich der Mutter ans Herz. Sie sieht ihn stumm an, widerspricht nicht. Diese einfachen Priesteraugen aus dem Volke haben eine zwingende Kraft.

Draußen schlagen an die Fenster blutrote Weinranken. Die Berge stehen in flammender Herbstpracht; es ist köstlich kühl und rein. Hier innen, in den ungeheuren Ofen, die von außen geheizt werden, im langen Gang, knacken und prasseln die Holzscheite. Es duftet nach Harz. Öfter und öfter nimmt mich meine Mutter zu sich ins Bett, starrt mich an mit ihren jungen, kühlen, hellbraunen Augen, die noch mädchenhaft blicken, ohne Erlebnis des tiefsten Herzens. Die Kühle dieser Augen hat sich nie verändert. Es gibt Menschen, die leben am Leben vorbei, lebenslang; ahnen nie seine Tiefen an Glück und veredelndem Leid.

Resigniert bin ich nun aufgenommen. Vom Vater zu mir herüber spielt erstarkend der warme Strahl einer kostbaren Liebe. Er trug mich umher, stundenlang. Stand mit mir am Fenster; wir starrten beide den Mond an, und die surrenden, matten Herbstfliegen auf den Fensterscheiben. Dann lag meine Mutter auf dem Divan; es kamen die obligaten Besuche. Der zweite Stock kam – das heißt, die Mutter meines Vaters. Sie bewohnte in dem Schlosse an der Donau mit ihren jüngeren Kindern den zweiten Stock, und sie erschien, das Enkelkind zu besichtigen, das zu diesem Zweck geputzt wurde. Mama war an diesem Tage wieder in fürchterlicher Laune, weil ich kein Bub war, sondern eine Blamage. Alles ging auf Fußspitzen, die trotz den schweren Verhältnissen, der Überschuldung, zahlreiche Schloßdienerschaft nahm krumme Linien höchster Devotion an. Eine fabelhafte österreichische Schloßjause nach Herrschaftsrezepten war im großen Speisesaal neben den Geisterzimmern gedeckt worden, und Fräulein Römelen, die treue Schweizer Gesellschafterin, benahm sich sehr aufgeregt. Ja, die frühere, verhängnisvolle, an Sünden wahrhaftig reiche Herrin dieser Güter, die sie auf Jahre zugrunde gerichtet, imponierte immer noch. Obwohl sie, wie die Leute es nannten, in der Straf' lebte, bevormundet und beschränkt von ihrem ältesten Sohn, auf dem nun die Last ihrer Verfehlungen lag, obwohl jeder vernünftige Mensch sie grenzenlosen Leichtsinns und Größenwahns offensichtlich schuldig wußte, besaß sie unverändert ein Prestige, das böse Auswirkungen hatte für die Stellung meiner Mutter. Die alte Gräfin, – laut durfte sie so nie genannt werden, – bewohnte mit drei Töchtern und verschiedenen Söhnen aus einer Ehe mit einem ebenso törichten als gutmütigen und hilflosen Edelmann ihre Witwenwohnung in dem einen der Schlösser. Ich ahne, wie sie hereinrauscht, um mich zu sehen; klein und stark, in Spitzen, viel Schmuck, an dem Tradition haftet, mit scharfen Zügen, Augen, die sehr sanft blicken. Hinter ihr Töchter, die Schönheit nicht plagt, hagere Söhne eines verbrauchten Geschlechtes; übergroß, schmalbrüstig; mit geistiger Leere in matten Augen und dem Wesen zu viel bedienter Kinder. Papa empfängt sie. Er ist, wie immer, wenn er seiner Mutter entgegentritt, gedrückt und erfüllt von einer hilflosen Bitterkeit, die ans Herz greift. Sie ist ihm trotz allem doch die Mutter; und wenn er sich, – gedrängt durch eine junge Frau, die Quälereien und Intriguen aufs Höchste reizen, einmal hinreißen läßt, scharf vorzugehen, dann steigert das seine körperliche, durch die schweren Fieber der italienischen Feldzüge unter Benedek erlittene Hinfälligkeit. Er möchte in der Familie Liebe und Frieden, er hat den drohenden Sequester verhindert, sich eingeschränkt. Hat geheiratet nach Neigung, vorurteilslos, in altbürgerliche Patrizierkreise des deutschen Kärntens, um neue Gesundheit in sein dekadentes Geschlecht zu bringen. Aller Verantwortungen sich voll bewußt, möchte er allem gerecht werden. Aber es fehlt an Kraft und Zielbewußtheit – alles geht übers Ziel hinaus. Immer ist in ihm das Heimweh nach den Reiterjahren, bei den Husaren, als er der schöne Salburg hieß, verwachsen mit dem Vollblutgaul, der Aristokrat aus Österreichs großer Periode des jungen Kaisers zwischen 48 und 66. Da die Armee Radetzkys und Benedeks, Schöpfer des Heeres in Italien, die glänzendste Europas war, von gewalttätigen aber ritterlichen Herren beseelt. Nach 66 trat der österreichische Hochadel, der an dem verlorenen Feldzug gegen das Brudervolk die schwerste Schuld trug und keine Richter fand, aus dem Heere. Es war ein Wendepunkt. –

Großmama Numero eins! – Ich hatte noch eine; und sie waren zwei Pole, die sich nie berührten, diese beiden, – Großmama Numero Eins also begrüßte meinen Vater immer auf dieselbe Weise. Ich habe sie später dabei wie hypnotisiert beobachtet. Sie kam heran, die Arme graziös ausgebreitet – Tanz- und Anstandsstunden beim Wiener Hofballettmeister waren im Adel usuell – sie duftete fein und altmodisch. Nach einem Potpourri in alter echter Vase, das heißt, die echten Sachen verkaufte sie eigentlich lieber und stellte Kitsch dafür hin, auf den sie dann schrieb: Das ist Sèvres oder Meißen.

Sie ließ sich die Hände küssen – Hände mit winzigen Knöcheln, mit vornehmen Ringen, küßte dann rechts und links in die Luft, Richtung Wange meines Vaters. Das ist der aristokratische Freundschafts-, der Hof- sowie Verwandtenkuß, der gelernt wird, er sieht nach was aus, verpflichtet zu nichts: »Deswegen hast Du mich noch lange nicht!« Auch ich habe – angemessen erzogen, diese Standesküsserei gelernt und ebenso verachtet, wie das selbstverständliche Du, das Gleichstellung bedeutet und einem Wildfremden aus gleichem Kreis in Österreich gegeben wird. Man sagt sich übrigens per Du so viel anmutiger und genußreicher saftige Impertinenzen! Darin liegt mehr Sinn als in dem Luftkuß. Ihn begleitete Großmama I regelmäßig mit den schmerzlich gelispelten Worten: »Mein armer Otto, mein ärmster Sohn!« Das sagte sie als etwas Selbstverständliches, worauf wir Kinder später Papa stets neugierig anklotzten. Was hatte er nur? Vielleicht Zahnweh. Er sah so aus, als hätte er sich auf einen wehen Zahn gebissen. Er geleitete mit Phrasen, die ihm nicht lagen, seine Mutter zu der Gattin. Die junge Frau besaß Esprit; und sie wandte ihn mit Vorliebe bei ihrer, nein gegen ihre aristokratische Verwandtschaft an. Unbezwinglich funkelten dann kleine Irrlichter aus ihren Augen. Sie tat alles, was man nicht leiden konnte. Es verließen diesen hellen Kopf, in der Hitze ewigen Zornes, Vernunft, Besonnenheit und Rücksicht. Sie hat sich und uns Schweres bereitet durch Unbesonnenheit. Denn ihre Schwiegermutter ist trotz allem eine Macht im »Landl« gewesen – so wurde Oberösterreich genannt. Hinter ihr stand, für eine tendenziös zur Schau getragene, äußerliche Frömmigkeit, die damalige Kirche in Zeiten des Konkordates, der höchsten Streitbarkeit, unter einem bedeutenden aber harten Manne, dem Erbauer des Linzer Doms, Bischof Rudigier, der, mehr kirchlicher Soldat und Politiker als Priester, durch die Frauenwelt, besonders die adelige, eine despotische Gewalt ausübte. Frömmigkeit war nicht genug. Bedingungslose Kirchlichkeit wurde vom Adel gefordert.

Großmama bemurmelte mitleidsvoll, mit einer feinen Nuance von Geringschätzung, die Mutter, meiner Geburt halber. »Du Arme – Du Ärmste! Ist es doch gut gegangen? Ich höre, ein schwaches – ein sehr schwaches – ein nicht hübsches Kind. Und der arme Otto; er sieht so schlecht aus. Kein Majoratsherr! – Gott straft! Wir werden beten – ach ja! Du bist ja, hm – bist sehr robust – andere Rasse. Der arme Otto. Wo ist sie denn, die kleine Komteß?«

Mit blutrotem Kopf, entrüstet zum Ersticken, präsentiert mich Eine, die später unseres Hauses treuer Halt im Wirtschaftlichen wurde, die von uns Kindern Vielgeliebte – die Marie – damals ganz jung, kaum siebzehn, noch ohne feste Stellung im Schloß, aber schon sehr brauchbar, die hübsche Haller Marie. Sie haßt den zweiten Stock, sie liebt die junge Frau kritiklos. Sie hält mich hin; ich bin wie die Großmutter in Spitzen und Seide, und die Marie erfrecht sich, laut herauszuplatzen: »Ein wunderschönes Kind is' die Komteß!«

Man mustert sie mit säuerlichem Lächeln, sagt etwas über sie auf Französisch, so bespricht man ja das Volk – und wendet sich mir zu. Dünne Finger machen ein Kreuz auf meine Stirne, unter den komischen, aschblonden Lockenstrudel, der das Größte an mir ist. Kalt muß es mich angeweht haben – dieses Kreuzeszeichen.

»Sie wird nie hübsch werden,« sagte klagend die vornehme Alte. Dann besichtigten mich Onkel und Tanten zwischen dreiundzwanzig und vierzehn Jahren. Sie haben später alle wenig oder kein Glück gekannt. Der Eisengürtel ihrer Kaste ist um sie nie zerklirrt. Sie lebten und starben in Niederungen des Geistes wie der Seele. Das Hohe des Lebens hat sie nicht gerührt, weil nur der Schein für sie entscheidend war. Von den Buben war da ein von Lungenkrankheit Gezeichneter mit fremdartiger, fast fremdrassiger Gesichtsbildung, der sich später zum Sklaven hochgekommener Industrieller machte und jung starb. Dann ein Sonderling, schwermütig veranlagt, weiberscheu. Der starb, ohne je aus sich herauszugehen; es hat ihn in Wahrheit niemand gekannt. Er hinterließ ziemlich viel erspartes Geld in unzähligen Taschen alter Hosen und Röcke, dreihundert Kravatten und zwei Bücher. – Seine Ansichten hat er nie ausgesprochen. Der Jüngste, damals ein halbes Kind, noch nicht siebzehn, war geistig arm, aber schon salongewandt. All diese Gesichter, die mir immer fremd und immer feindlich blieben, haben sich über meine Wiege gebeugt. Mit Wünschen, nicht so ungut, als sie einem Erben gegolten hätten, aber immerhin ungut genug. Nur der Sonderling, der fast nie den Mund auftat, fand für meine junge Mutter ein echtes und gutes Wort aus dunkler Ritterlichkeit heraus. Während die feudale Großmutter seufzte: »Eine arme Komtesse – eine nicht hübsche Komtesse« – war er zu der Mutter herangetreten, drückte ihr verstohlen ein Büschel Herbstveilchen in die Hand und murmelte: »'s ist ein liebs Schwesterl für den kommenden Bruder.« Dabei war er der Erbe, starb mein Vater ohne Sohn. –

Jene Blicke haben mir damals nicht geschadet. Der Dechant taufte mich in der kleinen Schloßkapelle, in der ein Skelett eingemauert sein soll aus alter Zeit. Sie liegt im alten Trakt, der »Tavern«, mit dem Blick hinab ins Tal, auf die Schmieden am rauschenden Wasser des schönsten Gebirgsflusses. Da lagen die Sensenschmieden, eine der eigenartigsten und seltensten Industrien, charakteristisch für Oberösterreich. Die Sensenschmieden des schwarzen Adels.



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