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In den letzten Septembertagen jenes Jahres, da wir nun das Stadthaus beziehen sollten, das in Graz, der Hauptstadt Steiermarks, gekauft worden war, fühlte ich in meinem Herzen ein endloses Abschiednehmen. Es sprach: So wie du heute gehst, kommst du nie mehr zurück. Tagelang, in diesen Herbststimmungen stahl ich mich, wenn es nur anging, fort, irgendwo Lebewohl zu sagen – wem? Keinem Geschöpf, keiner einzelnen Sache. Der Umwelt, in die ich mich eingesponnen hatte. Dem bitterlich-welken Geruch des roten Laubes im Parke, den langen Alleen, in denen meines Vaters schmale Herrengestalt langsam auf und abzugehen pflegte, unermüdlich, zwischen den Linden und Platanen, vom Nußbaum umstandenen Brunnen zum Gloriett. Den Winkeln und Lagern tief im Haselgebüsch, die wir so gern plünderten, dem Horchversteck im Park an der Wirtshauswand, hinter der die Dorfgroßen beisammen saßen, der Pfarrer, der Lehrer, der dicke Wirt, die rotarmige Wirtstochter, der Förster, der Jäger, der Bürgermeister. Und Sonntags dann die schweren Bauern. Endlos, meist geruhig, in einem eigenen Rahmen ging da das Gespräch, geschimpft ward über alles Neue. Über die »drohende« Bahn besonders; und über die eigene Poststation mit Telegraph. Wir hingen an der Wand im Gebüsch, wie reife Pflaumen und hörten geduldig zu. Auch über uns – »die G'schlosser« – wurde jedesmal geredet. Über »den Grofen« –, die Equipage mit den neuen, scheuen Füchsen, über Mamas schöne Kleider und ihre »Hantigkeit« (Schärfe). Über uns Kinder. Es war nicht immer schmeichelhaft, was wir erfuhren, aber nie gehässig, nie gemein. Gutmütigkeit und Solidaritätsgefühl hatten unbedingt die Oberhand. Als ich, zwölfjährig, mein erstes Gedicht in eine Lokalzeitung geschrieben – es hatte sogar fünf Gulden getragen, denn es war überaus tendenziös – erfuhr ich, an der Gasthauswand, daß 's ältest' Grofenmenscherl (Menscher heißen im Landl die jungen Dirnen) völlig gar zu speer (mager) sei – aber an Kopf hat', die muaß amal an solchenen, wia sagt ma glei', an Dichter heuern. Aber, was die nobligen Herrn sein, die habens nia nicht mitn Dichten. Da ist gföhlt! Die gräfliche Dirn bleibt sitzen.«
So sprach die Volksstimme.
Und von da an machte mich mein Bruder bei Meinungsverschiedenheiten mundtot mit dem Schlagwort: »Du bleibst überhaupt sitzen, weil Du dichten tust.«
Groß waren die Eindrücke des ersten Packens und Reisens. Über Steyr waren wir Kinder nie hinaus gewesen. Das lag, in Mittelalterstimmung eine Bauernstadt voll unruhiger Erinnerungen, drei Stunden Wagenfahrt vom Leonsteiner Schloß. Überragt war es vom alten Schloß jenes trotzigen Standesherrn meines späteren Buches »Papa Durchlaucht«. Es ward berühmt durch seine Wörndlische Waffenfabrik, die einen Weltruf bekam, und durch die zuströmende Arbeiterschaft dieser Großindustrie auch der erste Schlupfwinkel des Sozialismus, demokratischen Denkens und Strebens wurde. Der alte Wörndl, der Schöpfer des gewaltigen Unternehmens, das der Stadt eine Fülle von Geld und eine große Blüte brachte, war eine volkstümlich interessante, aber keine bequeme Gestalt; und der Adel, in den er seine allzu hochgewachsenen Walkürentöchter verheiratete, fand in ihm einen Eisenkopf, dem nichts imponierte, als die sieghafte Gewalt der Arbeit, die beginnende Macht der Industrie. Ich sehe ihn lebendig vor mir, wenn er die Güter besuchte; unvertraut, verschlossen dasaß, mit kühlem Blick besah, was ihm imponieren sollte. Auf der Höhe seiner Macht, Vater zahlreicher, zum Teil adelig vermählter Töchter, heiratete er seine Wirtschafterin und erzwang kühlen Blutes ihre Anerkennung in guten Kreisen. Zu der großen Waffenausstellung, mit der er ungezählte Fremde nach Steyr brachte, kamen verschiedene souveräne Herren, die er empfing, als sei er selbst ein Souverän im eigenen Reiche. Es war das erste Wehen neuen Geistes, das da durch eine altgeschichtliche Stadt ging. Das Land berührte er noch lange nicht. –
Ich wanderte durch die Zimmerreihen, in die Kapelle, strich über die Dachböden, stand im Hof, wo die zwei Rehe spielten, der Löwenbrunnen rauschte; hielt mit den Ahnenbildern meine Zwiesprache, bis es mir zu grauen begann: »Ihr werdet jetzt allein im Finstern sein, viele Monate. Ihr alten großen Öfen, ihr dürft nun nicht brennen! Das Schloß wird von der Höhe nicht mehr hinunterleuchten ins Tal wie ein glänzendes Auge. Wir gehen fort, in die Stadt.« Diese Stadt war ein leerer Begriff. –
Wo jetzt die Automobile und Motorräder über geebnete Straßen jagen, da fuhren wir im großen Reisewagen vierzehn Stunden bis zum Bahnanschluß in Selztal-Lietzen. Über Windischgarsten und Kloster Spital am Phyrn, das gemsengebirg-umstandene, über den Berg, durch unvergleichlich herrliches, jungfräuliches Land. Da lag zuerst Frauenstein im Waldschimmer, Schloß Claus, eine alte, salburgische Burg, die noch das Wappen trug, drei Würfel mit dem Falken und der Lilie, weiß und blau. Eine Gebirgsschönheit, im Lenz blumenüberschüttet, durchstrichen von lebenskräftigen Lüften, im Herbst ein Farbenfest. Blumen im ersten Schnee. Auf diesen Fahrten sagten wir Gedichte auf und sangen, stiegen aus, in der Wälderschönheit, – sie wurden zu leuchtenden Erinnerungen. Voran fuhr in einem großen Break die Dienerschaft, wir mit eigenen Pferden, das geschah zweimal im Jahre. Wie war man landbekannt! Überall hatte der Name seinen Klang, war gastliches Willkommen. Erst in der Steiermark, dann, als man den Zug bestieg, begann die Fremde. Es blieb uns viele Jahre unbegreiflich, daß wir plötzlich auch nichts anderes mehr sein sollten, als irgend welche Reisende. Meinen Vater machte es jedesmal melancholisch, die Mutter aber freute sich auf eine Stadt, in der sie niemand haßte, noch mit vorgefaßter Meinung beurteilte. Sie sehnte sich, jung und froh zu sein. –
Nach diesem ersten Scheiden von der festumgrenzten Welt eines Schloßlebens im Stile der siebziger und noch der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts war eine ganz bestimmte Epoche meiner kleinen Lebensexistenz abgeschlossen. Ich weiß, daß eine Leere monatelang in mir war. Die Zwerge kauerten nicht mehr im Walde zwischen harzduftendem Holzblock und zitterndem Grün. Die Ahnfrau ließ die Schleppe nicht mehr über die Parketten gleiten – die besondere Kapellenstille raunte nicht mehr um die Maria im blauen Mantel. In den hallenden Gängen waren die Kamine kalt, die Ahnenbilder schwiegen. Der Bann des Hauses, in dem ein Geschlecht seit Jahrhunderten lebte, schien gebrochen. Wie oft hatte ich den entsetzlich lastenden Traum: Nun ist das alles über Nacht fort, du kannst es nie mehr finden. Mußt suchen und wandern – findest es nicht mehr. Das Kinderland mit seinen tiefen Rätseln glitt feierlich, unerbittlich zurück, in nebelgraue Ferne!
Wie traurig ist eine Stadt für ein Kinderleben! Ich kann es nicht vergessen, wie traurig sie mir schien, lang – lang; bis ich zu ihr die Schlüssel gefunden.
Österreich hat viele Provinzstädte, jede mit ihrer speziellen, artig herausgeputzten, meist nicht ungemütlichen Rückständigkeit und ihren reichen Naturschätzen. Da ist – ich will vielmehr sagen, da war Prag, die Königliche, aber im Innern unglaublich Verwahrloste. Mit dem Typhuswasser, dessen Zustand durch Kanalisierung nicht abgeholfen wurde, aus nationaler Eifersucht. Denn wer macht die Kanalisierung? Hie Tschech – hie Deutscher! Das ging so jahrzehntelang, jedes Jahr kamen Cholera und Typhus; die zweisprachige Bevölkerung beschuldigte einander gegenseitig der Brunnenvergiftung. Die Garnison darf nur Mineralwasser trinken. Die Regierung spricht kein Machtwort. Neben herrlichen Palästen bleibt das furchtbare Judenviertel bestehen, mit dem seltsamsten und unhygienischsten aller Friedhöfe; bleiben die Brutstätten des Mob, die schrecklichen Spitalzustände. Reichbeschickte Märkte, billige Preise, bacchische Fruchtbarkeit in prosaischem Lande! Analphabeten, auch aus nationalen Gründen, überall! Da ist der Monarchie hochmütigster, reichster, engherzigster Adel, durchschnittlich in sich selber versunken, gänzlich indolent. Politisch eine Null – oder schlimmer: unzuverlässig. Es gab Zeiten, da hieß eine der ersten Familien einmal Schwarzenberg und einmal wieder Czernahora. In den Massen und im Landvolke bemerkte man russisches Fühlen und Hassen, ganz langsam aufglimmend. Wer hat es beachtet? Niemand! Das war Prag. – Nun sind sie enteignet, die stolzen Träger altfeudalster Namen im Lande. Gierig hat die Hand der Revolutionsführer zugegriffen, nach historischen Schlössern und Palästen, Tschechenbeutegier nach deutschem Besitz, deutschen Kulturerrungenschaften. Wie konnte es geschehen? Deutschböhmen ist groß, stark, intelligent und reich; ist vollkommen wehrfähig gewesen und ebenso ungeführt, eher so ungeeinigt. Die großen Sünden des Adels, die politische Unfähigkeit des Bürgerstandes, die pekuniäre, wühlende Gestalt des sogenannten deutschen, in Wirklichkeit vertschechten, seinem Gefühl nach überhaupt vaterlandslosen Judentums, hat dem Völkerverrat jeden Vorschub geleistet. Prag war eine, in ihrem Reichwerden wachsend jüdische Stadt, die alle Kategorien des gefährlichsten Hebräertums umschloß. Das ist nie beachtet worden. Der Osten hatte hier, wie in New-York, eine Zentrale, von der Geld und Agitation gegen das bestehende System ausging, in alle undeutschen Landesteile des Reiches. In Prag hatte später jahrelang der Generalstabsoberst Redl seinen berüchtigten Hochverrat getrieben. Der Kaiser aber konnte prinzipiell an keine hochverräterischen Offiziere glauben, der Generalstab seines Lieblings, des Grafen Beck, dieser Stab der gelehrten Theoretiker war tabu. – Es hat zweifellos ein intellektuelles und auch ein ideales Tschechentum gegeben, das in tausend Schmerzen die berechtigte Entwicklung der Seinen forderte. Ihm trat die Regierung, immer doppelzüngig, entgegen, sowie auch den Deutschen; bei der tschechischen Art aber löste das einen zischenden Haß aus. Diese tschechische Seele, die aus der Musik des Landes emporlodert, einmal hinreißend gewaltig, schmerzvoll wie Kindesflehn, werbend, bettelnd, dann wieder trivial und mit brutalem Rasen fordernd, diese gefährliche Seele bedurfte eines ganz anderen Verstehens. Ja, das war Prag und mit ihm sein Land, das reiche, weite, satte! Das adelige Land, vorbei! Ich denke an Laibach, die Hauptstadt von Krain, über die es hinklingt in herzlosem Scherz: »Trau, schau wem, nur kein' Krainer und kein' Böhm'«. Laibach hat für nationale Fragen blutendes Studententum, hat politisch extreme Bischöfe und militärische Verwirrungen gesehen. Ebenso Agram, Brünn. Sehr deutsch war Klagenfurt. Tragisch deutsch waren die kleinen, aber wichtigen Städte Südsteiermarks, Marburg, Pettau, Cilli. Da ist oft Blut geflossen. In Triest zischte das Slowenentum auf die Deutschen hin; ein lauerndes Hydrahaupt, brütete im Italiener der Haßgedanke. In Lemberg war immer Polen mit der tragischen Geste. Und so weiter, ihrer mehr, der innerlich zerfleischten, zerfahrenen Brutstätten des Völkerzwists. Wenn der Kaiser erschien, oder ein Erzherzog, kam sofort das Zusammenfließen des Bildes in ein militärisches Pracht- und Zwangsschauspiel mit höfischer Adelsphalanx, vor der alles Einheimische lautlos verstummte. So regiert kein denkendes Geschlecht ein vielsprachiges, gefährliches Reich. Ein Monarch muß nicht nur Trachten und Bräuche, er muß Menschen sehen, erkennen, ihre Eigenart erfassen. Das ist nie geschehen. Selbst in Tirol, dem treuesten der Lande, im alten Innsbruck kam es schließlich weit, sehr weit. Als die zuverlässigen Eliteregimenter nicht mehr mit ihren Leibern den Thron decken konnten, da war's vorbei. Es ist durchaus verhängnisvoll gewesen, nur Herr seines Reiches zu sein durch einen eisernen Militarismus. Denn schließlich besteht auch dieser in letzter Stunde aus dem unterwühlten, zermürbten Volke. Rudolf, der Kronprinz, wußte es, daß der Halt eines Königs in der einfachen Volkssympathie und in seiner führenden Intelligenz zu suchen ist, wenn er echt sein soll.
Von deutschen Städten in Österreich war Graz die bedeutendste und immer die deutscheste; darum von wachsender Unbeliebtheit in Wiener offiziellen Kreisen. Graz war jahrzehntelang die Schwelle für das geistige und künstlerische Wien, der Sitz nationalen Strebens, einer starken Studentenschaft, hervorragender Gelehrter und Professoren, die von ihm ins Reich hinauszogen, an die großen Universitäten. Äußerlich sah die verträumte Stadt nicht vielen gleich. Sie lag an der temperamentlosen Mur, die zu faul ist, um schiffbar zu sein, – la ville des Grazes, an bord de l' amour – sagte ein galanter Franzose. – Als ihr Wahrzeichen grüßt traulich der alte Schloßbergturm. Eingebettet in Grün hatte sie den Hauch vom Süden, gepaart mit kalten Grüßen von der Schökelhöh. Ihre Lieblichkeit und ihre Schulen machten sie zum Zielpunkt vieler Existenzen, insbesondere pensionierter hoher Offiziere. Hier lebte, als wir das kleine Herrschaftshaus in der alten, lieben Grabenstraße bezogen, der Feldzeugmeister Ludwig Benedek, der Oheim meines späteren Gatten, in der schönen, mit Kunstschätzen gefüllten Villa seiner Frau, der geborenen Freiin von Krieg-Hochfelden, Tochter des berühmten Lemberger Statthalters im Jahre 1848. Hier lebten die höchsten Offiziere der alten Armee vor 66, gefallene Größen; John, der dem erhabenen Freund und Märtyrer eben so untreu gewesen war wie viele andere und das vergebens gut zu machen suchte. Große Herren, die die Uniform getragen. Sie standen zu ihrem gewesenen Führer im Kriege gegen Deutschland in einem sehr seltsamen Verhältnis, dem des schlechten Gewissens, das sie nicht ruhen ließ. Immer wieder suchten sie zerrissene Fäden anzuknüpfen, immer wieder schickte der Kaiser Erzherzöge, Generäle, schickte den Kronprinzen zu Ludwig Benedek; in der ungeheuren Tragik eines Schicksals, das alle Verschuldungen anderer auf sich genommen und den Kriegsherrn unentwegt deckte. In einem starren Schweigen lebte dieser Mann, von dem Moltke gesagt hat: Hätten wir diesen großen General hier draußen bei uns. – Er war nicht zu sprechen für seine versunkene Welt. Er wartete nur auf ein letztes großes, völkerbedeutsames Gespräch mit dem Kaiser, im Interesse der Armee. Zu diesem Gespräch ist es nie gekommen; sein alter Verderber und Neider, Erzherzog Albrecht, hintertrieb es erfolgreich. So lebte in Graz diese geschichtliche Gestalt von einer Reinheit und schlichten Größe, ohne Beispiel vergöttert von bürgerlichen Offizieren und Volkssoldaten, von den Invaliden; der populärste Mann der gefallenen Armee, der Urheber des Sieges von Custozza, den er, als reife Frucht, durch seine Armee in des Scheinführers Hände gelegt hatte. Das größte Opfer der Habsburgischen Dynastie und ihrer ruchlosen Umgebung war Ludwig Benedek, der Feldherr. Schauer der Geschichte wehten um diesen Mann im einfachen Jägerkleid, der die Uniform, die Orden abgelegt hatte, der still in die Berge ging mit seinem gebrochenen Herzen. Er hatte den Kaiser über alles geliebt, gegen seine Überzeugung eine schwere Schuld an der Armee begangen. Der alte Soldat mit dem bedingungslosen Gehorsam hatte sich in dem ihm tief verhaßten Bruderkrieg eine letzte Schlacht aufzwingen lassen, die nicht sein durfte. Das hat er selber frei bekannt. Sonst sprach er nichts.
Mein Vater schon hatte mir oft von Benedeks einzig dastehendem Schicksal erzählt, dem geschlagenen Führer, auf den einst aller Haß, alle Verzweiflung der Besiegten gefallen war. Wir begegneten ihm oft. Er wurde ununterbrochen gegrüßt, hatte die Taschen voll losen Kreuzern, war kindlich mild, gütevoll ausgeglichen. Mein Vater stand stramm vor ihm. Ich denke daran, daß der blaue Stahlglanz seiner Soldatenaugen auf mir geruht, daß seine lebenswarme Hand mein Haar gestreift hat. Sein Leichenbegängnis wurde zum Ereignis. Er hatte sich jeden militärischen Prunk verbeten, lag in Zivil im Sarge. Ein entsetzliches Leiden hatte ihn langsam zu Tode gemartert, ohne daß er jemals davon sprach, es jemals zeigte. Er pflegte seine Frau hinauszusenden, wenn die Anfälle kamen, nur sein alter, treuer Diener wußte um sie. An seinem Sarg ist John gestanden, der Freund, dem er ganz vertraut und der ihn auch verraten hatte, aus Furcht vor der Krone. Zu dem Toten erzwang er sich den Eintritt. Und dieser harte, hochfahrende Mensch weinte angesichts des Verstoßenen wie noch nie im Leben. Alle großen, deutschen Heerführer schrieben der Witwe, von Bismarck kam ein selbstgeschriebener, langer Brief, ein Ehrenzeugnis ohne gleichen für den größten Heldencharakter, den Österreich besessen hat.
Als sich der Leichenzug in Bewegung setzen sollte, angesichts einer Menge, die, nach Tausenden zählend, sich in der stillen Brandhof-, der vornehmen Elisabethstraße drängte, da geschah etwas Seltsames! In langen Reihen kamen, in Uniform und Ehrenzeichen, die Invaliden gezogen der großen italienischen Kriege, der Schlachten von Mortara und Novara, St. Martino, Santa Lucia, Curtatone, Solferino, die Überlebenden von 1866.
Sie kamen, in festgeschlossener Schar, tiefe Trauer in den Gesichtern, sie drängten herein, in den Park der Villa, die Eingangssäule am Tor stürzte ein. Sie hoben den Sarg, ohne zu fragen; trugen den Helden auf ihren Soldatenarmen hinaus, zur letzten Stätte. Der Eindruck war derart erschütternd, daß ihn keiner, der ihn miterlebte, jemals vergessen hat. Die alte Wahrheit von der, im tiefsten Inneren unbestechlichen Wahrheit und Treue des Volksurteils war da aufgestanden – hatte unerbittlich gesprochen. Sie hatte der Krone, dem Hof und Adel, der unerhörten Geschichtsfälschung gegenüber das letzte, unantastbare, das erlösende Wort.
Ich bin damals noch ein Kind gewesen, aber ich habe an meines Vaters Hand die Stunde miterlebt; ich nahm ihren Eindruck mit in mein Leben. –
Später heiratete ich in dieses Haus, mein Gatte war der Erbe des kinderlosen Feldherrn geworden. Als ich Braut war, wurde in meine Hände der Nachlaß des Feldherrn gelegt, soweit er noch vorhanden war, denn die Dokumente aus dem Feldzug selber hatte Benedek, unter dem Druck der flehentlichen Bitten des Erzherzogs Albrecht, der bei ihm eindrang, selbst vernichtet! Sobald er das getan, hat dieser Erzherzog den unerhörten Artikel in der Wiener Abendzeitung veröffentlichen lassen, der Benedek als den allein Schuldigen am Kriegsunglück bezeichnete. Nach den Briefen und Nachlaßpapieren schrieb ich, als junge Frau, tief in meiner ganzen Natur erschüttert, » Königsglaube« und bin daran fast zugrunde gegangen. Das Erleben dieser Arbeit riß an den Grundfesten einer österreichischen Natur, machte sie irre an Allem; war ein Schmerz, für den es keine Worte gibt, eine Sehnsucht, eine flammende Entrüstung, eine kniende Begeisterung vor Menschengröße! –