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Das war bereits in der Zeit seiner Ungnade, als er zur Hochzeit seines Sohnes mit der Gräfin Margarethe Hoyos-Whitehead nach Österreich reiste. Sein Kommen hat da ungeheure Aufregungen ausgelöst, es wurde zum Ereignis für das ganze leidende, eigentlich heimatlose Deutschtum. In den breiten Schichten des Volkes, den Intelligenzkreisen, auch an vielen Stellen im Heere war der künstliche Haß des kurzen Bruderkrieges 1866 begraben, die Hinneigung zum Reiche, als zur natürlichen Heimat, außerordentlich stark. Denn da der Zusammenhalt des zusammengefaßten Nationalitäten-Gemengsels Österreich-Ungarn doch nur von einer Familie abhing und diese Familie, ihren deutschen Ursprung in der Nordschweiz vergessend, keinerlei Sympathie für das germanische Element seiner besten Provinzen besaß, dessen Talente und feste Charaktere nicht zuließ in die Regierungskreise, in das Hofmilieu, ihnen kein Vertrauen schenkte, waren die Zusammenhänge zerrissen. Seit Karl dem Fünften und den Ferdinanden war die Habsburgische Umgebung aus Welschen, Spaniern, Portugiesen, Tschechen, Polen, Ungarn zusammengesetzt; die Erbgüter des deutschen Uradels, besonders in Böhmen, waren in den Reformationskämpfen einfach den fremden Führern der Söldnerheere als Huldbeweis übertragen worden, während viele Hunderte aus bestem deutschem Adelsgeschlecht aus Österreich bettelarm nach Sachsen auswandern konnten, uneingedenk ihrer großen Verdienste. Da also die Deutschen bei uns im Lande die Letzten waren, für die nach Kaiser Josefs des Zweiten Zeiten nie mehr etwas geschah, ist es vollkommen begreiflich, daß sie dem mächtig aufblühenden nationalen Vaterlande zustrebten. Wenigstens in heimlicher Seele, besonders die Intellektuellen, diese treibenden Kräfte eines Landes. Wollte ein Gelehrter zur Geltung kommen, ein Erfinder, ein großer Arzt uneingeschränkt für die Menschheit schaffen, ein Talent sich ausbilden, alle mußten sie fort, nach Deutschland; in Österreich war für sie nichts zu wollen. Sein Buchhandel lag darnieder, seine Künstler und Professoren strebten fort, der unerträgliche Druck des Nationalitätenkampfes lähmte alles. Längst sah man in Bismarck nicht mehr den Feind einiger Kriegswochen, sondern nur mehr den einzig dastehenden Mann der Weltgeschichte, der im Siege weise Mäßigung eingehalten, das Schwert fallen gelassen, die Hand gereicht hatte, sobald es nur irgend anging. Kronprinz und Thronfolger von Österreich warben um die Freundschaft des deutschen Kaisers, der oft genug nach Wien kam. Die breiten Volksschichten vibrierten seit seinem unerhörten Sturze nur für Bismarck. Die Wucht seines Schicksals packte jede deutsche Mannesseele. Graz vor allem, eine der deutschesten Städte, trotzig und regsam, flammte auf, als es vernahm, der Fürst berühre es auf seiner Reise zur Wiener Hochzeit, die von den Hoyos, wohl nicht ganz taktvoll, etwas zu offiziell und pompös ausgerichtet wurde. Das lag daran, daß die Gräfin Georg Hoyos-Whitehead, eine glänzende Mondäne von internationaler Erziehung, nie genug Pracht um sich sehen, mit etwas parvenuhaftem Einschlag nie genug Hofluft atmen, nie genug Fürstlichkeiten empfangen konnte. Auf der Insel Whight genossen diese Leute, die sich immer gerne feiern lassen, eine unbegrenzte Gastfreundschaft, die hübschen Töchter des Hauses hatten in den Hochadel geheiratet. Alles krönen aber sollte diese Ehe einer Hoyos mit dem Grafen Herbert Bismarck, der nach einer traurigen Liebesangelegenheit, in der sein Vater unerbittlich blieb, wenig genug Herz in diese Verlobung mitbrachte, die er mit einem wirklich reizenden, durch und durch vornehmen Mädchen feiern sollte. Margarethe Hoyos war nicht nur eine große Partie – mußte für diese Heirat vor allen Geschwistern bevorzugt werden, sie war auch in einem weltlich oberflächlichen, internationalen Milieu eine seelisch tiefer geartete Eigenart, nicht auffallend hübsch, aber voll Anmut. Eine vollendete Erziehung und zarte Kindlichkeit sprachen aus ihrem Wesen. Ihr künftiger Gatte, sehr viel älter als sie, hatte gelebt, man empfand das. –
Ich sah all diese Menschen bei einer Frau, die mir jahrelang sehr viel gewesen ist, der alten Gräfin Camilla Hoyos, geborene Gräfin Erdödy, die in Graz im Palais Apfaltern eine kleine, sonnige Parterrewohnung inne hatte. Auf meine Arbeiten aufmerksam geworden, bat sie mich, ihr diese zu bringen, und bald ging ich jeden Nachmittag hin, ihr vorzulesen; verbrachte mindestens zwei Abende die Woche bei ihr, hinter denen alle weltlichen Freuden und Feste verblaßten. Ich hatte eine geistige Heimat gefunden. Die Gräfin Hoyos, die nach einem vielgeprüften, interessanten Leben, das an Sorgen reich gewesen, mit Glücksgütern wenig gesegnet, in Graz ihre Tage vollendete, war eine jener geist- und temperamentvollen Ungarinnen, die in großen Zeiten ihrem Vaterlande Führerinnen geworden sind, mehr als Männer. In einem gebrechlichen Körper, der gewiß nie reizvoll gewesen, leuchteten die klügsten Augen, lächelte fein ein Mund, der alle Grazie der Plauderei besaß, ohne je zu verflachen. Sie war so filigran, daß ich sie mit einer Hand aufheben konnte; sie ging nicht mehr aus, sie wurde gefahren. Den ganzen Tag empfing sie aber nur ausgewählte Menschen mit geistigen Interessen. Jeder Gesellschaftsklatsch war streng verpönt in ihrem Salon. Dem typischen aristokratischen Geplapper pflegte sie gänzlich schweigend mit einer leichten Ironie solange zu lauschen, bis es verplätscherte. Es gab Leute, die kamen fortwährend zu ihr, andere blieben bald aus. Man konnte sie nicht kennen, ohne ihr näher zu treten. Sie war mehr Geist als Körper, sehr unpersönlich. Nannte sich selbst eine Atheistin, leidenschaftliche Anhängerin von Häckel und Nietzsche – sprach aber mit niemandem lieber als mit geistvollen Priestern, Jesuiten, selbst Mönchen. Mit dem ganzen Hochadel der Monarchie verwandt, hatte sie Geschichte erlebt und machen helfen. Als junge Frau in der Revolution von 1848 hatte sie ihrem Manne, der in einer hohen Stellung in Triest für das Vaterland konspirierte, das Leben erhalten, indem sie seine Papiere verbarg und rettete. Sie hatte die furchtbaren Massenhinrichtungen in Ungarn mitmachen müssen, bei denen das edelste ungarische Blut floß; sah einen Bathyany fallen, eines Szechenyi Geist sich umnachten, weinte die letzte Nacht mit den Blutzeugen der Revolution, die Österreich hinschlachtete, deren Blut auch in ihren Adern floß. Es waren die Helden: Pöltenberg, Lahner, Knozich, Sander, Aulich, Damianik, Vecsay und Leiningen. Camilla Hoyos glaubte, unter ihnen, die so gefaßt dahingingen, zu vergehen. Man fand sie am Morgen bewußtlos im Kerker liegen. Sie hat den Mut gehabt, auf dem ersten Hofball nach der Schreckenszeit das verpönte schwarze Gedächtnisarmband mit den Namen der Toten zu tragen, das die adeligen Frauen Ungarns anfertigen ließen. Der Kaiser sah es an ihrem Arm und erblaßte. Die kleine zarte Frau hat ihn fest angesehn. Es war in dieser Ungarin die sieghaft starke, furchtlose Vaterlandsliebe der Magyaren, die das winzige Volk unüberwindlich durch die Zeiten getragen hat. Sie verstand zu dulden und zu entbehren so gut wie zu prunken. Die Frauen Ungarns sind überhaupt von besonderer Art.
Ungezählte Stunden verbrachte ich in diesem stillen Salon, dessen Fenster in einen grünen Garten blickten, vergeistigte, reiche, vornehme Stunden. Sie war kühl, diese Frau, sie liebkoste nie, sie erzog nie in Worten. Ihre Gegenwart schon wirkte erziehlich. Sie liebte die feinen Worte subtilen Esprits, die Andeutung, aber auch die Tiefe. Die bedeutendsten Menschen von Jahrzehnten hatten mit ihr korrespondiert. Schöngeisterei war ihr verhaßt, sie lehnte sie ab. Sie urteilte, aber sie verurteilte nicht. Vor manchen Menschen zog sich ihr Inneres ganz zurück, mimosenhaft. Die Art ihrer Ablehnung war eine immer wachsende Höflichkeit der Formen. Bei ihr sah ich sehr große, sehr reiche Herren und Damen mit künstlerischen wie politischen Neigungen, die Andrassys, Palffys, Festetics, Zichy, viele andere, sah und hörte ich unvergeßliche Menschen. Und meine Wildheit, die nicht rasten zu können glaubte, die immer strebte – suchte, fand hier einen Tempel der Friedsamkeit – der Verinnerlichung. Stundenlang las ich vor, auch französisch. Meist Geschichte, Philosophie. Es ist der einzige wirkliche Salon in Graz gewesen, trotz seiner spartanischen Einfachheit. Bei Lamberg im Palais Saurau blieb alles Halbheit, war von allem ein bißchen. Bei den beiden originellen Gräfinnen Meraviglia mit ihrer Theaterleidenschaft herrschte Fröhlichkeit, österreichischer Reiz. Den fand man auch anderswo, da und dort. Bei Hoyos aber vertiefte sich das Leben.
Dieser alten Frau nun war es bestimmt, die Großmutter Herbert Bismarcks zu werden; ihre Enkelin, die Braut, kam nach Graz. Sie brachte in den kleinen Salon Jugend und Anmut. Strahlendes Glück ging nicht von ihr aus. Vielleicht hat sie heimlich gebangt vor der preußischen Ehe, vor dem Weg ins Unbekannte. Mut machte man ihr nicht. Denn in den Adelskreisen herrschte unentwegt die alte Abneigung gegen Deutschland, das alte erbitterte Vorurteil: »So a Preuß', da schlag ich a Kreuz, wann ich den siach!«
Und nun einen Bismarck, den Erbfeind nach ihrer Ansicht! Aus dem Herzen Österreichs holte er die Braut.
Ich sehe den grauen Regentag vor mir, an dem in Graz Tausende wartend standen, in allen Gassen, auf dem Bahnhof. Jeder Platz war dicht besetzt. Die gesamte Polizei, das Militär waren aufgeboten, als streng verantwortlich für jede Demonstration. Und die kam doch! Demonstration war jeder Atemzug. Für den Fürsten Bismarck. Aus deutschen Seelen glühte, loderte es ihm entgegen. Die deutschen Studenten waren alle da, in prächtigem Aufmarsch. Zum offiziellen Empfang hatte sich niemand eingefunden – Befehl von Wien. Da die Riesengestalt Bismarcks sichtbar wurde, war der Eindruck ein unbeschreiblicher. Als empfinde man mit einem Male die ganze Macht, die ganze Bedeutung deutscher, sieghafter Größe. Er trug Reisezivil, nahm den Hut ab, grüßte sie alle, deren Hingebung er empfinden mußte. Neben ihm stand sein Sohn, unfreundlich, düster. Die Fahrt durch die Straßen wurde zum Triumphzug. Wer konnte das hindern? Keine Polizei der Welt! Das entsetzliche Unrecht, das dem größten Manne Deutschlands geschehen, riß Dämme nieder, ließ eine Liebe heranströmen, wie er sie im deutschen Österreich doch nicht geahnt hatte. Seine durchdringenden Adleraugen gingen hin über die Gesichter. Um seine Lippen zuckte es. Er dachte – Geschichte.
Im Hause Hoyos war er einfach und herzlich, ein großer Herr in seinem Familienkreis. Er bezauberte alle und war doch nur er selber. Gab sich gerade und schlicht. Der düstere Bräutigam, den die Braut allerliebst aufzuwecken versuchte, hat mit seinem Regenschirm die auf den Wagen anstürmende Menge abgewehrt, das wirkte erheiternd. Herberts Gedanken und Wünsche schienen weit weg. Er war artig – mehr nicht.
In Wien sind dann diese vielbesprochenen Hochzeitstage gekommen, in denen man es fertig brachte, einen Bismarck links liegen zu lassen, ihn offiziell nicht zu beachten. Die Hochzeit war prunkvoll, aber nicht heiter. Und ich glaube, nicht heiter der Anfang dieser ungleichen Ehe. Tapfer ist die junge Frau hinausgegangen in die Fremde. Der sie dort ans Herz genommen, sie in die Sonne gepflanzt, sie geführt und belehrt, ihr die Schlüssel deutschen Wesens in die Hand drückend, das war nicht ihr Gatte. Der Fürst Bismarck war es. Er lenkte auf dem fremden Boden ihre Schritte liebevoll, er machte aus der österreichischen Komtesse eine deutsche Frau, die wirkliche Gefährtin des Mannes, dessen Herz sie langsam gewann. Bismarck, segenbringend auch als Mensch im Alltagsleben! – ein neuer Glanz leuchtet da auf, um seine Gestalt. – Ich aber nahm die Erinnerung mit in mein Leben, daß ich ihn gesehen und sprechen gehört hatte. Ich wußte jetzt, daß ich ein deutsches Mädchen war. –