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Es war der erste Fasching, an dem ich ausging, als die Botschaft von dem schrecklichen Tode des Kronprinzen an einem Januarabend eintraf. Ich war eben für einen sogenannten Jungen-Herrenball angekleidet, und der Wagen sollte vorfahren. Statt dessen riß es heftig an der Hausglocke, ein junger Baron Jordis, der Vortänzer war, in Frack und Abendmantel stürzte unangemeldet, schreckensbleich herein und schrie: »Der Kronprinz Rudolf ist erschlagen worden.« Das war die erste Version und gewiß auch der Wahrheit entsprechend; die späteren Erzählungen von Selbstmord und Doppelselbstmord sind hinfällig geworden. Ein Leben, das sich in den zügellosesten, den traurigsten Ausschweifungen selbst verloren, ein warmes Herz, eine vielseitige Begabung gingen elend zugrunde, ein Reich verlor seine letzten Hoffnungen. Das sogenannte goldene Wienertum mit seinem Phäakentreiben, seiner Haltlosigkeit und falschen Lebenslust hatte sich zuerst des jungen Mannes bemächtigt. Dann kamen Hofleute, kam Gesindel; die Verderber waren in der nächsten Umgebung zu finden. Griechische Juden durften den exklusivsten aller Höfe betreten; der Mädchenverkauf, das zügellose Spiel aller Laster begann. Als Rudolf tot war, haben die Ärzte seine Eltern damit getröstet, daß er unheilbar krank gewesen sei durch seine Ausschweifungen und nur mehr Monate gelebt hätte. Der Wahrheitsbeweis dieser Worte ist nie erbracht worden. Ein haßerfüllter Gatte aus dem Volk, dessen schöner Frau der Prinz, trotz vieler Warnungen, nachstellte, soll seine Ehre gerächt haben. Der Kronprinz war derart zerschlagen, daß ihm die Kinnlade aufgebunden wurde, sein Gesicht erst präpariert werden mußte, er wurde sehr hoch aufgebahrt, in Blumen begraben, damit man ihn nicht sah. Eine glücklose Ehe fand damit ihren Abschluß, ein armes, kleines Mädchen war dem Zufall, der Verwandtenhärte preisgegeben. Die schwankende Existenz der Tochter des Prinzen, die an einen nichtssagenden Aristokraten schleunigst verheiratet wurde, damit der Kaiser sie nicht zu lieb gewinne, ist zweifellos auf ihre Verlassenheit als Kind und auf vieles, was sie gesehn, zurückzuführen. Geschieden, soll sie sich nach dem Umsturz dem Sozialismus zugewandt haben und mit einem Manne des Volkes unter Arbeitern leben. So wird erzählt. Das Entsetzen über Rudolfs Tod und Schande war lähmend, besonders in Deutsch-Österreich. Man hatte ihn gern gehabt, an ihn geglaubt, trotz allem. Wenn er kam, gewann er die Herzen immer wieder. Ihm war der Reiz seiner Mutter eigen, ihm blieb in Mannesjahren eine gewisse Kindlichkeit, er gab sich reizend. Er war österreichisch durch und durch. – Die nagende Rastlosigkeit wittelsbachischen Wesens aber besaß er auch in hohem Grade, nichts hielt ihn lange. Er war treulos geboren und ruhelos. – Der Obersthofmeister, Graf Bombelles, hatte ihm alle Wege zu wüstestem Treiben immer geebnet. Der Kronprinz war im Fasching gestorben, und nachdem sich der erste hysterische Trauerrausch gelegt hatte, erhob sich sehr bald ein allgemeines Murren wegen der Landestrauer, den abgesagten Unterhaltungen. Eine Kommission ging zum Kaiser und erbat die Erlaubnis, das Festeverbot nicht länger ertragen zu müssen. Zuerst käme doch wohl das Geschäftsleben, Trauer sei eine private Sache. Der Kaiser hat seine Österreicher damals wohl mit einem seltsamen Blick angesehn. Und es durfte dann weiter getobt, mit rotgeweinten Augen getanzt werden! –
Der Erbe war tot. Ein zweiter Erzherzog, Johann Orth, über Bord gegangen. Die Habsburger kannten ihn nicht mehr. In Salzburg, im Hause Toskana mit dem welschen Blute, braute allerlei Unliebsames. Und auf die Bildfläche trat nun ein Mann, der als halb tot und erledigt gegolten, der von schwerer Lungenkrankheit notdürftig genesene Thronfolger Franz Ferdinand Este. Sein Vater Karl Ludwig zog die Stille der Thronesnähe vor und bat, über ihn hinzugehen. Er starb im Mai 1896. Der Erzherzog Franz Ferdinand war 33 Jahre alt. Ein harter Mensch, mit sehr guten Manieren, Verbitterungen in der Seele, die nicht mehr heilen konnte, trat er peinlich streng und korrekt auf. Ohne Menschenkenntnis fällte er vernichtende Urteile, gab und entzog seine Gunst, die sich schwer erwarb. – Seine eigene Persönlichkeit war, durchaus subjektiv, der Ausgang aller seiner Bestrebungen. Er hatte leicht Antipathien, keinerlei Freisinn, keinen Zeitgeist und verlangte für den überlebten Adel, der sein Unreifezeugnis immer wieder erbrachte, gebieterisch die alte, ungerechte Bevorzugung in allem. – Schlecht unterrichtet, wie alle diese Prinzen, hatte er sich später mit Konsequenz selber gebildet. Als Erbe des Herzogs von Modena besaß er jung viel Geld. Er war geizig, außer wenn es galt, Antiquitäten zu kaufen, die, auf seinen Gütern angehäuft, viel Wertloses auswiesen. Ein grausamer Jäger war dieser Este, aber ein Soldat, wie der Kaiser es von den Erzherzögen haben wollte.
Er haßte die Ungarn und liebte die Engländer. Er hatte seine geheime Politik, dachte sich, bei dem sichtlichen Verfall der Monarchie, die Lösung durch einen Staat auf neuer Grundlage, mit einer Föderation kleiner, selbständiger Landesteile, im Inneren autonom, aber streng zusammengehalten durch eine sehr starke Zentralregierung und ein gewaltiges Heer. Es war äußerlich ein Bild im amerikanischen Sinne. Der Gewaltgedanke den Völkern gegenüber, das Aufzwingen einer Idee stand diesem Habsburger, mit dem der Verkehr kein leichter war, sehr nahe. Ein einziger Mensch hat ihn beherrscht, ja geleitet, die tschechische Hofdame, Gräfin Sofie Chotek, seine spätere Frau. Durch sie schwanden auch seine Sympathien für die Deutschen in Österreich, die er früher oft zum Ausdruck gebracht hatte. Diese kleine, nicht einmal sehr hübsche, enge und hochmütige Frau mit dem großen Talent zur Intrige, dem verbissenen Sich-Durchsetzen, behielt immer Recht. Der Kaiser hat sie nie gemocht, die ganze Ehe war ihm schrecklich. Sofie Chotek hat sich den Aufstieg, den sie schließlich mit dem Leben bezahlte, sauer verdient. Sie wurde vom Hofe der töchtergesegneten Erzherzogin Friedrich fortgejagt, als es aufkam, daß die Besuche des Franz Este ihr, nicht den Prinzessinnen galten; sie ist arm, verfolgt, in Gefahr gewesen, bis jener starke Arm sie schützend umschloß. Aber der Glorienschein einer glücklichen, erfüllten Liebe hat sie weder dankbar noch gut gemacht, ihre enge Natur blieb immer dieselbe. Geizig und herrschsüchtig, unbarmherzig gegen Dienende, besaß sie im Volke gar keine Sympathien, so wenig wie am Hofe und in der Familie ihres Gatten. Viele kleine charakteristische Züge erzählen von ihrer Unnachgiebigkeit, der unfürstlichen Kleinlichkeit ihres Wesens. So hatte sie Schloß Sanders in Tirol für einen Sommer gemietet, und der unglückliche Besitzer stürzte sich in die größten Auslagen für die Gäste, die keine hohe Miete bezahlten, aber in Ansprüchen maßlos waren. Das ganze Schloß wurde auf den Kopf gestellt, die ganze Gegend erwartete einen fremdenreichen Sommer. Man sah mit Spannung Waggonladungen von Sachen ankommen, darunter ein Dutzend Beichtstühle. Plötzlich, – die Besitzer wollten eben abreisen, der Erzherzog sollte eintreffen, – kam eine Absage, Anullierung der Miete, ganz kurz. Die hohen Herrschaften kämen nicht. Man solle als Grund irgendeine Epidemie angeben, die im Umkreis spuke. Die wahre Ursache war, daß es der Gräfin Chotek zu Ohren gekommen, der Schloßherr hätte sich vor nicht langer Zeit in siebenbürgischer Ehe zum zweiten Male vermählt. Obwohl das Ehepaar das Schloß vollständig räumen sollte, wollte es die sittenstrenge Mieterin nicht betreten. Der Schaden für die Gegend war ungeheuer, kein Pfennig Ersatz wurde bezahlt. Die Sache ging durch ganz Tirol und machte sehr böses Blut.
Mit ihrem Gatten stand und fiel diese Frau, die ein furchtbares Schicksal erwartet hätte, überlebte sie ihn. Gott war barmherzig und nahm sie mit ihm zugleich. Beispiellos erniedrigend, vom menschlichen Standpunkt, war der Eindruck, als ihre Leiche in Wien von der des Gatten gerissen, eine ganze Nacht formlos und unbeachtet in irgendeinem Packraum des Bahnhofes herumstand – ein Packstück irgendwelcher Art. Man wurde sich nicht schlüssig über die Art, sie zu begraben; des Gatten Ehren durfte sie nicht teilen. Neben dem Raume, in dem sie lag, soffen rohe Gesellen und rissen ihre Zoten. Zwischen dem Obersthofmeisteramt, den Angehörigen, dem Adel tobte der Meinungskampf, sogar in getrenntem Grabe sollte die Unebenbürtige liegen. Der Hochadel hat damals für die Ermordete eine imposante Demonstration veranstaltet. Es wurde schließlich durchgesetzt, daß sie neben Franz Este in Artstetten ruhe, nicht ohne die widrigsten und gemeinsten Kämpfe, die im Volk die allerbösesten Stimmungen auslösten. Das Prestige des Erzhauses war durch die vielen irregulären Vorkommnisse ständig im Sinken. Den Erzherzögen fehlte die eiserne Hand, die sie zügelte.