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Gewitter im Volke

Die Stürme gegen den verhaßten polnischen, in Österreich allmächtigen Grafen Badeni brachen los. Gewissenlosigkeiten der nationalen Volksvernichtung an hohen leitenden Stellen, passive Resistenz der Regierungen ihren Pflichten gegenüber, Übergriffe protegierter, Leiden unbeliebter Beamter mit starker Gesinnungstreue hatten schließlich eine unerhörte Menge von gefährlichem Zündstoff angesammelt.

Des Kaisers Ohr war für solche Dinge nicht erreichbar, von Franz Ferdinand Este erhoffte niemand mehr etwas anderes als Familienstreberei, Befriedigung persönlicher Wünsche und Leidenschaften. Vor Ungarn zitterte man, das sollten andere, wehrlosere Völker entgelten. Der Magyar hat an seine geheiligte Nationalität nie rühren lassen. Sie stand ihm höher als Gut, Blut und Leben. Davon hätte der Deutsche zu lernen. Lemberg wurde zuerst der Schauplatz blutiger Tumulte. Dort übte ein gewalttätiger, treuloser Adel seine Herrschaft aus. Demütig vor dem Kaiser, der militärumstarrt in einer furchtbaren Einsamkeit über die wahren Vorgänge in seinem Reiche nicht unterrichtet lebte, war dieses Polentum maß- und gewissenlos, wie es immer gewesen.

Die Strohpuppe des Grafen Badeni hing an allen Laternen. Man fühlte überall den fauchenden Atem eines zum äußersten gebrachten ungeheuren Tieres, das die Tatze hebt, das Volk! Nur als Volksbegriff – nicht anders. Der Glaube an alle Regierungen war erloschen. –

Als in Wien die noch nie dagewesenen Skandale im Parlament losbrachen, Tintenfässer, Schimpfnamen flogen, die Abgeordneten sich zum Teil wie Schuljungen wüster Sorte benahmen, kam es in Laibach und Agram zu starken Unruhen; Graz war heißer Boden durch die slawische Nähe. Der entfesselte Slowene ist etwas Furchtbares, das zeigte sich immer wieder in Triest. Die Grazer Statthalter waren lange Jahre bequeme und gleichgültige Herren. Nach dem Wiener Muster umgaben sie sich mit einer Phalanx bestimmter, eingesessener Familien, die insbesondere die politische Behörde vollkommen beherrschten, nicht beachtend, was sie nicht beachten wollten. Die Hilfeschreie eines schwer bedrängten Volkstums verhallten hier ganz wirkungslos. Papierkorb! – Mit heißester Empörung besprachen das unter sich die paar terrorisierten Unterbeamten, die es mit ansahen, wie auf einem Vulkan gespielt wurde. Als vollends der Marquis Baquehem, ein feiner Salonmann, den das Haus Taaffe geschult hatte, Statthalter wurde, durfte alles nur glatt gehen, wenigstens äußerlich. Seine Regierung war leise wie seine Stimme. Er hatte nichts von einem Volksmann an sich, weit lieber machte er der hübschesten Frau der Grazer Finanzkreise den Hof. Unter ihm machten die auserlesenen Beamten, diese Selbstverständlichen der Karriere, was sie nur wollten. Das großartige System der Vertuschung völkischer Tragödien und Wahrheiten wurde ausgebaut.

Es hatte auch in medizinischen, in Verwaltungs- und Gerichtskreisen ernste Ereignisse gegeben; die Korruption schlich umher, man wußte es im Volk. Üble Sachen, den Bau eines neuen Krankenhauses betreffend, kamen in die Öffentlichkeit. Namen wurden genannt, von denen jede Gloriole herabsank. Ein Landeshauptmann, trotz des hochadeligen Namens, den er trug, wie von Judas gezeichnet, übte eine bedenkliche Gewalt aus, das größte Ärgernis gebend. Und wie Gewalt, die unberechtigt ausgeübt wird, immer feig ist, kam zuerst in diese führenden Kreise eine Panik, als Dämonen im Volke, Verzweiflung, die zum Widerstand griff, in den nationalen Kreisen sich regten. Es rührte sich plötzlich.

Die Tage stehen noch klar vor mir. Wien hatte den Auftakt gegeben, dort hängten sie zuerst den Grafen Badeni in Effigie. Die Fülle der Untaten dieses Mannes als höchster verantwortlicher Instanz an exponierter Stelle ist aus der Geschichte jedem bekannt. Regime und System wurden unerträglich. Auftrotzte drohend das Volk, Militär zog auf.

In Graz ging es plötzlich los, an einem Abend, als in geschlossenen Reihen aus den Vororten Massen von Arbeitern, Demonstranten der nationalen Sache, mit der Wirtschaft Unzufriedene, angezogen kamen. Sie wälzten sich zuerst lautlos rasch heran. Vielleicht sollte es nur vor den Regierungsgebäuden eine Demonstration mit Reden sein. Jedenfalls füllten sich blitzartig die Plätze und Promenaden, die engen Gassen der inneren Stadt. Tore und Rolläden schlugen zu; wer auf dem Wege war, rannte heimwärts und konnte dann nicht mehr in seine Wohnung. Er war ausgesperrt. Die überrumpelte Polizei wurde machtlos. Beängstigend irrten die vielen alten Leute, das Wahrzeichen der Grazer Stadt, umher.

Manchmal tönte schrill ein Pfiff, fiel ein heiser geschrienes Wort. Der Ruf »Auseinandergehen!« löste nur hämisches Gelächter aus.

Ich war irgendwo eingeladen gewesen, der Diener hatte mich abgeholt, unsinnigerweise in Livree. Ich schickte ihn augenblicklich von mir weg. Er lief, was er konnte, von Tapferkeit gänzlich ungehemmt. Allein geriet ich dann ins dichteste Gedränge. In Reihen zu sechs und acht marschierte das protestierende Volk. Von schweigenden Burschen wurde eine Strohpuppe mit Inschrift hoch getragen, und von den sich stauenden Massen angeheult. Plötzlich erloschen alle Laternen, diese ohnehin trostlos brennenden, unzulänglichen Laternen einer Provinzstadt ohne Nachtleben. Stimmen brausten auf: »Militär kommt! Berittenes Militär rückt aus!« Und schon raste es heran, wie zu einem Angriff, mitten in dichtgekeilte Menschheit im Finsteren hinein; Kommandos ertönten durcheinander. Eine schreckliche Panik entstand. Unbeteiligte, Schwache und Ratlose wurden niedergeritten, getreten, an die Wand gedrückt. Jammergeschrei erhob sich: »Sie schießen!«

Es fiel ins Volk der erste Schuß. Nach einer furchtbaren Verwirrung trug man einen jungen Toten fort, einen Arbeiter. In der Murgasse, glaube ich, aus dem Fenster eines Hauses war er niedergeschossen worden – er war nur ein Mitmarschierender, kein am Handgemenge Beteiligter gewesen.

Viel schweres Unheil, Wunden, Blut, rasende Empörung brachte diese Schreckensnacht, ungezählte Verhaftungen. Am nächsten Tage, der finster anbrach, war Belagerungszustand in der lachenden Stadt an der Mur.

Die hohen Herren verhielten sich sehr still. Gegen das Militär brandete ein wütender Haß empor, der ungerecht war. Es hatten wohl nur junge Leutnants kommandiert, in Übereifer, und das Wort »scharfes Vorgehen mit der Waffe« zu wörtlich genommen.

Eine lautlose Stimmung brütete über Graz. Verebbt, wie durch Zauberschlag, waren die Menschenmengen verschwunden. In den Volksvierteln räumte die Polizei auf, schloß Versammlungen, durchsuchte Häuser. Das alles war zwecklos. Der Konflikt zwischen Regierung und Volk hatte lebendige Gestalt angenommen. Eine geheime Einigung war schon in den Massen vorhanden. Ich bin den weiten Weg hinaus in die Arbeiterviertel gewandert und habe mir den Toten angesehn, der in purpurn ausgeschlagener Kapelle aufgebahrt lag, wie ein Held von finsteren, wachsamen Kameraden als Ehrengarde umgeben. Er war kein Held. Vielleicht hatten ihn andere nur mitgeschleppt, und er wußte kaum, um was es sich handelte. Seine neunzehn Jahre zeigten noch knabenhaftes Wesen. Ein kleines Loch brannte links in der Stirn. Irgendwo schluchzte ein Mädchen, standen Eltern finster da. Arbeiterführer huschten umher, des Anlasses froh, eine große Sensation zu veranstalten. Die ärmliche Vorstadtkirche hatte ein Gepräge von Revolution. Niemand hinderte diese tendenziöse Aufbahrung, die Vorbereitungen zu einem ungeheuer großen Leichenzug. Kränze kamen, meist mit roten Blumen, auch die Stadt, die Behörden schickten Kränze. Und sie sind in dem Leichenzuge mitgegangen, tatsächlich. Irgendwo da saß eine bleiche Furcht.

Das oberste Militärkommando hatte unangenehme Tage, man konnte denen in Wien nichts recht machen. Von den Höchstkommandierenden ist Baron Khun der hochfahrendste, der Herzog Wilhelm von Württemberg der taktvollste und beliebteste gewesen. Er führte auch ein sehr schönes Haus, dem seine Schwester liebenswürdig vorstand, und gab prächtige Bälle. Er war der einzige, der einen außerordentlich geschickten Kontakt mit allen Kreisen herstellte, Reibungen vermied, Härten immer ausglich. Ich erinnere mich damals schwedischer, japanischer Offiziere und eines chinesischen, mit dem man tanzen mußte. Er trug einen Zopf, um den ihn jeder Backfisch beneiden konnte, und hieß, ich weiß es noch, Li-Hang-Tschung. Er roch nach Moschus wie eine Schlange und benahm sich sehr geschmeidig. Das ewige Lächeln seiner flachgedrückten gelben Züge machte einen zornig.

Nach den Badenitagen flaute scheinbar wieder alles ab, was in der Provinz Unruhe gewesen. Nur sehr blutige Wahlen gab es in Südsteiermark, die deutschen Schulen in Cilli und Pettau waren direkt schwer bedroht. Es organisierten sich die Slawen als Nationalität; es organisierte sich unter der Hypnose des Gedankens des allgemeinen Wahlrechts das arbeitende Volk; in der Stille entstanden im Lande neue Parteien. Zu einem Straßentumult in Graz kam es noch, bei dem ich in eine Straßenbahn sprang, an der Mayfredystraße, und gleich wieder heraus, denn große Steine flogen in diese Tram. Auf weiten Umwegen mußte man heim, durch stille Gassen. Die Wanderungen in die Fabrikviertel wurden unmöglich. Zuviel Zündstoff gärte dort. Während in Deutschland, wenigstens nach außen, noch alles Glanz, Aufstieg zur Weltmacht, hochgetriebene Blüte der Entwicklungen schien, flackerte in Österreich das Jahrhundertende in seltsam fahlen, schwülen Lichtern auf, überall. Daß die Ungarn haßten und nicht mehr parierten, wer wußte das nicht? Die Wehrmacht dort drängte nach Losreißung mit eigener Sprache, über das echte Magyarentum hinaus wucherte ein magyarisiertes Judentum schlimmster Art. Was in Prag sich fortgesetzt abspielte, hielt die Regimenter dort in ständiger Bereitschaft. Der fürchterlichste Mob der Welt waltete da in unterirdischen Tiefen. Was in Kroatien, Slawonien, Galizien gärte, das zerstörte die Existenzen von vielen Beamten und Offizieren. Man durfte und durfte nicht, man sollte alles und sollte gar nichts. – Dunkel wie die Aussprüche der Pythia waren die Befehle, die aus Wien heranzögerten. Das Opfer wurde immer der Subalterne, der fiel; der hohe Angestellte deckte sich. Das hat diese namenlose, tiefgründige Verbitterung in einem lange geduldigen, sehr widerstandsfähigen Volke hervorgerufen, die diesem Volke schließlich jeden Glauben an sich selber nahm. Als Narren fühlten sich die gegeneinander ausgespielten Nationen. Hilf dir selbst, erklang es dumpf in ihrem Unterbewußtsein. Nur die vornehme und traditionenreiche, die tragische Gestalt des alten Kaisers war es, die diese vibrierende Völkermasse noch zusammenhielt. Er war in Wahrheit der letzte Kronenträger, und viele der Denkenden im Lande wußten das. Aber wenn er einmal erschien, – und das geschah selten, er gab sich nicht billig, er nahm nicht Einladungen an, reiste nicht, – wenn er erschien, dann hatte man plötzlich das Gefühl eines tief monarchischen Staates und Landes. Dann war Andacht da, in uns allen. Fehler und Unglück hatten seine lange Bahn gezeichnet. Des Reiches Stern war im Sinken. Ihm merkte man davon nichts an. Ein Fürst vom Scheitel bis zur Sohle erschien er seinen Völkern bis ans Ende. Kein Souverän in Europa hat Franz Josef von Habsburg das nachgemacht.

Ich sah ihn beim Leichenbegängnis des Admirals v. Sterneck in Wien, zu Pferde, umflutet von Menschenmassen, umflutet von seiner glänzenden Armee, ein Bild kaiserlicher Hoheit und Vornehmheit. Wäre er das gewesen, als was er wirkte, die Geschichte hätte keine gewaltigere Erscheinung gekannt.



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