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Rudolfs Ende

In goldenen Oktobertagen kam der Kronprinz mit seiner Frau offiziell nach Graz für einige Tage. Bei der Gelegenheit dieser großen Feste ging ich zum ersten Male aus. Die deutsche Stadt jubelte dem Erben entgegen, trotz aller schlimmen Gerüchte, die nun seit Jahren über ihn umgingen. Kurz vor seiner Ankunft verlautete, der Papst habe die Scheidung, die er gefordert, abgewiesen. Nicht nur aus katholischen, noch aus besonderen Gründen. Man sagte, die Mutter der Marie Veczera habe dem Kaiser nahe gestanden. Ich sehe die unvergleichlichen Anlagen, die ganz Graz durchziehen, im letzten Laubschmuck leuchten, die Fahnen wehen vom Schloßberg, es schmettert die Musik. Tausende in den Straßen, die schimmernde Note des Militärs. Ein Galawagen bringt zwei Menschen – Mann und Frau. Er sieht rechts, sie links. Beide grüßen; sie gezwungen strahlend, er tötlich gleichgültig, automatenhaft. Im Statthaltergebäude, wo der Held Baumkirchner einst den Tod am Schaffot gestorben und Johannes Kepler verbannt aus der Burg der Ferdinande zog – warten alle Spitzen. Die Kaiserzimmer sind für das Paar bereit. – Schon abends erzählt man, der Kronprinz hat sein Bett selbst aus dem gemeinsamen Zimmer zur Türe hinausgeworfen und kampiert im Empfangssalon. Dann kommt er nicht oder zu spät zu verschiedenen Empfängen, zum Hofkonzert im Stefaniensaal. Die Prinzessin muß mit eiserner Selbstbeherrschung ihn entschuldigen, vertreten, sich verdoppeln. Sie macht es korrekt. Die Belgierin hat viel gelernt in einer Leidensschule, und heute begegnet ihr Sympathie.

Ein einziges Mal in Graz ist Rudolf in diesen Oktobertagen er selbst geworden, hat er aufgeleuchtet in der treuherzigen Frische seiner Begabung und Jugend. Das war, als er unter die Professoren kam. Bei den militärischen Veranstaltungen blieb er eisig, unhöflich gleichgültig. Die Generäle waren sehr beeindruckt. Aus einem jungen, welken Gesicht starrten zwei lichtlose Augen, Erschöpfung lag in jedem Zug. Vorbei. –

Man hatte gespielt mit einer wertvollen Eigenart und sie verspielt. Man hatte schöne Keime getötet. Was übrig blieb, war eine Maske. Wie lange hielt sich die? Der Kronprinz sprach mechanisch, leise, immer im Namen des Kaisers. Er selbst lehnte alles ab. Er lächelte nie. Bei dem großen Ball mit den vielen Vorstellungen stand er, wie ein ganz Fremder, neben Stefanie. Sie wechselten kein Wort. War es nötig, nahm sie seinen Arm, dirigierte ihn. Bei der Vorstellung sah ich in seine hübschen braunen Augen. Er sagte zu den Komtessen etwas Nettes. Als Kuhn auf ihn einredete, schwieg er gänzlich. Einmal fuhr er die Hofdame seiner Frau an und warf ihr einen Schal unhöflich über den Arm. Das stand ihm gar nicht. Es war eine fremde Geste. Die Umgebung des Paares war nicht deutsch. Man sah den Grafen Bombelles, der später schuldbeladen durch Gift endete. Den schönen Grafen Hoyos, das Bild eines treulosen, verschlagenen Spaniers von rasendem Hochmut. Die Obersthofmeisterin hatte schlecht mit Benzin geputzte Handschuhe an, das weiß ich noch, es fiel mir auf. Der steirische Adel, viele vom Lande gekommen, scharte sich um das Paar, man stand auf den Schleppen der Damen, Familienschmuck funkelte, und nicht ein interessantes Wort wurde geredet. Getanzt auch kaum. Stimmung kam nicht auf. Das ging von dem Prinzen aus.

Kaum drei Monate später ward er von seinem Förster erschlagen, dessen Frau er nachgestellt. Marie Veczera hatte sich vergiftet. Andere waren tot und Österreich ohne deutschen Erben. Zerbrochen das Leben einer Mutter. Schutzlos ein Kind, ein kleines Mädchen, das später stark in die Irre ging. Die deutschen Völker in Österreich hatten ihre Hoffnung verloren. An die Stelle Rudolfs trat ein kranker, nicht ganz normaler Mann, mit sadistischen Herrschermomenten, dem der Haß weit näher als die Liebe zu dem Menschen stand. Preisgegeben von der Herzlosigkeit seiner Familie, jahrelang lungenkrank, in Verbannung und Einsamkeit, wurde er durch die unebenbürtige Frau gerettet, deren eine starke und schöne Eigenschaft ihre Liebe zu ihm blieb: Sophie Choteck. Im übrigen von Ehrsucht verzehrt, hart und eng, eine Tschechin durch und durch, blieb sie dem Volke ganz fremd. Sie hat für ihren unverdienten Aufstieg schwer bezahlt, ihre vielen Intrigen endeten in Grabesschweigen. Mit diesem neuen Erben schwand die Popularität des Erzhauses immer mehr. Immer lauter wurde das Wort: Franz Joseph ist der letzte Kaiser. Groß-Österreich die Utopie kranker Hirne. Der lose Bund der einander feindlichen Nationalitäten zerfällt.



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