Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Er

Ich war Fünfvierteljahre alt, da wurde mein Bruder geboren, der Erbe, in eisigem Januar, als Grabeseinsamkeit, Schneeverwehtheit das Schloß umspannen. Und wieder hat mir später die Fama berichtet: Das war was Anderes, ja! Aber der Graf, der lag krank, man zitterte für ihn. Die arme junge Frau in der Schnee-Einsamkeit des Gebirges hatte genug zu tragen und trug es. Damals war eine andere Umwelt junger Frauen. Die Welt des Hauses, der großen stillen Pflichten. Meine Mutter, sprühend von Leben, hat sieben schwere Winter in Landeinsamkeit, einer Einsamkeit, wie es sie heute gar nicht mehr gibt, verlebt; als Spaziergang galt ein ausgeschaufelter Laubenweg, als Umgang der Pfarrer; zur Bahn waren es viele Fahrstunden. Nicht Post noch Telegraph im Dörfchen. Sie trug es leicht, schöpfte aus sich selbst, las, musizierte. Setzte solchem Dasein die Lichter ihres eigenen Wesens auf. – Mein Bruder trat in die Welt mit scharfen Zügen, das dunkle Haar wie frisiert im Stile Karls des Fünften. Verdrießlich und schwächlich war er, schwer aufzuziehen, sofort spann ihn ein ganzes Netz angstvoller Verzärtelung ein, die wunderlich unhygienische Kinderwartung von damals. Als man ihm das winzige Ding, seinen Erben, auf das Bett legte, hat mein Vater wohl aufgeatmet, wie noch nie im Leben. Denn nun gab es keinen Agnaten mehr unter den feindlichen Verwandten, der mitzureden hatte bei Sicherstellungen für Frau und andere Kinder. Nun erst war er Herr. In jenen Tagen ist meine Mutter aufgeblüht zu unbändiger Daseinsfreude.

Erste Eindrücke dämmern auf vor meiner Seele: eine Zimmerflucht mit Parketten, schwere Möbel, viele Bilder vergangener Menschen. Ein langer, kalter, hallender Gang, die Wände bedeckt mit Jagdtrophäen. Nicht Luxus, aber alte Vornehmheit. Schnee, viel Schnee – endlose Landregen klopfen auf Schindeldächer. Die Landstraße ist still. Keine Nachbarschaft außer dem zweiten gegenüberliegenden, noch größerem Majorat. Das gehörte seltsamen Menschen, die ich in meinem Buch »Papa Durchlaucht« lebendig gemacht habe.

Ein Fürstenhaus, dessen Senior aus dem Hasse getäuschter Liebe heraus eine Bauerndirne vom Stalle zu sich emporzog, im ultrakatholischen Lande, dessen größter Herren einer er war. Fast zwei Jahrzehnte, zu schwerem Ärgernis hat er mit ihr in wilder Gemeinschaft gelebt. Er hatte drei Kinder, an denen ging dann die Rache in Erfüllung. Es half ihm nichts, als er endlich, vom Bischof mürbe gemacht, deren Mutter doch heiratete. Die Kinder verloren den Besitz, nach adeligem Familienstatut. Dieser Fürst ist meines Vaters bester Freund gewesen, solange der als Junggeselle hauste. Bei seiner Verlobung mit meiner Mutter machte er ihm den letzten Besuch, Abschied nehmend. Er steht, als eine gewalttätig adelige Eigenart, in der Erinnerung des Volkes. Eine fremde Linie riß seinen Besitz an sich. Die Bauern haben wohl seine Liebste, ihn aber nie verurteilt. Für Herrentum hatte unser Bauer immer Sinn.

Ich spiele mit meinem Bruder in einem großen, kahlen Kinderzimmer, bei der Marie. Ihr Name erklingt zugleich mit dem ersten »Papa« und »Mama«. Ihre Gestalt steht gleich neben diesen Beiden. Aber so viel lebenswärmer! Die Mama ist uns viel zu schön; viel zu geputzt ist sie und so hell und laut, sie zankt gleich! Sie küßt uns fast nie, man darf sie nicht anrühren, auf ihrem Schoße sitzt man nicht. Man kommt nur herein, fein angezogen, frisch gestärkt und geplättet, man muß tun, was man nicht mag, was aufsagen, die Reverence machen. Dann wieder hinaus ins Kinderzimmer. Durch das rauscht die Mama ein paarmal am Tage. Im Übrigen sehen wir sie nicht. Der Papa, der kommt abends in der Dämmerstunde und sitzt auf dem Ledersofa, wir dürfen auf ihm herumkrabbeln. Wir haben ihn schrecklich lieb, nur selten Furcht vor ihm. Er kann ungarische Heldengedichte und Lieder, die er uns geduldig aufsagt. »Wo ist Latour, mein bester Grenadier?« Er fühlt sich nie wohl – er liebt sehr die verschiedensten Medizinen, nimmt fleißig ein. Er findet immer, daß wir grün aussehen und gibt uns auch etwas. Aconit, Nux Vomica, Belladonna, Kirschlorbeer. Es kommt nicht darauf an. Wir schlucken es gewandt. Und sehr oft ist uns dann nicht gut. Wir liegen aber nicht gern im Bett. Da werden einem sämtliche Sünden vorgehalten. Man kann nicht fort. Wir haben, obwohl wir schüchtern sind und keine heiteren Kinder – zu viel erzogen und bewacht, schon unglaublich früh ein Standesbewußtsein, das uns nie verläßt. Wir sind kleine Grafen und Komtessen. Das wissen wir. Es ist oft mühsam, selten lohnend; aber wir sind es eben. – – Unter Hochdruck jeder Art wachsen wir rasch, ziehen uns in die Länge, sind dünn und blaß; das ist fein. Bin ich nicht erst fünf – ist mein Bruder nicht vier, als wir vierhändig den Pfarrern und Sensenschmieden ein schweres Stück vorhämmern mit Doppelgriffen und Kreuzen? »Als ich noch Prinz war in Arkadien –«. Wir sind nie in Arkadien Prinzen gewesen. –

Zu essen gab's wenig; das Meiste durften wir nicht haben, Erzieherin und Bonne straften auch mit Essenentziehung. Milch, Butter, Honig galten als ungesund. Eichelkaffee gab es, abends nur Suppe. Rohes Obst nie. Eher Bonbons. Wir konnten kein einwandfreies Deutsch. Wer kann das in Österreich? Wir durften überhaupt, außer mit Papa, niemals deutsch reden. Französisch wurde parliert, gedacht, gelesen. Es war Adelsbrauch. Freiheit, zu den Eltern zu stürmen, schrankenloses Vertrauen, jubelnde Liebe gab es nicht. Beschränkte Spaziergänge, eingeteilte Stunden, Stricken und Häkeln – ich haßte es! Ausfahrten auf dem Rücksitz, der Mutter gegenüber » Tenez-vous droite!« – » Recitez quelque chose.« – Schreckliche Ausfahrten. In der Schönheit der Parks verkroch man sich dann und lebte stundenweise, traumspinnend, sein winziges Eigenleben. Gespielen gab es nicht. Das geschwisterliche Beisammensein war mehr Zwang als Liebe. Um die Gestalt des Erben baute sich Alles auf an Hoffnungen, Wünschen. Wir – ich und die kleine Schwester, die später noch erschien, waren das Majorat belastende Attribute. Sehr klein erklärte uns der Bruder schon: »Euch werf ich hinaus.« –

Seltsam farblos und melancholisch, diese vornehme Kindererziehung von früher! Kein Sport, keine Abhärtung, gar keine Freiheit. Dicke Untertaillen trugen wir ingrimmig, die meisten trug der Bruder. Denn er war der Wertvollste. Wir Beiden, aufeinander angewiesen, im Alter nahe, hatten viel Gemeinsames. – Begabungen, Nervositäten, Leiden der Vererbung, eine gähe, leidenschaftliche Art, die ergriff und wieder fallen ließ. Er lernte gut. Er war besser und liebenswerter als ich; ich war, was sie ein denkendes Kind nannten, mit Erbitterungen, Neugierden, die ich heimlich zu befriedigen suchte, mit einem harten, oft höhnischen Urteil. Ich hatte niemanden gern. Ich litt, weil meine Mutter mich häßlich fand. Statt zu spielen spann ich herbe Gedanken, schon damals, über Welt und Leben; die Erzieherinnen, die ich unweigerlich meiner nicht wert fand, betrog ich gerne. Der Pfarrer, Nachfolger des Dekans, imponierte mir in den Stunden gar nicht. In der Kirche erschien mir die Gebete leiernde, falsch singende Gemeinde trottelhaft. Ich lechzte nach Macht, um aufzuräumen auf der Erde. Das war mein tiefster Traum. Befreiende, reinigende Macht! Schwer vermißt habe ich Mutterliebe, wie ich sie verstehe. In Kränklichkeitsjahren hat sie ganz gefehlt, und meine wunde Seele litt.

Zu früh tastete die Kinderhand heimlich nach Büchern jeder Art. Wollte den fiebernden Sinn des Lebens wissen. –

Was waren mir Puppen? Ich starrte Welt und Umwelt forschend an, mir über sie Rechenschaft gebend.



 << zurück weiter >>