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Da war der Reichsratsabgeordnete Carneri, dessen politische Reden und philosophische Werke lange Zeit die gebildeten Kreise beherrschten. In jahrelangem Briefwechsel, in vielen Gesprächen brachte er ein starkes Erwachen in meine Seele. Ihn interessierten meine ersten politischen Gedichte, die in Blättern erschienen und beachtet wurden. Er begann meinen Bildungsgang zu leiten. An diesem Manne habe ich als Mädchen von fünfzehn Jahren zum ersten Male gesehen, wie ein Geist einen Körper beherrschen kann. Carneri war bei seiner Geburt seiner Zwillingsschwester geopfert worden; er mußte mit einer unheilbaren Verstümmlung zur Welt kommen. Auf seinem verkrümmten Körper saß ein zu großer Kopf locker, zur Seite geneigt und fiel, zeitweise in Krämpfen zuckend, auf die Schulter wie ein Gegenstand. In diesem Kopf leuchteten zwei prächtige Augen; aus den Linien eines bedeutenden Gesichtes voll innerer Abgeklärtheit sprach ein großer Verstand, eine starke Seele. Er hielt im Reichsrat seine berühmten, furchtlosen, deutschbeseelten Reden, vor einem hingerissenen Hörerkreis. Trotz seines Leidens faßte er sich immer sofort wieder nach Anfällen. Ihn, der in schlichtester Resignation nichts vom Leben erhoffte, hatte die reizende Gräfin Schärfenberg ermutigt, um sie zu werben, er führte mit ihr die glücklichste Ehe; mit wahrer Ehrfurcht erlebte man diesen großen Menschen. Er wurde mir der erste Mahner, auf rechte Wege weisend, von denen später meine Jugend abirrte, als er verstummt war.

Er hat auch politisch für die Deutschen der Heimat eine selbstlose, führende Rolle gespielt.

Das war Carneri. Neben ihm erscheinen die Bilder zweier geistlicher Lehrer, denen ich viel verdanke, denen ich ergeben geblieben wäre, hätten sie es verstanden, meine suchende Seele in wichtigen Zeiten zu leiten. Ich lernte die klassischen Sprachen und Kunstgeschichte. Letztere bei dem Kanzler des Fürstbischofs, eines Mannes, so von Kunstbegeisterung und Sehnsucht erfüllt, wie ich es später nie mehr bei einem Menschen gesehen habe. In den hohen, mit Gemälden geschmückten Räumen seines Palastes hinter der Stadtpfarrkirche saß ich ihm gegenüber, viele Stunden lang; er erschloß mir die Welt der Malerei, Plastik und Bildhauerkunst, die Zauber Italiens. Er wußte wohl selber nicht, wie er wirkte in seiner Schönheitstrunkenheit, die den Priester vergessen ließ. Manches wurde mir lastend, unklar in jenen Stunden – ich empfand etwas Schweres, inmitten der heiteren Bilder des Altertums, dem fanatischen Duldergesicht dieses unerforschlichen Mannes gegenüber. Und schließlich – bin ich aus diesen Stunden fortgeblieben. Ich weiß nicht warum. Weiß es heute nicht.

Empfand ich es als unerträglich, eine gefolterte Menschennatur zu erleben? Ahnte ich Qualen, die er selber nur im Unterbewußtsein trug? Über uns hing ein drohendes Bild des Torquemada, jenes jüdischen Portugiesen, des Großinquisitors. Meine Seele war damals überfüllt mit Reformationskonflikten, und wenn ich beichten ging, beichtete ich mich selber nicht. Ich wußte mich schuldig, mir entglitten Maria und die Heiligen. Viele Glaubensmomente verblaßten. Hätt' ich gewagt, es zu gestehen, unbeugsame Härte würde mich vor eine knappe Wahl gestellt haben. So bleibt man in inneren Religionskämpfen auch allein.

Ich las Bücher, die ich nicht lesen sollte, und wußte das, – ich tat es doch. Ich studierte Johannes Scherr, der mit meiner Mutter korrespondierte. Das heißt, lesen konnte man seine Briefe selten. Er lebte in Zürich, stand auf allen Indexen oben an, schrieb Bücher, an denen ich mich fieberkrank machte. Offenbarungen, Ahnungen einer intuitiven deutschen Natur, die ihr Volk zur Erkenntnis zwingen will. Nie werde ich die Eindrücke von »Nemesis« vergessen, von »Resi zur Flüh«, »Schiller«, »Johannes Caepler«. Nie das wuchtende, furchtbar warnende Judenerkenntnisbuch »Porkeles und Porkelessa«. Er schleuderte Keulenschläge der warnenden Erkenntnis von der Judengefahr. Er hat vorausgeahnt – was später kam. Ich las die »Möncherei des Demokrit«, las alles, was mir nur über die Reformation erreichbar war, ohne Wahl; hörte Geschichte bei Hochschulprofessoren, ebenso Literatur. Graz gab mir viel. Es war eine liebevolle Stadt für junge Feuergeister, eine beseelte Stadt mit hundert Stimmungen. Dem Fremdenleben ganz abseits, durchaus individuell geblieben, musikalisch reich, besaß es das beste Provinztheater Österreichs, nach dem deutschen Landestheater Angelo Neumanns in Prag. Das Grazer Landestheater war die Vorstufe zur Wiener Burg; viele ihrer Größen sind aus ihm hervorgegangen. Ich erlebte das Glück, verschiedene von ihnen in meinen Stücken spielen zu sehen, als ich mich zuerst an das Drama und Charakterstück wagte. –



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