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Neujahr.

Irgend Einer von der Sorte der »gründlichen Forscher« hat seinerzeit die merkwürdige Entdeckung gemacht, daß niemand Anderer als die – »armen Leute« das »Neujahrwünschen« erfunden hätten, aber – und das ist des Pudels Kern: einzig und allein nur aus »schnöder« Gewinnsucht.

Nun, wenn der erste Theile der Entdeckung begründet, dann ist es naturgemäß auch der zweite, denn ich sehe nicht ein, zu was Ende die »armen Leute« Etwas erfinden sollten, wobei sie nichts profitiren, und da es in dieser verkehrten Welt schon so eingeführt ist, daß kein Mensch einem armen Teufel – sondern daß vielmehr Letzterer gerade den »Glücklichen der Erde«, den vom Schicksale Begünstigten, den irdischen Göttern, z. B. den Ministern und Hausherren, den Millionären und Hofräthen, den Rentiers und Maitressen, den ersten Tenoren und Verwaltungsräthen, den Primadonnen und Kirchenfürsten etc. etc. unaufhörlich in tiefster Ehrerbietigkeit noch alles übrige Beste im Leben und bei Gelegenheit ein »glücklich' Neujahr« wünscht, es wohl kein himmelschreiendes Verbrechen ist, wenn dann der »arme Teufel« für diese unleugbare Belästigung Fortunens sich nicht wenigstens ein paar Percent Disconto des jenseitigen Gewinnes herauszuschlagen die – Ambition und Tendenz hätte.

Schnöde Gewinnsucht! Wie unbillig! – Ich bitte nochmals, sich die Frage zu stellen und gefälligst gleich selbst zu beantworten: wer gratulirt und wem wird gratulirt? Es gratulirt Der, der nichts hat, Dem, der, wenn auch nicht Alles, so doch viel mehr hat, als er selber, und wenn Letzterer für einen solchen Pleonasmus der Begünstigung eine kleine Provision, eine Tantieme von einem »Guldenstückl« bewilligt, so ist das wahrlich keine Verschwendung und der großmüthige Geber braucht nicht zu befürchten, daß ihn die Behörde deshalb unter Curatel stelle. Aber die Besitzenden sind mitunter nicht nur knauserig, sondern auch pfiffig, und diese pfiffige Knauserei calculirte also: Wer weiß, ob der liebe Herrgott die Glückwünsche eines so armen Teufels berücksichtigt und in Vormerkung nimmt, und ob ich nicht etwa viel eher ein kleines Geschäft mache, wenn ich überhaupt auf derlei Gratulationen Verzicht leiste, ja mich sogar durch eine mäßige »Gebühr« von der ganzen Schererei, die man von dem Verkehre mit armen Leuten hat, loskaufe? Und der Egoismus erfand die » Neujahrwunsch-Enthebungskarten«. Wie unrühmlich, wie ... schmählich!

Ich setze meinen Kopf zum Pfande und wette, daß der Erfinder dieser, wenn auch hübsch und geschmackvoll lithographirten, aber dennoch brutalen Abwehr ein ... Glückspilz war. Kein Anderer hätte es ausgeklügelt, wie man sich des Anblicks der Armuth, wenn sie auch nur einmal im Jahre an unsere Thüre klopft, unter dem legalen Vorweis der erlegten »Taxe« erwehren kann. Und wenn die armen Leute das »Neujahrwünschen« erfunden haben, so erfanden nur die Reichen die »Neujahrwunsch-Enthebungskarten«, den angenagelten Schreckschuß für alle abgeschabten schwarzen Fracks und ausgewaschenen Kattunkleider.

Es fällt mir natürlich nicht ein, den speculativen Faulenzern beiderlei Geschlechtes, die einige »Auserkorene« tributpflichtig machen, den Bedarf an Schnaps oder Kaffee für sie zu bestreiten, das Wort zu reden; ich schwärme ferners keinesfalls für die katzenbuckelige Kriecherei und Schönthuerei, die in grinsender Unterwürfigkeit dem »hochverehrten« Chef ihre in Demuth ersterbende Aufwartung macht und durch diese servile Staatsaction indirect Jene in ein schiefes Licht zu bringen weiß, deren Rückgrat nicht so biegsam und deren schwarzer Frack nicht für die obligate »Neujahrscour« zugeschnitten ist. Und schließlich lege ich auch keine Lanze ein für den unmotivirten Usus, Jedem, dem es als autonomen »Neujahrs-Wegelagerer« beliebt, mit einem gelallten Speech ein Attentat auf unser Portemonnaie auszuüben, dieses zur gefälligen Benützung zu überlassen. Ich meine überhaupt nicht den Troß der plärrenden Gratulanten, die in allen denkbaren Chargen und gänzlich unbekannt gebliebenen Dienstleistungen sich uns an diesem Tage präsentiren – ich nehme nur die wirkliche Dürftigkeit in Schutz, die sich Euch in Bescheidenheit und aufrichtiger Ergebenheit naht, deren Wünsche vielleicht doch herzlich gemeint und deren Dank für den Obulus, den Ihr spendet, ein gefühlter ist. Und da muß ich denn, um meine abnorme Fürsprache zu rechtfertigen in meine eigene Jugend zurückgreifen und ein Bild aus meinen Bubenjahren hervorsuchen.

Ich habe bereits angedeutet, daß es uns Geschwistern in der Kindheit nicht am besten ging und daß die freudigen Sonnenblicke in unseren ersten Lebensjahren so spärlich waren, wie die Fettaugen in der Armensuppe. Die Weihnachtszeit war triste genug, aber vor Neujahr gestaltete sich die Aussicht der Dinge freundlicher, das Präliminare, das wir entwarfen, gab zu den animirtesten Debatten Anlaß und die Discussionen über die Voranschläge, die wahrlich nicht zu den exorbitantesten gehörten, wurden oft Nachts im Finsteren von einem Bette in's andere hinübergeführt. Wie das Alles auf Kreuzer und Pfennige berechnet war, wie die Einnahms- und Ausgabsrubriken summirt und wieder summirt wurden, wie oft wir das Ordinarium und Extra-Ordinarium modificirten, und welche Mühe es kostete, bis wir, auch die Virements im Auge, endlich das ganze Budget fix und fertig mit 5 fl. 40 kr. aufgestellt hatten. Welche Freude, wenn dann, nachdem wir die currenten Ausgaben im Geiste bestritten, d. h. ein Paar Stiefel und ein Paar Schuhe als dringendstes Ausrüstungs-Erforderniß beantragt hatten, noch ein Rest von einem ganzen Zwanziger blieb, um den man ein Band oder sonst ein »Präsent« für die Mutter kaufen konnte. Welch selig-kümmerliche Zeit!

Aber die präliminirte Freude war kostspielig, sie erforderte nämlich ein schweres Stück Arbeit: das Schreiben und Auswendiglernen der »Wünsche«. O Gott! Heute noch schaudert mir bei der Erinnerung an jene Marterwochen, wenn ich bedenke, welche Seelenangst, welches Herzklopfen, welch Zittern am ganzen Leibe und welchen Schweiß uns diese Gratulationsprocedur kostete! Da hieß es zuerst bei den Nachbarsleuten einen passenden »Wunsch«, natürlich in Versen, auftreiben. Dieser passende »Wunsch« paßte jedoch nie und nun galt es, Adaptirungen und stylistische, dem »Zwecke« angemessene Verbesserungen vorzunehmen. War diese Umdichtung, bei der es auf ein paar Füße mehr oder weniger nicht ankam, vollendet, dann ging's an das Memoriren, im welchem Geschäfte meine Schwester die Meisterin war. Und als wir den ganzen »Spruch« von circa 36 Zeilen (denn so viel mußte er mindestens haben, wollten wir nicht den Respect verletzen) bis auf's Jota auswendig wußten, dann kam erst die Höllentour des Abschreibens. Ich weiß nicht, wie viele »Wunschkarteln« ich damals verdorben habe, ich weiß nur so viel, daß mich die (ungeheuerliche) Titulatur: »Hochschätzbarster Herr Onkel und Frau Tante!« allein schon, wenn sie gelang, ein Meisterwerk dünkte, aber sie gelang selten und ich schrieb meist: »Hochschäßbartzte« u. s. w. und das Malheur war fertig. Ach, wie viele Thränen kosteten mich dieser hochschätzbarste Herr Onkel und die Frau Tante!

Endlich nahte der heißersehnte, aber auch gefürchtete Tag. Wir machten uns auf den Weg. Dürftig gekleidet, marschirten wir in Sturm und Kälte, oft bis an die Knie im Schnee, wohl eine Stunde weit in die entlegenste Vorstadt. Da standen wir, zitternd vor Frost und Angst, unter dem Hausthore und erprobten, ob wir unserer Sache und des – Erfolges auch sicher seien. Dann ging's lautlos über die Stiege, zaghaft ergriffen wir die Klingel – man öffnete, wir schüttelten noch die Schneereste von uns, rieben uns die erstarrten Hände und wurden sodann in das »Allerheiligste«, in das Schlafzimmer der »hochschätzbarsten« Frau Tante geführt. – Ach, wie prächtig es da war und wie lustig das Feuer im Kamine prasselte! Die hochschätzbarste Frau Tante war jedoch stets vollauf beschäftigt; sie fütterte den Papagei oder richtete die Maschen an dem blauseidenen Halsbande ihres Pintscher, oder sie kramte in einer Lade der Chiffonniere herum, und während dieser dringenden Arbeiten durften wir unsere Wünsche recitiren. Es geschah mit zitternder Stimme und pochender Brust. Dann wendete sich die Gefeierte um und gab uns Jedem das schon in Bereitschaft gehaltene Guldenstück, legte die mit einer Rosaschleife umwundenen Manuscripte, deren Text wir soeben »declamirten«, uneröffnet bei Seite und – wir konnten uns wieder trollen. Die arme Frau! Sie hatte nie ein Kind besessen, das Gefühl der Liebe für Kinder war ihr fremd und unbekannt – und wir hätten sie doch so geliebt, denn es war so schön und herrlich bei ihr und sie konnte auch freundlich sein, wir sahen es ja, wie sie den knurrenden Pintscher abhielt, daß er uns nicht zwischen die Füße fuhr und wie begütigend sie ihm schmeichelte, daß er sein keifendes Bellen endlich einstelle. – –

Dann starb die hochschätzbarste Frau Tante. Ihr Besitz ging in eine fremde Hand – und als wir wieder hinüberkamen in das hübsche Haus und der glücklichen Erbin, der plötzlichen Adoptivtochter, schon um zu zeigen, daß wir ihr trotz alledem und alledem nicht gram seien, ebenfalls unsere kindlichen Wünsche zu Neujahr darbringen wollten, da – hatte sich eben Alles geändert. Der keifende Pintscher zwickte uns nicht mehr in die Beine, denn er war längst davongejagt, dafür war die neue Herrin eingezogen und die rief, als wir gemeldet wurden, in's Vorzimmer hinaus: »Das Neujahrwünschen ist aus der Mode!« Der Diener öffnete uns wieder schweigend das Gitter, schlug es hinter uns barsch zu und wir schlichen kleinlaut mit unseren so schön geschriebenen und perfect memorirten Neujahrswünschen nach Hause. Und wie kalt es damals gerade war, wie uns der eisige Nord die Finger steif und die Thränen in den Augen gefrieren machte ...

Heute würde ich natürlich nur lachen, wenn ich der hochschätzbarsten Frau Tante, ihrer heroischen Nachfolgerin und all der armseligen Kindergeschichten gedenke. Wenn ich aber auf der Straße den zwei und drei Schuh hohen Gratulanten begegne und sehe, wie hurtig sie, die gerollten »Wünsche« in der Hand haltend, zu irgend einem vermeintlichen Wohlthäter eilen und mir dann das Bild vergegenwärtige, wie schmerzlich enttäuscht und starr vor Schreck die armen Kleinen vor der ersehnten Thüre anhalten werden, wenn das fatale Manifest, daß man ihre Wünsche nicht brauche, ihnen entgegenglotzt, dann fällt mir auch die Tragi-Komödie meiner eigenen jugendlichen Gratulations-Irrfahrten ein, ich höre den barschen Ton jener »noblen« Dame: »Das Neujahrwünschen ist aus der Mode!« und höre sogar ganz deutlich das eiserne Gitter »zuschlagen«. – –

Freilich ist das »Neujahrwünschen außer Mode«, aber die Noth und Armuth sind noch en vogue und die kindliche Hoffnung und Zuversicht, die rührende »Speculation« eines genügsamen Herzchens sollt Ihr mit diesem grausamen Ukas nicht betrügen. Ich weiß, es wird Euch von vielen, eigentlich von allen Seiten heute viel »zugemuthet«. Der Schwarze, den Ihr trinkt, der Bart, den Ihr Euch abnehmen laßt, das Krügel Lager, das man Euch credenzt, die Wäsche, die man Euch bringt, der Brief, den Ihr empfangt, der Fiaker, in den Ihr steigt u. s. w., all dies kostet Euch heute das Doppelte, wenn nicht Drei- und Fünffache, denn das klingende Agio, das Ihr mit dem »glückseligen neuen Jahr« darauf bekommt, müßt Ihr in gangbaren Papieren wieder zurückzahlen. Sei's in Gottesnamen; es wird Euch nicht insolvent machen, wenn Ihr's nicht schon gestern gewesen. Deshalb werdet Ihr aber auch vierundzwanzig Stunden lang von aller Welt auf's Zuvorkommendste behandelt; die Magd stellt Euch das erste Mal die Stiefel nicht verkehrt an das Bett, Euer Leib-Figaro erzählt Euch die pikantesten und der Haarkräusler sogar die kurzweiligsten Geschichten. Ihr werdet gebürstet so fein und sauber, daß Ihr selbst an Euch eine Freude habt, und schließlich bringt Euch der Franz ein Beefsteak, wie Ihr's schon lange gewünscht und der Jean hat endlich nur für Euch das Blatt in Bereitschaft, um das Ihr täglich hundert Mal vergeblich rieft.

Gebt nun meinetwegen für diese Eintags-Artigkeiten keinen Kreuzer, aber vergeßt mir die Kleinen nicht und schickt sie nicht ungehört fort. Jagt lieber den kriechenden Scherwenzler von der Thüre, der mit seinen paar lumpigen, feilen Worten Euch kein »glücklich Neujahr« zu wünschen, sondern bei dieser Gelegenheit nur um Eure Gunst, um Eure »Huld und Gnade« zu erbetteln naht – hört dafür aber den ehrlichen »Spruch« an, der von Kindeslippen und aus arglosem Kinderherzen kommt und laßt es Euch sogar eine freundliche Deutung sein, wenn am ersten Tage des Jahres ein Kind Euch seine ehrlichen Wünsche stammeln will. Dann nehmt die garstige Tafel mit dem lieblosen Veto von der Thüre. Thut Ihr's aber nicht, leistet Ihr Verzicht auf die Liebe und Zuneigung der Kinder, dann schicke ich Euch zur Strafe einen – Hausmeister, welchen zu kennen ich die Ehre habe, und der seit dreißig Jahren an Hoch und Nieder seine Neujahrsrede stets mit den unbefangenen Worten schließt: »Und endlich bitte ich, erhalten Sie mir noch ferner Ihre – Freundschaft!« – An dieser entsetzlichen Intimität sollt Ihr Euch ärgern, daß Ihr blau werdet!

 


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