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I.
Das Denuncianten-Corps.
Es ist dieser Tage November 1870. ein Wiener Bürger begraben worden, der, wie es heißt, in weitesten Kreisen unter der Bezeichnung als » Gutgesinnter« bekannt war, und als solcher wohl auch starb.
Ich kannte den Mann nicht und habe auch seinen Namen erst nach seinem Tode nennen gehört. Ich weiß auch nicht den kleinsten unredlichen Zug, nicht den winzigsten Fleck, der auf seinem Namen lastet und sein Andenken in der Erinnerung seiner Mitbürger schädigen könnte, und ich muß deshalb annehmen, daß er als rechtschaffener, ehrlicher, allgemein geachteter Mann seine Augen schloß.
Aber eben diese günstige Meinung, die ich von dem mir gänzlich unbekannten Verstorbenen habe, zwingt mich, die p. t. Zeitgenossen zu mahnen, mit dem Epitheton; » Ein Gutgesinnter« vorsichtig zu sein, da der Werth dieser Titulatur heute noch immer einigermaßen ungewiß, ja sogar sehr – relativ ist, indem ein großer Theil der »Gutgesinnten von Damals« der meist unsichtbar wirkenden Branche eine ganz eigentümliche Bedeutung gab und man daher – wenn auch mit den besten Absichten – einem Manne leicht ein Prädicat beilegen konnte, gegen das der also Classificirte mit Fug und Recht protestiren müßte.
Es sind nun zweiundzwanzig Jahre, daß die Gattung der »Gutgesinnten« erfunden wurde, oder vielmehr sich selbst erfand. Manchmal in höchsten Nöthen!
Ich rede vom sogenannten »Jahre der Schmach« (preußischer Tarifsatz) und speciell von der glorreichen Niederwerfung der Wiener Octoberaufständler und der kriegsrechtlichen Behandlung ihrer Führer.
Man muß in jenem denkwürdigen Monate in Wien gelebt haben, um von der (scheinbaren) Einmüthigkeit der gesammten Bevölkerung sprechen zu können. Ihr Kampf und ihr Widerstand war freilich ein thörichter, aber sie rettete wenigstens den Ruf des Muthes und der Todesverachtung, und nicht nur Europa, die ganze Welt blickte theilnahmsvoll nach dem neuen Sagunt, das übrigens kein Hannibal belagerte. Wien war endlich nach erbittertem Kampfe genommen, die Croaten waren Herren der Stadt und an jenem unvergeßlichen Allerheiligentage wehte wieder zum ersten Male die schwarz-gelbe Fahne vom Stefansthurme. Was weiter folgte, ist bekannt: die Kriegsgerichte begannen ihre Thätigkeit, es wurde strangulirt, erschossen, eingekerkert u. s. w. u. s. w.
Die Geschichte hat über jene düsteren, unheilvollen Tage längst gerichtet; der Ruhm der Sieger wie der Schimpf der Besiegten wurde mittlerweile auf das richtige Maß gebracht, vermeintlich unheilbare Wunden heilte die Alles versöhnende Zeit, man ist auf beiden Seiten zur besseren Einsicht gekommen und Manches, ja Vieles aus jener blutgetränkten Epoche würde heute nicht wieder geschehen. Requiescat! –
Aber unter den vielen historischen Darstellungen des Wiener Revolutionsjahres vermisse ich doch noch immer eine erschöpfende Specialgeschichte einer damals aufgetauchten und das entsetzlichste Unwesen treibenden Bande, deren Mitglieder ebenfalls unter dem loyal klingenden Namen der »Gutgesinnten« sich wechselseitig zu erkennen gaben, in Wahrheit aber nur als die » Hyänen der Reaction« sich erwiesen und das scheußliche Denunciantengeschäft betrieben. Warum gibt es noch keine Geschichte des »Wiener Denunciantenwesens«, wenn auch schonungsvoll ohne biographische Daten? Warum schrieb noch Niemand die, wenn schon nicht erbauliche, so doch überaus lehrreiche Historie jener »Spitzelcongregation«, die gleich den spanischen Fang- und Spürhunden die gehetzten Liberalen in ihrem Versteck aufstöberte und der hochansehnlichen Jagdgesellschaft unermüdlich apportirte? Fehlt es etwa den berufenen Quellenforschern für einen gründlichen Essay über das »politische Nadererthum« an actenmäßigen Belegen? Fehlt es an Nachweisungen? Nicht doch ...
Ich sagte, daß während der Kampftage Wien eine – scheinbare Einmüthigkeit der Gesinnung äußerte. Der erste Seressaner, der das Straßenpflaster betrat, änderte die Physiognomie der Stadt. Die ganze Bevölkerung theilte sich augenblicklich in zwei, wenn auch ungleiche Hälften, d. h. ebenfalls in Besiegte und » Sieger«, und Letztere, obschon die kleinere, aber auf die Assistenz der bewaffneten Macht vertrauend, demnach gewaltigere, begann unter dem » Martialgesetz der guten Gesinnung« gegen die Ueberwundenen, also »Verdächtigen«, meist einen Verfolgungskrieg der fanatischesten Spionage. Was angsterfüllte Wohldienerei, Privatrache, Gewinnsucht und ähnliche saubere Motive, was die schmählichsten Leidenschaften der niederen Speculation zu leisten im Stande waren, das geschah bis zum – Ueberdruß der Acceptanten, deren viele schließlich thatsächlich von Ekel erfüllt waren über die unersättliche Rache-, Geld- und Belobungsgier der (meist auch noch freiwilligen) »Wiener Denuncianten«.
Und all dies Gezücht (beiderlei Geschlechtes, denn auch das »edle Frauenherz« machte viel in diesem Geschäfte), der gesammte Spitzeltroß bemäntelte sein mit Blut und Thränen besiegeltes Gewerbe mit dem gotteslästerlichen Titel der »guten Gesinnung«. Wenn der Bruder den Bruder, das Weib den (lästigen) Mann, der Freund den Freund, der Schuldner den Gläubiger, der Amtsgenosse den Collegen, der Chef seinen Untergebenen, der Diener seinen Herrn, der Bürger den Mitbürger verrieth, so that er es unter der grinsenden Versicherung seines »patriotischen« Pflichtgefühls, d. h. unter dem heuchlerischen Feldgeschrei jener Tage: »der guten Gesinnung«! –
Ach, wohl war es ein Jahr der Schmach, aber die Schmach begann nicht nach der junkerlichen Zeitrechnung an jenem glorreichen 13. März – sie datirt um einige Monden später und begann, als alle Freundschafts- und Familienbande gelöst schienen, und Judas Ischariot seine Apostel aussandte, den Verrath en masse zu organisiren.
Es sträubt sich mein Herz, Details zu schildern; zudem sind diese erschrecklichen Scenen einer langen Bartholomäusnacht voll socialer Greuel noch im bittersten Gedächtnisse Vieler. Andere, die dies sittliche Trauerspiel Wiens nicht »schauernd selbst erlebt«, würden diesen schwarzen Fleck, der auf der renommirten Stadt der »Gemüthlichkeit« unvertilgbar haftet, für eine geschichtliche Lüge halten, auch will ich gewissen »Patrioten«, die heute noch in den Straßen herumstolziren, oder das zutrauliche Lächeln der Wiener Bonhomie bis nun zu bewahren wußten, nicht die Larve vom Gesichte reißen – ich mag kein Denunciant der Denuncianten sein, aber in meiner Sterbestunde sage ich – da ich in diesem Fache (zur allgemeinen Beruhigung) nichts Schriftliches habe, meinen noch arglosen Söhnen vielleicht einige Namen in's Ohr, und das nur aus warnender Fürsorge.
Was jedoch die altwienerische »Gemüthlichkeit« betrifft, so waren gerade die heimlichen Mitglieder der Denunciantencompagnie, die Herren und Damen der Spitzelsocietät die allergemüthlichsten Leute. Sie kamen allstündlich zu Dir in's Haus und erkundigten sich theilnahmsvoll um Dein Befinden. Sie schnitten vor Dir die malcontenteste Fratze, seufzten und klagten Dir ihr sympathisches Herzeleid, sie drückten Dir wärmer als sonst die Hand und gaben sich als die lautersten Gesinnungsgenossen, die alliirten Märtyrer der leidigen Situation. Daß sie Deine Beichte schon in der nächsten Viertelstunde mißbrauchten, daß sie wenn Du wortkarg, in Deine Herzkammer stiegen und heraufholten, was Du tief verborgen halten wolltest, daß sie Briefe auffingen, Deine Leute bestachen, Deine Kinder ausforschten, Deine Besuche controlirten, Deine Lectüre überwachten, daß sie endlich sogar zu Dieben wurden und Dir diese oder jene Beweise Deiner »destructiven Tendenzen« oder des Einverständnisses mit der »Umsturzpartei« einfach wegstahlen – oder wenn gar nichts half, falsches Zeugniß ablegten – nun, mein Gott! das war nebensächlich und erforderte ihr Handwerk, gegen Dich selbst und die Deinen blieben sie stets und immer »gemüthlich«.
Und was sie erst öffentlich für gemüthliche Gesellschafter waren! Sie setzen sich im Gast- oder Kaffeehause zu Dir und erzählten Dir die neuesten und schärfsten Bonmots über das – Gouvernement. Du mußtest lachen und vielleicht gabst Du gleichfalls eine beißende Anekdote zum Besten (was Du nicht hättest thun sollen). Dann ärgerten sie sich über das kleine Gebäck und zogen über die Verwaltung los, oder sprachen gar ungescheut von einer »schlechten Regierung«. Oder sie nahmen die officielle »Wiener Zeitung« zur Hand (ein beliebtes Mittel) und kritisirten die Windischgrätz'schen, Welden'schen und Haynau'schen Erlässe, die Verfügungen Kempen's, die unsterblichen Anordnungen des Herrn Weiß von Starkenfels u. s. w. auf's Unbarmherzigste. Stimmtest Du, wenn auch nur kopfnickend, dem Muthigen zu, so konntest Du später einige – Unannehmlichkeiten erleben. Auch der Stellwagen war ein günstiges Terrain für diese Gesinnungshochstapler; man konnte mit dem Nebensitzenden über Vorübergehende, fahrende und reitende notable Persönlichkeiten seine Meinungen und Urtheile austauschen, die nicht selten vom gewünschten Erfolge gekrönt waren. Solche touristische Häscher machten zu diesem Zwecke oft zwanzig bis dreißig Stellwagenfahrten an einem Tage. Daß heimliche Sammlungen auf Trauermessen für die Gefallenen, auf Kränze für gewisse Gräber und ähnliche »stille Manifestationen der Partei« ebenfalls gerne benutzt, ja von einzelnen schlauen Arrangeuren geradezu als Köder gebraucht wurden, war so natürlich, wie, daß eben nur der aufdringlichste Colporteur einer verfehmten Flugschrift, eines verbotenen Buches oder Bildes den jeweiligen Besitzer zuweilen in Gefahr brachte. Man nannte diesen Nebenzweig der gesammten Denunciationswissenschaft, diese Secte im großen Spitzelorden: »Agents provocateurs« – zu Deutsch: Schufte.
Welch ein unsägliches Leid brachte dieses gesellschaftliche Ungeziefer – dessen sich die Behörden kaum erwehren konnten (welch Letztere bei einiger gutmüthigen Lässigkeit vielleicht noch Gefahr liefen, von ihren eigenen Organen wieder bei den Oberbehörden denuncirt zu werden) – über zahllose Familien; welches Chaos brachte in die dienstlichen Verhältnisse, in den Geschäftsgang der Aemter diese miserable Spitzelwirthschaft! Wie viele Existenzen wurden durch die mündliche oder halbbrüchige unterthänigste Mittheilung dieser Lumpenkerle oder feilen Dirnen und nichtsnutzigen Weiber zerstört, vernichtet; denn wer ermißt all das Elend, das mit einer einzigen Aussage (und Aburtheilung) durch Generationen hinaus über diese oder jene Familie hereingebrochen. Fragt in den neun Bezirken, jeder von ihnen hat seine Märtyrer des Denunciantenthums; freilich sind viele der Gemaßregelten bereits in's Grab gestiegen, gefolgt von ihren, von Gram verzehrten Kindern. – Warum gibt es noch keine Geschichte der Denuncianten?
Weshalb ich dieses widerliche Thema nun berühre? Aus dem Eingangs erwähnten Grunde: damit man mit der Benennung »Gutgesinnter« vorsichtig sei, weil es eben einst auch eine Species gab, die der Gesammtgattung sogenannter plötzlicher »Patrioten« und dem Namen überhaupt wahrlich nicht zur Ehre gereichte, im Gegentheile, für alle Zeiten mit einem unauslöschlichen Fluche beladen bleibt ...
II.
Zur Naturgeschichte der »Angströhren«.
Ich sprach von »plötzlichen« Patrioten. Diese eigenthümliche Sorte Wiener erblickte am 31. October 1848, Nachmittag fünf Uhr, das Licht der Welt und wurde von – Angst, Feigheit und Furcht ausgebrütet.
Die croatische Besitzergreifung der deutschen Stadt geschah – wie es eben Kriegsgebrauch – etwas ungestüm und die Ueberwundenen fanden kaum Zeit, sich zu demaskiren, d. h. ihr fatales Interimscostüm sammt der Armatur des Aufstandes abzulegen und die Garderobe des unverdächtigen Bürgers, die kleidsamere Tracht des Besteuerten hervorzusuchen, mit einem Worte: in die Toilette der Gutgesinnten sich zu werfen.
Worin bestand nun diese? Die urwüchsigen Schaaren des »heldenmüthigen« Banus hatten, einem höchst glaubwürdigen on dit zufolge, einen fürchterlichen »Pick« auf die ihnen bereits signalisirten Abzeichen der für vogelfrei erklärten Revolutionäre, und konnten diese Merkmale, da man beim siegreichen Eindringen des Militärs die unnütz gewordenen Waffen ohnehin wegwarf, nur mehr in restlichen Kleidungsstücken bestehen. Daß man sich aber auch der Uniformen, passepoilirten Pantalons, Czakos, befederten und bebänderten Calabreser und Stürmer etc. in aller Eile zu entledigen suchte, war selbstverständlich und so spähten die armen Soldaten geraume Zeit vergebens nach den figuralisch gebrandmarkten Subjecten der Empörung und fanden gerade in den ersten Stunden ihrer officiellen Visite wenig Verdächtiges. Ein sicheres Object war zwar der über das Kasernen-Normalmaß reichende Haarschmuck Einzelner, der in seiner wallenden Ueberschwänglichkeit den Exlegionär verrieth, aber kurz darauf verschwanden auch die systemwidrigen Locken und sogar viele trotzige Vollbärte fielen der wiederhergestellten Ordnung freiwillig zum Opfer.
Es entstand nun eine für beide Theile peinliche Pause. Einerseits wollte der projectirte Massenfang nicht recht gelingen, und anderseits verkroch sich, was sich schuldig wußte und nicht das Weite zu suchen verstand, in den abenteuerlichsten Verstecken oder in die seltsamsten Vermummungen, die den ältesten Freund unkenntlich machten. Aber auch der Zeitpunkt war gekommen, wo es von höchster Gefahr schien, seine Unbedenklichkeit überhaupt nicht schon völlig gerechtfertigt zu haben und als unbestritten »Gutgesinnter« vor dem Forum der bei dem Wachtfeuer lagernden bewaffneten Kritiker erscheinen zu können. Denn man mußte doch endlich auch auf die Straße gehen und seinen verschiedenen Pflichten nachkommen.
Heute, nach zwei Decennien und noch wuchtigeren historischen Zwischenfällen, nimmt sich die Sache fast komisch aus, wenn ich der zwar wohlmotivirten, aber doch immerhin kläglichen Furcht gedenke, die neun Zehntel der männlichen Wiener Bevölkerung in dem (wenn auch nothgedrungenen) Bestreben erfüllte, für unbedenklich zu gelten! Welche Mittel wandten Viele an, um die rigorosen Bivouaks unbeanständet passiren zu können, und welche ungefährliche, treuherzig-patriotische Gesichter schnitten sie, wenn sie das unerbittliche Fatum zwang, vor einem rothbemäntelten Bassa defiliren zu müssen! –
Denn die Hauptsache bei solch Gefahr bringenden städtischen Ausflügen blieb vorläufig, d. h. ehe noch die designirten Kriegsgerichte nach Acten arbeiteten, das Aeußere, der »Habitus« des Waghalsigen, die sozusagen decorative Ausstattung und Gesinnungsmontur des promenirenden Prüflings, der dem mißtrauischen Auge eines vigilirenden Cordonisten oder Tschaikisten weder durch einen heuchlerischen, weil rasch adaptirten blauen Caput, noch durch eine erlogen civilisirte graue Hose einen k. k. Argwohn in das tadellose Vorleben solch allgemeiner Kleidungsstücke einflößen durfte, vorzugsweise jedoch durch die patriotischeste Kopfbedeckung über allen Zweifel erhaben – glänzen mußte. Denn Rock und Hose konnten, wie angedeutet, wenn auch ihre Farben nach aufrührerischer Vergangenheit wiesen, dennoch mit Schneidergeschwindigkeit einen friedfertig bürgerlichen Schnitt erlangen und deshalb immerhin einen Brutus oder Tausenau (was nach dem Dienstreglement so ziemlich alles Eins) verhüllen, aber erst die Kopfbedeckung war das untrüglichste Symptom eines nach der Adjustirungsvorschrift der guten Gesinnung Gekleideten. Was aber konnte unter solchen Umständen unverfänglicher sein, als die unter Metternich gesetzlich gestattete, altehrwürdige, vorconstitutionelle Form des – Cylinders?!
Ja, der Cylinder war das sicherste Palladium in jenen schwierigen Tagen. War er doch in den vaterländischen Gauen als steifstes Sinnbild der Constanz, d. h. der Stabilität, längst ebenfalls zum Begriff geworden und wurde nur, weil der Begriff, respective das System der Unveränderlichkeit momentan unmodern, mit dem antiquirten System zeitweilig bei Seite gelegt, während statt seiner in der Epoche der allgemeinen anarchischen Formlosigkeit der ungestaltete, zerknitterte – Calabreser und ähnliche wachsweiche Mißgeburten, die rechten Zerrbilder des modernen Unbestandes, in Gebrauch kamen. Aber nun, wo die staatlichen Umgestaltungsversuche sammt den frechen Neuerern jämmerlich scheiterten, wo es klar und sichtbar war, daß nur das Altüberlieferte, durch ein Jahrtausend Bewährte, Sinn und Bestand habe, da brach mit der Inaugurirung der früheren Verhältnisse, mit der glücklichen Restauration der alten Zeit und ihrer patriarchalischen Zustände auch sein Reich und seine Herrschaft wieder an, und das »Symbol des Conservativismus« wurde mit Begeisterung aus der Commode geholt!
Wie glücklich, wer damals dieses »politische Kleinod« in seinem Depositorium (für alle Fälle) aufbewahrt hatte! Wie konnte er, gleich dem Piloten, der von Kindheit an die Sandbänke und Untiefen seines heimatlichen Meerufers kennt, nun gefahrlos den häuslichen Hafen verlassen und durch Bajonettklippen auf sein Ziel lossteuern! Wie konnte er (innerlich) lächeln, wenn er mit diesem Amulette durch die stürmisch wogende Brandung der Belagerung wie auf spiegelglatter Fläche dahinfuhr, und wie zufrieden lächelten die Küstenbewacher selbst, als sie den braven Mann mit dem weithin sichtbaren, ebenfalls spiegelglatten Signale der guten Gesinnung vorübereilen sahen! So hübsch ausgerüstet und befriedigend uniformirt war der in jenen streng militärischen Tagen für manche Augen häßliche Anblick eines Civilisten auch einigermaßen gemildert.
Wohlwollende und gemüthreiche Menschen können sich nun nach dem Vorerzählten die pitoyable Lage des Einzelnen, wenn er selbst, oder der Familie, wenn der Hausvater, der Sohn, der Bruder in der Stunde der Gefahr cylinderlos betreten wurde, leicht versinnlichen, und daß demnach das Streben der gesammten männlichen Bevölkerung Wiens nur im Besitze eines Cylinders gipfelte. Diese Sorge um den schützenden Cylinder wuchs mit der Minute, der Kampf, der um ihn in der Stille geführt werden mußte, wurde desto leidenschaftlicher, als das Gerücht ging, daß die ganze Auflage bei den Verlegern bald vergriffen, und daß, obschon für einzelne geeignete Exemplare horrende Preise gefordert wurden, dennoch das Lager in Kurzem vollständig geräumt sein dürfte. In dieser höchsten Noth verfiel man nun auf Auswege. Weil der revolutionäre Waffenrock zum philiströsesten Flaus sich umgestalten lieh, so versuchte man eine gleiche Wandlung mit dem in Bann gelegten Kalabreser und seinen verwandten Geschlechtern, indem man diese filzenen Gespenster in die gesetzlichen Formen zwängen ließ und sich mit derlei provisorischen und Interimscylindern wie mit einer Nothflagge bedeckte. Wehe! Wehe! Der Flagge fehlte der legale Glanz, und ihr mattes Aussehen wurde viel eher zum Verräther, als eine dreifarbige Cocarde.
Bei Stockhaus und Windischgrätz! Der matte Cylinder wirkte anstatt besänftigend, geradezu verderblich; man sah in ihm nicht mir das Abzeichen der erlogenen guten, sondern sogar das gemeinsame Symbol der – malcontenten Gesinnung und machte deshalb – Jagd auf ihn! Und zwar ganz gerechtfertigterweise. Denn wie oft im Leben der Völker und Nationen just das scheinbar Unwichtigste und Unbedeutendste zum, wie die Geschichte lehrt, welterschütternden Anstoße führt, so konnte auch der matte Cylinder das Agens zu neuen, ungeahnten und um desto schrecklichen Umwälzungen werden, wenn er, was kaum mehr zu bezweifeln, das Bindeglied der kurz vorher niedergeworfenen Verschwörer war. Zu dieser Annahme war man jedoch in maßgebenden Kreisen befugt, indem die Umsturzpartei ihren Cylinder nicht allein gegen alles Herkommen glanzlos, sondern auch – frech genug – mit breiterem Bande trug und mithin eine heimliche Gesellschaft ( à la Carbonari) bestand, deren Mitglieder ein gemeinsames Erkennungszeichen hatten und die abermals ausgerottet werden mußten. Umsichtigen patriotischen Organen war mit der Entdeckung der neuen Verschwörung, der teuflischen Verbindung der » Matten« (auch » Breitbänderigen« genannt) eine wichtige Aufgabe geworden; was Wunder, wenn sie in vorkommenden Fällen zwar mit Strenge, aber auch nur nach Amtswegen verfuhren.
Was Wunder auch, wenn jeder, angesichts des ärarischen Crucifixes sich doch wieder purificirte »Matte« (oder »Breitbänderige«) nun augenblicklich daran dachte, mit den scharfen Leitern und Executoren der Gesetze durch keinerlei »demonstrativ« erscheinende Kopfbedeckung in Collision zu gerathen und sich ernstlich beeilte, den »Cylinder der Gutgesinnten« sich anzuschaffen. Hierbei geschah nun in der Angst allerdings etwas Uebriges, indem man die Erzeuger beschwor, um nur ja nicht mehr mit einem »passiven Widerstands«- oder »Oppositions«- also auch nicht mit einem vielleicht zu niedrigen Cylinder ein unnöthiges, obrigkeitliches Aergerniß zu geben, ihn nicht nur in der üblichen Höhe, sondern als Gesinnungsmètre vielmehr möglichst hoch zu formen. Daß dieses neueste vaterländische Wahrzeichen von den ex officio-Gutgesinnten augenblicklich benützt wurde, um in dem Wettkampf der patriotischen Nebenbuhler siegreich zu erscheinen, ist erklärlich, aber diese Mode und Methode riefen eine leidige Cylinderhöhenrivalität hervor, die zwar von den Behörden zur beifälligen Kenntniß genommen wurde, jedoch auch jene langhalsigen schwarzen Ungeheuer erzeugten, die der Fachmann zur leichteren Orientirung künftiger Culturhistoriker kurzweg unter dem Namen » Angströhren« verzeichnete.
Wien bot damals einen sonderbaren Anblick. Nicht nur, daß die Stadt überhaupt in Folge ihrer luxuriösen militärischen Besatzung und einer gewissen Atmosphäre, die in ihr herrschte, einem weitläufigen Fort glich, so hatten auch die paar Civilisten, die in den Straßen scheu aneinander vorüberhuschten, so ziemlich ein uniformes Aussehen, indem Jeglicher jede Auffälligkeit in seiner Kleidung sorgfältig vermied. Dazu kam noch, daß eine Art Staatslenker den jungen Leuten die Haare auf Kosten des allgemeinen Sicherheitsfond es schneiden ließ, und so war denn auch über die civile, somit fast über die ganze männliche Bevölkerung, die zwar feierlich ernste, aber doch immerhin etwas monotone Kasernenphysiognomie verbreitet. Nur die, gleich schwarzen Schloten zwischen den Bajonetten, Czakos und Holzmützen emporragenden riesigen Cylinder ließen in der Monturenmasse die letzten Spuren des bürgerlichen Elementes erkennen, das sonst wie ausgestorben schien. Aber eben diese Cylinder!
Mit welch ostensiver Hast schaffte man sie an, wie kokettirte man förmlich mit ihnen, die doch nichts anderes als die markantesten, häufig exorbitantesten Ornamente der – unmännlichsten Furcht, die classischen Werthzeichen einer unclassischen Periode – simple » Angströhren« gewesen! Aber in gewissen Kreisen galten sie als conditio sine qua non der persönlichen Sicherheit, oder als symbolisches Merkmal der protocollirten »Gutgesinnten«, die im Vereine mit dem durchlauchtigsten Dictator das gemeinsame Vaterland vor dem Zerfalle zu retten hatten. Wahrlich, es fehlte wenig, und ein communaler Heißsporn hätte in seiner cylinderhaften Verzückung den eigenen Filzdeckel von überpatriotischer dreizehnzölliger Höhe vor seinen verzagten Mitbürgern begeistert geschwungen und dabei ausgerufen: »in hoc signo vinces!« Leider erlebte dieses zeitweilige Sinnbild der wahren Vaterlandsliebe, der Cylinder, als er siegestrunken später zu gleichem Zweck auf Gastrollen ging, unter magyarischen und czechischen Fäusten einige derbe Niederlagen.
Die unumschränkte Herrschaft des Cylinders ist, wie so vieles Andere, mittlerweile längst gebrochen, er mußte seine absolute Gemalt mit täglich neu auftauchenden Formen theilen; übrigens konnte er auch, trotz momentaner Zauberkraft, die unaufhaltsamen rollenden Geschicke des Vaterlandes nicht bannen. Aber eine historische Merkwürdigkeit bleibt das Ding, das heute schon fast zur Rarität geworden.
III.
Die Frauen und – Jungfrauen.
Das ist ja eben das Malheur, daß man sowohl den wirklichen Moralitätsfexen als den Sittlichkeitsheuchlern nicht gut widersprechen kann, wenn sie die beleidigendsten Amendements sich erlauben, sobald von der weiblichen Betheiligung an der Bewegung des Jahres 1848 die Rede ist.
Und dennoch, wie schön war diese Theilnahme in den Märztagen! Wie glichen die Frauen doch alle den Manon Roland's und die Mädchen den Charlotte Corday's und wie begeisterungstrunken leuchteten ihre Augen! Wie eiferten sie die Helden des glorreichen Aufstandes an, wie jubelten sie den todesmuthigen Rednern zu, und welche herrlichen Blumensträuße flogen den revolutionären Siegern aus zarten Händen entgegen, als sie mit der blutig erkauften Beute der Empörung: den gewissen »Errungenschaften« oder sogenannten (papierenen) »Menschenrechten«, aus dem Kampfe zurückkamen und so trotzig mannhaft, so stolzen Lächelns im Festzuge einhermarschirten! Ach, nur Thränen der weihevollsten Freude glänzten in jenen süßen Augen, die auf den herrlichen Freiheitskämpfern ruhten, und die rosigen Angesichter, die sich nach den jugendlichen Recken wandten, waren, wenigstens in jener Stunde, gewiß nur von dem Feuer der edelsten Gefühle, der reinsten Leidenschaft geröthet.
Die großen Feste waren endlich vorüber, aber selbstverständlich blieben ihre Helden – modern, nur daß die Feier derselben nicht fortan in öffentlichen Aufzügen bestand, sondern in den häuslichen Kreis sich zurückzog und zum fast allgemeinen Privatcultus wurde. Student zu sein, war damals gar ein prächtiges Glück, geehrt und besungen in allen denkbaren Formen, war schon der Name ein Passepartout, der den strengsten Cordon der Hausgesetze durchbrach, ein Wunder wirkender Freibrief für Vieles – für Alles.
Wer neidet der goldigen Jugend diese weiteren Siege? Und sahen sie doch so schmuck aus, diese Herzenseroberer und blickten so treu darein, so bieder, und die Lippen, die an ihnen hingen, waren geschwellt von unnennbarer Seligkeit ...
Ich weiß nicht, ob die private Nachfeier der Revolution auf unsere gesellschaftlichen Verhältnisse nicht eingreifender wirkte, als die Erstürmung des Zeughauses und die Vertagung Metternichs?
Daß ich's also nur gerade heraussage: es gehörte damals zum weiblichen »bon ton«, die »Braut« oder – Freundin eines Legionärs zu sein. Es war die natürlichste Modesache, am Arme eines becalabreserten Jünglings zu erscheinen, und das deutsche Schwert streifte sogar die sittsamlichsten Glieder. Mit einem Worte: Das edle »Frauenherz« huldigte in demonstrativinniger Weise der Revolution und den »Revolutionären«. –
Dann kamen die Barricadentage, Frauen und Mädchen wurden von den Studenten, Garden und rußigen Arbeitern, denen sie ermunternde Worte zuriefen, denen sie die Hand mit Wärme drückten, an die sie Bänder und Schleifen und Blumen vertheilten, denen sie Erfrischungen brachten und hunderterlei (patriotische) Liebesgaben, über die Steinwälle geleitet, und ein enthusiastisches »Hoch den Frauen Wiens!« aus hundert und tausend Kehlen lohnte ihnen ihre Sympathie für die Sache der Freiheit. Daß später auch einzelne schmutzige Hetären diesen Triumphzug copiren und sogar »Barricadenrollen« spielen wollten, liegt in der Natur dieser Sorte, aber sie kamen zu keinen Rollen und zogen sich, von dem Ernste der Tage verscheucht, gar bald selbst von jeglicher öffentlichen »politischen« Wirksamkeit zurück. Als Ladies patronesses, als Schützerinnen der Revolution fungirte auch hier wie überall, nach wie vor, jene scheinbar – bessere Hälfte der schönen Hälfte des Menschengeschlechtes, die stets die Zauberkraft besaß, wenn sie ein begeistertes »Sursum corda!« rief, oder in die Ohren lispelte, den Tod für die Freiheit zu suchen und ihn süß zu finden.
Und dennoch war Alles Modesache – faible! Man weinte zwar anfänglich noch die heißesten Thränen um die gefallenen Legionärs, man trug schwarze Rüben (sehr pikant!) und legte schwarze Kränze auf ihre Gräber, aber – die Armen waren ja todt, oder auch nur flüchtig, oder nur im Kerker, oder nur bei den Strafcompagnien, aber »abgethan« waren sie doch, wie momentan ihre Sache, es wurde nach und nach unmodern von Beiden zu sprechen, die Sympathie für die Märzhelden schien plötzlich so antiquirt, nachdem ganz andere Helden jüngsten Datums auf die Tagesordnung kamen, und das wunderliche Frauenherz, das so »unergründlich in seinen Tiefen«, acceptirte denn endlich auch die neueste Mode: den militärischen faible.
Bei all dem jungen Blute, das damals – ungestüm thörichterweise für die heilig gehaltene »Sache« vergossen wurde, ich stigmatisire die Gesellschaft (im Großen und Ganzen) wahrlich nicht! Erinnert Euch doch selbst, wie schnell die interessanten – »Demokratinnen« verschwanden und dafür die aufdringlichen » Gutgesinnten« generis feminini in Massen an's Tageslicht kamen. Erinnert Euch doch, wie so bald die altdemonstrativen Trauergewänder abgelegt und die neudemonstrativen Schilderhausfarben zur Mode wurden! Erinnert Euch doch, wie Eure Weiber und Töchter und Schwestern von den gewissen dreifarbigen Bändern und Cocarden, die sie so kokett über dem wogenden Busen zu tragen wußten, die eine, mißliebig gewordene Couleur so rasch als – Rococo erklärten und sich mit zwei Farben zufrieden stellten! Und in wie kurzer Zeit die verlassenen untröstlichen Bräute etc. in den Reihen des »Feindes« Ersatz suchten und fanden!
Nochmals, ich verleumde nicht. Es gab einzelne rühmliche Ausnahmen, einsam verkümmernde Herzen, aber der Ueberläuferinnen war die lustigste Mehrzahl, und gar bald paradirten die siegreichen neuen Gäste mit den freiwilligen Sabinerinnen, die einen gewaltsamen Raub nicht abwarteten.
Diese neue Gesinnungs- und Herzensmode machte so rapide Fortschritte, daß sie schon nach einigen Wochen zur tonangebenden wurde und man den legal bewaffneten Freund ebenfalls wie eine Trophäe siegesbewußt in die Oeffentlichkeit führte, wobei freilich mitunter eine leidige Chargenrivalität entstand. Der »arme Civilist« spielte wie ein altmodisches Möbel die kläglichste Figur oder schlich unbeachtet auf dem armirten Corso umher, oft auch noch verspottet, verhöhnt, verlacht von Jener, die erst im vorigen Mondesviertel in die bedenklichste Verzückung gerathen, wenn er den Freiligrath oder einen anderen ihrer »Lieblingsdichter« mit sonorem Bariton declamirte.
Und eine besonders couragirte Gattung der plötzlich militarisirten Wiener Schönen ging in ihrer transponirten Inclination so weit, daß sie nicht anstand, den abgedankten civilen Amoroso, falls sich dieser beikommen ließ, in langweiligen Vorwürfen sich zu ergehen, d. h. überhaupt unbequem zu werden, einfach beim Polizeicommissariate des heimatlichen Bezirkes als »Rothen« zu – denunciren, oder dies Geschäft einem der stets disponiblen »Zünder« für ein paar Einserln zu überlassen. An Beweisen fehlt es ja selten, Briefschaften mit »rothem Inhalte« waren immer vorräthig. »Ehret die Frauen, sie flechten und weben.«
Schließlich kam das edle Frauenherz mit seinen unergründlichen Tiefen sogar auf die Marotte, um als »gutgesinnt« zu gelten, eine quasi-Damenuniform zu ersinnen, d. h. die Montur des zeitweise Auserwählten zu tragen, und schmückte sich demnach die respective Julie mit einer soldatisch zugeschnittenen Joppe, genannt »Ulanka« oder »Dolmanka«, mit großen metallenen Knöpfen, auf welchen die Regimentsnummer des bezüglichen Romeo prangte. Daß dessen photographirtes Conterfei nebenbei auf Broche oder Armband glänzte, ist selbstverständlich. So leuchtete denn die normale »gute Gesinnung« auch weiblicherseits in unzweifelhafter Glorie und das Militärgouvernement konnte in jeder Beziehung zufrieden sein.
Auch mir ist's recht; ich muß nur lachen, wenn ich nach den wechselvollen Ereignissen der damaligen Tage an die unstreitig bunten Mysterien denke, die zur Genesis der nachgebornen Generation u. s. w., u. s. w.