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Vom »Kir'tag«.

(Juli 1870.)

Als in der vergangenen Woche die Nachricht durch die europäische Presse ging, daß heuer doch wieder, noch ehe die »Rafferei« am Rhein in Aussicht stand, auf dem Lang-Enzersdorfer Kirchtag »g'rafft« wurde, da mußte das Herz des Patrioten, dem es um die Erhaltung des National- resp. Localcharakters zu thun ist, höher schlagen, indem die Gefahr einer Verflachung, Nivellirung oder Abschwächung unseres markanten Gepräges und unserer hervorragendsten Merkmale und Eigenthümlichkeiten dadurch noch so ziemlich in die Ferne gerückt erscheint.

Denn, wenn einst an einem christkatholischen Kirchtag nicht mehr gerauft wird, wenn keine Bierkrügel mehr nach den feindlichen Köpfen fliegen und keine ezcerpirten Sesselfüße auf den gegnerischen Rücken herumtanzen, wenn nicht mehr im Gewoge der Schlacht, die natürlich nur bei ausgelöschten Lichtern begonnen wird, irgend ein athletischer Vortänzer dem betreffenden Bläser das Bombardon entreißt und mit diesem letzten Mittel, wie Simson auf die Philister, auf die Burschen des Nachbardorfes ohne Wahl losschlägt; wenn all diese historischen Kennzeichen einer echten »Kirmes« einst aus der Mode sein sollten, dann – haben sich die Kirchweihtage selbst überlebt oder unser Volk ist durch die verschiedenen Aeren, Steuerzuschläge, Einquartierungen, Missionspredigten, Wahlprogramme, Kunstweine, ministerielle Rundschreiben und sonstige Civilisationsversuche ein anderes geworden. Daß Beides bis nun noch nicht geschehen, ließ die erwähnte Rauferei hoffen.

Es war daher fast selbstverständlich, daß auf die Kunde von den Vorfällen des ersten Kirchweihsonntages, zum Nachkirchtage, d. i. am nächsten Sonntag, die schaulustigen Wiener erst recht in Massen dorthin strömten, wo es nach menschlicher Berechnung und mit Hinblick auf die hundertjährigen geschichtlichen Belege wieder so lustig werden sollte, und daß der sonst so vereinsamte, gewiß nicht romantische »Stockerauer Flügel« nun gerade die Lieblingsstraße – freilich einer speciellen Gattung Vergnügungszügler wurde. Aber wie enttäuscht kehrten die Armen des Nachts wieder heim! Wie – solid blieb es dießmal!

Ach, Lang-Enzersdorf, die Heimat der Spargelzüchter, in deren Adern das rebellische Blut der reschen Bisamberger Luftschichte rollt, zugleich die letzte Marschstation jenes betriebsamen Touristenstammes, der, aus Nachkommen der Jungfrauen Wlasta und Libussa bestehend, gleich den Schwalben südwärts zieht, um gewisse Strecken mit Rechnungsräthen, vorstädtischen Hausherren, Taglöhnern, Kanzleidienern und Polizeicorporälen zu versorgen, diese gemeinsame Etappe der heterogensten Rassen, da auch die Hagenbrunner Marillenhändler und die Korneuburger Erdäpfelpflanzer Nachts hier Rast zu halten pflegen, eignet sich vorzugsweise zum Turnierplatz ehrgeiziger und streitsüchtiger Kämpen, und war auch im Laufe der Zeiten wiederholt die Wahlstätte, wo beide Parteien zwar nicht die Ehre, aber doch diverse Stock- und Schneidezähne verloren und wo nur die Ueberzahl der Löcher im Kopf, die Majorität an eingeschlagenen Nasenbeinen es erkennbar machte, auf welcher Seite Sieg oder Niederlage zu suchen war.

Mit diesem geschichtlichen Nimbus und den nöthigen stimulirenden Hilfsmitteln, als da sind: die eingelagerten Jedlerseer Bräuen und der renommirte ortsübliche Haus- und Kellertrunk, versehen, dann aufgestachelt von einem durch sechsundzwanzig Grade im Schatten unlöschbar gemachten Durst, konnte es nicht fehlen, daß auch am etwas abgeblaßten Nachkirchtag doch die jahrüber entstandenen Meinungsverschiedenheiten und amorosen Differenzen, die stillen Grenzsteinversetzungen und autonomen Weideverletzungen auf altgewohnte Weise zur »Austragung«, die aufgehäuften Streitpunkte zur endlichen Erledigung kommen sollten, d. h. daß die Stammhalter der Häuser, die jüngeren Kapulets und Montecchis – »raff'n« würden. Und doch verlief Alles in staunenswerther Ruhe, und war der Sonntags vorher, am Hauptfesttage mit Messern durchgeführte Handel nur ein rein individueller einer vereinzelten Geschmacksrichtung, die keine Nachahmer fand.

Es wird allmählich still im Lande, wie es scheint. Der letzte, aber auch sicherste Zufluchtsort der enthusiastischen Faustduellanten, der Kirchtag, sieht keinen Tropfen Blut mehr, und erfreute sich nicht hier und da ein schlaf- oder überhaupt trunkener Kellnerjunge eines ermunternden oder ernüchternden »Schopfbeutlers«, man merkte oft kaum, daß man einem ländlichen Volksfeste beiwohne. Wohin wird das führen? Hämische Nachbarstaaten werden uns noch entnervt nennen, denn, wenn nicht zeitweilig das rabulstische Simmering, oder die Anrainer des Hernalser Ganserlbergs, oder ein paar Medicinä-Studenten den heimatlichen »Raufruf« zu retten sich bestrebten, mir wüßten vielleicht bald, nicht mehr, daß wir eine muthige Jugend haben.

Auch andere gelehrte Männer versicherten mir, daß es auf den vaterländischen Tanzböden nachgerade langweilig-modest werde, und daß es sogar schon Dörfer gebe, wo der mit einem completten »Spielhahnstoß« armirte Eindringling von den Jünglingen des also frech herausgeforderten Ortes nicht erschlagen werde. Die Beschäftigung der heutigen Dorfjugend beschränke sich, wie die übereinstimmenden Berichte zeitgenössischer Geographen bestätigen, an kirchlichen Festtagen auf die Befriedigung der allereinfachsten Bedürfnisse: sie consumirt die traditionelle Quantität Flüssigkeit, tanzt den angestammten »Gestrampften«, ißt Knoblauchwurst und Rettig und – geht dann »fensterln«. Ihre Aufgabe ist gelöst, und müde verschläft sie auf dem Heuboden den sonst verrauften Frühmorgen.

Diese auf die eigene Autopsie, wie auf die Mittheilungen der verläßlichsten Reisenden im Dienste der Wissenschaft gemachten Wahrnehmungen bringen mich auf die Vermuthung, daß wir überhaupt keinen eigentlichen, nach unseren überlieferten Begriffen ausgestatteten Kirchtag mehr haben, indem gegenwärtig sogar auch noch die übliche Zierde der Bauernkirchweih auszubleiben pflegt, jene residenzlichen Heroen, welche mit ausgestreckten Hemdärmeln, mit schiefgesetzten Cylindern und »Ohrlinserln«, stets als » Aufmischer« fungirten und durch ein ungenirtes Pas des deux, wobei eben nur die reichste und drallste Dirn zu assistiren hatte, schon in der ersten Viertelstunde den Grimm der gesammten jüngeren Ortsinsassen wachzurufen wußten. Heute ambitioniren die »lautesten« Wiener Gäste nichts Anderes, als daß das Gansel hübsch braun gebraten, das Bier eisfrisch und der Wein nicht gar zu stark geschwefelt sei; Stänkerei, einst die Würze der Nacht, ist für sie eine unverstandene Hypothese; höchstens, daß ein paar blasirte Weißwaaren-Dandys es wagen, die Torfschönen durch das Monocle zu fixiren oder sie mit dem Talmigoldknopf der Reitgerte auf die feiste Schulter zu tupfen, aber – man wirft sie nicht einmal mehr hinaus, so blasirt sind auch schon die Bauernjünglinge,

Ja, wir haben keine rechten »Kirchtage« mehr. Das Prototyp eines solchen, freilich im riesigsten Maßstäbe angelegt, der Brigittenauer mit seinen tausend Tollheiten und drolligsten Sehenswürdigkeiten, seinen grotesken Tanzplätzen bei einem einfachen Merkel oder einer separirten Clarinette, seinen bedenklichen Akrobaten, Kunstreitern, Seiltänzern, Menagerien und dubiosen Weltwundern wurde »aufgelassen«, sein Rivale, der Mariabrunner, ist eine brutale Suff-Orgie – und der ehemals so gefährlich animirte Lang-Enzersdorfer Kirchtag ist – zahm geworden.

Und wie zahm! Das Um und Auf an unumgänglich erforderlicher »Ausgelassenheit« besteht darin, daß schon während des Tages zwei, in Mehrheit aus Mitgliedern der unterdrückten Nationalität recrutirte Musikbanden den Ort durchziehen und vor den notabelsten der sechs Wirthshäuser Posto fassen, um »Stückl Nr. 7« oder »Bulga«, oder gar die berüchtigte Arie aus Trovatore, die wie bald der Marlborough-Marsch auf jedem Fleck der bewohnten Erde heimisch sein wird, aufzuspielen. Hierbei hat der Piston- oder Flügelhornbläser oder der »Maschindrumbeder« die Mission, Umzuwerfen, d. h. einige Gickser anzubringen, welcher musikalischen Aufgabe sich übrigens auch die anderen Herren der Bande hinlänglich gewachsen fühlen.

An diesen Straßenconcerten nimmt nun vorzugsweise die männliche Dorfjugend Theil – die weibliche verbirgt sich noch schamhaft, und der Dinge, die da kommen sollen, unter Herzklopfen gewärtig, und in Gugeln wohl eingehüllt, hinter den Fenstervorhängen. – Knaben bis zum Alter von zehn Jahren lassen sich als barfüßige Notenhälter gewinnen und versehen dieses schwierige Geschäft mit dem feierlichsten Aplomb, während die älteren Bursche insofern handelnd in die Scene treten, als sie im Mittelpunkt des blasenden Kreises, die Maß Bier in der einen und die andere Hand um den Hals des »Kam'raden« geschlungen, das Virginierstroh hinter dem Ohre, sich, wie der technische Ausdruck lautet, »anstrudeln« lassen. Am Kirchtage wird nämlich der Bursch ein sogenannter »Jungg'sell«, ja er wird unter dem Taxerlag von so und so viel »Maßln« förmlich als mannbar erklärt und darf nach diesem legalsten aller »Einkäufe« in die Gesellschaft der »Moaner« und naturgemäß sodann auch auf den Tanzboden sich begeben. Der Traum seiner Kinderjahre ist erfüllt, sein Ehrgeiz hat ein Ziel gefunden, er kann und darf, wenn er will, sich von diesem wichtigen Momente an ungestraft – einen Rausch trinken. – –

Der »Segen« ist vorüber; die Dorfschönen, das heißt: die ledigen Dirnen, welche nach altem Gebrauche auch hier noch immer »Jungfer« titulirt werden, erscheinen am Festplatze, ihr erklärter »Gspoan« führt sie vorerst zu einem Lebzelterstand, um sie auch von dieser Gattung der Süßigkeiten des Lebens kosten zu lassen, aber in den meisten Fällen ist die Dame in ihrem Geschmacke bereits so abgehärtet, daß sie den angebotenen Meth lächelnd refusirt und später lieber das Bierkrügel zur Hälfte leert. Dann geht's zum Tanze. Das Eintrittsgeld wird erlegt, dem Musikanten außerdem das obligate »Flearl« zugeworfen und die Nummern des Programms werden nägelbeschlagen durchgehopst.

Das ist die complete Historie des Lang-Enzersdorfer (Nach-)Kirchtages, der so anständig verlief, daß es, wie sich ein anwesender Urwiener ausdrückte, ein reiner »Standal« war. Besagter Urwiener, der seiner Zeit bei »Hoch- und Deutschmeister« und wie üblich »treu und redlich« gedient, fand die friedliche Stimmung des Ortes unerträglich und wanderte deshalb von dem trefflichen »Rössel« zu dem minder berühmten »Gmoan«-Wirthshause unablässig »hinüber und herüber«, »a Hetz« suchend und dieses Verlangen mit den Worten präcisirend: »Raff'n möcht i!« Aber nicht nur dieses Ultimatum, sondern selbst die offene Kriegserklärung, welche in dem Aufrufe gipfelte: »Kummt's her, wenn's Eng Aner traut's!« wurde ignorirt. So blieb denn dem Kampflustigen nichts übrig, als die communalen Institutionen des Ortes anzugreifen und eine directe Beleidigung der Verwaltung zu versuchen: »Nit amal a urndlichs Ring'lg'schpiel is in den Nest!« lautete der letzte Appell an das Ehrgefühl der Lang-Enzersdorfer Patrioten, und als diese auch jetzt noch nicht Miene machten, diese offenbare Verdächtigung ihrer Anstalten blutig zu rächen, da gab der bitter Enttäuschte seinen Plan auf, kreischte, wie Gottsleben in dem bekannten »Sittenbilde« um »a Krügl Bier!« stürzte es mit einem Zuge hinab, warf das Geld auf den Tisch und suchte fluchend sein »Zeugl« auf.

Ich selbst bestieg nachdenklich den Train und murmelte frei nach Meister Anton: »Trotz alledem und alledem keine »Raffern« – ich verstehe die Welt nicht mehr!«

 


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