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Ganz eigene Zeichen sind es, womit die Natur ihre einzelnen Abschnitte, d. h. Jahreszeiten markirt, oder von ihren staubgeborenen Sklaven markiren läßt. Fallen die Tramway-Actien, dann beginnt der Winter; werden die Gartenbänke und Sessel mit Oelfarbe frisch angestrichen, so naht der Lenz, der blühende Knabe; ersinnen die Frauen die fantastischesten Toiletten und längsten Seidenschleppen, dann mahnt man Dich, daß es Sommer sei, wo es zum bon ton gehört, sich von den lästigen Modegesetzen der Residenz zu emancipiren und in Waldeinsamkeit die Reize des primitivsten Landlebens zu genießen. Fallen Dir aber saison- und lebensmüde Fliegen in die Suppe, wimmelt es in den Inseratenspalten von Schulprogrammen, tönt der elegische Ruf: »Maroni arostiti« an Dein Ohr und hängt sich die lästige Graswebe (auch »Mariengarn« oder » Alter-Weiber-Sommer« genannt) Dir an Bart und Blouse an, dann ist trotz der goldigsten Tage der Herbst hereingebrochen, und die Natur rüstet sich, Abschied von Dir zu nehmen und sich für den starren Todesschlaf vorzubereiten, den sie vier Monden lang (in gar prächtigen Wintern auch noch länger) schlafen will.
Denn diese dünnen Fäden der Feldspinnen sind die Todeskeime der Natur, auch die feurigsten Küsse, die die alte Kokette, die Sonne, Dir etwa heute noch auf Stirn und Wange drückt, sind nur erheuchelte Liebkosungen, unter denen sie ihre Untreue und die schnöde Absicht, Dich in Kürze zu verlassen, verbirgt; und selbst der tiefblaue Himmel, er belügt Dich wie eine bankerotte Firma mit ihrem glitzernden Aushängschild, denn hinter dem lieblich azurnen Schleier sind bereits die Schneemassen aufgespeichert, die den Unvorsichtigen, der sich etwa noch einige Zeit in Nankinghosen der freundlichsüßen Gewohnheit des Dasein zu erfreuen gedenkt, plötzlich mit dem gräulichsten Schnupfen und den fatalsten Unterleibsleiden überraschen können.
Warum nennt man aber das Merkmal dieser Periode der Lüge, Täuschung in der Natur – die aestas volitans gerade » Alter-Weiber-Sommer«? Warum dieser, nichts weniger als sympathische Name, diese unbekannte Signatur, die den gewissenhaften Wortforscher zu Vergleichungen und zur Aufstellung von Gründen herausfordert, welche gegen jene allgemeinen Lehrsätze der pflichtschuldigen Galanterie verstoßen müssen, die selbst der Ungebildetste gegen die »andere Hälfte« des Menschengeschlechtes – sei sie selbst einige Decennien über des »Lebens Sonne« hinaus, zu beobachten hat? Ist diese wahrlich grausam klingende Nomenclatur thatsächlich nur das Product eines maliziösen Gelehrten, bei dem eben jene »andere« Hälfte des Menschengeschlechtes, sobald sie die gewisse annuelle Reife erlangte, Einiges, auf dem Kerbholz hatte – oder liegt der Sache doch ein poetisches Motiv zu Grunde und nannte ein minniglicher Schöngeist diese Spinnfaden, welche auf abgestorbenen Grashalmen zu finden, nur deshalb »Alter-Weiber-Sommer«, weil auch das Weib im Spätsommer seines Lebens am liebsten an die Erinnerung an abgestorbene Freuden sich anklammert?
Ich für meinen Theil halte letztere Version für eine erheuchelte Galanterie und glaube, daß gerade die brüskeste Definition die richtige und der »Alte-Weiber-Sommer« das Symbol jener tristen Freundlichkeit sei, welche die Natur mit ein paar kümmerlichen, erzwungenen Liebesblicken uns bietet, gewisse Frauen copirend, die mit einer posthumen Empfindung und einem verspäteten Feuer einen Herzens-Anachronismus begehen und in des Lebens October jene Blüthen zur Reife bringen möchten, die eben nur in des »Lebens Mai« zu einer saisongerechten Existenz berufen werden.
Damit soll jedoch die gut conservirte Liebenswürdigkeit mancher älteren Frauen nicht gehöhnt werden, denn es ist ein schreiender Unterschied zwischen »alten Frauen« und – »alten Weibern«. Letztere Titulatur umfaßt nämlich den Begriff des, sozusagen, Unweiblichsten am Weibe, wenn dieses die körperliche Reizlosigkeit, den Abgang des »äußeren Behagens« (wie es Goethe so treffend nennt), durch die seelische Häßlichkeit noch greller hervortreten und die gemüthlose Classification Spiegelberg's zur vollsten Berechtigung kommen läßt. Wie anmuthig sind oft noch alte Frauen, trotz ihrer Silberhaare und des schmucklosen Kattunkleides, das sie eben so zierlich zu tragen wissen, und wie – unküssenswerth ist manches »alte Weib«, ungeachtet seiner pompösen Sammtrobe und der wallenden Marabuts.
Nicht der Standesunterschied, nicht äußerer Glanz oder Dürftigkeit sondert demnach die zwei Benennungen: »alte Frauen und alte Weiber«. Die Bezeichnung »alte Weiber« hat vielmehr einen viel tieferen Sinn und erstreckt sich auf beide Geschlechter, und diesen Sinn brachte Nestroy, der sinnige Physiolog, zum richtigsten, schärfsten und prägnantesten Ausdruck, indem er die Versicherung abgab, daß ihm »nichts so z'wider sei, als a Mann, der a alt's Weib is«!
Dieser drollige Fluch soll nun die gesammte Gattung (utriusque generis) treffen und sie als mit einer der fatalsten menschlichen Eigenschaften, der Unverläßlichkeit behaftet, stigmatisiren.
Und so wäre ich am Ausgangspunkte meiner heutigen wehmüthigen Betrachtungen wieder angelangt. Unverläßlich, d, h. ohne bestimmten Charakter, ist diese nur mehr kurzlebige Periode, in der ein unnatürliches Lächeln der Sonne mit dem fröstelnden Schauer der keifenden Windsbraut stündlich wechselt und die tiefblauen sommerlichen Schönheitsreste des Himmels mit jedem Augenblick von eisgrauen Wolkenscheiteln verhängt werden; eine unerquickliche Periode, die mit der starren Charakterfestigkeit des schneeigen Winters, des eigentlichen Alters des Jahres, nichts gemein hat, und die den nicht ganz Blinden lehrt, vor den dräuenden Unwettern, die in der nächsten Minute über sein armes Haupt losplatzen können, auf der Hut zu sein. Diese Periode nennt man nun »Alten-Weiber-Sommer« und der gütige, vorsorgliche Schöpfer läßt um die besagte Zeit wie Warnungszeichen die langen, weißen Fäden herumflattern, auf daß nun Jeglicher hübsch daheim bleibe und keine dummen – touristischen Streiche mache.
Ach, dennoch wäre ich geneigt, noch eine kurze Liaison mit einer reizenden, interessanten – Alpengegend anzuknüpfen. Von allen Richtungen der Windrose kehrt man nun mit Sack und Pack und mit Edelweiß geschmückt wieder heim; alle Bahnzüge bringen die sommerlichen Deserteure zurück, Alles hat sich gelabt und gestärkt für die winterliche Ballcampagne und ich habe heuer noch immer kein Stück recht grüner Erde gesehen. Wie dem Schweizer das Heimweh nach seinen Bergen am Herzen nagt, so zehrt an mir das »Hinausweh« und die Sehnsucht nach den Bergen macht mich an Leib und Seele krank. Wie gerne würde ich das Gelöbniß ablegen, Zeit meines Lebens weder einen Cotillon- noch einen anderen Orden zu tragen, wenn ich nur jetzt noch vierzehn Tage Alpenluft athmen könnte.
Vielleicht wäre es doch noch schön bei der Scholastika z. B., die ich seit zwanzig Jahren liebe, ohne daß ich es ihr je gestanden, weil ich stets nur in den tiefblauen See vor ihrer Hütte starrte und nicht Zeit fand, mit ihr zu plaudern. Vielleicht wäre die lustige Rosel, die Tochter des noch lustigeren Astl auf der hohen Salve, gerade jetzt bei guter Laune und ich säße dann, wie einst, neben ihr auf der Ofenbank und hörte sie die übermüthigsten Schnadahüpfel singen. Wie lechzt mein Inneres nach der hehren Einsamkeit der Hochthäler, wie lockt es mich mit Geisterstimmen, daß ich aus dem beengenden Häusermeere hinauseilen und meine Seele laben soll in dem reinen Aether des Rayons der Tiefenbrunner Wirthin, und wie würden die von dem schmerzhaften Studium der Bürstenabzüge oder der ölgetränkten localcorrespondenzlichen Communiqués gemarterten Augen an dem milden Grün der Föhrenwälder sich erfrischen!
Und ich bin nicht übermüthigen Sinnes; ich will nicht kosen mit üppigen »Schwoagerinnen«, schon der Prügel wegen, die in jenen aussichtsreichen Gegenden dabei in Aussicht stehen; mir würde es genügen, mit dem schweigsamen Ritzler von Hopfgarten oder dem knorrigen, gleichfalls wortkargen Benedict Klotz von Fend, dem sie für die Riesenarbeit der Erbauung einer Unterstandshütte am Hochjoch-Ferner nun zwanzig Gulden österreichischer Währung geschenkt haben, einen siebenstündigen Marsch über ein Mitteljoch zu machen, nur um von den witzigen städtischen Causerien auszuruhen.
Und schließlich sehnt sich mein Gaumen auch nicht nach Forellen und Saiblingen; im Gegentheile, ein Stück schwarzes Brot, das durch die residenzlichen Bäckerrummel-Debatten nicht versauert, würde mir eine Delicatesse dünken und frisches Quellwasser mir besser munden, als das durch Mousseux-Pipen verschlechterte und mit »Abzug« vermischte Pseudo-»Lager« der neuesten Weltstadt. So aber verurtheilt mich das Geschick, ein anderes schweres Brot zu essen, das Brot des Uebersetzers, der die communalen Diebstähle, Raubanfälle, Straßengeburten und Todesfälle zwischen Puffern aus dem Berichterstatter-Kauderwälsch in sein geliebtes Deutsch zu übertragen, zahllose syntaktische Beinbrüche einzurichten und halsbrecherische stylistische Uebergänge tagtäglich auszuschaufeln hat.
Aber da kommen die falschen Freunde, die sich nun mondenlang auf allen möglichen Almtriften, vaterländischen und freundnachbarlichen Heuböden herumgeschlagen, unter den duftigsten Lindenbäumen geschlafen und von der Original-Gebirgssonne ihren mit Original-Mehlnocken gemästeten Bauch erwärmen ließen, und trösten mich mit dem Henkerstroste, daß es nun ohnehin schon zu spät sei, daß die Tage zu kurz, die Abende zu lang und die Nebel für »Hochlandsfahrten« zu gefährlich wären. »Du weißt«, rufen sie im perfidesten Chore, »der ›Alte-Weiber-Sommer‹ ist da – und dann ist's nichts mehr mit Gebirgsreisen.« – Mit ihren »kurzen Tagen!« Als ob ein paar sonnige Stunden am Achensee nicht einen ganzen Monat Stadtlebens aufwiegen würden!
Aber sie haben Recht; der »Alte-Weiber-Sommer« ist da, er flimmert mir vor den Augen, er schwärmt mir um die Ohren und ein, freilich vorzeitiges, sporadisches Gliederreißen erinnert mich, daß die »Saison« wirklich vorüber und bald die trübe Jahreszeit anrücken werde.
Auch Andere fröstelt es bereits, und besonders die Wettermacher vom Fach ahnen einen strengen Winter. Sie deduciren dies aus einer leicht möglichen Allianz meteorischer Eventualitäten am nordischen Himmel, sie finden manche Erscheinungen schon jetzt bedenklich und mahnen zur Vorsicht in allen Dingen.
Jawohl, in allen Dingen. Auch die politischen Sterndeuter stecken deshalb die Köpfe zusammen und wispeln sich die unheimlichsten Gerüchte, Beobachtungen und Wahrnehmungen zu. Sie sprechen in bedeutungsvollen Gleichnissen und bedienen sich der dunkelsten Satzconstructionen, sie citiren sogar Beispiele aus der Geschichte und blättern darin herum, bis sie auf die Karlsbader Beschlüsse kommen. Dann seufzen sie so recht hörbar und wischen sich auch etliche Thränen aus dem Antlitz, die sie um das so frühe Ende unserer blutjungen »Freiheit« anticipando geweint.
Mag mitweinen, wer will, der Verlust wird zu ertragen sein, da die Ueberraschung eben keine tödtliche und man uns von allen Seiten und mit vereinten Kräften längst darauf vorbereitete. Oder sind gewisse lauwarme Reden und Rundschreiben, gewisse kühle Entscheidungen oder officiöse Lehrmeinungen etwas Anderes als der veritable »Alte-Weiber-Sommer« des Liberalismus? Nun also ... macht darum, was Euch beliebt; ich aber gehe doch noch auf vierzehn Tage in die Berge, um von Eurem mühseligen Flickwerk nichts zu sehen und zu hören. Gott befohlen!