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Vom Christkindlmarkt.

Das ist die allererlogenste Phrase, wenn Einer, sich die Augen trocknend, mit sentimentaler Seufzerbegleitung ausruft: »Diese Woche gehört den Kindern!« Nicht wahr ist's; die Christkindlwoche gehört allen Leuten, denn sie ist die Bescheerungswoche, und beschenkt oder doch mit kleinen »Aufmerksamkeiten« und sonstigen Liebesgaben bedacht und ausgezeichnet will Jedermann werden; es ist dies eine ebenso ohne Unterschied des Alters und Standes empfundene, wie auch confessionslose Inclination des gesummten egoistischen Menschengeschlechtes, und der spezifisch christliche Cultus ist in paktischer Erkenntnis; der günstigen Situation längst schon von anderen Culten freudig acceptirt worden, d. h. insoferne er sich auf den löblichen Gebrauch der Empfangnahme von Geschenken (jeglicher Sorte) bezieht.

Und so feiert denn am Schlusse dieser Woche nicht nur die unzweifelhaft katholische Bevölkerung der allerchristlichsten Bezirke ihr sinnigstes Fest; es wittern auch die – gebogensten Nasen und Näschen eine kleine Ueberraschung und die putzigsten Aspiranten von einstigen Verwaltungsrathsstellen, die noch allerwinzigsten künftigen Bräute von Generaldirectoren sehen mit klopfenden Herzen einem reichdotirten – Weihnachtsbaum entgegen, der allerliebste Pelzkrägelchen und geschmackvolle Remontoirs als Vordividenden tragen soll.

Ich habe gegen diese antiorthodoxe Weihnachtstantième nichts einzuwenden, schon deshalb nicht, weil die Zahl der fröhlichen Gesichter vermehrt wird und weil ich es auch vom beliebten volkswirtschaftlichen Standpunkt aus nur segnen kann, wenn die gewerblichen Anhänger der alleinseligmachenden Kirche wenigstens in dieser Woche gute Geschäfte machen, fei es auch durch – Ungläubige oder Ketzer. Es fragt sich nur im Allgemeinen: was, wie und warum gibt man?

Was man gibt oder vielmehr geben soll, darüber belehrt ein Blick auf die Inseratenseiten oder nach den Schaufenstern, oder ein Spaziergang durch das hölzerne Barackenlager, vulgo! am Christkindlmarkt.

Die athemlose Industrie kennt keine poetischen Alluren und da die nüchterne Generation ebenfalls nur vom Utilitätsprincipe geleitet wird, so ist es natürlich, daß man diesem sogenannt einzig vernünftigen Triebe alle denkbaren Wege eröffnet und im echten Geschäfts-Cosmopolitismus heute fast nur mehr solche merkantile Specialitäten als » passende« Weihnachtsgeschenke offerirt, welche mit dem Gepräge der Brauchbarkeit geziert, thatsächlich auch » benützt« werden können und nicht allein zur stillen, wonniglichen Freude contemplativer Naturen bestimmt sind. Damit will ich nun nicht behaupten, daß sich nicht auch noch einzelne Schwärmer finden, welche für eine Creditpromesse oder ähnliche Werthfictionen, die nur der edelsten Anspruchslosigkeit genügen, Sympathie fühlen, sowie ferners, daß man nicht auch hie und da den »lieben Kleinen« mit einer Trommel oder Trompete eine so recht sinnige Herzensfreude, und zwar ohne kalt berechnete Rücksicht auf die nachbarlichen Zeitgenossen, bereiten will, aber die Mehrzahl der Geschenkgeber schwankt doch nur mehr in der Wahl zwischen – Gummischuhen und einem gut verzinnten Waschschaff, warmen Barchenthosen und Moderateurlampen, Pudelmützen und Fäustlingen, Ofenschirmen und Stiefelziehern, Bierkrügen und Pelzschuhen, echten Prager Schinken und rothbesäumten Krinolinen, dem Privat-Wirthschafts- und Auskunftskalender und Pfeifenstellagen, Holzkörben und Abstaubern, Cigarrentaschen und Strumpfbändern, Cravaten und Kniewärmern, Bratpfannen und Opernguckern, Tranchirmessern und Portemonnaies, Nachtkästchen und sonstigen häuslichen Necessaires, die auch über die Festwoche hinaus nützliche Dienste versehen sollen. Die Aera der obligaten Blumensträuße sammt Almanachen ist ebenso überwunden, wie die zart-billige Methode der Widmung von Akrostichons und anderen Stammbuchversen.

Ja, diese leidige Brauchbarkeitstheorie erstreckt sich nicht nur auf die wechselseitigen Gefühle der Erwachsenen, d. h. auf die Gaben der Eheleute und Liebenden unter einander, welche Letztere bereits ebenfalls unter dem Nullpunkt des Sensitiven angelangt und schon stark in Christkindl-Hosenträgern und – vice versa, – Staubkämmen etc. machen; auch der holdesten Kindheit muthet man die Würdigung, das Anempfinden solch praktischer Tendenzen zu, und begeht in moderner Herzensbarbarei die Lieblosigkeit, das vertrauensvolle Gemüth, den arglosen Sinn der süßesten Jugend selbst in dem stimmungsreichsten Momente mit – Schultaschen und Rechentafeln eher zu erschrecken und zu ängstigen, als mit Backwerk und lebzelternen Reitern u. s. w. zu ergötzen.

Analog mit dieser nüchternen Denkweise, die nur in den allerseltensten Fällen eine sinnige Concession von Schlittschuhen oder Puppen (mit beweglichen Augen) gestattet und somit auch in den Kreisen der reinsten, elfenmäßigen Unschuld die Perspektive auf Pracht- und Wundergaben und auf liebliche Tändeleien und artiges Spielzeug allmählich verdüsterte, geht auch die Art des Gebens, die gleichfalls den Mehlthau jeglicher Poesie abgestreift, und den Zauber der Freudebereitung und Ueberraschung längst eingebüßt hat.

Der Termin der pflichtschuldigen Bescheerung naht und man sendet ein Rudolfslos mit der Visitkarte an die betreffende Adresse, oder der Dienstmann übergibt ein Stück »Gradl« auf Bettüberzüge und meldet eine »schöne Empfehlung vom Gnä' Herrn«, der inzwischen zum Lothringer gegangen; oder ein zerlumpter Lehrjunge schleppt »grußmächtige schware Speiskastl« herbei und stellt »Christkindl in Kuchl«; oder ein Hausknecht bringt einen »Hut Zucker« und fünf Pfund Kaffee und läßt hiezu im tiefsten Baß die Bemerkung fallen, daß er für »den Gang nit zahlt is«; oder eine »Probirmamsell« erscheint mit dem Bündel und liefert die Sammtmantille ab, glaubt aber in neckischer Plauderhaftigkeit es nicht unerwähnt lassen zu sollen, daß eine noch viel schönere Mantille von dunkelblauem Sammt vorräthig gewesen wäre, daß aber der Herr Gemahl so unendlich »klug« sei und so erschrecklich viel »handeln« wollte u. s. w. Von jener traditionellen, gemüthsinnigen, lauschenden Ueberraschung bei flimmernden Kerzchen, accompagnirt von dem Jubelgeschrei des freudetrunkenen Nachwuchses ist kaum mehr eine Spur; die Beschenkung ist ein familiärer Tribut, also – wozu viele Umstände ...

Und die Kleinen? Ach, die sind so entsetzlich verständig geworden, so unglaublich gescheidt, fast wie die Erwachsenen; sie kennen die ganzen Mysterien der Christkindl-Bescheerung und da sie durch die wochenlang geführten elterlichen Dialoge und Berathungen über ihre oktroyirten Bedürfnisse bereits vollständig im Klaren, so ahnen sie ohne viel Kopfzerbrechen das Um und Auf der »Ueberraschung«, discutiren dieselbe bereits anticipando und man überhebt sich denn auch deshalb meist der Mühe, einen umständlichen Apparat zu gebrauchen und eine hübsche festliche Scene zu arrangiren. Freilich geschieht bei »vornehmen Leuten« in dieser Richtung auch heute noch ein Uebriges, und die Dressur der Kleinen für das normale Gefühl der Tages-Glückseligkeit ist sogar ein Hauptpensum aller gebildeten Bonnen, und auch die standesgemäße Höhe des Tannenbaumes und die distinguirte Ueberzahl von Lichtlein und Ketten von Rauschgold wird genau beachtet und schließlich gibt es auch der kostbarsten Nippes dabei in Hülle und Fülle – dennoch fürchte ich, daß eben in solch exquisiten Regionen der nobelsten und verfeinertsten Empfindung der würzige Zauberduft der fromm-romantischen Mythe nur künstlicher Parfüm, und gerade in Folge der höheren »Aufklärung« die keusche Familienidylle vielleicht nicht viel mehr, als – Modesache geworden. Kranke ich ein elegantes Mutterherz mit diesen plebejischen Vermuthungen?

Und wenn der Ausdruck verletzend, so nehmt dafür das' Wort: Gebrauch, aber gesteht, daß nur zu häufig der innere und wahre Drang ihm fehlt, daß oft nur dem Appell des Kalenders Genüge geleistet wird, der in seinem bunten Repertoire die mannigfachsten Feste in Vorrath hält, und daß das niedliche Weihnachts-Intermezzo mitunter nur als sehr egoistische Augenweide dient, die eine erwünschte Abwechslung in der Monotonie einer blasirten Ehe bietet.

O, ich kenne und würdige und verehre das rührende und tief empfundene Gegenstück solcher Familien-Förmlichkeitsacte, und gerade der Anblick des armseligsten Tannenbäumchens mit kümmerlichstem Aufputz und kläglich dürftiger Beleuchtung hat mich in feiner wehmüthigen Einfachheit stets nur mit Ehrfurcht erfüllt. Die paar flackernden Lichtlein, die gleich Johanniswürmchen die triste Nacht des häuslichen Elendes erleuchteten, sie ließen auch das in Wonne erzitternde Auge der Mutter, die blitzenden Zuckungen lang entbehrter Freude in dem gramdurchfurchten Antlitze des Vaters erkennen. Und wenn die kleinen Händchen im ungestümen Verlangen nach den spärlichen Gaben griffen und das bleiche, abgezehrte Gesichtchen, von ungeahnten Gefühlen belebt, nicht in Fieberröthe, nein in Lust über die unbegriffenen Wunder, in Wonne über all den fremden Zauber strahlte und auf den lächelnden Mund des Beseligten die Thränen der still Duldenden, wie segnender Himmelsthau auf eine verdorrte Blume träufelten – da drang es wohl auch mit packender Gewalt mir an's eigene Herz, und meine Brust drohte zu zerspringen und ich warf mich daheim auf mein einsames Lager und barg meine brennende Stirne in den Kissen und frug den Ewigen, ob solch geräuschloses Liebesopfer des Bettlers, das zur Feier der Geburt des Sohnes der Menschheit dargebracht, nicht reiner und heller emporflamme, als der eitle Schimmer aus Myriaden qualmenden Wachskerzen, die der Reichthum und die Ueppigkeit zur eigenen Verherrlichung angezündet! Und ich weinte ob der ehrwürdigen Armuth, die ich geschaut ...

Aber ebenso kluger wie gerechter Weise vertröstet man uns ja ohnehin mit der Aussicht auf das einzig unfehlbare richterliche Erkenntniß, das uns einst Alle erwartet, jenes musterhafte, weil himmlische Ausgleichsverfahren, das am Tage des gehofften und gefürchteten strengen Gerichtes eingeleitet werden wird, und das sich nur so lange verzögert, als ein kurzes Menschenleben währt. Was wiegt dann der irdische Jammer gegen die endlose göttliche Vergeltung! –

Mit diesen frommen Gedanken, die mich während meiner Wanderung zwischen den Marktbuden so plötzlich überkommen, werde ich jedoch meiner eigenen Ueberzeugung theilweise untreu, die eben dahin geht, daß ich, wie ich Eingangs bemerkte, die Weihnachtsfeier nicht für einen exclusiv-kindlichen – sondern für einen universellen Festtag erkläre, an dem auch die »Großen«, und zwar in sehr eigennütziger Weise participiren.

Ja, der Christkindl-Tribut ist ein unnachsichtlicher und unabwendbarer und wenn ich zuvor angedeutet, daß man seinen Satzungen manchmal in etwas zu gleichgiltiger Façon und eben nicht in den delicatesten Formen und nicht mit den aimabelsten Manieren gehorcht und oft nur die schuldige Pflicht oder auch die leidige Gewohnheit in der eigentümlichen Behandlung dieser zarten Ungelegenheit zu sichtbar zwingenden Motoren werden, so ist doch nicht zu läugnen, daß hinwieder einzelne Geber weder Mühe noch Kosten scheuen, um ihre Großmuth wie Verehrung der respectiven Persönlichkeit auf's Luxuriöseste zu, manifestiren.

Es gehört nämlich auch in gewissen Kreisen zum bon ton, gerade mit dem »Christkindl«, d. h. dem Festgeschenk, so recht in die Augen springend zu brilliren und ergötzt es die betreffenden – Mäcene nicht wenig, ihre Schützlinge mit der Weihnachtsspende in den ersten Tagen öffentlich paradiren zu sehen. Ein halbwegs kundiges (weibliches) Auge, das mit der Genesis der Garderobe notorischer Modedamen vertraut ist, weiß denn auch auf den ersten Blick, daß z. B. das Türkisen-Collier in jener Loge ein »Christkindl« und mit dem Besitzer dieses Ecksperrsitzes fast in vitalem Zusammenhange steht; daß der prächtige Zobel in jenem Unnumerirten seinen Donator auf edlem Vollblut in nächster Nähe hat und daß dieser Marabuts das erste Mal in der Christnacht vor dem Spiegel erprobt wurde. Welche unkirchlichen Nebenumstände, welch antiascetische Impulse mögen – wenn auch nur sporadisch – mit der Geschichte solcher Christbescheerung verbunden sein!

Die Scala der entzückten Ausrufe der also festlich Bedachten ist demnach auch eine endlose; in verschiedenen Tönen, je nach dem Werth der Gabe und weniger als Signalement des individuellen Bildungsgrades braust es aus dem reichen Register des weiblichen Herzens hervor, und es ist ganz natürlich, daß Laura, die mit einem Hermelinmantel beschenkte Angebetete des zwanzigjährigen X., mit den Worten: »O, wie glücklich macht mich diese Liebe!« völlig »enchantirt« in ihren Balzak sinkt, mährend kurz darauf Irma, ihre beste Freundin aus derselben Schule und in der gleichen socialen Stellung, »fuchsteufelswild« in's Zimmer stürmt und in die Klage ausbricht: »I bitt Di, was glaubst, daß ma mein Graf, der Knicker, zum Christkindl spendirt hat, – an Paperl!!« – Klingt etwa schon dies einfache Geständnis; einer in ihren speculativen Erwartungen getäuschten und deshalb beleidigten Seele frivol und cynisch? Nun, es gab Beispiele von noch empörenderem, ja geradezu fürchterlichem Cynismus, wenn beispielsweise eine lockere Sperl-Schöne mit dem lästerlichen Gruße den Eintretenden apostrophirte: »Gengan's, schenken's ma a Glückseinserl zum Christkindl!« – Fröstelt Dich, geneigter Leser?

 


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